Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Heftarchiv
Sonstiges

Milchpreis Maisaussaat Ackerboden Rapspreis

topplus Interview

Schrader: "Landwirte wollen die Tierhaltung in ihren Ställen ernsthaft verbessern"

Mehr Tierwohl in Rinder- und Schweineställen, mehr Klimaschutz und ein gemachter Anfang zur Haltungsformkennzeichnung - Prof. Lars Schrader vom Friedrich-Loeffler-Institut im Interview.

Lesezeit: 15 Minuten

Vor überzogenen Erwartungen an die Haltungskennzeichnung warnt der Leiter des Friedrich-Loeffler-Instituts für Tierschutz und Tierhaltung (ITT), Prof. Lars Schrader im Interview mit dem Pressedienst Agra-Europe. Wichtig seien öffentliche Mittel, um den Umbau von Ställen zu fördern. Zudem kritisiert er ein unabgestimmtes Vorgehen innerhalb der Bundesregierung: Während das Bundeslandwirtschaftsministerium ein Konzept für eine Haltungskennzeichnung vorstellt, erklärt das Bundesumweltministerium, dass dieses Konzept nicht mit den immissionsschutzrechtlichen Vorschriften vereinbar ist.

Im Interview bescheinigt Schrader den Landwirten eine gestiegene Offenheit für Tierschutz in der Nutztierhaltung. Doch die Fortschritte seien unzureichend. Den größten Handlungsbedarf sieht der Wissenschaftler in der Mastrinderhaltung, für die es an gesetzlichen Grundlagen fehle.

Das Wichtigste zu den Themen Rind + Milch mittwochs per Mail!

Mit Eintragung zum Newsletter stimme ich der Nutzung meiner E-Mail-Adresse im Rahmen des gewählten Newsletters und zugehörigen Angeboten gemäß der AGBs und den Datenschutzhinweisen zu.

Interview: "Haltungskennzeichnung verbessert Tierwohl nur begrenzt"

Herr Professor Schrader, Sie sind seit 20 Jahren Institutsleiter in Celle. Was hat sich in dieser Zeit beim Tierschutz in der Nutztierhaltung getan?

Schrader: Bemerkenswert sind vor allem die großen Veränderungen in den Köpfen der Tierhalterinnen und Tierhalter. Sie argumentieren heute ganz anders als vor 20 Jahren. Ein Beispiel: Damals ging es um die Käfighaltung von Legehennen. Das Standardargument war, solange die Hennen jeden Tag Eier legen, gehe es ihnen gut. Dieses Argument, das schon damals falsch war, ist völlig verschwunden. Ich nehme anders als früher eine Ernsthaftigkeit der Landwirte wahr, die Tierhaltung in ihren Ställen zu verbessern. Dafür brauchen Sie einen Rahmen, der politisch vorgegeben sein muss.

Was hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten in den Ställen verbessert?

Schrader: Insgesamt nicht genug. Ein neuer Stall muss 20 Jahre halten, bevor er abgeschrieben und einigermaßen wirtschaftlich ist. Das bedeutet, ein Wechsel der Stallsysteme erfolgt über lange Zeiträume. Das ist der Grund, dass in der Schweinehaltung nach wie vor Vollspaltenböden für Mastschweine und der Kastenstand für Sauen vorherrschen, wenn auch bei letzterem nur noch für eine Übergangszeit. Schneller gegangen ist es bei der Haltung von Milchkühen in Boxenlaufställen. Das ist eines der wenigen Beispiele, bei denen mehr Tierschutz mit besserer Wirtschaftlichkeit einhergeht. Positiv sind auch die Entwicklungen, die durch Tierschutz-Label und die Initiative Tierwohl angestoßen wurden.

In welchen Bereichen sehen Sie derzeit den größten Handlungsbedarf?

