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Muttergebundene Kälberaufzucht als Zukunftsmodell?

Die Gesellschaft kritisiert die frühe Trennung von Kuh und Kalb nach der Geburt. Die mutter­gebundene Kälberaufzucht könnte mehr Akzeptanz schaffen. Was fehlt, ist ein Entlohnungssystem.

Lesezeit: 11 Minuten

Die Trennung von Kuh und Kalb nach der Geburt ist in der modernen Milchviehhaltung gängige Praxis. Obwohl sich diese Methode aus produktionstechnischer Sicht bewährt hat, muss sich die Branche zunehmend für genau diese frühe Trennung rechtfertigen. Wissenschaftler der Georg-August-Universität in Göttingen und der University of British Columbia in Kanada stellten beispielsweise eine deutliche Ablehnung von Verbrauchern gegen die frühzeitige Trennung fest. „Für die Landwirtschaft bedeutet das, sich über neue Verfahren Gedanken machen zu müssen“, erklärt Versuchs-leiterin Dr. Gesa Busch von der Uni Göttingen in Deutschland. „Bisher setzen etwa 100 Milcherzeuger die muttergebundene Kälberaufzucht um“, schätzt Dr. Kerstin Barth vom Thünen-Institut. „Es ist nicht ein-fach, auf das System umzustellen, denn seit Jahren wurde die getrennte Unter-bringung vorangebracht“, weiß die Wissenschaftlerin. Eine Untersuchung des Thünen-Instituts hat gezeigt, dass die muttergebundene Kälberaufzucht pro Kalb mindestens 137 € teurer ist. „Die Direktvermarktung eignet sich dazu, den Kunden die Mehrkosten zu erklären“, sagt Barth.

Biobetriebe sind Vorreiter

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In den Reihen der Milchverarbeiter, die im Milchindustrieverband (MIV) zusammengeschlossen sind, nimmt die muttergebundene Kälberaufzucht noch keine vordergründige Rolle ein. „Mir ist keine Molkerei bekannt, die das System derzeit als Vermarktungstool für große Milchmengen in Betracht zieht“, erklärt MIV-Sprecher Dr. Björn Börger-mann und verweist auf die Biobranche. Rüdiger Brügmann vom Bioland-Ver-band bestätigt, dass es schon viele Bio-milchviehbetriebe gibt, die meistens eine ammengebundene Kälberaufzucht durchführen. „Bioverbände und Bio-molkereien greifen das Thema immer wieder in Arbeitsgruppen und Beratungstreffen auf“, sagt Brügmann. So auch die Andechser Molkerei Scheitz (Bayern). „In einem Arbeitskreis können sowohl Interessenten als auch Betriebsleiter, die das System bereits umsetzen, Fragen klären und Erfahrungen austauschen“, erklärt Christian Wagner, Leiter Rohstoffmanagement. Eine Vergütung für den Zusatzaufwand erhalten die Andechser-Lieferanten bis-her nicht. „Aufgrund vieler unterschiedlicher Systeme gibt es noch keine konkrete Definition für die muttergebundene Kälberaufzucht“, so Wagner. Weil damit ein Prüfsystem fehlt, könne die Molkerei (noch) keine Zuschläge fest-legen. Vor dem gleichen Problem steht Hubert Böhmann von der Berliner Milch & Käse Manufaktur (Branden-burg). Drei Lieferanten setzen die mut-tergebundene Kälberaufzucht bereits um. Aufgrund eines fehlenden Regel-werks lobt die Biomolkerei die Hal-tungsform nicht aus. „Weil wir mit der muttergebundenen Kälberaufzucht bislang keinen Mehrerlös erzielen, können wir dafür keine Zuschläge zahlen“, erklärt Böhmann. Auch für die Milchleistungsprüfung fehlt es bisher an konkreten Vorgaben, bestätigt ein Landeskontrollverband (LKV). Bisher würden noch keine ex-pliziten Anfragen zur Berechnung der Milchleistung von Kühen aus mutter-gebundener Kälberaufzucht vorliegen. Der LKV zeigte sich aber offen für das Thema.

