Dieser Beitrag ist zuerst erschienen im "Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben".
"Unsere Kühe gehören auf die Weide“, ist für Betriebsleiterin Silke Sümpelmann klar. Gemeinsam mit ihrer Familie hält sie 60 Milchkühe plus Nachzucht in Schermbeck im Kreis Wesel. Ihre Kühe haben jederzeit Zugang zur Weide und zum Laufhof. Denn sie produzieren Milch nach den Richtlinien des Labels „Für mehr Tierschutz“ des Deutschen Tierschutzbundes. Die Premiumstufe ist in der Haltungsform 4 des Handels etabliert.
„Ich bin überzeugt von dem Label, es ist wie auf uns zugeschnitten“, erklärt Jonna Sümpelmann, Silkes Tochter. Die 26-Jährige ist auf den Milchpackungen bei Aldi Süd zu finden. Neben mehr Platz und etlicher weiterer Tierwohlkriterien ist auch der tägliche Weidegang für die Kühe vorgeschrieben. Doch nun sorgt sich die kuhbegeisterte Familie vor dem Wolf und fragt sich, wie Weidetierhaltung mit den Raubtieren in unmittelbarer Nähe vereinbar ist.
Zwei Schafe gerissen
Warum die Sorge? Weil am 7. August ein Schafbock von der Weide am Haus verschwand und ein junger Bock verletzt wurde. „Wir sollten Birnen pflücken gehen und sind in der Streuobstwiese dann fast über einen Pansen und Hoden gestolpert“, erzählt Malin Sümpelmann, Silkes jüngere Tochter. Nun hat sie noch zwölf Quesanschafe. Von dem Bock, zu dem vermutlich die Innereien gehörten, war zwar keine Spur mehr zu sehen, allerdings entdeckte sie einen weiteren kleinen Bock mit Verletzungen. „Er hatte Bisswunden am Hals und am Hinterbein Kratzer.“
Zweiter Vorfall auf dem Hof
Die Familie fand umgeknickte Maispflanzen im Feld direkt am Zaun. „Wir vermuten, dass es ein Wolf war, der hier über den Zaun gesprungen ist. Dabei könnte er die Maispflanzen umgeknickt haben.“ Bisher ist allerdings nicht nachgewiesen, dass die Risse von einem Wolf stammen. Die Proben sind noch im Labor. Der Fall wurde von einem Wolfsberater des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV) dokumentiert. Nach Angaben des LANUVs vergehen in der Regel vier bis fünf Wochen von der Probennahme bis zum Erhalt der Ergebnisse der Genuntersuchungen.
Bereits im April gab es auf Sümpelmanns Horstkamps Hof den ersten mutmaßlichen Wolfsübergriff. Es fehlten plötzlich zwei Lämmer. „Damals waren große Pfotenabdrücke im Acker zu erkennen, diese wurden von den Wolfsberatern genaustens ausgemessen. Aber wir haben auch hier bisher keine Ergebnisse“, berichtet Malin Sümpelmann. Auf Wochenblatt-Nachfrage erklärt das LANUV: „Nicht jede Probe klappt bei der Auswertung direkt im ersten Versuch. Im vorliegenden Fall waren die ersten Proben für das Labor Senckenberg Gelnhausen nicht auswertbar und es wurden vom LANUV Rückstellproben in Auftrag gegeben. Die Auswertung läuft also derzeit noch.“ Aktuell seien zwei Wölfe, also ein Paar, im Kreis Wesel sesshaft. Die Nutztierrisse in Schermbeck häufen sich seit Mitte Juli. „Ich hatte dieses Jahr fünf Lämmer, jetzt habe ich noch ein gesundes und ein verletztes“, zieht Malin Sümpelmann traurig Bilanz.
Wolfssicherer Zaun
Eines ist bei dem aktuellen Riss allerdings entscheidend anders als im April. Seit der ersten Juliwoche sind die Schafe hinter einem wolfssicheren Zaun. „Der Zaun ist vom Land NRW gefördert und auch abgenommen worden“, erklärt Silke Sümpelmann. Dafür nahm die Familie die Herdenschutzberatung der Landwirtschaftskammer NRW in Anspruch.
Der Festzaun mit Knotengeflecht ist 1,40 m hoch, oben drüber führt eine Stromlitze, unten drunter ein Untergrabeschutz.
Auch das Wolfsmonitoring des LANUVs bestätigte, dass der Zaun dem nach der Förderrichtlinie Wolf vorgegebenen Grundschutz entspricht. „Kratzspuren im angrenzenden Maisacker und umgeknickte Maispflanzen deuten darauf hin, dass der Zaun von dort überwunden wurde“, dokumentierte der Wolfsberater unter anderem zu dem Fall.
Hätten Sümpelmanns einen noch höheren Zaun bauen wollen, wäre eine Baugenehmigung nötig gewesen, so die Milchviehhalterin.
„Man muss sich das mal überlegen. Unsere Schafe sind keine 1000 € wert. Sie sind unser Hobby. Der Zaunbau hat uns 30.000 € gekostet, 10.000 € davon wurden gefördert“, schüttelt Markus Sümpelmann, Silkes Mann, den Kopf. Der Zaun ist etwa 450 m lang. Die Streuobstwiese liegt direkt am Wohnhaus. Hinten grenzt das Maisfeld an. Dort hat die Familie jetzt zwei Kameras aufgehängt. „Dann können wir einen Wolfsangriff wenigstens beweisen“, so Silke Sümpelmann.
