Ausgelöst durch die gesellschaftliche Diskussion um mehr Tierwohl haben sich in den vergangenen Jahren verschiedene Tierwohlstandards entwickelt. Auch für Trinkmilch gibt es Programme.
Die Verfügbarkeit von Trinkmilch mit höheren Tierwohlanforderungen im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) ist jedoch verhältnismäßig gering. Eine Untersuchung bei Aldi, Lidl, Rewe und Edeka zeigte, dass lediglich 7 % der angebotenen Trinkmilch ein Tierwohllabel trug. 23 % der Trinkmilch waren mit einem Biolabel gekennzeichnet und 70 % wiesen kein tierwohlrelevantes Label auf. Zudem zeigte sich, dass Verbraucher Preisaufschläge im LEH nicht mit dem Attribut Tierschutz oder Tierwohl verbinden, sondern eher mit Weidegang verknüpfen. Während Konsumenten Attribute wie „Weidegang“ gut einschätzen können, fällt es ihnen schwer, Kriterien wie „Platzbedarf im Stall“ zu beurteilen. Besonders für kostenintensive Investitionen in den Stall gibt es also nur eine geringe Mehrzahlungsbereitschaft der Verbraucher.
Label „Für mehr Tierschutz“
Obwohl Verbraucher die Mehrwerte nicht immer einordnen können, entstehen sowohl den Produzenten als auch den Verarbeitern höhere Kosten. Zur Erfassung dieser Mehrkosten in der Milcherzeugung haben das ife Institut für Ernährungswirtschaft in Kiel in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Kiel das Label „Für mehr Tierschutz“ vom Deutschen Tierschutzbund als Referenz gewählt. Das Siegel gibt vergleichsweise hohe Anforderungen vor, die in detaillierter und messbarer Form dargelegt sind. Ziel war es, herauszufinden, ob und welche Investitionen für die Landwirte notwendig sind, um die Anforderungen erfüllen zu können und welche Kosten durch die Produktion für das Label entstehen.
Dazu nahmen Milcherzeuger an einer Befragung teil. Sie mussten angeben, welche Bedingungen auf ihren Betrieben vorliegen. Auf dieser Basis haben die Forscher ermittelt, welche Investitionen und Unternehmensmaßnahmen zur Erfüllung der Richtlinien des Deutschen Tierschutzbundes nötig wären. Dabei ging es immer um die minimal notwendigen Investitionen, also die unterste Grenze. In der Einstiegsstufe sind alle Bedingungen für den Stall geregelt, in der Premiumstufe müssen die Landwirte zusätzlich Weide und Laufhof vorhalten. Für die Teilnahme erhalten sie Zuschläge in Höhe von 1 bis 2 ct/kg Milch in der Einstiegsstufe und 4 bis 5 ct/kg in der Premiumstufe.
Da die Einhaltung von Tierwohlstandards auch laufende Kosten, wie z. B. die Verwendung von gentechnikfreiem Futter mit sich bringt, erfassten die Wissenschaftler auch diese Kosten. Anhand der Summe aller Positionen berechneten sie die Zusatzkosten, die pro Kilogramm Milch anfallen, wenn die Betriebe die Anforderungen des Labels „Für mehr Tierschutz“ erfüllen.
Insgesamt nahmen 235 Betriebe aus neun Bundesländern (Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein) an der Befragung teil. Die Stichprobe weist dabei eine Verzerrung auf, da die Höfe im Mittel größer waren und die Milchmenge höher war als der Bundesschnitt. Während Milchviehbetriebe in Deutschland durchschnittlich 67,1 Kühe halten mit einer mittleren Milchleistung von 8 063 kg pro Kuh und Jahr, sind in der Studie Betriebe mit einer Herdengröße von im Mittel 132 und einem Herdenschnitt von 9 027 kg/Kuh und Jahr abgebildet.
Strukturen der Höfe
Rund 85 % der teilnehmenden Betriebe hielten ihre Kühe im Liegeboxenlaufstall (siehe Übersicht 1). Weitere Haltungssysteme für die laktierenden Kühe waren die Anbindehaltung (8,1 %) sowie die Mischform Liegeboxen- und Tiefstreustall (5,1 %). Die befragten Landwirte hielten ihre Trockensteher ebenfalls überwiegend im Liegeboxenlaufstall (54 %).
Die Ergebnisse der Befragung zeigten, dass lediglich einer der befragten Betriebe alle 16 Richtlinien des Labels „Für mehr Tierschutz“ bereits einhalten konnte. Die Mehrheit der Betriebe konnte zwischen neun und zwölf Richtlinien erfüllen. Hierbei fiel auf, dass die meisten Betriebe nicht die geforderte separate Abkalbe- und Krankenbucht vorweisen konnten. Außerdem waren häufig nicht ausreichend Fressplätze und Scheuerbürsten vorhanden. Auch die Vorgaben in Bezug auf Weidegang und Laufhof, die für die Teilnahme an der Premiumstufe vorgeschrieben sind, konnten viele Milcherzeugerbetriebe nicht erfüllen.