Schrader: Eindeutig in der Mastrinderhaltung. Dort fehlte es an gesetzlichen Grundlagen. In der Regel stehen die Tiere in Vollspaltenbuchten mit sehr begrenztem Platzangebot. Im Milchviehbereich muss man über die Anbindehaltung diskutieren, die im süddeutschen Raum noch sehr verbreitet ist. Beim Geflügel bereitet die Putenhaltung große Probleme. Hier fehlen ebenso rechtliche Vorschriften wie für die Haltung von Junghennen. Diese Rechtslücken sollten so bald wie möglich geschlossen werden.

Im europäischen Vergleich steht Deutschland vergleichsweise gut da."

Wo steht Deutschland mit dem Schutz seiner Nutztiere im europäischen Vergleich und darüber hinaus?

Schrader: Im europäischen Vergleich steht Deutschland vergleichsweise gut da. In der Schweinehaltung liegen mit Schweden und Finnland Länder vorn, in denen dieser Bereich aber keine große Bedeutung hat. Im Vergleich zu Ländern, die die EU-Richtlinien nur eins zu eins umgesetzt haben, schneidet Deutschland aber besser ab. Das Thema Tierschutz hat hierzulande in der Öffentlichkeit und der Politik eine größere Bedeutung als etwa in Spanien. Daher ist auch der Druck auf die Branche in Deutschland größer.

Wird Tierschutz vor allem eine deutsche Diskussion bleiben?

Schrader: Nein. Ich bin sicher, dass diese Diskussion auch in den anderen EU-Ländern an Intensität gewinnen wird. Vielleicht wird das noch etwas dauern, aber es kommt. Die EU-Kommission hat bereits angekündigt, dass sie die europäischen Richtlinien für die Tierhaltung überarbeiten und ergänzen wird. In Brüssel spürt man den Druck, beim Tierschutz mehr zu machen. Das wird sich in den Regeln für die Tierhaltung niederschlagen.

Unterschiedliche Vorgaben in den Mitgliedstaaten führen tendenziell zu Wettbewerbsverzerrungen. Sollte man EU-weit einheitlich vorgehen?

Schrader: Das sollte man anstreben, nicht nur aus Wettbewerbsgründen, sondern auch, weil wir möchten, dass es allen Tieren besser geht. Wenn wir aber Tierschutz nur einheitlich in der EU verbessern wollen, ist der Zeithorizont, in denen Fortschritte erreicht werden können, mit Sicherheit ein anderer, als wenn einzelne Mitgliedstaaten vorangehen.

Die Begrifflichkeiten Tierwohl und Tierschutz werden oft durcheinander gebracht.

Schrader: Tierwohl ist ein Modebegriff. Noch vor zehn Jahren wurde er in Deutschland so gut wie gar nicht gebraucht. Tierwohl ist eine Übersetzung aus dem englischen „animal welfare“, hat aber eine andere Bedeutung als Tierschutz. Beim Tierschutz geht es darum, was ich den Tieren anbiete, damit es ihnen gut geht, beispielsweise wie viel Platz ein Tier bekommt oder wie es gefüttert wird. Beim Tierwohl fragen wir direkt danach, wie es dem Tier geht.

Wissen wir, wie gut es den Tieren in Deutschland insgesamt geht?

Schrader: Bislang viel zu wenig. Deswegen hat unter anderem auch die Borchert-Kommission den Aufbau eines nationalen Tierwohl-Monitorings empfohlen. Dies wäre eine wesentliche Voraussetzung, um beurteilen können, ob Maßnahmen, die zur Verbesserung des Tierwohls ergriffen werden, auch wirken. Wir arbeiten gegenwärtig zusammen mit Partnern an einem Konzept, wie man regelmäßig mit repräsentativen Stichproben das Tierwohl in Deutschland erfassen kann. Das Projekt soll nächstes Jahr abschlossen werden. Das wird aber erst einmal nur ein Prototyp sein. Ich hoffe aber, dass mit einem Tierwohl-Monitoring dann zumindest in kleinen Schritten gestartet wird.

Es ist eben einfacher, mit dem Zollstock in den Stall zu gehen und die Quadratmeter zu messen, als mit geschultem Auge zu beobachten, wie sich ein Tier verhält. Aber genau das erfordert eine Beurteilung des Tierwohls."

