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Ukraine: Schwierige Bedingungen für Milcherzeuger und -verarbeiter

Arsen Didur ist geschäftsführender Direktor des ukrainischen Milchindustrieverbandes. In einem Interview spricht er über die Folgen des Krieges auf die Milcherzeugung

Lesezeit: 11 Minuten

Welche Folgen der russische Angriffskrieg auf die Milcherzeugung hat und welche Probleme es mit der Energieversorung gibt, erklärt Arsen Didur in einem Interview. Er ist der geschäftsführende Direktor des ukrainischen Milchindustrieverbandes. Er spricht außerdem über den großen Bedarf an Investitionen und über seine Hoffnung auf die Zeit nach dem Krieg.

Herr Didur, Sie sind der Geschäftsführer des Verbandes des ukrainischen Milchindustrieverbandes. Welche Unternehmen vertreten Sie genau?

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Didur: Unser Verband hat 53 Mitgliedsunternehmen. Die meisten von ihnen sind Molkereien, die zusammen 70 % des professionellen Milchmarktes in der Ukraine beliefern. Es gibt einige Firmen, die Molkereimaschinen und -zutaten herstellen. Auch Händler von Milchprodukten gehören zu unserer Vereinigung. Neuerdings sind zudem einige größere Milchviehbetriebe Teil unseres Verbandes geworden.

Der russische Angriff auf die Ukraine liegt nun schon über ein Jahr zurück. Wie sehr sind Sie und Ihr Umfeld vom Krieg betroffen?

Didur: Es gibt in der Ukraine so gut wie niemanden, der nicht vom Krieg betroffen ist. Meine persönliche Situation sieht folgendermaßen aus: Meine Mutter hält sich in der Stadt Melitopol auf, die aktuell von den Russen besetzt ist. Viele meiner Verwandten leben in Saporischschja, das ständig mit Raketen und Drohnen angegriffen wird. Mein Sohn arbeitet im Norden der Ukraine und damit sehr nah an der Grenze zu Weißrussland. Russland nutzt Belarus ja bekanntlich für seine militärischen Operationen. Im Norden der Ukraine gehören regelmäßige Luftangriffe zur Tagesordnung. Das sind nur einige Beispiele, die ständige Anspannung und Stress bedeuten. Für unsere Psyche ist es sehr schwer.

Für unsere Psyche ist es sehr schwer." - Arsen Didur

Russlands Angriffe haben sich im letzten Winter zu großen Teilen auf die Energieinfrastruktur in ihrem Land konzentriert. Die Molkereien brauchen viel Energie für die Milchverarbeitung. Inwieweit hat der Krieg deren Arbeit eingeschränkt?

Didur: Die ersten Angriffe auf unsere Energieinfrastruktur waren ein Schock. Viele Molkereien mussten ihre Arbeitsweise umstellen. Technologische Prozesse mussten an die zeitlich begrenzte Energieversorgung angepasst werden. Die ukrainischen Energieversorger hatten dafür einen speziellen Zeitplan entwickelt. Oftmals war es daher notwendig, dass unsere Mitarbeiter Nachtschichten einlegen mussten.

Viele Molkereien konnten ihre Produktion nur aufrechterhalten, indem sie zusätzlich teure Dieselgeneratoren zur Energieversorgung einsetzten. Viele Unternehmen erhielten diese Generatoren dankenswerterweise von EU-Organisationen und Unternehmen. Viele Maschinen kamen aus Deutschland. Als die russischen Angriffe auf die Energieinfrastruktur besonders aktiv waren, arbeiteten die Energieversorger Tag und Nacht daran, die reguläre Energieversorgung wieder aufnehmen zu können. So haben wir den letzten Winter durchgearbeitet.

Waren oder sind Produktionsstätten von Mitgliedern des Verbandes unter russischer Besatzung?

Didur: Die meisten Molkereien, die dem ukrainischen Milchindustrieverband angehören, befinden sich in den zentralen, westlichen und nördlichen Teilen des Landes. Wenn wir nur von unseren Mitgliedsunternehmen sprechen, gab es lediglich eine Molkerei in der Stadt Kupjansk im Oblast Charkiw, die in den besetzten Gebieten lag. Glücklicherweise wurde dieser Teil des Landes von unseren Streitkräften befreit. Allerdings wird diese Gegend immer noch beschossen.

