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„Behörden sollten ihre Spielräume nutzen!“

Lesezeit: 6 Minuten

Etliche Veterinärämter verlangen seit dem Magdeburger Urteil den sofortigen Umbau der Kastenstände im Deckzentrum. Das muss nicht sein, denn die Behörden haben einen Ermessensspielraum, hält Fachanwalt Jörg Ellermann dagegen.


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Herr Ellermann, das OVG Magdeburg hat die derzeit praktizierte Haltung der Sauen im Deckzentrum verboten. Sie betreuen mehrere große Ferkelerzeuger, die ihre Stände auf Anordnung der Behörden bereits verbreitern mussten. Welche Probleme sehen Sie jetzt?


Ellermann: Das Urteil bereitet allen Betrieben große Schwierigkeiten. Problem Nr. 1 ist, dass die Landkreise unterschiedlich streng vorgehen. Während einige Kreise die Zwangslage der Betriebe erkennen und zumindest Fristen zur Anpassung der Kastenstände von mehreren Monaten gewähren, bestehen andere Veterinär-ämter auf den sofortigen Umbau. Das bereitet einem Teil der Betriebe erhebliche finanzielle Schwierigkeiten.


Und Problem Nummer zwei?


Ellermann: Problem Nr. 2 ist, dass breitere Kastenstände neue Gefahren mit sich bringen. Alle Betriebsleiter und selbst etliche Kreisveterinäre sind sich darin einig, dass eine Verbreiterung der Stände entsprechend dem Stockmaß der Sauen die Tiergesundheit gefährdet.


Ein von mir vertretener Sauenhalter hat bereits mehrere Hundert Stände verbreitert und teilweise sehr negative Erfahrungen gemacht. Trotz zusätz-licher Streben im oberen Bereich der Stände drehen sich die Sauen um, was die Gefahr schwerer Verletzungen der Tiere, der betreuenden Mitarbeiter und der Veterinäre hervorruft. Das widerspricht dem §2 Tierschutzgesetz, der besagt, dass Tiere nicht leiden dürfen.


Gibt es andere technische Lösungen?


Ellermann: Eine wirklich tragfähige technische Lösung, die z.B. das Umdrehen der Sauen in breiten Kastenständen verhindert, ist derzeit nicht in Sicht, wie meinen Mandanten von Stallbauexperten versichert wurde. Betroffenen Landwirten bleibt nur die Möglichkeit, alle Kastenstände abzubauen, auseinander zu schieben oder zwischen den Ständen Platz zu schaffen, in den die Sauen ihre Gliedmaßen ausstrecken können.


Das ist aber teuer, oder?


Ellermann: Ja, natürlich. Denn je nach Kastenstand-Fabrikat müssen die hinteren Besamungstüren komplett erneuert werden, wenn die Stände breiter gemacht werden. Doch das sind noch die geringsten Kosten. Das viel größere Problem ist der zusätzliche Platzbedarf von rund 50%, wenn z.B. jeder zweite Kastenstand leer bleiben muss. Hier stellt sich die Frage, wo die Sauen untergebracht werden sollen, wenn künftig nur noch die Hälfte der Tiere im Deckzentrum stehen kann. Ohne weitere Baumaßnahmen bedeutet dies eine Abstockung des Bestandes um 50%.


Das würde für viele Betriebe finanziell das Aus bedeuten. Vor diesem Hintergrund wünschen sich die Betriebsleiter natürlich eine faire und von Kompromissbereitschaft geprägte Kooperation mit den Behörden. Leider ist dies derzeit nicht bei allen Veterinärbehörden erkennbar.


Haben Ferkelerzeuger, die ihr Deckzentrum jetzt zähneknirschend umbauen, künftig Ruhe?


Ellermann: Nein. Denn nach derzeitigem Kenntnisstand wird die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung entweder vor, oder direkt nach der Bundestagswahl im September geändert. Favorisiert wird meines Wissens nach die Fixierung im Kastenstand für maximal zehn Tage. Danach müssen die Sauen frei laufen. Das entspräche dem niederländischen Vorgehen.


Sollten wir in Deutschland künftig eine entsprechende neue Regelung bekommen, müssten die Ställe erneut teuer umgebaut werden. Denn bei Umsetzung des OVG-Urteils aus Magdeburg dürfen die Sauen derzeit weiterhin maximal 38 Tage pro Zyklus (10 Tage vor und 28 Tage nach der Besamung) im Kastenstand stehen. Bei einer Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung wären es maximal noch zehn Tage.


Würden Ihre Mandanten das nieder-ländische Modell mittragen?


