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Milchviehhalter berichtet aus Kriegsgebiet

Die Folgen des Ukraine-Konfliktes treffen Landwirte weltweit. Das Magazin Elite sprach mit einem ukrainischen Milchviehhalter über die aktuelle Lage vor Ort.

Lesezeit: 7 Minuten

Milcherzeuger Kris Francken und seine Familie sind in Tscherkassy zu Hause, einer Region in der Mitte der Ukraine. Dort leitet er einen der fünf landwirtschaftlichen Betriebe, die zu dem Unternehmen Eurosem gehören (Unternehmensgruppe Eridon). Die fünf Betriebe umfassen insgesamt 11.000 ha landwirtschaftliche Fläche für den Futteranbau, sowie für den Anbau von Nahrungsmitteln wie z.B. Mais, Sonnenblumen, Sojabohnen und Weizen. An vier der fünf Standorte werden Kühe und Bullen gemästet. Insgesamt sind es rund 3.000 Tiere.

Am fünften Standort sind Milchkühe. In diesem Jahr hat der Betrieb der Schritt von einer Anbindehaltung von 200 Kühen und der Nachzucht, zu einer neuen Anlage mit 14 Melkrobotern für 1000 Kühe plus Nachzucht gewagt.

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Kris Francken, ursprünglicher Belgier, ist 2011 in die Ukraine ausgewandert und arbeitete sieben Jahre für die französische Kooperation Euralis Saaten GmbH. 2018 fing er bei Eurosem an und führte dort die Milchproduktion auf einem der fünf Standorte ein.

Das Elite-Magazin für Milcherzeuger sprach mit Francken über seine Erfahrungen und Eindrücke.

Was passiert zur Zeit in Ihrem Wohnort Tscherkassy?

Kris Francken: Zu Beginn des russischen Angriffs hatten wir täglich etwa vier bis sechs Luftangriffe. In den letzten Wochen waren es dann nur noch eins bis zwei pro Tag. Es gab noch keine Bombardierungen. Die Lage hatte sich bei uns in der Region scheinbar beruhigt. Doch letzte Woche wurden erstmalig zwei Raketen aus der Luft abgefeuert. Ziel waren die Versorgungslinien unserer Stadt. Gezielt wurde auf die Eisenbahnlinien und auf die Brücke über dem Fluss Dnjepr. Nach der Ruhe in den letzten Wochen, wurden wir schlagartig in die Realität zurück versetzt.

Was war das für ein Gefühl, als die Russen angriffen?

Kris Francken: Als die russische Soldaten die Ukraine angegriffen, hatte ich sehr viel Angst. Meine Familie und ich haben überlegt, die Ukraine zu verlassen und nach Belgien zu flüchten. Ich komme ursprünglich von dort. Nachdem sich die Situation in unserer Region wieder etwas beruhigt hatte, entschieden wir aber, zu bleiben. Bei Luftangriffen suchen wir in Bunkern oder Tiefgaragen Schutz.

Bisher wurde der Betrieb von Bomben und Plünderungen verschont. Wir hatten auch noch keine Minenvorfälle bei Feldarbeiten. Die Flächen bewirtschaften wir allerdings nur noch tagsüber, da nachts das Risiko für einen möglichen Angriff zu hoch ist. Saatgut haben wir noch vorrätig und die Kosten für die Pestizide können wir zu 90 % decken. Die Düngegaben mussten wir aufgrund der hohen Preise sowie der logistischen Probleme um 30 % reduziert.

Welches ist aktuell das gravierendste Problem auf Ihrem Milchkuhbetrieb?

Kris Francken: Am schlimmsten ist, dass wir zu Beginn des Jahres an einem Standort zwei neue Kuhställe mit insgesamt 14 Melkrobotern einweihen wollten und nun nicht wissen, ob diese Planung noch aufgehen wird.

Einen der zwei neuen Ställen konnten wir im Januar noch einweihen. Die Kühe werden dort an sechs Melkrobotern gemolken. Der zweite Stall ist fertig gebaut und fast komplett bezahlt. Die fehlenden acht Melkroboter haben wir noch nicht bezahlt, weil sie nicht geliefert werden können. Den Import von 500 Färsen aus Dänemark für den neuen Kuhstall mussten wir stoppen.

Der Plan von einem neuen Standort mit insgesamt 14 automatischen Melksystemen hat der Krieg zerstört. Ich habe Geld in zwei Kuhställe investiert, doch nur einer wirft aktuell Geld ab. Das führt zu Engpässen in unserem Cashflow und wird zukünftig zu einem riesengroßen finanziellen Problem!

Die Milch wird dieses Jahr mit hoher Wahrscheinlichkeit die einzige Einnahmequelle sein die wir haben. Ich glaube nicht, dass wir an Sonnenblumen, Soja und anderem Getreide dieses Jahr etwas verdienen, jetzt wo kein Export über die Häfen möglich ist. Fraglich bleibt auch, ob wir die Ernte überhaupt einfahren können.

Wir versuchen trotz der aktuell schwierigen Marktlage unseren eingelagerten Mais, etwa 75.000 t, zu verkaufen, um liquide zu bleiben. Die Preise für Mais sind schon auf etwa 15 € pro Dezitonne gefallen. Die Sonnenblumen konnten wir kurz vor Beginn des Krieges verkaufen. Die Einnahmen nutzen wir nun, um monatliche Kosten wie Löhne, Wartungen und Kraftstoff bis zum Sommer zu decken.