Wie gehen die Unternehmen mit den Kriegshandlungen und Angriffen der Russen um? Was ist mit dem Personal?

Didur: Einigen unserer Unternehmen ist es gelungen, ihre Anlagen und das Personal an sicherere Orte innerhalb der Ukraine zu verlagern, um so Personal und Ausrüstung zu retten. Einige Molkereien arbeiten nun an den neuen Standorten weiter im Westen der Ukraine. Andere Molkereien, die nicht Mitglied unserer Molkereivereinigung sind und sich in den gegenwärtig besetzten Gebieten befinden, wurden zum Teil gewaltsam auf russische Eigentümer übertragen. Viele von ihnen wurden auch geplündert und zerstört. Diese Molkereien befinden sich in den östlichen und südlichen Teilen der Ukraine, die immer noch unter russischer Besatzung stehen.

Es häufen sich die Berichte ukrainischer Milchbauern, dass sie aufgrund der Kriegsumstände deutlich weniger Milch produzieren. Viele Betriebe sollen aufgrund des Krieges ihre Herden verkleinert oder sogar ganz aufgegeben haben. Bekommen die Molkereien noch genügend Rohmilch zur Verarbeitung?

Didur: Ja - es wird weniger Milch bei unseren Verarbeitern angeliefert. Letztes Jahr wurden in der Ukraine in der Summe noch 7,7 Mio. t Milch produziert. Davon wurden nur 2,7 Mio t von industriellen Milchviehbetrieben erzeugt. Die weitaus größere Restmenge - also etwa 5 Mio. t - wurde in kleinen bäuerlichen Hinterhofbetrieben ermolken. Ein Jahrzehnt zuvor waren die Mengen um bis zu 50 % höher gewesen.

Viele Betriebe wurden vom russischen Militär zerstört, die Kühe erschossen oder verbrannt. Im Jahr 2022 hat die Milchwirtschaft der Ukraine zwischen 13 % und 15 % ihres Milchkuhbestandes verloren. Diese Verluste betreffen in erster Linie die besagten Hinterhofbetriebe. Aber auch industrielle Milchviehbetriebe haben große Teile ihrer Herden verloren. Es wird also weniger Milch produziert. Gleichzeitig haben aber bekanntlich Millionen von Menschen die Ukraine verlassen, so dass der Markt ebenfalls geschrumpft ist. Daher gibt es genug Milch zum Verarbeiten.

Vertreter der ukrainischen Landwirtschaft berichteten zu Beginn des Krieges in Brüssel von einem großen Mangel an Diesel. Kann der Transport von den Milcherzeugern zu den Molkereien sichergestellt werden?

Didur: Wir hatten dieses Problem in den ersten Monaten des Krieges. Aber dann wurden dank gemeinsamer Anstrengungen von Wirtschaft und ukrainischer Regierung Entscheidungen getroffen, die die Lage stabilisierten. Jetzt gibt es genügend Diesel und keine Probleme mit der Milchlieferung an die Molkereien. Allerdings gibt es auch hier immer wieder traurige Ereignisse. Erst vor kurzem wurden im Oblast Sumska im Nordosten der Ukraine der Fahrer und der Verlader eines Milchtransporters durch den Angriff mit russischen Mörsergranaten getötet.

Sie haben darauf hingewiesen, dass es neben den vergleichsweise großen ukrainischen Milchviehbetrieben auch viele Subsistenzbetriebe gibt. Welche Rolle spielen diese Kleinstbetriebe bei der Versorgung der Bevölkerung in den ländlichen Gebieten mit Lebensmitteln?

Didur: In der Ukraine werden 65 % der gesamten Milch von Subsistenzbetrieben beziehungsweise Hinterhofbetrieben produziert, also von Menschen, die einzelne Kühe halten. Nur 10 % dieser Milch wird an Molkereien verkauft. Die in den ländlichen Haushalten erzeugte Milch wird für den Eigenbedarf verwendet und auf den lokalen Märkten als Rohmilch, hausgemachtem Hüttenkäse, Butter, Sahne und dergleichen verkauft.

