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Sind Mindest-Milchpreise zielführend?

Agrarökonom Holger Thiele warnt davor, den Marktmechanismus bei der Milchpreisbildung infrage zu stellen. Potenzial für ein auskömmliches Einkommen sieht er auf der Kostenseite.

Lesezeit: 11 Minuten

Der Agrarökonom Prof. Holger Thiele vom Kieler ife-Institut berichtet in einem Interview mit dem Presse- und Informationsdienst Agra-Europe über den Sinn und Unsinn einer Preissetzung, die sich an den Vollkosten orientiert. Er gibt eine Einschätzung über die Erfolgsaussichten der demnächst startenden Branchenkommunikation Milch und spricht über die Aktivitäten der Molkereien in Sachen Preisabsicherung.

Was halten Sie von den Empfehlungen der Borchert-Kommission zum Umbau der Tierhaltung?

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Der Ansatz ist grundsätzlich sinnvoll. Bei der Finanzierung über die Variante Verbrauchssteuer besteht die Gefahr, dass das Geld nicht komplett bei den Tierhaltern ankommt. Sollte sich der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) nur einen Teil der Mehrkosten vom Verbraucher holen, könnte dies in Form von Preisdruck bei den Tierhaltern ankommen. Dann würde die Landwirtschaft einen Teil des Umbaus doch aus eigener Tasche bezahlen. Diese Aspekte sind mit zu berücksichtigen.

Würde so eine Verbrauchssteuer nicht die sozial Schwächeren überproportional treffen?

Aufgrund der Verbrauchsstruktur wird es so sein. Haushalte mit geringerem Einkommen werden überproportional durch eine Verbrauchssteuer auf tierische Produkte belastet. Solche Verteilungsaspekte darf man bei der Beurteilung der Finanzierungsalternativen nicht vernachlässigen, wenn eine breite gesellschaftliche Zustimmung erreicht werden soll. Egal ob über die Mehrwertsteuer oder eine Verbrauchssteuer: Am Ende bekommen die höheren Kosten in größerem Maße die unteren Einkommensgruppen zu spüren.

Die Betriebe brauchen finanzielle Anreize für die Produktion von Weidemilch.

Bleiben wir noch beim Umbau der Tierhaltung. Die Weidehaltung wird ja gesellschaftlich besonders geschätzt. Aber rechnet sie sich für die Milchviehhalter auch?

Mit wachsender Herdengröße und durch zusätzliche Investitionen wird die Weidehaltung teuer. Deshalb brauchen die Betriebe über den Milchpreis finanzielle Anreize für die Produktion von Weidemilch.

Steht die Weidehaltung aufgrund der Methanemissionen nicht im Widerspruch zum Klimaschutz?

Ob die Weidehaltung von Kühen dem Klimaschutz zu- oder abträglich ist, ist wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt, da es unter anderem keine einheitliche Einschätzung zur Wirkung der Weidehaltung auf die Milchmenge und die Interaktion mit vorhandenen Biogasanlagen gibt. Bei den CO2-Bilanzierungstools des Kuratoriums für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft (KTBL) schneidet die Weiderhaltung tendenziell positiv ab. Belastbare Praxisversuche über alle Einflussfaktoren fehlen jedoch bisher.

Während die Weidehaltung ein positives Image hat, gilt für die Anbindehaltung das Gegenteil. Droht dieser Haltungsform durch die von mehreren Molkereien angekündigten Preisabschläge bei ganzjähriger Anbindung ein rasches Aus?

Die Diskussion über neue Standards wird mit hoher Frequenz in die Branche getragen. Allerdings meist nicht von der Politik, sondern den Lebensmitteleinzelhandel. Das war bei der gentechnikfreien Milch so, bei Glyphosat und jetzt beim Thema Anbindehaltung. Der Handel springt sehr schnell auf gesellschaftliche Trends, um sich gegenüber den Mitbewerbern zu differenzieren. Für die eine oder andere Molkerei bedeutet dies einen hohen Druck aus dem Markt, der aber nicht politisch abgefedert wird. Die zudem sehr hohe Geschwindigkeit dieses Prozesses droht viele in der Branche zu überfordern. Es geht also um eine angepasste Geschwindigkeit in der Umsetzung. Die Politik ist gefordert mitzuhelfen, dass notwendige Anpassungsprozesse in der Tierhaltung nicht zu einer vollständigen Überforderung der Akteure führen.

