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Islamisches Opfer­fest in Westfalen

Willi und Martin Sißmann aus Waltrop vermarkten ihre Mastbullen auf eher ungewöhnlichem Weg: Alljährlich findet auf dem Hof für Familien muslimischen Glaubens das Opferfest statt.

Lesezeit: 7 Minuten

Familien, die gemeinsam beten, Fleisch zerlegen, grillen und teilen: Ein ungewohntes Treiben und verschiedenste Sprachen herrschen schon zum 39. Mal auf dem Hof der Familie Sißmann aus Waltrop (Nordrhein-Westfalen). In direkter Nähe zum Ruhrgebiet veranstaltet der landwirtschaftliche Betrieb über zwei Tage das islamische Opferfest.

Vor elf Jahren im November 2009 war top agrar das erste Mal dabei und berichtete über das Geschäftsmodell (siehe top agrar 1/2010, Seite R 22, „Ab Hof: Über 100 Bullen für islamisches Fest“). Was hat sich seitdem verändert?

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Tradition im Vordergrund

Das Opferfest an sich besteht aus jahrhundertealten Ritualen und gehört zu den wichtigsten Festen im ­Islam. Sißmanns bieten der städtischen Kundschaft alles an, was sie für das Fest benötigen: Die Tiere, ein Schlachthaus und Möglichkeiten zum direkten Zerlegen der Rinder. Auch Platz zum Beten und Feiern finden die Gläubigen auf dem Hof. Sißmanns Arbeit beginnt am Ende des Ramadans, also 70 Tage vor dem Opferfest. „In diesem Jahr haben wir circa im Mai mit dem Vorverkauf der Bullen und Färsen begonnen“, erklärt Willi Sißmann. Der 67-Jährige hatte 1984 die Idee zum Hoffest als muslimische Kunden nach Möglichkeiten zur Schlachtung fragten. 2015 hat er den landwirtschaftlichen Betrieb an seinen Sohn Martin (34 Jahre) übergeben, arbeitet aber noch voll mit.

Die Familien suchen sich vor Ort ein Tier aus. „Da gehört das Handeln fest dazu und ist sogar im Koran vorgeschrieben“, erklärt der Landwirt. Er und sein Sohn sind nach jahrelanger Erfahrung geübt im teils langwierigen aber fairen Feilschen um den Preis. Am Ende machen die Parteien einen Festpreis aus, indem alle späteren Arbeiten für das Fest enthalten sind. Das Gewicht des Tieres wird dabei geschätzt, die Ohrmarke notiert und der Schlachttermin abgestimmt.

Am Festtag wird das ausgesuchte Rind geschlachtet. Zuvor beten die Gläubigen direkt am Tier und sind auch bei der Schlachtung anwesend. Den Bolzenschuss übernehmen Martin oder Willi Sißmann oder zwei feste Mitarbeiter: „Das ist Chefsache und darf nur von kundigen Personen durchgeführt werden“, erklärt der Landwirt. Anschließend muss allerdings ein muslimischer Metzger den Halsschnitt setzen. Auch er ist seit rund 30 Jahren im Team. Sißmann macht klar: „Schächten, also das Ausbluten ohne Betäubung ist strengstens verboten und ist bei uns und unseren Kunden auch kein Thema.“Den ganzen Tag ist das Veterinär- und Gesundheitsamt vor Ort.

Schächten, also das Ausbluten ohne Betäubung ist strengstens verboten und ist bei uns und unseren Kunden auch kein Thema. - Willi Sißmann

Kleine Tiere gefragter

Der Betrieb verkauft vom schweren Endmastbullen bis zur leichteren Färse über verschiedene Rassen und Kreuzungen alles, was die Kunden wünschen. Das war auch schon vor elf Jahren so. Verändert hat sich allerdings die Betriebsstruktur. 2012 haben Sißmanns in einen neuen 350er-Milchviehstall investiert. In dem Zuge hat der Betrieb sich aus der Sauenhaltung verabschiedet.

Die Bullenkälber und ein Teil der Kuhkälber aus der Milchviehherde bleiben als Kreuzungstiere zur Mast am Hof. Dazu setzt der Familienbetrieb meist auf Charolais- und Inrabullen. Kreuzungen mit Blau Weißen Belgiern haben für die Kundenwünsche zu wenig Rahmen. „Wenn die Kunden in einen Bullen investieren, soll der schon was hermachen“, sagt der Landwirt. Limousin und rotbunte Tiere sind somit beliebt. Um verschiedene Rassen anbieten zu können, kaufen Sißmanns bei Bedarf Absetzer zur Mast dazu.

Mehr Service im Angebot

Im Vergleich zu vor elf Jahren haben die Kunden geringere Lagerkapazitäten. Zudem wird weniger daheim gekocht bzw. der Außer-Haus-Verzehr steigt. „Laut Koran dürfen sich maximal sieben Familien ein Rind teilen“, erklärt Sißmann. In den vergangenen zehn Jahren ist daher die Nachfrage nach leichteren und kleineren Tieren, wie Färsen, gestiegen.

