Wie Molkereien berichten, verlangen inzwischen immer mehr Abnehmer den Beleg nachhaltiger Arbeitsweisen auf den Erzeugerbetrieben. Die Milchverarbeiter reagieren darauf und entwickeln Programme, um das Engagement der Landwirte voranzutreiben.
Um den Status quo der Nachhaltigkeit des gesamten Sektors zu erfassen, entwickelte das Thünen-Institut das QM-Nachhaltigkeitsmodul Milch. Das Modul, das als Branchenlösung gedacht ist, nutzen allerdings nicht alle Molkereien. Manche entwickeln eigene Programme, andere setzen auf ihre seit Jahren etablierten Methoden. Im folgenden Beitrag lesen Sie anhand von zwei Beispielen, wie unterschiedlich Milchverarbeiter mit dem Thema umgehen und welche Konsequenzen das für die Erzeuger hat:
Nachhaltiger im neuen Stall?
Die Herde von Familie Mix aus Surberg (Bayern) ist im vergangenen Jahr in ihren neuen Laufstall eingezogen. Dieser bietet Platz für 43 Kühe. „Aktuell sind dort 32 Laktierende der Rasse Fleckvieh sowie fünf Trockensteher untergebracht“, erklärt Christian Mix. Im alten Stall standen 27 Kühe ganzjährig in Anbindehaltung, nur das Jungvieh kam auf die Weide. Jetzt können die Tiere auf einem Laufhof Sonne tanken und im kommenden Jahr sollen sie zusätzlich Weidegang erhalten.
Der Umzug in den neuen Stall kam zur richtigen Zeit. Denn seit Beginn des Jahres 2020 vermarktet die Molkerei Berchtesgadener Land keine Milch mehr aus ganzjähriger Anbindehaltung unter ihrer Marke. „Wir erfassen die Milch zwar noch, verkaufen sie aber an andere Verarbeiter“, erklärt Pressesprecherin Barbara Steiner-Hainz. Die ganzjährige Anbindehaltung passt nicht (mehr) zur Philosophie der Genossenschaft. Nach Angaben der Molkerei spielen die drei Säulen der Nachhaltigkeit Ökonomie, Ökologie, Soziales eine große Rolle. „Ein fairer, überdurchschnittlicher Milchpreis für unsere Landwirte ist Ausgangspunkt für eine nachhaltige Wertschöpfungskette in der Milchwirtschaft“, erklärt die Molkerei-Vertreterin.
Auflagen für Milcherzeuger
Eine nachhaltige Produktion stellt die Molkerei auch mit zusätzlichen Auflagen sicher: Für den Milchpreis von derzeit rund 36 ct/kg dürfen die Lieferanten kein Glyphosat einsetzen. Seit zehn Jahren füttern alle GVO-freies, aus Europa stammendes Futter. Vorgaben gibt es auch bezüglich der Betriebsgröße: Landwirte, die ihre Bestände vergrößern wollen, müssen zuvor mit der Molkerei Rücksprache halten. Im Durchschnitt halten die Lieferanten 27 Kühe pro Betrieb. Um die kleinbäuerlichen Strukturen zu erhalten, zieht der Milchverarbeiter Betrieben mit einer Liefermenge von mehr als 1 Mio. kg pro Jahr 1 ct/kg Milchgeld ab. Bei mehr als 2 Mio. kg Jahresanlieferung gibt es 10 ct/kg Abzug. „Wir haben nicht größer gebaut, weil wir die Arbeit auch weiter mit der Familie schaffen wollen“, erklärt Christian Mix. Der 48-Jährige betreibt zusätzlich zur Landwirtschaft noch einen Zimmereibetrieb.
Almwirtschaft ist Arbeit
Er und seine Frau Renate bewirtschaften 26 ha Dauergrünland und 5,5 ha Ackerland auf dem sie Mais und Kleegras anbauen. Die Hofstelle liegt etwa 600 m über Null. Das Jungvieh läuft nicht nur auf Weiden rund um den Hof, sondern auch auf einer Alm. „Damit leisten wir einen Beitrag zur Artenvielfalt“, erklärt Renate Mix.