Kein einheitliches System

„Die muttergebundene Kälberaufzucht ist kein System mit einem allgemein-gültigen Konzept. Mit der Entwicklung dieser Haltungsform ist man nie fertig“, bestätigt Dr. Claudia Schneider vom Forschungsinstitut für Ökologischen Landbau (FiBL) in der Schweiz. Laut dem FiBL-Merkblatt für muttergebundene Kälberaufzucht in der Milchviehhaltung, sind grundsätzlich drei Systeme voneinander zu unter-scheiden:

  • Langzeitiges, restriktives Säugen mit zusätzlichem Melken. Langzeitiges Säugen mit unbegrenztem Zugang und mit zusätzlichem Melken.
  • Langzeitiges Säugen (ganze Tränke-periode) ohne zusätzliches Melken.

Zusätzlich unterscheiden sich die Betriebe darin, wann und wo sie Kuh und Kalb zusammen laufen lassen und wie viel Zeit zwischen den Melkzeiten liegt. Landwirte handhaben es außerdem unterschiedlich, ob sie die Kälber bei den eigenen Müttern oder bei Ammen sau-gen lassen. Weiterhin legen einzelne Be-triebe Wert darauf, sowohl Kuh- als auch Bullenkälber von Müttern oder Ammen aufziehen zu lassen. Andere behalten ausschließlich die weiblichen Kälber zur Aufzucht. „Es gibt vermutlich so viele unterschiedliche Systeme wie es Betriebe gibt“, bringt es Schnei-der auf den Punkt.

Die Wissenschaft ist gefragt

„Betriebe, die sich für das System entscheiden, wollen Kuh und Kalb aus ethisch-moralischen Gründen nach der Geburt nicht trennen“, sagt die Expertin. Dass diese Entscheidung viel-fach auf der eigenen Einstellung beruht, erklärt, dass viele Milcherzeuger diese Haltungsform ohne finanziellen Anreiz praktizieren. Und das, obwohl eine nicht unerhebliche Milchmenge in die Kälber geht. Wissenschaftler gehen von 10 bis 15 l pro Tag aus, die das Kalb am Euter aufnimmt. „Viele Betriebe erhoffen sich durch die eigenständige Milchaufnahme bei der Mutter oder Amme eine bessere Kälbergesundheit“, weiß Schneider. Aber das ist kein Selbstläufer. Die Wissenschaft hat in puncto Tiergesundheit bisher keinen Unterschied zwischen der muttergebundenen und der herkömmlichen Kälberaufzucht nachgewiesen. „Eine sehr gute Kälbergesundheit ist auch am Tränkeautomaten möglich“, so Schneider. Entscheidend ist das Management. Sie appelliert, auch in der muttergebundenen Kälberaufzucht eine zeitnahe Gabe von gutem Kolostrum in ausreichender Menge sicherzustellen. Es ist bewiesen, dass Kälber am Euter langsamer saugen. So speicheln sie die Milch stärker ein und können diese besser verdauen. Gegenseitiges Besaugen tritt bei der Haltungsform weniger auf, da der Saugtrieb befriedigt ist. Positiv soll sich das Zusammenleben von Kuh und Kalb auch auf das Sozialverhalten der Kälber auswirken.

Nachteile kann das System wiederum im Melkstand haben: Schneider beobachtet, dass ein Teil der Kälber aufziehenden Kühe die Milch im Melkstand nicht hergibt. Das kann zu Euter-erkrankungen führen. Andere Tiere kommen gut mit dem parallelen Melken und Säugen zurecht. Wiederum andere eignen sich gar nicht für das zwei-gleisige System. „Das ist abhängig vom Charakter der Kuh“, erklärt Schneider. Kühe, die im Melkstand nicht gut zu-rechtkommen oder wenig Milch geben, können aber die Funktion der Amme übernehmen. „Das ist möglicherweise auch ein Lösungsansatz bei der Diskussion um die Nutzungsdauer“, sagt Schneider. Denn so können die Tiere länger im Bestand bleiben.

Ein Für und Wider

Fakt ist, dass sich auch in der muttergebundenen Kälberaufzucht Jung und Alt irgendwann voneinander trennen müssen. „Bereits nach einer Woche besteht eine enge Bindung zwischen Kuh und Kalb“, erklärt Schneider. Der Trennungsschmerz steigt. Besonders für Be-triebe in Siedlungsnähe können wegen blökender Tiere Probleme entstehen.