Mit welchen anderen Schwierigkeiten haben Sie in Folge des Kriegs zu kämpfen?

Kris Francken: Zu Beginn des Kriegs hatten wir große Probleme die Milch abzuliefern. Die Fahrer konnten die Milch nicht täglich abholen. Außerdem fiel zu Kriegsbeginn der Milchpreis schlagartig um 20 % auf etwa 36 Cent pro kg Milch. Es wurde auch kein Kraftfutter oder anderen benötigten Futtermittel geliefert. Wir konnten diese Zeit durch drastische Rationsänderungen überbrücken. Die Leistung unserer Herde sank zu diesem Zeitpunkt von 31 Liter pro Tag auf sechs. Das lag nicht nur am fehlenden Kraftfutter. In den ersten Tagen des russischen Angriffs haben wir aufgrund der täglichen Luftangriffe unregelmäßig gefüttert.

Dieser Zustand hatte sich nach etwa drei Wochen rund um Tscherkassy normalisiert. Lieferungen und Transporte können wieder durchgeführt werden und der Milchpreis hat sich bei 43 Cent pro kg stabilisiert. Die Ration konnten wir wieder anpassen, sodass die Kühe jetzt 28 Liter im Durchschnitt geben.

Aktuell betrübt mich vor allem aber die Dieselverfügbarkeit in den nächsten Monaten. Noch haben wir Diesel für etwa ein bis zwei Monate vorrätig. Doch ich weiß nicht, ob Diesel für die Getreideernte im Sommer verfügbar sein wird. Seit sechs Tagen ist kein Kraftstoff mehr in Tscherkassy vorhanden. Wir haben Dieseltanks beim Betrieb und müssen nun versuchen solange wie möglich mit unserem Vorrat auszukommen.

Wie viele Ihrer Mitarbeiter wurden von der Armee eingezogen?

Kris Francken: Alle 25 Mitarbeiter können weiter bei mir arbeiten. Es gibt eine Regelung, dass alle Menschen, die in der Nahrungsmittelproduktion tätig sind, nicht zur Armee müssen. Die Regierung unterstützt das, um die Versorgung der Bewohner sicher zu stellen. Alles andere wäre für die Betriebe und Bewohner der Ukraine ein großes Desaster.

Haben Sie Kontakt zu Landwirten im Süden und Osten des Landes? Wie ist dort die aktuelle Lage?

Kris Francken: Ja, ich habe erst letzte Woche mit einem Bekannten im Süden der Ukraine gesprochen. Er sagte mir, dass es sehr hart sei zu überleben. Die Region wird von den Russen angegriffen. Getreidelagerbestände vom letzten Jahr sind geplündert. Einige wurden gezwungen Getreide für Russland zu produzieren. In einigen Regionen rund um Cherson (Süden) werden Arbeitsmaterialien weggenommen und über die Krim nach Russland transportiert.

Dadurch fehlt vielen eine Einnahmequelle. Manche Milchkuhbetriebe mit 300 bis 500 Tieren versuchen die komplette Herde zu verkaufen, um zu fliehen oder weil bald kein Futter mehr da ist, wenn nicht geerntet werden kann. Der Verkauf der Tiere erweist sich jedoch als unmöglich, da kein sicherer Transport möglich ist. Und wenn ein Verkauf möglich ist, verkauft man zu einem Schlachtpreis von 1,50 € pro kg Lebendgewicht. Teilweise bekommen die Landwirte noch nicht mal 1 € pro kg!

Sehen Sie für sich und Ihren Milchkuhbetrieb eine Zukunft?

Kris Francken: Im Moment denke ich, dass wir kurzfristig in der Ukraine überleben. Aber das kann sich jeden Tag ändern. Keiner weiß, was die Russen noch vorhaben und wie weit sie gehen werden. Deshalb ist es auch so schwierig die richtigen Entscheidungen zu treffen. Manches was ich gestern für richtig hielt, ist heute wieder komplett falsch. Wir müssen abwarten wie sich die Situation entwickelt.

Ich versuche trotz allem positiv zu denken. Hier in Tscherkassy sind bereits viele Flüchtlinge angekommen, da die Stadt bis letzte Woche verschont blieb. Mir ist es deshalb ein Anliegen den Menschen zu helfen. Ich habe den Fond „BE4U“gegründet. Durch meine Kontakte in Belgien konnte ich erreichen, dass Hilfsgüter für die Menschen nach Tscherkassy gebracht werden. In unserer Stadt, in der normalerweise 300.000 Menschen leben, kamen in den letzten zwei Monaten ca. 60.000 Menschen an. Wir helfen den Flüchtlingen bei der Unterbringung, der Suche nach Betten, nötigen Medikamente, täglichen Lebensmitteln, Spielzeug für Kinder, Produkten für die tägliche Pflege und vielem mehr. Nächste Woche kommt der nächste LKW aus Belgien mit humanitären Gütern.

Belgium for Ukraine (be4u.site)

Elite Magazin: Vielen Dank für das Gespräch. Wir wünschen Ihnen alles Gute!

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