Wie erkenne ich, ob es dem Tier gut geht?

Schrader:Anhand von tierbezogenen Indikatoren. Das können Indikatoren aus dem Bereich Gesundheit sein, etwa ob Schäden an Haut und Gelenken oder dem Gefieder und Fußballen vorliegen. Wir können uns auch Verhaltensindikatoren anschauen. Typische Anzeichen von Verhaltensstörungen sind Zungenrollen beim Rind oder das Stangenbeißen bei der Sau. Weitere Verhaltensindikatoren sind beispielsweise das Ablegen und Aufstehen von Milchkühen, um festzustellen ob die Liegebereiche angemessen sind. Das im Einzelfall zu erkennen, ist nicht trivial. Es ist eben einfacher, mit dem Zollstock in den Stall zu gehen und die Quadratmeter zu messen, als mit geschultem Auge zu beobachten, wie sich ein Tier verhält. Aber genau das erfordert eine Beurteilung des Tierwohls.

Also gilt noch immer, „das Auge des Herrn mästet das Vieh“?

Schrader: Der Satz gilt nach wie vor und wird sogar immer wichtiger. Denken Sie nur an Probleme mit Schwanzbeißen.

Gibt es also doch einen Zielkonflikt zwischen Tierwohl und Betriebsgröße?

Schrader: Nicht unbedingt. Die wissenschaftlichen Untersuchungen zu diesem Thema zeigen keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen Tierschutzproblemen und der Größe eines Betriebes. Kleine Betriebe, die eine intensive Tierbetreuung haben, sind unter Tierwohlgesichtspunkten ebenso gut zu beurteilen wie große Betriebe mit einer professionellen Tierbetreuung. Mein Lieblingsbeispiel ist ein Milchviehbetrieb in Mecklenburg-Vorpommern mit 1.250 Kühen, der andernorts als „Massentierhaltung“ abgestempelt würde. Die Beschäftigten sind im Schichtsystem tätig, also nahezu durchgehend präsent. Die Tiere werden einwandfrei in offenen Ställen mit eingestreuten Liegeboxen gehalten. Ich habe in diesem Stall nicht eine einzige lahme Kuh gesehen. Es kommt also darauf an, wie Tiere betreut werden, nicht wie viele insgesamt in einem Stall stehen. Ein Schwein hat mit den anderen Schweinen in seiner Bucht zu tun. Ob da einige oder viele weitere Buchten im Stall sind, dürfte ihm egal sein.

Nicht egal ist Anwohnern, ob ein Stall offen oder geschlossen ist. Offenstall ist gleichbedeutend mit Geruch. Ist der Zielkonflikt zwischen Tierwohl und Emissionen lösbar?

Schrader: Emissionen müssen in offenen Ställen nicht höher sein als in geschlossenen Ställen. Die Emissionen hängen von den Bakterien im Kot ab, die den Stickstoff im Harn zu Ammoniak abbauen. Sie hängen auch von der Temperatur ab. Zumindest in den Winter- oder Übergangsmonaten sind die Emissionen in offenen Ställen geringer als in geschlossenen. Der Unterschied ist, dass die Abluft bei geschlossenen Ställen zentral geführt und gefiltert werden kann. Diese Möglichkeit besteht in offenen Ställen nicht.

Was ist zu tun?

Schrader: In der Schweinehaltung geht es darum, das natürliche Verhalten der Tiere auszunutzen und den Liegebereich vom Kotbereich zu trennen. Bei hinreichend großem Platzangebot sollte die Fläche so strukturiert werden, dass der Liegebereich möglichst attraktiv zum Liegen ist, der Kotbereich aber unattraktiv. Dann kann man ungefähr vorhersagen, an welcher Stelle die Schweine koten werden. Dort kann eine Art Toilette dafür sorgen, dass Kot und Harn möglichst getrennt und schnell abtransportiert werden. Schwieriger ist das bei Rindern. Aber auch dort gibt es technische Möglichkeiten einer Kot-Harn-Trennung, beispielsweise durch Spaltenformen, die Konstruktion des Unterbaus unter den Spalten oder regelmäßiges Abschieben von geschlossenen Flächen. Auch ein Kuh-Klo könnte machbar sein.