Das sagt das BMEL zur Frage der Milchhygiene: „Bestimmte Auflagen für die Erzeugung und Vermarktung von Milch aus muttergebundener Kälberaufzucht gibt es nicht“, erklärt eine Sprecherin des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Die Verordnung (EG) Nr. 853/2004 mit spezifischen Hygienevorschriften für Lebens-mittel tierischen Ursprungs legt unter anderem Kriterien für Rohmilch fest, die unabhängig von der Art der Auf-zucht gelten. „Die Verwendung von Roh milch zur Kälbertränke steht der 100 %-igen Andienungspflicht nicht entgegen“, sagt die BMEL-Sprecherin

Demeter Heumilchbauern - Ein Vermarktungsbeispiel: Die Demeter Heumilchbauern vermarkten bereits erfolgreich Milch und Fleisch aus muttergebundener Kälber-aufzucht. Der Erzeugergemeinschaft gehören 31 Landwirte aus den Regionen Bodensee, Allgäu, Linzgau und Ober-schwaben an. 2019 stellten alle Milch-erzeuger auf muttergebundene Kälber-aufzucht um. „Es ist wichtig, Handel und Tierschutz mit im Boot zu haben“, ist Rolf Holzapfel, Vertreter der Heumilchbauern, überzeugt. Gemeinsam mit der Tierschutzorganisation ProVieh und der Tierschutzbeauftragten eines Handelspartners legten sie Richtlinien fest. Diese besagen unter anderem, dass das Kalb nach der Geburt über einen gewissen Zeitraum aus dem Euter einer Kuh trinken dürfen muss. Festgelegt ist auch, dass sich die kuhgebundene Aufzucht über die ersten drei Lebens-monate des Kalbes erstrecken soll.

„Um die Kriterien zu überprüfen, haben wir ein zweistufiges Kontrollsystem entwickelt“, erklärt Holzapfel. Pro-Vieh kontrolliert die Betriebe und der Wirtschaftsverein Demeter Heumilchbauern stellt die Zertifikate aus. Die Richtlinien gelten für weibliche und für männliche Kälber. „Wir garantieren jedem Mitgliedsbetrieb die Abnahme der Bullenkälber“, sagt Holzapfel. Sowohl das Kalbfleisch als auch die Milch(produkte) sind mit dem Siegel „Zeit zu zweit für Kuh + Kalb“ versehen. Die Demeter Heumilchbauern produzieren jährlich etwa 7 Mio. kg Milch. Über eine Spedition erfassen sie den Rohstoff selbst. Mithilfe von Lohnverarbeitern lassen sie diesen veredeln. Über die Auszahlungspreise gibt Holzapfel keine Auskunft. „Wir haben zwar weniger Milch im Tank, dafür erwirtschaften wir für das Fleisch einen höheren Preis und profitieren von Aufschlägen auf den Milchpreis“, so der Landwirt. Das Konzept geht auf: Die Erzeugergemeinschaft vertreibt bundesweit ein breites Sortiment der Produkte. Die Nachfrage ist so groß, dass die Regale oft leer sind. „Uns geht es um den ganzen Prozess der Kälberaufzucht“, erklärt Holzapfel. „Wir sind sicher, dass wir der moralischen Verantwortung gegenüber unseren Tieren gerecht werden. Das wirkt sich letztlich auch auf die Produktqualität aus.“

Reportage: Wo Kühe Mütter sind

Seit knapp vier Jahren überlässt Familie Hellmig ihren Kühen das Kälber tränken. Das Konzept möchte das Paar nicht mehr missen.

Im Kuhstall von Familie Hellmig liegen sieben Kühe im Stroh und kauen gemächlich wieder. Das Ungewöhnliche: Um die Schwarzbunten herum toben Kälber. „Mit der Umstellung auf ökologische Landwirtschaft vor vier Jahren sind wir mit der muttergebundenen Kälberaufzucht gestartet“, erklärt Astrid Hellmig-Zeßner. „Wir stehen hinter dem System, auch wenn unsere Molkerei den Mehraufwand nicht entlohnt.“ Sie und ihr Mann André Hellmig bewirtschaften in Extertal (Nordrhein-Westfalen) 220 ha Grün- und Ackerland. Hinzu kommen die Milchwirtschaft mit 60 Kühen, die Direktvermarktung des Fleisches der männlichen Nachzucht und ein Lohn-unternehmen.