Ellermann: Auf jeden Fall. Viele Landwirte sind sogar dazu bereit, sofort umzubauen, wenn sie wissen, dass das niederländische Modell in Zukunft gilt. Hinzu kommt, dass das Konzept die Zeit, in denen die Sauen in den Kastenständen stehen, jährlich um bis zu 75% verkürzt. Damit würde man für den Tierschutz viel mehr tun als bei dem jetzt von den Veterinärbehörden forcierten Umbau mit mehrwöchiger Fixierung im Kastenstand. Umso mehr verwundert es mich, dass einige Behörden nach wie vor nicht bereit sind, dem zuzustimmen.


Kann man sich als Landwirt aufgrund der ungeklärten Rechtslage gegen seine sofortige Umbauanordnung der Behörden wehren?


Ellermann: Mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig ist die Rechtslage endgültig geklärt. Man kann zwar Widerspruch einlegen und eine sogenannte Anfechtungsklage gegen behördliche Anordnungen erheben bzw. Anträge auf einstweilige Außervollzugsetzung bei den Verwaltungsgerichten stellen, jedoch haben diese meist wenig Aussicht auf Erfolg.


Also ist die Lage für Landwirte, bei denen sich die Behörden kompromisslos zeigen, hoffnungslos?


Ellermann: Nein, die Landwirte sollten weiter das Gespräch suchen. Denn aus meiner Sicht haben die Veterinärbehörden bei ihrer Entscheidungsfindung durchaus einen Ermessensspielraum. Sie könnten schon jetzt einer Haltungsform ähnlich dem niederländischen Modell zustimmen, weil dieses einer artgerechten Haltung mehr entspricht als die heutige Rechtslage. Sie müssen es nur wollen.


Insoweit kann man nur dafür werben, dass die zuständigen Behörden mit Augenmaß vorgehen und ihre Handlungsspielräume ausnutzen. Das liegt nicht nur im Interesse der Sauenhalter, sondern dient in allererster Linie dem Schutz der gehaltenen Tiere.


Können Ferkelerzeuger die Behörde später auf Schadenersatz für jetzt erbrachte Umbaumaßnahmen verklagen, wenn die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung geändert wird?


Ellermann: Für jetzt durchgeführte Umbauten besteht kein Anspruch auf Schadenersatz. Denn die kompromisslose Forderung nach einem sofortigen Umbau ist ebenfalls durch den Ermessensspielraum der Behörden gedeckt.


Die Tatsache, dass jetzt viel Geld in teure Umbaumaßnahmen fließt, wird der Gesetzgeber aber durch die Festsetzung von großzügigen Übergangsfristen zu berücksichtigen haben. Dies führt letztlich zu einer paradoxen Situation. Denn die kompromisslose Haltung einiger Veterinärbehörden hat zur Folge, dass viele Betriebe jetzt umbauen müssen und dann die Übergangsfristen ausreizen, um die jetzigen Investitionen abzuschreiben. Den Tieren ist damit am allerwenigsten geholfen.


Die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung gilt in ihrer jetzigen Fassung schon seit 20 Jahren. Warum haben die Behörden die Kastenstandhaltung eigentlich nicht von Anfang an moniert?


Ellermann: Das ist eine berechtigte Frage. Die Veterinärämter müssen sich heute fragen lassen, ob und warum sie in den letzten zwei Jahrzehnten nicht gehandelt haben und ob sie unter Umständen ihre Aufsichtspflicht verletzt haben. Die ehrliche Antwort auf diese Frage ist, dass sie die gesetzlichen Vor-gaben genauso verstanden haben, wie die Schweinehalter!


Auch sind die Veterinärämter bei Stallneubauten im Rahmen von Genehmigungsverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz angehört worden. Die in den Anträgen beschriebene Breite und Ausgestaltung der Kastenstände wurde auch hier nicht moniert. Aus diesen Sachverhalten könnten durchaus Amtshaftungsansprüche folgen. Wir werden dies im Auftrag verschiedener Mandanten demnächst im Einzelnen prüfen.


Was muss jetzt passieren?


Ellermann: Alle Beteiligten müssen im Gespräch bleiben. Und wir sollten die Politik dazu aufrufen, schnellstmöglich die Novellierung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung in Angriff zu nehmen. Wichtig ist dabei, dass auch die europäische Rechtslage im Blick behalten wird.


Bis zum Inkrafttreten der Neuregelung sollten die Behörden im Interesse der Tiere und der Ferkelerzeuger nach vertretbaren Kompromisslösungen suchen.Das Interview führte top agrar-Redakteur Marcus Arden

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