Wie bringt man eine Kuh dazu, auf’s Klo zu gehen?

Schrader: Rinder lassen da etwas fallen, wo sie gerade stehen. Auf der Weide ist das biologisch auch sinnvoll, im Stall weniger. In Versuchen konnten wir zeigen, dass zumindest Kälber lernen können, einen bestimmten Bereich aufzusuchen, um Harn abzulassen. Das funktioniert, wenn sie eine Belohnung für die „Toilettenbenutzung“ bekommen. Wir hoffen, in einem Folgeprojekt Trainingsprogramme zu entwickeln, die für eine Nutzung in der Praxis geeignet sind. Ich bin zuversichtlich, dass so etwas gelingen kann.

Wird es den emissionsarmen oder gar emissionslosen Offenstall geben?

Schrader: Den emissionslosen Offenstall wird es nie geben, den emissionsarmen gibt es schon heute. Unter Federführung des Kuratoriums für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft werden seit Jahren Messungen durchgeführt, um zu zeigen, wie sich bestimmte emissionsmindernde Maßnahmen auswirken. Wir sind dabei auf einem guten Weg, auch wenn noch Entwicklungsarbeit notwendig ist.

Interessanterweise ist der Protest in vieharmen Regionen oft größer als in viehdichten Regionen."

In der Zwischenzeit machen Landwirte landauf landab die Erfahrung, dass für Stallbauten nicht nur Genehmigungen schwer zu bekommen sind, sondern sie regelmäßig auf Widerstand in der Bevölkerung stoßen, selbst wenn es sich um Tierwohlställe handelt. Was raten Sie?

Schrader: Interessanterweise ist der Protest in vieharmen Regionen oft größer als in viehdichten Regionen wie Weser-Ems, wo die Menschen in der Regel mehr Verständnis aufbringen. Generell helfen meines Erachtens nur Aufklärung und das Bemühen, aktiv auf die Leute zuzugehen. Ein Offenfrontstalll oder ein Auslaufstall muss nicht zwingend mehr Geruch emittieren als ein geschlossener Stall. Wenn er gut gemanaged wird, ist da einiges machbar. Ich bin sicher, dass man einen Stall mit Auslauf und mit Stroh den Leuten besser erklären kann als einen geschlossenen Stall mit Vollspaltenbuchten, der ja auch riecht. Darüber gilt es zu informieren, um hierfür Akzeptanz zu erreichen. Dass man damit nicht alle erreichen kann, ist mir auch klar. Für mich ist allerdings nicht nachzuvollziehen, dass Menschen auf’s Land ziehen, weil es da so schön ist, aber nicht hinnehmen wollen, dass es dort hin und wieder nach Tier duftet.

Wäre es hilfreich, wenn hin und wieder mal ein Minister oder eine Ministerin einen neu gebauten Stall eröffnet oder zumindest besucht?

Schrader: Das passiert ja gelegentlich. Vor kurzem hat sich der Bundeslandwirtschaftsminister einen Stall im Landkreis Celle angeschaut, an den ein konventioneller Tierhalter einen Auslauf mit Stroheinstreu angebaut hat. Er vermarktet seine Tiere jetzt als Strohschweine.

Sind es diese Leuchttürme, die für gute Stimmung in der Bevölkerung sorgen können?

Schrader: Mit Sicherheit. Wenn diese Tierhalter ihre Leuchttürme offensiv in die Öffentlichkeit bringen und zeigen, wie ihre Schweine im Stroh herumspringen, kann das vielleicht den einen oder anderen Nachbarn friedvoller stimmen, der ansonsten die Nase rümpft.

Wie wichtig sind die Pioniere, von denen Sie sprechen, für den angestrebten Umbau der Tierhaltung?