Können Anbindebetriebe, die ihre Ställe häufig schon steuerlich abgeschrieben haben, nicht ein oder zwei Cent weniger Milchgeld aushalten?

Es gibt unter den Anbindehaltern häufig sehr resiliente Betriebe, da das Haupteinkommen nicht nur mit der Milch erwirtschaftet wird. Häufig sind es Nebenerwerbsbetriebe. Wer als Anbindehalter kein auslaufender Betrieb ist, kann aber nicht einfach auf Teile seines Milchgelds verzichten, da der für mehr Tierwohl notwendige Umbau der Stallungen ja finanziell gestemmt werden muss. Da sind wir wieder bei der Ausgangsfragestellung, wer den Umbau der Tierhaltung letztlich finanzieren soll.

Am Ende entscheiden nicht die Milchviehhalter oder die Verbände, wann das Aus für die Anbindehaltung kommt, sondern die Gesellschaft.

Ist die Anbindehaltung nicht ein Auslaufmodell?

Grundsätzlich ja. Der Abschied aus der Anbindehaltung sollte aber über einen größeren Zeitraum gestreckt werden. Schließlich gibt es gute Ansätze, wie Anbindebetriebe Zwischenlösungen beim Tierwohl fahren können, die gesellschaftlich akzeptiert sind. Denn die gesellschaftliche Akzeptanz ist das entscheidende Kriterium. Am Ende entscheiden nicht die Milchviehhalter oder die Verbände, wann das Aus für die Anbindehaltung kommt. Benchmark ist längerfristig die Gesellschaft.

Wird in den oft kleinen Anbindebetrieben die Milch nicht auch zu teuer produziert?

Entscheidend für die Überlebensfähigkeit ist gar nicht in erster Linie das Haltungsverfahren oder die Bestandsgröße. Maßgeblich für die Resilienz sind der Anteil der Familienarbeitskräfte, die Eigenkapitalaustattung sowie der Anteil eigener Flächen. Das macht die Milcherzeugungsbetriebe im Süden der Republik generell resilienter als die Betriebe im Norden oder Osten, wo häufig hohe Fremdkapitalquoten und viele angestellte Mitarbeiter zu finden sind. Preisdruck bei der Milch spüren daher als erstes die oft sehr großen Milchviehbetriebe im Osten.

Ist denn der Ausstieg aus der Milcherzeugung bei niedrigen Milchpreisen überhaupt eine Alternative?

Die Frage ist, wie stabil ein Milchviehbetrieb mit Blick auf Investitionsentscheidungen und Kapitaldienst aufgestellt ist. Häufig bleibt aber gerade großen Betrieben keine andere Wahl als weiterzumelken, da laufende Kredite ja aus dem Milchgeld bedient werden müssen.

In einer Marktwirtschaft ist die Diskussion über kostendeckende Erzeugerpreise nicht zielführend.

Bei den Bauerndemonstrationen in Berlin und anderenorts gab es Rufe nach einem die „Vollkosten deckenden Erzeugerpreis“. Können Sie mit einer solchen Forderung etwas anfangen?

Der Einzelbetrieb sollte seine Kostenschwellen natürlich kennen. Um die betriebswirtschaftlich richtigen Entscheidungen zu treffen, sollte auch der die Vollkosten deckende Preis im Blick behalten werden. Und die Vollkosten eines Betriebes sollten im langfristigen Schnitt auch gedeckt sein. Völlig falsch wäre es allerdings, aus einem Vollkostendeckungsansatz einen Mindestpreis für die gesamte Branche abzuleiten, denn schließlich liegt der die Vollkosten deckende Preis bei jedem Betrieb woanders. Braucht der eine Betrieb zur Vollkostendeckung einen Netto-Milchgrundpreis von 35 Cent/kg, sind es bei einem anderen Betrieb vielleicht nur 30 Cent, bei einem dritten hingegen 40 Cent. In einer Marktwirtschaft ist die Diskussion über kostendeckende Erzeugerpreise nicht zielführend.

Nochmal nachgefragt: Was ist so falsch an einem kostendeckenden Milchgeld?