Jedes Jahr wird die Zahl der Familien, die Kühe als Subsistenzbetrieb halten, aber kleiner. Für viele junge Menschen ist diese Arbeit nicht mehr attraktiv. Dennoch handelt es sich potentiell um eine große Ressource an Rohmilch, die der Milchverarbeitung zugeführt werden könnte. Dies setzt aber voraus, dass die notwendigen Qualitätsstandards für die abgelieferte Rohmilch eingehalten werden. Die bessere Organisation von Familienbetrieben ist eine Aufgabe, mit der die Ukraine vor dem Krieg begonnen hat, und ich denke, wir werden sie auch nach dem Krieg weiterführen.

Die bessere Organisation von Familienbetrieben ist eine Aufgabe, mit der die Ukraine vor dem Krieg begonnen hat, und ich denke, wir werden sie auch nach dem Krieg weiterführen." - Arsen Didur

Zahlreiche Menschen sind aus der Ukraine geflohen. Gleichzeitig kämpfen sehr viele Frauen und Männer in der Ukraine als Soldaten im Krieg, um ihr Land gegen Russland zu verteidigen. Haben die Molkereiunternehmen noch genügend Mitarbeiter, um die Fabriken am Laufen zu halten?

Didur: Es gibt besondere staatliche Garantien für das Schlüsselpersonal in wichtigen Unternehmen. Dazu gehören auch die Molkereien. Das Schlüsselpersonal arbeitet also weiter und wird aktuell noch nicht eingezogen. In Anbetracht der Verarbeitungskapazitäten und der relativ niedrigen Verbrauchernachfrage gibt es gegenwärtig genug Leute, um die Molkereien am Laufen zu halten.

Wie bewerten Sie den Exportmilchmarkt? Hilft die Aussetzung der EU-Zölle auf ukrainische Agrarprodukte?

Didur: Wie ich bereits erwähnt habe, ist der Inlandsmarkt dadurch, dass viele Menschen die Ukraine verlassen haben, jetzt deutlich geschrumpft und es gibt aktuell genug Milch, um die Nachfrage zu decken. Letztes Jahr gab es sogar Milch im Überfluss, und die Ukraine hat viel Butter, Magermilchpulver, Molke und Käse exportieren können. Wir werden hier nicht müde zu wiederholen, dass wir der EU für die Entscheidung zur Abschaffung der Steuern und Zölle auf ukrainische Waren und ihre enormen Anstrengungen zur Erleichterung des ukrainischen Milchhandels mit der EU sehr dankbar sind. Dies war eine sehr bedeutende Unterstützung für unsere Unternehmen.

Sie waren vor wenigen Wochen auf dem Treffen des Europäischen Milchindustrieverbandes in Brüssel. Reicht die Hilfe der EU?

Didur: Wir wissen die Bemühungen der EU-Länder sehr zu schätzen, die der ukrainischen Milchwirtschaft jede Art von Hilfe zukommen lassen. Ich habe bereits auf die zunächst zeitlich auf ein Jahr befristete Liberalisierung des Handels hingewiesen. Ich hoffe sehr, dass diese Maßnahme - wie geplant - verlängert wird. Wie bereits erwähnt, haben wir von vielen Akteuren aus der EU mobile Dieselgeneratoren erhalten, um die Energieversorgung von Milchviehbetrieben und Verarbeitungsbetrieben sicherzustellen. Darüber hinaus wurden seitens der EU viele Anstrengungen unternommen, um Logistik- und Transportfragen zu regeln und damit die Exporte zu vereinfachen.

Wie bewerten Sie das jüngste Vorgehen einiger östlicher EU-Staaten und die zeitweisen Grenzschließungen für ukrainische Agrarprodukte?

Didur: Dies war ein sehr unangenehmer Schritt, den wir vor allem von Polen nicht erwartet hatten. Das wirkt sich natürlich auf unsere Milchexporte aus. Noch unangenehmer ist, dass die Ukraine von Warschau und Budapest zur Lösung politischer Probleme benutzt wird, um Druck auf Brüssel auszuüben. Wir hoffen, dass am Ende alles wieder in Ordnung gebracht wird.

Welche Art von Unterstützung brauchen die Molkereien in der Ukraine aktuell am meisten?

Didur: Was unsere Molkereien dringend brauchen, ist der Zugang zu preiswertem Geld zur Finanzierung von Investitionen. Die vom Staat vorgeschlagenen Darlehenskonditionen sehen aktuell einen Zinssatz von mehr als 20 % vor. Unsere Regierung hat zwar neue Formen der finanziellen Unterstützung für Unternehmen angekündigt. Zu nennen wären die sogenannten „5-7-9“-Darlehen. Das bedeutet, es werden Kredite mit einem Zinssatz von 5 %, 7 % oder 9 % vergeben. Der Rest der anfallenden Zinskosten wird vom Staat übernommen.

