Nicht nur Fleisch, auch Milch soll im nächsten Jahr, eingeteilt in die vier vom Handel ausgerufenen Haltungsformstufen, im Kühlregal zu finden sein. In Stufe 2 gruppiert sich der sogenannte QM-Tierwohl-Standard ein, den QM-Milch entwickelt hat und auf den Verpackungen als „QM+“ ausweisen will. Zur Diskussion steht aktuell ein Zuschlag von 1,2 ct/kg für Lieferanten von Milch aus Haltungsformstufe 2.
Manfred Graff, Milchviehhalter und Aufsichtsratsmitglied von Arla begrüßt, dass das Thema Tierwohl in der Branche vorangebracht wird. Kritisch sieht er allerdings die Vergütungshöhe:
Das wird bei vielen Landwirten nicht reichen. - Manfred Graff
Zudem sei der Aufwand für die Molkereien hoch, Milchströme zu separieren und die Logistik umzuplanen. Es sei noch nicht klar, ob für die Milchverarbeiter eine finanzielle Entschädigung vorgesehen ist. Graffs Befürchtung: „Die Molkereien müssen den Grundpreis reduzieren, um die Mehrkosten zu kompensieren.“ Eckhard Heuser, Geschäftsführer des Milchindustrie-Verbands, teilt auf Nachfrage mit: „Wenn die Molkereien ihre Sortier- und Sammelkosten nicht erstattet bekommen, belastet das das Milchgeld, leider ist das so einfach. Gut ein Drittel der deutschen Rohmilch gelangt in die Regale des deutschen Lebensmitteleinzelhandels. Nur diese Milchmengen werden überhaupt berücksichtigt. Die Hälfte der deutschen Milchprodukte landen z.B. im Ausland, da kennt niemand ‚Haltungsformen‘. Die Molkereien werden aber dem Handel das liefern, was er bestellt und auch bezahlt.“
Zu kurze Vertragslaufzeiten
In diesem Zusammenhang sieht Manfred Graff eine weitere Tücke – nämlich in den kurzen Vertragslaufzeiten zwischen Molkereien und Handel. „Wenn Landwirte für Haltungsformstufe 2 investieren, müssen sie sicher sein können, dass sie länger als sechs Monate mehr Milchgeld bekommen“, appelliert Graff. Außerdem müssten Betriebsleiter jährlich mit unangekündigten Kontrollen auf dem Hof rechnen. „Ich befürchte, dass wir Milchbauern am Ende draufzahlen und keinen Mehrwert davon haben“, erklärt er und ergänzt: "Einen Mehrwert zu schaffen, sollte aber das Ziel einer solchen Initiative sein." In die gleiche Kerbe schlägt Hans Stöcker, Aufsichtsratsvorsitzender von FrieslandCampina: „Bei einer Differenz zwischen Angebot und Nachfrage müssen die unsere Milchbauern die Kosten zur Erreichung einer Haltungsstufe selbst tragen. Des Weiteren deckt der in der Debatte genannte Zuschlag von 1,2 ct/kg nicht den Mehraufwand.“
Der Süden hat es schwer
Ein Kenner der Branche sieht das anders: „Der Antritt ist, mehr Tierwohl zu schaffen. Die finanziellen Probleme der Branche zu bereinigen, ist nicht die Aufgabe. Wichtig ist, dass der Mehraufwand für die Haltungsformstufe 2 für die Landwirte vergütet wird.“ Die Diskussionen dazu liefen noch. Auch bei der Bewertung der Logistikaufwendungen für die Molkereien sei das letzte Wort noch nicht gesprochen. „Für Milchviehhalter, die nach guter fachlicher Praxis in einem modernen Stall arbeiten, ist die Haltungsformstufe 2 bei entsprechender Vergütung durchaus machbar. Schwierig wird es für Betriebe mit alten Ställen oder mit Anbindehaltung“, lautet seine Einschätzung. Die Zukunft sei Haltungsformstufe 2, Stufe 1 werde auslaufen. Heuser erklärt: „Die Verhandlungen sind schwierig. Noch gibt es Stand Mitte Oktober seitens des Handels keine verbindlichen Zusagen. Die 1,2 ct/kg dienen als Gesprächsgrundlage. Insbesondere die süddeutschen Betriebe dürften mit dem Betrag allerdings kaum auskommen.“
Wer verteilt das Geld?
Ebenfalls nicht beschlossen ist, wer die Geldausschüttung übernimmt. Im Raum stehen eine Clearingstelle oder die Verteilung über die Molkereien. Eine Clearingstelle bewertet Manfred Graff kritisch. Aus Sicht des Arla-Aufsichtsratsmitglieds entstehe dadurch nicht nur zusätzlicher Verwaltungsaufwand, sondern es bestehe auch die Gefahr, dass bei nicht abgesetzten Mengen seitens des Handels, der vereinbarte Zuschlag nicht in voller Höhe beim Landwirt ankommt. Die Sorge teilt auch Hans Stöcker von FrieslandCampina: „Wir plädieren für die Geldausschüttung an die Molkereien. Unser Unternehmen gehört zu 100 % der Genossenschaft, deren Eigentümer unsere Milchviehhalter sind. Wir haben langjährige Erfahrung mit Prämien, die vom Einzelhandel direkt bezahlt werden, Gewinne kommen unseren Landwirten daher direkt zugute. Die Milchpreise an die Milchviehhalter beinhalten bereits jetzt verschiedene Prämien und Abzüge. Das Hinzufügen eines Clearingsystems führt zu unnötiger Komplexität, was zu höheren Kosten für unsere Milchviehhalter führt.“
Ein anderer Insider der Branche erklärt gegenüber top agrar, dass eine Clearingstelle zwar Kosten verursache, dafür aber zu mehr Transparenz bei den Geldflüssen beitrage.
"QM+" im ersten Quartal im Handel
QM-Milch-Geschäftsführer Ludwig Börger bestätigt, dass die Verhandlungen rund um die Finanzierung noch nicht abgeschlossen sind. Wichtiger als zu klären, ob es eine Clearingstelle geben soll, ist aus seiner Sicht, ob alle Landwirte, die in Haltungsformstufe 2 wollen, auch dort reinkommen können. „Am Ende muss die Milch im Markt platziert werden können.“ Der QM-Milch-Geschäftsführer geht davon aus, dass im ersten Quartal 2022 die erste als „QM+“ ausgelobte Milch im Kühlregal steht.