Zur Nachhaltigkeit zählt auch die soziale Komponente. Deshalb schätzt Familie Mix die Fortbildungsangebote der Molkerei. Dazu zählen nicht nur fachliche Themen, sondern auch der Umgang mit Stress und Belastung. Das Ehepaar ist sich einig: „Nachhaltigkeit im Arbeitsalltag ist uns sehr wichtig.“
Arla-Lieferanten im Klima-Check
Arla will die Treibhausgasemissionen vom Euter bis zum Milchregal in den nächsten zehn Jahren um 30 % pro kg Milch senken. Darüber hinaus will die europäische Molkereigenossenschaft bis 2050 auf Netto-Null-Emissionen kommen. Um das ambitionierte Ziel zu erreichen, ist Arla auf die Hilfe der Erzeuger angewiesen. „Rund 86 % der Emissionen des gesamten Herstellungsprozesses stammt von den Höfen“, erklärt Arla-Sprecher Markus Teubner. „Die restlichen 14 % verursacht die Verarbeitungsseite u. a. durch Produktion und Logistik.
Status quo ermitteln
Über das sogenannte Klimacheck-Programm können die Lieferanten seit diesem Jahr ihren Status quo ermitteln und daraus Verbesserungsprozesse für ihren Betrieb ableiten. „Wir haben das Modell aus Eigeninitiative entwickelt“, erklärt Teubner.
Es geht darum, die Betriebe zu animieren, so wenig Treibhausgas wie möglich pro kg Milch freizusetzen. Einen ersten Überblick soll der CO2-Fußabdruck geben. Manfred Graff aus Simmerath (Nordrhein-Westfalen) ist Aufsichtsratsmitglied bei Arla und war an der Programmentwicklung beteiligt. Er bewirtschaftet mit seinen Söhnen Mirko und Michael einen Milchviehbetrieb mit 250 Kühen und 200 ha Grünland. Graffs legen seit Jahren Wert auf Kreislaufwirtschaft. Aus diesem Grund bauten sie bereits 2001 eine Kofermentationsbiogasanlage. Darin vergären Gülle und Reststoffe aus Fettabscheidern von Gastronomen der Region.
Der Arla-KlimaCheck
Der Klimacheck besteht aus zwei Schritten: Entscheiden sich Landwirte für die Teilnahme, erfassen sie ihre individuellen Betriebsdaten in einem digitalen Dokumentationssystem. Dabei sind alle Prozesse zu berücksichtigen, die mit der Milchproduktion in Verbindung stehen. Den CO2e-Fußabdruck des Betriebes berechnet Arla je kg Milch. Dafür rechnet die Molkerei CO2, Lachgas und Methan in CO2-Äquivalente (CO2e) um.
Um die Ergebnisse der ersten Dateneingabe von Familie Graff zu bewerten, kam eine externe Beraterin auf den Betrieb. Gemeinsam mit den Landwirten leitete sie Verbesserungsprozesse ab. „Aktuell stehen wir bei 0,92 CO2e/kg energiekorrigierte Milch (ECM)“, sagt Mirko Graff. Zum Vergleich: Der europäische Emissionsdurchschnitt bei allen Arla-Betrieben liegt bei 1,15 CO2e/kg Milch.
Familie Graff profitiert im Klimacheck von der Biogasanlage, da ihr Betrieb dadurch autark ist. Schlechter stehen sie bei der Remontierungsrate da. „Wir haben vor kurzem zwei Herden übernommen. Durch eingeschleppte Infektionen kam es danach zu Tierverlusten.“, erklärt Mirko Graff. Die Herdenleistung liegt aktuell bei 9 000 kg pro Kuh und Jahr.