Die ersten Generationen, die das ­Opferfest im Jahr 1984 in Waltrop feierten waren zum Großteil sogenannte türkische Gastarbeiter, die selbst häufig aus ländlichen Regionen und der Landwirtschaft stammten. Diesen war das Schlachten, Zerlegen und Verarbeiten nicht fremd, sodass Sißmanns nur kleine Teile im Prozess übernahmen.

Die heutige Kundschaft ist wie unsere Jugend in unserem westeuropäischen Standard aufgewachsen und hat sich vom Schlachten entfremdet. - Willi Sißmann

„Die heutige Kundschaft ist wie unsere Jugend in unserem westeuropäischen Standard aufgewachsen und hat sich vom Schlachten entfremdet“, erklärt Sißmann. Daher muss der Betrieb mittlerweile deutlich mehr Service anbieten. Wo die beteiligten Metzger vor einigen Jahren nur grob zerlegt haben, sind jetzt auch vom Ausbeinen bis zum Fleischwolf viele Angebote im Programm. Das wird über einen höheren Kaufpreis finanziert. „Die Kunden haben aber mittlerweile auch mehr Geld, als früher“, weiß der Landwirt. Der Kundenstamm zieht sich dabei durch alle gesellschaftlichen Schichten, vom Werksarbeiter bis hin zum Arzt. Das Durchschnittsalter liegt bei 40 bis 50 Jahren. Am Opferfesttag kommen aber meist auch Kinder und Jugendliche der Familien mit und packen an. Klar ist: Wer an dem Tag auf dem Hof ist, erlebt vom Tier im Stall bis zum Gehackten in der Wanne den gesamten Prozess.

Wie die Servicewünsche, haben sich auch die Ursprünge der Kunden geändert. „Früher stammten die meisten aus der Türkei. Mittlerweile kommen auch viele Leute mit Wurzeln in Syrien, Ägypten oder Familien aus Bang­ladesch, Marokko und anderen Ursprungsländern“, erklärt Sißmann. Alle sind muslimischen Glaubens, aber jeder hat seine kulturellen Hintergründe und damit Unterschiede und Wünsche. Den Schlüssel zum Erfolg der Vermarktung aber auch des Miteinanders sieht der Landwirt in einer offenen Weltanschauung: „Wir akzeptieren hier jeden in seiner Art und Religion.“

Mittlerweile im Sommer

Wer den ersten top agrar-Bericht zum Opferfest noch zur Hand hat, wird sehen, dass damals alle Besucher dicke Jacken getragen haben. Im Gegensatz zu Weihnachten und Co. wandert das Opferfest im Laufe der Jahre: „Das ­islamische Fest findet alle 355 Tage statt“, sagt Willi Sißmann.

Die zeitliche Verschiebung führt dazu, dass das Opferfest aktuell sechs Jahre lang in Folge in den NRW-Sommerferien liegt. Das hat Konsequenzen für den Absatz: „Viele unserer Kunden machen in den Ferien Urlaub in ihren Ursprungsländern“, erklärt der Landwirt. In diesem Jahr hat der Betrieb rund 80 Tiere vermarktet. Vor einigen Jahren waren es teils mehr als 150 Stück. „Einige Berufskollegen aus der Umgebung, die parallel zu uns auch diese Art der Vermarktung betrieben haben, gaben das aus diesem Grund auf“, sagt Sißmann. Sie selbst bleiben aus Überzeugung dabei, denn der Absatz reicht weiterhin aus. Außerdem nutzt das 2010 auch nach EU-Kriterien genehmigte Schlacht­­haus mittlerweile regelmäßig ein fester Metzger. Vermarkter von Rindfleischpaketen aus der Region nehmen das lokale Schlachtangebot gern an. Willi Sißmann selbst sieht die Einnahmen aus dem ­speziellen Standbein auch rückblickend als sehr wichtig für die Entwicklung des Betriebs. Denn damit war und ist die Familie immer unabhängiger von Marktpreisen für Rinder. In der Regel schaffen sie es alle eingeplanten Mastbullen und -färsen über den Betriebszweig zu vermarkten.

Ab 2024 fällt das Fest nicht mehr in die Sommerferien, dann erwarten Sißmanns wieder stetig mehr Kunden. Die Religiösität der Menschen aller Weltregionen in Deutschland nimmt insgesamt zwar ab. Dennoch bleibt der Landwirt zuversichtlich: „Weihnachten feiern ja weiterhin auch alle Christen, auch wenn nur noch wenige in die Kirche gehen. Ich bin sicher, dass auch das Opferfest als fester Bestandteil des muslimischen Glaubens besteht und uns unser Kundenstamm damit erhalten bleibt.“

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