Auch wenn es nicht zielführend ist, so ist es dennoch nachvollziehbar, dass Interessenverbände für ihre Mitglieder kostendeckende Preise im Rahmen politischer Diskussionen fordern. Die Frage ist aber, ob dies überhaupt ein sinnvolles politisches Ziel ist und mit welchen Instrumenten dieses Ziel erreicht werden soll. Was würde denn passieren, wenn der Milchpreis politisch bei 40 Cent festgesetzt würde? Dann hätten alle Betriebe mit niedrigeren Vollkosten einen enormen Anreiz, viel Milch zu produzieren. In der Konsequenz müsste die EU ihre Außengrenzen schließen, weil wir einen hohen Anreiz für Importe geben würden. Und wir würden unsere Wettbewerbsstellung im Export so stark verschlechtern, dass wir das Auslandsgeschäft auf ein Minimum herunterfahren müssten. Im nächsten Schritt müssten wir an die Handelsverträge ran. Das würde nicht nur gesamtwirtschaftlich einen großen Schaden anrichten; ein solches Szenario halte ich außerdem für extrem unrealistisch, zumal anderen exportorientierten Branchen im internationalen Wettbewerb Nachteile drohen würden.

Bei der Milch hat Deutschland einen Selbstversorgungsgrad von rund 116 %. Drückt diese Überschusssituation nicht auf die Erzeugerpreise?

Der größte Teil der deutschen Exporte an Milchprodukten geht in andere EU-Länder, nur ein kleiner Teil in Drittstaaten. Die deutsche Milchwirtschaft exportiert rund die Hälfte des Rohstoffs. Aus dem Export kommt damit ein großer Teil der Wertschöpfung. Handel ist grundsätzlich wohlfahrtssteigernd für die Gesellschaft. Das gilt für den Agrarmarkt im Allgemeinen, speziell aber für den Milchmarkt. Natürlich bestehen durch das Exportgeschäft Abhängigkeiten. Gleichzeitig werden aber enorme Spezialisierungsvorteile generiert. Außerdem darf man auch nicht vergessen, dass wir nicht selten - wie derzeit gerade - von höheren Preisen auf den internationalen Märkten profitieren.

Die deutsche Milchwirtschaft will im Rahmen der Sektorstrategie 2030 eine Branchenkommunikation ins Leben rufen. Ist das eine aus Ihrer Sicht sinnvolle Maßnahme?

Grundsätzlich ist die geplante Branchenkommunikation ein Schritt in die richtige Richtung. Natürlich ist das Budget mit anfangs 4 Mio. € gemessen an den Aufgaben klein. Umso wichtiger ist es, dass die begrenzten Mittel effizient und mit einem hohen Multiplikatoreffekt eingesetzt werden, zum Beispiel indem professionelle Kommunikationsexperten eingebunden werden und dabei eine konstruktiv kritische Auseinandersetzung mit den Branchenthemen der Zukunft ermöglicht wird. Eine zuletzt immer mal wieder geforderte „CMA 2.0“ lässt sich mit diesem Budget natürlich nicht auf die Beine stellen.

Ist die Sektorstrategie der versprochene große Wurf?

Ich habe mich als Betrachter gewundert, dass die Milchwirtschaft angesichts divergierender Interessen einen solchen Prozess überhaupt hinbekommen hat. Am Ende waren - wie in demokratischen Prozessen üblich - Kompromisse gefragt, die der Bundesverband Deutscher Milchviehalter (BDM) möglicherweise aus verbandsstrategischen Gründen gegenüber den eigenen Mitgliedern nicht in dem Maße eingehen wollte.

Die Verbände sollten gemeinsam mit der Politik an einer intelligente Lösung arbeiten, um eine finanzielle Entlastung angesichts steigender Auflagen zu schaffen.

Wo liegen die betrieblichen Hebel für eine auskömmliche Milcherzeugung?

Ich würde den Marktmechanismus bei der Preisbildung nicht in Frage stellen. Stellschrauben sehe ich daher eher auf der Kostenseite. Die Verbände sollten sich deshalb auch nicht so sehr auf die Preisseite konzentrieren, sondern gemeinsam mit der Politik an intelligenten Lösungen wie zum Beispiel investive Fördermaßnahmen und Vertragsnaturschutz arbeiten, um eine finanzielle Entlastung angesichts steigender Auflagen zu schaffen.

Haben Wettbewerber wie die USA oder Neuseeland nicht schon aufgrund der natürlichen Voraussetzungen günstigere Kostenstrukturen?

Grundsätzlich können wir preislich im internationalen Wettbewerb ganz gut mithalten. Allerdings bekommen wir rein nationale Auflagen und Qualitätskriterien bisher nicht eingepreist, beispielsweise für gentechnikfreie Milchprodukte.

Gibt es in der globalen Milchwirtschaft gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle?

