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Für die Milchproduktion in Haltungsformstufe 4 gilt als Kriterium neben Weidegang auch ein ganzjähriger Laufhof.
Das Label Pro Weideland schreibt seinen Betrieben keinen Laufhof vor und ist deshalb in HF3 „Frischluftstall“ gelistet.
Milcherzeuger sind frustriert, weil sie dadurch eine geringere Wertschöpfung ihrer kostenintensiven Weidemilch sehen.
Der Handel erklärt, dass HF4 maximalen Tierwohl bieten soll – auch im Stall.
Die Politik hat noch keine Kriterien für die Tierhaltungskennzeichnung bei Milchkühen festgelegt.
Neben „Weidemilch“ und dem Label von „Pro Weideland“ steht auf der Milchpackung der Aufdruck „Frischluftstall“: Über diesen Widerspruch ärgern sich Milcherzeuger in Norddeutschland. Weil ihre Ställe keinen Laufhof haben, wird das Label nicht in der Haltungsform 4 „Auslauf/Weide“ vermarktet.
„Weidemilch hat ein gutes Image und ist beliebt. Als Haltungsform 3 (HF3)-Produkt kann der Handel sie günstig anbieten. Doch die Wertschöpfung kommt bei uns nicht an“, kritisiert Manfred Tannen aus Bensersiel, Milcherzeuger und Präsident des Landwirtschaftlichen Hauptvereins für Ostfriesland. Was steckt hinter der Diskussion?
Fünf Haltungsstufen
Ziel der Haltungsformen (HF) ist, dass Verbraucher die verschiedensten Label auf tierischen Lebensmitteln bewerten können. Damit ein Label in eine der Haltungsformen einsortiert wird, muss es mindestens die Kriterien der jeweiligen Stufe erfüllen. Was für Haltung, Platzbedarf oder Tiergesundheit gilt, legt die Gesellschaft zur Förderung des Tierwohls in der Nutztierhaltung (Haltungsform.de) mit Experten aus der Wirtschaft fest. Im letzten Jahr haben sie das früher vierstufige System um eine fünfte Stufe erweitert, um sich an die neue staatliche Tierhaltungskennzeichnung anzupassen. Jetzt gibt es die Haltungsform-Stufen:
1 Stallhaltung
2 Stall+Platz (mindestens Laufstall oder Kombihaltung)
3 Frischluftstall (Laufstall mit Laufhof oder Weide, oder ein Offenfrontstall, d. h. mehr als 25 % geöffnete Stallfläche)
4 Auslauf/Weide (Laufstall mit Laufhof und Weide)
5 Bio
Laufhof zusätzlich zur Weide
Für die Stufe 4 „Auslauf/Weide“ ist neben 120 Tagen Weidegang à sechs Stunden pro Jahr auch ein ganzjährig nutzbarer Laufhof mit 3 m2 pro Kuh vorgeschrieben. Weil Pro Weideland das nicht fordert, hat Haltungsform.de das Label in HF3 einsortiert.
„Ein Laufhof ist bei uns nicht Pflicht und wird es auch nicht werden. Das könnten die wenigsten Betriebe umsetzen. Unser Fokus liegt auf der Weide, welche im Gegensatz zu einer versiegelten Betonfläche viele Vorteile für Tierwohl und Umwelt bietet“, sagt Dr. Arno Krause, Geschäftsführer vom Grünlandzentrum Niedersachsen/Bremen e. V. und der Pro Weideland GmbH.
Das letztere Unternehmen verwaltet das gleichnamige Label und ist eine 100%ige-Tochter vom Grünlandzentrum. Grundlage für die Gründung ist die „Weidecharta“, welche mehrere Organisationen und Verbände 2015 erstellt hatten. Ihr Ziel: Den Rückgang der Weidehaltung von Milchkühen stoppen und die positiven Effekte der Weidehaltung auf Tierwohl, Biodiversität und Klimaschutz fördern.
Heute gibt es rund 1.530 Pro Weideland-Betriebe. Darunter auch den von Manfred Tannen und seinem Sohn Keno. Der Betrieb mit 200 Milchkühen plus Nachzucht liefert an die Molkerei Ammerland. Während Manfred Tannen viel fürs Ehrenamt unterwegs ist, auch als Vorstandsmitglied des Grünlandzentrums, verantwortet Keno das Tagesgeschäft des ostfriesischen Grünlandbetriebes.
„Wir planen aktuell, die Kuhherde zu erweitern. Dann wäre ein riesiger Laufhof nötig, der wirtschaftlich kaum zu rechtfertigen ist.“ Ähnlich dürfte es auch anderen Landwirten gehen. Die niedersächsische Landgesellschaft (NLG) schätzt für einen Beispielbetrieb mit 120 Milchkühen die Kosten eines Laufhofes (360 m2) ohne Überdachungen und Nebenkosten auf rund 130.000 €. Hinzu kommen baurechtliche Auflagen.