Für viele Betriebe stellt die Nachrüstung von Laufhof und Weidegang eine Herausforderung dar. Entweder lassen die räumlichen Gegebenheiten den Bau eines Laufhofs nicht zu oder es steht nicht genügend hofnahe Fläche zur Verfügung, um den laktierenden Kühen Weidegang zu ermöglichen.
2,64 Cent höhere Kosten
Die Berechnungen ergaben, dass im Schnitt 2,64 ct mehr je kg Milch nötig sind, um die zusätzlichen Kosten in der Premiumstufe zu decken. Kosten von 1,7 ct/kg entstehen durch Investitionen in den Stall, die zur Erfüllung der Richtlinien der Einstiegsstufe nötig sind. Zuzüglich einiger variabler Kosten, die sich z.B. durch die Richtlinien bei der Enthornung und Trächtigkeitsuntersuchung vor der Schlachtung in der Einstiegsstufe ergeben, steigen die Kosten je Liter Milch auf 2,28 Cent. Betriebe, die die höheren Vorgaben der Premiumstufe erfüllen könnten (Laufhof und Weidegang), hätten durch die Einhaltung aller in der Tabelle aufgelisteten Richtlinien Mehrkosten in Höhe von 2,64 ct/kg Milch (siehe Übersicht 2).
Wegen der unterschiedlichen Grundvoraussetzungen auf den Höfen, variieren die Kosten zwischen den einzelnen Betrieben deutlich. Für die 25 % der Betriebe mit den geringsten Investitionen zur Umstellung auf Tierwohlmilch, kommen in der Einstiegsstufe Produktionskosten von im Durchschnitt 0,63 ct/kg Milch hinzu. In der Premiumstufe sind es 0,84 ct/kg.
Demgegenüber hätten die 25 % der Betriebe mit den höchsten Investitionen zusätzliche Produktionskosten von 5,33 ct/kg Milch in der Einstiegsstufe und 5,90 ct/kg in der Premiumstufe. Bei Betrachtung der Einflussfaktoren auf die Höhe der Mehrkosten zeigt sich, dass insbesondere Betriebe mit Anbindehaltung und geringerer Milchleistung höhere Zusatzkosten haben. Hierbei ist zu beachten, dass die Stichprobe nach oben verzerrt war und nicht den Bundesdurchschnitt widerspiegelt. Die Kosten wären vermutlich noch höher.
Die Herstellung von Trinkmilch mit höheren Tierwohlstandards verursacht nicht nur für die Landwirte höhere Kosten, sondern auch für die Milchverarbeiter. Denn sie müssen die Milch mit höheren Tierwohlstandards von der Erfassung bis hin zur Zusicherung bestimmter Mengen an den LEH von der konventionellen Milch trennen.
Für die Kostenermittlung befragten die Wissenschaftler vier Molkereien, die hohe Anteile von Weidemilch oder Milch für das Label „Für mehr Tierschutz“ herstellen (siehe Übersicht 3).
Hohe Spannweite
Die Mehrkosten der Molkereien lagen zwischen 5,7 und 18,9 ct/kg. Den größten Einfluss hatte die geringere Absatzmenge und die verminderte Absatzsicherheit. Dadurch steigen vor allem die Kosten für die Transporte in die Lager des LEH sowie die Milchsammel- und Verarbeitungskosten. Ein weiterer großer Kostenpunkt sind die Liefersicherungskosten. Bei kleineren Marktsegmenten, wie Trinkmilch mit höheren Tierwohlanforderungen, sind Absatz- und Rohstoffmengen oft schwierig in Einklang zu bringen. Um Liefersicherheit für den LEH zu gewährleisten, müssen die Rohstoffmengen an der saisonalen Spitzennachfrage ausgerichtet werden. Das hat zur Folge, dass in Zeiten mit weniger Nachfrage und dadurch geringeren Absatzmengen zu viel Rohstoff vorhanden ist. Für die überschüssige Liefermenge, die nicht höherpreisig vermarktet werden kann, erhalten die Lieferanten trotzdem einen Preisaufschlag. Diese Kosten tragen die Molkereien.
Zwei Voraussetzungen
Die Studie konnte die Mehrkosten für Milcherzeuger und -verarbeiter, die durch die Einhaltung eines Tierwohlstandards entstehen, deutlich feststellen. Eine wirtschaftliche Vermarktung von Milch mit höheren Tierwohlstandards erfordert zwei Kriterien: Milchviehbetriebe müssen bereits eine günstige Ausgangssituation haben. Und Molkereien, die in dem Bereich tätig sind, müssen auf die Weiterverarbeitung und Vermarktung des Segments Tierwohlmilch spezialisiert sein.