Die anfänglichen Probleme

Zu Beginn gab es verschiedene Probleme: „Anfangs haben wir die Kälber nur morgens und abends je ein bis zwei Stunden nach dem Melken zu den Kühen gelassen“, erklärt Hellmig-Zeßner. Die Methode ging nicht auf: „Die Kälber gingen sehr rabiat mit den Eutern um, die Kühe ließen die Milch nicht laufen und es herrschte eine allgemeine Unruhe im Stall“, erinnert sich die 37-Jährige. Daraufhin baute das Ehe-paar das sogenannte Mutter-Kind-Haus. Dort sind Kuh und Kalb drei Monate nach der Kalbung zusammen untergebracht – mit eigenem Zugang zur Weide. In den ersten drei Lebens-wochen sind Mutter und Kalb rund um die Uhr zusammen. Anschließend trennen Hellmigs das Gespann abends vor dem Melken. Die Kälber ruhen sich nachts in Sichtweite zu den Kühen in Iglus aus. Morgens nach dem Melken können sie zurück zu ihren Müttern. Nach etwa drei Monaten ziehen Kuh und Kalb in den Kuhstall um. „Von dem Zeitpunkt an reduzieren wir inner-halb von ein paar Tagen die gemein-same Zeit auf eine halbe Stunde am Morgen, die wir bis zum endgültigen Absetzen mit acht bis neun Monaten beibehalten“, erklärt die gelernte Pferdewirtin.

Mehr Wertschöpfung?

„Zum jetzigen Zeitpunkt rentiert sich das System noch nicht“, weiß sie. Zu-mal das Ehepaar nicht nur die weiblichen, sondern auch die männlichen Kälber behält und bei der Mutter auf-zieht. Aktuell sind rund 50 Kühe in Milch. Zurzeit liefert der Hof Hellmig etwa 16 kg Milch pro Kuh und Tag an die Berliner Milchmanufaktur. Dafür erhalten sie 44 ct/kg. Das Ehepaar plant die Direktvermarktung weiter auszubauen, um zu-künftig mehr Wertschöpfung zu generieren. Zusätzlich zur Fleischvermark-tung möchten sie selbst käsen.

Reportage: Begeisterte Neueinsteiger

Mit der Umstellung zum Biobetrieb entschied Familie Schnars, ihre Kälber mit Ammen aufzuziehen. Das System überzeugt sie.

Wenn dann gleich richtig – als der Entschluss fiel, den Betrieb ökologisch zu bewirtschaften, entschied Familie Schnars auch, die Kälber künftig mit Ammen aufzuziehen. Obwohl die Umstellungszeit erst Ende 2021 endet, starteten sie gleich im Januar dieses Jahres mit der muttergebundenen Auf-zucht. Jetzt stehen 15 Kühe zusammen mit 19 Kälbern auf der Weide. Die üb-rigen 68 Fleckviehkühe haben ebenfalls Weidegang und werden vom Roboter gemolken. Die Kühe kalben in einem abgetrennten Bereich auf der Weide. Um ausreichend Kolostrum aufzunehmen, bleiben die Kälber zwei bis vier Tage bei ihrer Mutter, danach kommen sie zu einer Ammenkuh. „Die Trennung von der Mutter klappt gut. Die Kühe freuen sich auf den Melkroboter und das Kraftfutter, das sie dort erhalten“, sagt Hauke Schnars.

Die Kälber gewöhnt er jeweils alleine oder zu zweit an eine Amme. Zur besseren Beobachtung stehen die Tiere für diese Zeit gemeinsam in einem Strohstall. Sobald das funktioniert, geht es in die große Ammenkuhgruppe auf der Weide. Auch die Bullenkälber sollen bald für 14 Tage bis zum Verkauf bei Ammen laufen. Die weiblichen Kälber will Schnars erst nach fünf bis sechs Monaten absetzen. Geplant ist auch, bald nicht mehr die Kühe mit niedriger Milchleistung oder hohen Zellzahlen als Ammen zu nutzen, sondern alle Kühe ab 120 Tagen Trächtigkeit. So könnten sie vor ihrer Trockenstehzeit ein bis zwei Kälber aufziehen. Viele Abläufe müssen sich noch finden, aber für die Familie steht jetzt schon fest, dass es die richtige Entscheidung war: „Die Arbeit hat sich verändert, wir verbringen jetzt viel Zeit mit der Tierbeobachtung. Und die Kälber sehen sehr gut aus, sind kräftig und gesund. Wir hoffen, dass es auch in der Stallsaison so gut klappt“, so Hauke Schnars. Im Winter sollen die Ammen und Kälber in einer großen Stroh-gruppe laufen. Bis dahin ist hoffentlich auch die Vermarktung der Biomilch geklärt. Gerade hofft die Familie auf die Zusage einer Molkerei, die auch die muttergebundene Aufzucht vergütet.

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