Im ersten Jahr nahmen rund 90 % der Arla-Lieferanten aus Deutschland an dem Programm teil. Dafür erhalten sie unabhängig von ihren Ergebnissen einen Zuschlag in Höhe von 1 ct/kg Milch. Für die Finanzierung zieht Arla einen Cent beim Grundpreis ab. Bei fortlaufender Programmteilnahme sind die Landwirte einmal pro Jahr dazu aufgefordert, ihre Daten einzugeben. Nach jeder Eingabe erfolgt der Besuch eines externen Berater, um die Ergebnisse zu prüfen.
Obwohl der Klimacheck mehr Aufwand bedeutet, sind sich Graffs einig, dass sie von dem Modul profitieren. „Wir sehen Dinge, über die wir uns vorher nicht im Klaren waren“, so der Seniorchef. Sein Sohn ergänzt: „Es hängt von jedem einzelnen Landwirt ab, was er aus seinen Ergebnissen macht.“ Positiv nehmen sie auch wahr, dass die Molkerei durch die Datengrundlage eine bessere Marktposition gegenüber Mitbewerbern hat. „Das Programm ermöglicht uns, wichtige Fragen der Gesellschaft mit Zahlen zu belegen“, erklärt Manfred Graff. „So können wir Vorreiter in puncto Nachhaltigkeit sein.“
{{::textbox::standard::
Kommentar von Kirsten Gierse-Westermeier : Mehrwert nur für Kunden oder auch für Milcherzeuger?
Das Thema Nachhaltigkeit liegt im Trend und dafür gibt es gute Gründe: Teile der Gesellschaft interessieren sich zunehmend für die Entstehung ihrer Lebensmittel. Die Ressourcen der Erde sind nicht unendlich und auf vielen Betrieben schlummern bisher unentdeckte Potenziale. Einmal erkannt, können diese durchaus wirtschaftliche Vorteile nach sich ziehen.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Nachhaltigkeitsprogramme für viele Erzeuger mit Mehraufwand verbunden sind: Sie müssen Nachweise sammeln und Zahlen dokumentieren. Einige Molkereien schaffen zwar finanzielle Anreize zur Teilnahme, ziehen dafür aber an anderer Stelle Milchgeld ab. Das ist auf Dauer keine Lösung. Der Mehraufwand muss sich auf der Milchgeldabrechnung zeigen.
Wenig sinnvoll ist, wenn sich Molkereien hinsichtlich der Auflagen gegenseitig überbieten, um sich in den Supermarktregalen zu profilieren. Die Milcherzeuger brauchen ein einheitliches Vorgehen, das sowohl für Landwirte als auch für Verbraucher sowie für Handelspartner nachvollziehbar ist und einen Mehrwert bietet. Das QM-Nachhaltigkeitsmodul Milch vom Thünen-Institut liefert passenden Ansätze, um die Ergebnisse des Sektors gesammelt nach Außen zu tragen. Dafür eignet sich die von der Sektorstrategie 2030 angekündigte Branchenkommunikation.
Nachhaltigkeit geht nur gemeinsam: Handeln Verbände, Institutionen und Molkereien nicht im Sinne der Milcherzeuger, wächst der Frust auf den Höfen. Das könnte ein weiterer Grund sein, dass mehr Milcherzeuger ihre Stalltüren schließen. Was hätte das noch mit Nachhaltigkeit zu tun?::}}
Diesen Beitrag lesen Sie auch in der top agrar 10/2020.
von Erwin Schmidbauer
Leider kann ich meinen eigenen Kommentar nicht ergänzen, aber
passend dazu: https://krautreporter.de/3535-unternehmen-wollen-heute-alle-die-welt-retten-meinen-die-das-ernst
Das meinen unsere Leser
von Wilfried Maser
Nachhaltig
wird die landwirtschaftliche Erzeugung zerstört
Das meinen unsere Leser
von Willy Toft
Wer hatte den Rechenschieber bei dem Beispiel in der Hand? Nachhaltig für die Bank!