Schrader: Von denen gehen wichtige Impulse aus. Erfolg strahlt aus und motiviert andere, einen ähnlichen Weg zu gehen. Viele Beispiele, die ich kenne, bedienen aber Nischen. Typisch ist weniger die Direktvermarktung als direkte Geschäftsbeziehungen zum Schlachtunternehmen. Die Zahl der Betriebe, für die das in Frage kommt, ist aber begrenzt. Ich denke schon, dass in den nächsten Jahren immer mehr Landwirtinnen und Landwirte auf Produktionsverfahren umstellen werden, die höheren Tierwohlanforderungen gerecht werden. Ohne einen staatlichen Rahmen und eine finanzielle Unterstützung aus öffentlichen Mitteln wird deren Anteil aber nicht über eine Nische hinauskommen.

Sie sind Mitglied der Borchert-Kommission. Wie enttäuscht sind Sie, dass die Umsetzung trotz politischer Willensbekundungen bislang auf der Stelle tritt?

Schrader: Das Borchert-Papier sieht mehrere Säulen vor. Dazu zählen ein Tierwohllabel, Investitionshilfen für den Umbau von Ställen, eine zusätzliche Unterstützung zum Ausgleich der variablen Kosten und Änderungen im Bau- und Umweltrecht.

Immerhin gibt es Eckwerte für eine Kennzeichnung...

Schrader: Dieser Einstieg ist nachvollziehbar. Geplant ist allerdings kein Tierwohllabel, wie wir es vorgeschlagen hatten, sondern eine Tierhaltungskennzeichnung.

Was ist der Unterschied?

Schrader: Das Label ist viel umfassender angelegt. In der nunmehr vorgesehenen Tierhaltungskennzeichnung werden lediglich wenige Rahmenkriterien gesetzt, die von den Haltern erfüllt werden müssen. Es wird mit der Tierhaltungskennzeichnung nicht mehr Tierwohl versprochen, weil dieses höhere Tierwohl nicht überprüft werden kann, wie es beim Label vorgesehen war. Die Haltungskennzeichnung ist also ein erster Schritt, den ich politisch noch nachvollziehen kann, um überhaupt in die Umsetzung zukommen. Absolut enttäuschend wäre es aber, wenn die anderen Säulen nicht oder nicht ausreichend folgen. Wenn dieser Fall eintritt, wird es keine Transformation der Tierhaltung geben.

Die Anforderungen an die Nutztierhaltung werden nicht sinken, im Gegenteil."

Schon jetzt zeigt sich, dass die Nachfrage nach günstiger Ware wächst, der Handel auf besonders tiergerechten und damit teuren Produkten sitzen bleibt. Gleichzeitig stehen die öffentlichen Haushalte vor enormen Herausforderungen. Passt die Transformation noch in die Zeit?

Schrader: Ohne Frage ist es schwieriger geworden, 3 bis 4 Mrd. € pro Jahr an öffentlichen Mitteln für den Umbau der Tierhaltung aufzutreiben. Das wäre vor zwei Jahren noch leichter gewesen, als wir die Empfehlungen vorgelegt haben. Ich denke, die Politik ist dennoch gut beraten, diesen Prozess mit aller Kraft voranzutreiben. Die Anforderungen an die Nutztierhaltung werden nicht sinken, im Gegenteil. Das Tierwohlthema wird auch in 20 Jahren mindestens so präsent sein wie in den vergangenen Jahren. Aussitzen wird nicht funktionieren.

Sind Sie zufrieden mit den vorgelegten Eckwerten für eine verbindliche Haltungskennzeichnung?

Schrader: Zufrieden wäre übertrieben. Fünf Haltungsstufen halte ich für problematisch, wenn das Ziel verfolgt wird, Verbrauchern Orientierung zu geben. Eine eigene Bio-Stufe ist aus tierschutzfachlicher Sicht nicht gerechtfertigt. Auch die Unterschiede zwischen dem sogenannten Frischluftstall, das heißt Offenstall, und einem Stall mit Auslauf sind schwer zu vermitteln. Diese Stufen könnte man bei Angleichung der Platzvorgaben zusammenfassen.