Die sind natürlich extrem schwer umsetzbar. Einen Standard wie „gentechnikfreie Milch“ international vorzuschreiben, ist illusorisch; das hat sich in der Vergangenheit immer wieder gezeigt. Man kann die höheren deutschen Standards aber zumindest ausloben und labeln, um sie den Verbrauchern schmackhaft zu machen.

Im März findet eine weitere Fortbildungsreihe des ife zu den Absicherungsmöglichkeiten von Milchpreisen statt. In Sachen Risikomanagement in der Milchwirtschaft müssen offensichtlich dicke Bretter gebohrt werden …

Ich halte es für notwendig, den Großteil der deutschen Milcherzeuger beim Thema Risikomanagement mitzunehmen. Viele Betriebsleiter denken beim Stichwort Börse bisher eher an Spekulation als an Preisabsicherung. Fakt ist, dass die Milchmärkte auch in Zukunft volatil sein werden, was ein betriebliches Risikomanagement zwingend erfordert. Und zwar nicht nur für die Milcherzeuger, sondern auch für die Molkereien und den Handel - also für die gesamte Wertschöpfungskette. Am Ende ist nämlich niemandem geholfen, wenn das Preisänderungsrisiko einfach an das jeweils nächste Glied in der Wertschöpfungskette weitergegeben wird.

Aber ist es nicht in Wahrheit so, dass der Handel die Preise macht, während der Landwirt nur Restgeldempfänger ist?

Jein, denn nach unserer Beobachtung und dem Stand der Wissenschaft werden die Preise nicht im luftleeren Raum gemacht. Das Preisgefüge bildet sich international. Ist Rohstoff am Markt knapp, kann der Handel nicht einfach niedrige Preise festlegen. Gibt es gute Exportchancen, dann muss der Handel mitziehen und das macht er auch, wenn auch mit Zeitverzug. Entsprechend ist auch der Handel einem Preisänderungsrisiko ausgesetzt. Im Zweifel gibt der Handel dieses Preisänderungsrisiko an die vorgelagerten Stufen weiter. Fraglich ist, ob dieser Automatismus auch noch in Zukunft greift. Nicht wenige Milcherzeuger haben kräftig investiert, die Liquiditätslage auf den Höfen ist noch angespannter als früher. Instrumente für das Risikomanagement sind deshalb gefragt, auch in Zusammenarbeit mit den nachgelagerten Stufen. Deshalb sind in Sachen Preisabsicherung auch die Molkereien mit im Boot.

Ein Börsenpreis unter 30 ct/kg für die nächsten Monate ist für viele Milcherzeuger einfach nicht attraktiv.

Das bildet sich an der European Energy Exchange (EEX), der Leipziger Terminbörse bisher so nicht ab. Der seit 2018 dort gehandelte Flüssigmilchkontrakt ist bisher praktisch umsatzlos …

Bei Ackerbauern sind Vorkontrakte auf Weizen oder Raps mittlerweile ein Standardgeschäft. Auch bei den Milchbauern ist das Interesse an einer Preisabsicherung vorhanden, vor allem bei den jüngeren Betriebsleitern. Entscheidend für das Interesse der Milcherzeuger ist natürlich das absicherbare Preisniveau. Ein Börsenpreis unter 30 Cent/kg für die nächsten Monate ist für viele Milcherzeuger einfach nicht attraktiv. Wenn es - so wie jetzt - zu steigenden Preisen kommt, wird die Preisabsicherung interessanter.

Immer mehr Molkereien bieten auch eigene Festpreiskontrakte an. Stoßen die bei den Erzeugern auf mehr Resonanz?

Den Molkereien ist mittlerweile bewusst, wie auch eine Follow-Up-Erhebung zur Studie unseres ife-Instituts für das Bundeslandwirtschaftsministerium Ende 2020 zeigte, dass diese beim Thema Preisabsicherung ihre Lieferanten unterstützen müssen. Solche innovativen Festpreismodelle sind entweder börsenbasiert oder außerbörslich, zum Beispiel als „Back-to-Back-Vertrag“, konzipiert. Aber auch hier hängt die Bereitschaft zum Abschluss vor allem vom absicherbaren Preisniveau ab. Eine Preishausse wie aktuell bei Getreide und Raps würde sicherlich mehr Milcherzeuger dazu bewegen, Milchpreise nach vorne abzusichern. Bei Milch werden die Festpreisangebote der Molkereien derzeit auch immer interessanter.

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