Oder bekommt der Betrieb 1,50 €/kg Milch? Als PR- Betrieb könnte der Betrieb laufen....... Ich habe überhaupt nichts gegen so einen Vorzeigebetrieb, nur es muss sich auch rechnen, denn sonst heucheln wir der Öffentlichkeit eine verklärte Welt vor!
Das meinen unsere Leser
von Herbert Pütz
Nicht nur auf die Milch schauen, liebe Molkerei!
Wie sieht es denn mit den anderen Zutaten aus dem Joghurt oder Proteindrink oder Kaffee aus? Schokolade, exotische Früchte, Kaffeebohnen? Überall auf der Welt schuften Frauen ohne Mindestlohn u auch Minderjährige für lokale Bauern, welche wiederum am Tropf der Agrar-Rohwaregiganten ... mehr anzeigen (Ferrero, Cargill) hängen. Egal wie die angeblich Labels alle heißen tun. Es wurde schon oft gezeigt, daß die vertraglichen Vereinbarungen für Labels u Co nur ein Schein ist, da es dort vor Ort, keine unabhängigen Kontrollen gibt. Aber die Molkereien machen es sich hier leicht, denn die haben ja ein tolles Zertifikat. Aber wir hier werden zum Nulltarif von Jahr zu Jahr gläserne. https://www.3sat.de/gesellschaft/politik-und-gesellschaft/kakao-ein-schmutziges-geschaeft-102.html weniger anzeigen
Das meinen unsere Leser
von Heinrich Albo
Nachhaltige Landwirtschaft ist
Regional, Saisonal und KONVENTIONEL. Eben genau so effektiv wie heute gewirtschaftet wird.Es geht darum möglichst wenig Futterfläche zu beanspruchen und damit die Natur und den Urwald zu schonen und gleichzeitig möglichst viele Menschen zu ernähren.Das geht z.B. ibei Schweinen nur in ... mehr anzeigen Vollisolierten/Klimatisierten Ställen,wie wir sie bisher haben, in denen die Tiere möglichst wenig Futter verbrauchen. Die Gülletechnik ist vom Transportaufwand das effektivste was es gibt...weil das Stroh Humuswirksam gleich auf dem Acker bleibt. Es kann dich nicht sein das jetzt eine Landwirtschaft gefordert wird die diese effektive klimafreundliche Wirtschaftsweise zurück dreht und die Leute angelügt werden .Diese Wende ist das Gegenteil von Nachhaltig! weniger anzeigen
Das meinen unsere Leser
von Wilhelm Grimm
Ja, die Künast-Schulze-Klöcknerregeln zur Nachhaltigkeit sind das Gegenteil von
Nachhaltigkeit. Warum sagt der Bauernverband das nicht ? Weil er nicht TRUMPEN will ?
Das meinen unsere Leser
von Wilhelm Grimm
Nachhaltigkeit
ist in Diskussionen immer ein Zauberwort. Es gibt in Berlin auch einen Nachhaltigkeitsrat !Da wird viel leeres Stroh gedroschen. Aber wer kann schon gegen Nachhaltigkeit sein ?
Das meinen unsere Leser
von Erwin Schmidbauer
Nachhaltigkeit als PR-Masche
Man sollte sich nicht täuschen, viele Unternehmen schreiben sich die Nachhaltigkeit nur als neue Marketing-Methode auf die Fahnen. In Wirklichkeit läuft es dann ganz anders. Dafür gibt es schon lange einen Fachbegriff: Greenwashing! Und dann wird Druck auf die Lieferanten ausgeübt, ... mehr anzeigen dieses Greenwashing auch zu hinterfüttern. weniger anzeigen
Das meinen unsere Leser
von Wilhelm Grimm
Richtig, dieses Wort ist ein Segen für die Politik
und eine Schande für die Nachhaltigkeit.
Das meinen unsere Leser