Allerdings erfüllen die Molkereien die erklärten Förderbedingungen nicht. Die Finanzmittel, die gegenwärtig zur Verfügung stehen, reichen bestenfalls aus, um die Betriebskosten zu decken. Investitionen in die Modernisierung der Anlagen sind aktuell kaum möglich. Damit unsere Betriebe den modernen Anforderungen weiterhin gerecht werden können, benötigen wir dringend frisches Kapital, idealerweise aus dem Ausland.

Wie sieht es mit der ukrainischen Landwirtschaft insgesamt aus?

Didur: Unsere Landwirte brauchen dringend Hilfe bei der Räumung der Felder, um landwirtschaftliche Arbeiten zu ermöglichen. Gegenwärtig müssen etwa 139.000 km2 von Minen und anderen nicht explodierten Kampfmitteln befreit werden. Es gibt nicht genügend Fachleute, um dies professionell und schnell zu erledigen. Einige Staaten haben bereits ihre Hilfe zugesagt, und wir hoffen, dass sich weitere Länder anschließen werden.

Wie beurteilen Sie die Arbeit der Regierung in Kiew?

Didur: Ich würde die Regierungstätigkeit in zwei Bereiche unterteilen: den Bereich Sicherheit und Verteidigung sowie den Bereich Wirtschaft. Die Sicherheitsfragen werden hervorragend erledigt. Wenn es um wirtschaftliche Fragen geht, sieht es manchmal so aus, als wolle die Regierung nicht verstehen, was die Wirtschaft wirklich benötigt. Allerdings muss ich fairerweise zugeben, dass unsere Regierung vor einem Jahr, in den ersten Kriegsmonaten, sehr effektiv war und auf die zahlreichen Herausforderungen schnell reagiert hat.

Blicken Sie trotz der Umstände hoffnungsvoll in die Zukunft?

Didur: Trotz der regelmäßigen Raketenangriffe, der alltäglichen Gefahren und der wirtschaftlichen Schäden glaube ich, dass die Landwirtschaft und unsere Milchwirtschaft überleben werden. Nach einem hoffentlich baldigen Ende des Krieges werden wir in einigen Jahren wieder das Produktionsniveau von etwa 2009 erreichen können. Damals hatte die Ukraine etwa 12 Mio. t Milch produziert.

Mit ihren fruchtbaren Böden hat die Ukraine ideale Voraussetzungen für eine erfolgreiche Erzeugung von Lebensmitteln. Wo sehen Sie für den ukrainischen Agrarsektor das größte Potential?

Didur: Ich denke, dass sich die ukrainische Landwirtschaft sehr schnell zum Nutzen der gesamten Wirtschaft entwickeln wird. Wir sollten uns aber darauf konzentrieren, dass die Agrarflächen nicht nur für den Anbau von Feldfrüchten und den Export von Getreide genutzt werden. Vielmehr sollten wir die pflanzlichen Erzeugnisse zum Nutzen der eigenen Landwirtschaft selbst weiterveredeln.

So kann gerade die Milchwirtschaft einen Mehrwert generieren. Dafür muss dem Sektor aber auch mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die Milchverarbeitung wird ein attraktiver Sektor werden. Es gibt viele Gründe, hier zu investieren und die ukrainische Milchwirtschaft auszubauen.

Die Milchverarbeitung wird ein attraktiver Sektor werden. Es gibt viele Gründe, hier zu investieren und die ukrainische Milchwirtschaft auszubauen." - Arsen Didur

Ihr Heimatland hat seit etwa einem Jahr den Status als EU-Beitrittskandidat. Welche Hoffnungen verbinden Sie damit?

Didur: Es wird kein einfacher Weg. Die EU-Mitgliedschaft wird die ukrainische Milchwirtschaft aber näher an moderne Technologien heranführen. Ich bin zudem fest davon überzeugt, dass es uns neue Möglichkeiten eröffnen wird. Die Zusammenarbeit zwischen ukrainischen und europäischen Milchunternehmen würde durch einen Beitritt zur EU einen gegenseitigen Nutzen entfalten.

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