Wird die Haltungskennzeichnung die Tierhaltung in Deutschland verbessern?

Schrader: Sie kann zu Verbesserungen führen, weil sich Tierhalter motiviert sehen könnten, ihren Stall für die Stufen Frischluft oder Auslauf umzubauen, weil sie damit ihre Tiere besser vermarkten können. Ich bin mir aber sicher, dass dies ein überschaubares Segment bleiben wird, wenn zusätzliche Zahlungen aus öffentlichen Mitteln ausbleiben.

Wie hoffnungsfroh sind Sie im Hinblick auf die Anpassung des Bau- und Umweltrechts?

Schrader: Ich gehe weiter davon aus, dass es klappen kann. Aber da muss man sehr viel Energie reinstecken und intensiv zwischen den Ressorts kommunizieren. Die Zielkonflikte zwischen Umwelt- und Tierschutz spiegeln sich offensichtlich in unterschiedlichen Blicken der zuständigen Ministerien auf die Tierhaltung wieder. Diese unterschiedlichen Blicke muss man politisch zusammenbringen, sonst wird das nicht funktionieren. Aus meiner Sicht ist es nicht sinnvoll, wenn auf der einen Seite das Bundeslandwirtschaftsministerium ein Konzept für eine Tierhaltungskennzeichnung vorstellt, auf der anderen Seite das Bundesumweltministerium zu verstehen gibt, dass dieses Konzept nicht mit den immissionsschutzrechtlichen Vorschriften vereinbar ist.

Unabhängig von den Mühen der politischen Ebenen - wie sieht die Tierhaltung der Zukunft aus?

Schrader: Die Tierhaltung der Zukunft wird wesentlich transparenter sein als heute. In vielen Ställen werden Kameras installiert sein, so dass sich Verbraucher über eine App anschauen können, wo das Tier herkommt, dessen Fleisch sie essen wollen, und wie es in dem Stall zugeht. Insgesamt wird sich die Digitalisierung auch in der Tierhaltung weiter durchsetzen. Wir werden künftig noch viel besser den Zustand der Tiere anhand von Schlachtbefunddaten beurteilen können. Schon heute können wir mit automatischen bildgebenden Verfahren Fußballenschäden beim Masthuhn oder Schwanzschäden beim Schwein sehr gut erkennen. In einigen Jahren wird man diese so weit standardisieren können, dass wir zu objektiven Messergebnissen kommen.

Heißt das, im Stall wird Tierwohl künftig digital gemessen?

Schrader: Die Technik wird im Stall immer Hilfsmittel bleiben. Entscheidend bleibt der Mensch. Er muss den Blick auf die Tiere haben, im Stall stehen und sich kümmern. Ich kann nur wiederholen: Das Auge des Halters oder der Halterin mästet das Vieh. Das gilt morgen noch genauso wie heute und wie es gestern gegolten hat.

Kann mehr Tierwohl die Entwicklung stoppen, dass immer weniger Fleisch und tierische Produkte insgesamt konsumiert werden?

Schrader: Das glaube ich nicht. Allenfalls kann mehr Tierwohl in der Nutztierhaltung den Trend verlangsamen, keinesfalls jedoch stoppen oder gar umkehren. Aus meiner Sicht wäre das auch nicht wünschenswert. Wenn wir alle weniger Fleisch essen und weniger tierische Produkte zu uns nehmen würden, hätten wir nicht nur einige gesundheitliche Probleme weniger. Der damit einhergehende Rückgang der Tierbestände wäre auch ein Beitrag zur Verminderung der Treibhausgasemissionen. Wenn die Tierhalter trotzdem das gleiche Geld verdienen könnten, wären sie damit wohl auch sehr zufrieden.

Die Redaktion empfiehlt

top + Top informiert in die Maisaussaat starten

Alle wichtigen Infos & Ratgeber zur Maisaussaat 2024, exklusive Beiträge, Videos & Hintergrundinformationen

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.