Handel will Tierwohl im Stall
Warum ist ein Laufhof zusätzlich zur Weide für HF4 vorgeschrieben? Stellvertretend für die Einzelhandelsunternehmen betont ein Sprecher von Haltungsform.de, dass die Stufe 4 die höchste Tierwohlstufe sei und bleiben solle – abgesehen von der ökologischen Tierhaltung. Dabei sei wichtig, dass „ein hohes Tierwohl-Niveau auch dann vorausgesetzt werden kann, wenn die Tiere nicht auf die Weide können“. Weil die Kühe aufs Jahr gerechnet die meiste Zeit im Stall verbringen, will man die Haltung dort nicht vernachlässigen.
Aus diesem Grund hätten andere Label neben der Weidepflicht einen ganzjährig nutzbaren Laufhof vorgeschrieben und könnten deshalb in HF4 eingruppiert werden. Das sind die Label „Für mehr Tierschutz - Premiumstufe“ des Deutschen Tierschutzbundes, „QM+++“ von QM-Milch und „DLG Tierwohl Gold“ von der DLG.
Dabei ist QM mit mehr als 6.000 zertifizierten Betrieben das wohl bekannteste Label. Davon sind laut QM-Milch ca. 5.700 bei QM++ (HF3) und eine „kleine, einstellige Zahl“ in QM+++ (HF4). Die DLG hat knapp 800 Betriebe in HF3 und 300 in HF4 zertifiziert. Beim Tierschutzbund-Label sind es 115 (HF3) und 114 (HF4) Betriebe.
Höhere Wertschöpfung für Weidemilch
Die Laufhofpflicht könnte die Weidehaltung weiter reduzieren, fürchtet Manfred Tannen. Denn die Wirtschaftlichkeit der Weide sei schon jetzt knapp. Sein Sohn Keno erklärt: „Im Stall kann ich die Kühe besser ausfüttern. Der Milchleistungsverlust in den Sommermonaten ist sonst einfach zu teuer.“
Der Betrieb erhält aktuell einen Zuschlag von 1,5 ct für GVO-freie Weidemilch. Nötig wären mehr als 4 ct/kg Milch, wie eine Studie des Thünen-Instituts zeigt (siehe top agrar 5/2025 „Das kostet Weidemilch“). Würde das Label Pro Weideland in HF4 gelistet, gebe es die Chance auf eine höherpreisige Verwertung und zur mehr Wirtschaftlichkeit der Weidehaltung. Das könne zum Erhalt der Weidehaltung von Milchkühen beitragen, so die Hoffnung der Milcherzeuger.
„Der Bau eines Laufhofes zusätzlich zum Weidegang wäre nicht wirtschaftlich.“
Diese Argumente hatten im letzten Jahr verschiedene Verbände, darunter Landvolk, AbL, BDM und Greenpeace sowie Politiker vorgebracht. „Milch aus Weidehaltung ist kosten- und arbeitsintensiv. Mit Labeln, die sich in Haltungsform 3 einordnen, wird dieser Mehraufwand allerdings nicht honoriert“, sagte die niedersächsische Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte (Bündnis 90/Die Grünen).
Beim Berliner Milchforum hatte QM-Milch-Geschäftsführer Ludwig Börger berichtet, dass die Zuschläge für HF3-Milch bei „2 bis 4 ct/kg Milch“ lägen. Branchenkenner bezweifeln, dass sich Weidemilch höherpreisig verkaufen lässt, nur weil sie in einer höheren Haltungsform gelistet ist. Bereits jetzt sei mehr Weidemilch am Markt verfügbar, als vermarktet werde. Haltungsform.de betont zudem, dass „aus Verbrauchersicht bereits die Stufe 3 zu Recht als hochwertige Stufe empfunden wird“.
Was macht die Politik?
Während der Lebensmitteleinzelhandel die Kriterien für Haltungsformen festgelegt hat, fehlen Details bei der staatlichen Tierhaltungskennzeichnung. Das ist bisher nur für Schweinefleisch umgesetzt. Die Planungen für andere Tierarten waren angelaufen. Wie die neue Hausleitung beim Landwirtschaftsministerium damit weiter umgeht, bleibt abzuwarten. Laut Koalitionsvertrag ist eine Reform des Tierhaltungskennzeichnungsgesetzes geplant. Details gibt es noch nicht.
Die Vorgaben von Haltungsform.de bzw. dem Einzelhandel stehen fest. Die Weidemilcherzeuger halten die Diskussion aber noch nicht für beendet. So erklärt Manfred Tannen: „Wir kämpfen weiter, damit auch künftig Kühe auf der Weide stehen.“