Diesen Beitrag lesen Sie auch in der aktuellen top agrar-Ausgabe 1/2021 auf Seite R8.
von Norbert Post
Kalkulation
Wenn Tierwohl dann kostet uns Bauern das soviel: 1. 1/3 weniger Leistung kosten: mind 5 Cent pro kg 2. Tierwohl mehr Platz, 8 Monate Weidegang kostet bei 2GV mind. 5 Cent zusätzlich 3 Tierwohlfutter, zusätzliches Einstreu, Tierbestandsbetreuung intensiv mind 1 AK für 62 Milchkühe ... mehr anzeigen kosten mind. nochmal 5 Cent 4. zzgl. Kosten für größeren Stall, höheren Reparaturkosten... mind. 3 Cent 5. jährlicher Ausgleich der Kostensteigerung verschiedener Ursache, Inflation, Dürre, Seuchen... Die Unwahrheit sagenden Molkereien haben bei 100% Tierwohl überhaupt keinen Cent Mehrkosten wie auch. Das ganze kombiniert mit einen klaren Liefervertrag können die von mir ab morgen alles so bekommen. weniger anzeigen
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von Willy Toft
Eines weiß ich ganz genau, die HALBWERTZEIT der "Bemühungen" reichen oft nur 1-3 Jahre!
Wie soll ich das bei Investitionskosten wieder reinbekommen! Der LEH reißt alle 15 Jahre die Gebäude ab, und kann Neue bauen, weil diese abgeschrieben sind, dass schaffen wir hier nie, wenn bei den Preisverhandlungen nicht mehr dabei rüberkommt! Die Gefahr sich mit Investitionen, auf ... mehr anzeigen Dauer höhere Kosten aufzubürden ist groß, und NACHHALTIG! Es muss auf Jahre sicher sein, dass es überhaupt wieder eingespielt wird. Die Ausgangsposition lädt nicht gerade zu solchen Schritten ein, wir bekommen jetzt schon keine Vollkostendeckung. Also erstmal einen ordentlichen Grundpreis, sonst sieht es bald Düster aus in Deutschland, mit der Milchproduktion! weniger anzeigen
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von Norbert Post
Hochschule Kiel
Bei Tierwohl geht es bei der Milchleistung los, je höher die Milchleistung pro Jahr, desto geringer die Lebenserwartung der Kuh. Tierwohl muss auch gleich Bauernwohl sein. Und das für 2,4 Cent pro Kilo. Ich finde es abscheulich zu glauben, man könnte die Zeit für 2,4 Cent pro Kilo ... mehr anzeigen zurückdrehen! Andersherum, was hindert uns eigentlich daran, wenn man für so wenig Geld Tierwohl bekommt, alles umzustellen. Kann der Verbraucher die 2,4 Cent Tierwohl nicht berappen? Wenn alle Milch = Tierwohlmilch ist, dann weiß ich nicht wo die Molkereien 15 Cent Mehrkosten haben, das 7 fache von dem was wir an Mehrkosten haben? Muss man nicht verstehen, versteht man auch nicht, weil es einfach falsch. Lieben Gruss an die noch so schlaue Hochschule. weniger anzeigen
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von Gerd Lefers
Ist das Kundeninteresse unwichtig?
Als Konsument kann ich kein gutes Gewissen beim Verzehr der Milchprodukte von einer 12.000-Liter-Kuh haben. Ich fühle mich mit verantwortlich für nicht dem Tierwohl entsprechende Haltung wie quälende Rieseneuter, 4 Jahre Lebenserwartung usw. Unsere Milch wird 2 x wöchentlich für ... mehr anzeigen 1,40 €/l frei Haus geliefert, sie würde mir noch besser schmecken wenn ich 10 Cent für mehr Tierwohl drauflegen könnte. weniger anzeigen
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von August Albertsen
12000 Liter Kuh
Wer 12000 Liter Kühe hält wir wohl besonders auf Tierwohl achten, sonst erreicht man solche Leistungen überhaupt nicht.....
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von Georg Summerer
Falsche Antwort und Zielsetzung
Die Betriebe haben JETZT schon zuwenig Einkommen. Die Frage und das Ziel muss lauten, wie erzielen die Betriebe einen MEHRGEWINNN zur Ausgangssituation.
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von Rudolf Rößle
Futterumstellungen
betragen oft schon 1- 1,5 Cent. Die Kalkulation möchte ich mal sehen. Zum Teil müssen neue Grundstücke zugekauft werden oder komplett neue Wege gebaut werden. Anbindehaltung bleibt eigentlich nur ein Neubau. Ältere Laufställe müssen neue Liegehallen errichten. Zudem kommen noch ... mehr anzeigen Kosten für neue Güllekanäle und Entmistungsanlagen dazu. 4-10 Cent je nach Bedarf scheint realistisch zu sein. weniger anzeigen
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von Franz-Josef Aussel
Die Wahrheit verschwiegen
Die Untersuchung suggeriert, dass die Milcherzeuger den größten Teil ihrer Mehrkosten durch Zuschläge wieder reinholen. Die Molkereien ziehen aber allen Lieferanten ihre Kosten vom Milchpreis ab. Dazu haben auch die Futterhersteller erhebliche Kosten, die das Futter verteuern. Alles ... mehr anzeigen eingerechnet ergibt sich für alle Landwirte nur ein dickes Minus! weniger anzeigen
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