Angewiesen auf die Milch
Abgesehen davon, dass der Zaunbau und der Weg bis zur Genehmigung in ihren Augen „kompliziert, nervenaufreibend und ein Verwaltungsakt“ gewesen ist, bereitet Silke Sümpelmann die Sicherheit ihrer Kühe große Sorgen. „Mit den Schafen ist tragisch, aber von der Milch leben wir“, betont sie.
Für die Tierschutz-Weidemilch bekommen Sümpelmanns von der Molkerei Moers Frische einen Zuschlag von 4 Cent/kg Milch. „Diesen brauchen wir auch als kleiner Familienbetrieb. Außerdem fordern doch alle, dass die Tiere rauskommen. Aber wie soll das unter diesen Umständen gehen?“
Die Kühe stehen hinter Zäunen mit ein oder zwei Litzen. Der Hof liegt am Rand des Naturschutzgebietes Dämmerwald. „Wenn wir die Kühe auch vermeintlich wolfssicher einzäunen, dann halten wir das andere Wild auch von den Weiden“, schätzt Sümpelmann.
Bekennen zur Weidehaltung
Auch Dorothee Lindenkamp, 1. Vorsitzende der Milcherzeugergemeinschaft (MeG) Moers und selbst Milcherzeugerin mit Weidehaltung in Hünxe, stimmt ihr zu: „Wir wollen doch die Kulturlandschaft pflegen und erhalten. Das geht nur mit Kühen auf der Weide.“ Auf ihrem Betrieb hält sie nur noch die Milchkühe und Trockensteher draußen, die Jungrinder nicht mehr. „Sie standen auf Weiden weiter weg von der Hofstelle. Das war mir zu gefährlich. Brechen die Tiere aus und verursachen Unfälle, kann ich das mit meinem Gewissen nicht vereinbaren.“ Allerdings fällt ihr auf, dass sich das Grünland ohne Rinder verändert hat. „Es sind weniger verschiedene Gräser und Kräuter zu finden und auch weniger Wildtiere.“
Sie wünscht sich genau wie Familie Sümpelmann ein klares Bekenntnis zur Weidetierhaltung – und zwar von der Politik, aber auch von der Molkerei und dem Lebensmitteleinzelhandel. „Wenn doch alle Weidemilch wollen, dann muss auch jemand den Mumm haben, etwas gegen den Wolf zu sagen“, betont Lindenkamp. Aldi Süd sagte auf Wochenblatt-Nachfrage, dass sie keine Informationen zum Thema Weidemilch und Wolf hätten. Die Molkerei Moers bzw. Gropper möchte sich auf Anfrage nicht zum Thema äußern.
Färsen für Direktvermarktung
Auch die 26-jährige Jonna wünscht sich ein klares Bekenntnis zur Weidehaltung. In ihrer Abschlussarbeit an der Fachschule hat sie in einem Projekt die Direktvermarktung von Färsenfleisch geprüft. Nachdem sich das Projekt als machbar erwies, hat sie es auf dem Betrieb umgesetzt. „Wir halten jetzt etwa 45 Mastfärsen, rund 20 Tiere vermarkten wir pro Jahr in Fleischpaketen“, erklärt sie. Das klappe super, mache viel Spaß und werde gut von den Kunden angenommen. „Kein Kalb verlässt in den ersten Lebenswochen den Hof“, sagt die Milchviehhalterin stolz. Entweder bleiben die weiblichen Tiere für die Nachzucht, werden später als Zuchtfärsen verkauft oder gehen in die Mast. Die Bullenkälber verkauft die Familie als Deckbullen oder mästet sie selbst
Allerdings stehen die Mastfärsen auf einer Weide, direkt an der Bundesstraße. „Ich hoffe, dass da nichts passiert“, sagt Jonna Sümpelmann.
Im nächsten Jahr will sie eine GbR mit ihrer Mutter gründen. „Aber ich möchte mich nicht immer vor dem Wolf fürchten müssen“, sagt sie und will die Hoffnung auf eine politische Regulierung der Wolfspopulation noch nicht aufgeben.
„Im Einzelfall sind Entnahmen möglich“
Familie Sümpelmann produziert Milch nach Vorgaben des Labels „Für mehr Tierschutz“ vom Deutschen Tierschutzbund. Der Verein fordert fachgerechte Herdenschutzmaßnahmen, um die Nutztiere vor Übergriffen zu schützen. Allerdings sieht er hier nicht nur die Tierhalter in der Verantwortung, sondern auch die Politik, die Anreize schaffen und Unterstützung für einen besseren Herdenschutz geben müsse. Weiter äußert sich der Tierschutzbund so: „Die Weidetierhaltung ist auch in Gebieten mit Wolfspräsenz grundsätzlich möglich. Wenn es nachweislich – trotz fachgerecht ausgeführter Herdenschutzmaßnahmen – mehrfach zu Rissen an geschützten Weidetieren kommt, sind im Einzelfall aber auch Entnahmen von Wölfen möglich und werden seitens der großen Tier- und Naturschutzorganisationen, inklusive dem Deutschen Tierschutzbund, auch toleriert. Eine reguläre Bejagung oder Obergrenze für Wölfe, wie vielfach gefordert, hilft dagegen nicht, Risse an Weidetieren zu verhindern.“