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Das Kastrationsverbot vernichtet Existenzen

Lesezeit: 6 Minuten

Wie wirkt sich das Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration auf die süddeutsche Schweineproduktion aus? Das Bayerische Landwirtschaftsministerium hat dazu ein Gutachten erstellen lassen. Die Ergebnisse sind erschreckend.


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Europas Musterschüler Deutschland prescht wieder einmal vor: Als eines der ersten EU-Länder mit einer namhaften Schweineerzeugung hat die Bundesrepublik eine gesetzliche Regelung zur Kastration männlicher Ferkel eingeführt. Danach ist es ab dem 1. Januar 2019 verboten, männliche Ferkel ohne Betäubung zu kastrieren. So steht es im deutschen Tierschutzgesetz. Das hat jedoch Konsequenzen. Denn dieser nationale Alleingang verteuert die Ferkelproduktion und mindert dadurch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Ferkelerzeuger – besonders die der süddeutschen Sauenhalter.


Strukturnachteile im Süden:

Denn im bundesweiten Vergleich weisen die Sauen- und Mastschweinebestände in Bayern und Baden-Württemberg erhebliche Strukturnachteile auf. Und diese Nachteile werden sich mit zunehmender Konzentration der Zuchtsauenhaltung noch weiter verschärfen. Die süddeutschen Sauenbestände sind wesentlich kleiner als die im Nordwesten Deutschlands. Dadurch können diese Betriebe nur kleinere Ferkelpartien anbieten, die für viele Vermarkter und Mastbetriebe unattraktiv sind.


Deutliche Strukturunterschiede gibt es aber auch auf Abnehmerseite. Dem Schweinefleischabsatz über Metzger kommt in Bayern und Baden-Württemberg noch immer große Bedeutung zu. 43% aller bundesdeutschen Metzger sind in Bayern und Baden-Württemberg ansässig (s. Übersicht 1). Und Metzger stellen nun mal andere Anforderungen an die Rohware Fleisch als große Schlachtunternehmen.


Um die Auswirkungen des Verbots der betäubungslosen Ferkelkastration besser abschätzen zu können, wurde im Auftrag des Bayerischen Landwirtschaftsministeriums in Bayern und Baden-Württemberg eine Umfrage unter Ferkelvermarktern und Schlachtbetrieben durchgeführt. Die Ergebnisse wurden gemeinsam von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL), der Landesanstalt für Schweinezucht in Boxberg sowie der Landesanstalt für Entwicklung der Landwirtschaft und der ländlichen Räume in Schwäbisch Gmünd ausgewertet.


Höchstens 20% Ebermast:

Alles in allem werden nach Schätzung der Experten mittelfristig maximal 20% der süddeutschen Schlachtschweine als Jungeber gemästet – inklusive der mit Improvac behandelten Tiere. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass bis zu 80% aller männlichen Schweine weiterhin kastriert werden müssen – allerdings dann mit Betäubung.


Die Vor- und Nachteile der beiden Verfahren, die dazu derzeit zur Verfügung stehen, sind im Kasten auf Seite S8 näher beschrieben. Der größte Knackpunkt ist bei beiden Narkoseverfahren der Tierärztevorbehalt: Die Narkose darf nur im Beisein eines Tierarztes durchgeführt werden, was die Kosten nach oben treibt. Sauenhalter mit kleineren Beständen wären besonders stark betroffen, wie Übersicht 2 verdeutlicht. Hier schlagen die Kosten durch die Anwesenheitspflicht eines Tierarztes besonders stark zu Buche.


Praktikabel wäre die Isoflurannarkose daher nur, wenn die Schweinehalter entweder wie in der Schweiz einen Sachkundenachweis erwerben und die Narkose selbst durchführen dürfen. Oder wenn der Tierarzt durch eine speziell geschulte Narkose-Fachkraft bei der Kastration vertreten werden darf, denn deren Stundenlohn wäre deutlich niedriger.


In jedem Fall verursacht die Kastration mit Betäubung zusätzliche Kosten, die von den ohnehin finanziell gebeutelten Ferkelerzeugern getragen werden müssen. Im Gutachten ist die Rede von etwa 13 Mio. € jährlich.


Die Weitergabe dieser zusätzlichen Kosten an die Mäster – zumindest teilweise – wird vermutlich am Wettbewerb scheitern. Denn es drängen immer mehr preiswerte Ferkel aus Dänemark und den Niederlanden auf den deutschen Markt. Deshalb werden viele kleine und mittlere Ferkelerzeuger mit bis zu 250 Zuchtsauen über kurz oder lang aus der Produktion aussteigen.


Es ist daher enorm wichtig, dass für Importferkel aus Dänemark und Holland die gleichen Kastrations-Auflagen gelten wie für Ferkel deutscher Herkunft. Das QS-System könnte hier als Flaschenhals dienen. Denn inzwischen werden 90% aller Mastschweine nach QS-Standard erzeugt. QS sollte nach Meinung der Gutachter künftig nur solche Importferkel zulassen, die zum Kastrieren entweder mit Isofluran oder mit der Kombination aus Ketamin und Stresnil betäubt wurden.


Doch selbst bei dieser Form der „Waffengleichheit“ würden sich laut Gutachten für 15% der bayerischen und 11% der Mastschweine aus Baden-Württemberg günstigere Ferkel-Bezugsquellen im Ausland finden. Die Folge: In Baden-Württemberg und Bayern würden vermutlich im gleichen Ausmaß Ferkel-erzeuger aus der Produktion aussteigen, weil sie ihre teurer produzierten Ferkel nicht mehr loswerden.


Enormer Strukturbruch droht:

Ganz heftig würde der Strukturwandel laut Gutachten jedoch ausfallen, wenn die importierten Ferkel aus den Niederlanden und aus Dänemark weiterhin unbetäubt kastriert werden dürften. Dann, so die Experten, würde der deutsche Ferkelmarkt noch stärker mit preiswerteren, herkömmlich kastrierten Tieren aus dem Ausland überschwemmt. Die Folge: Bis zu 26% der baden-württembergischen und bis zu 35% der bayerischen Sauenhalter würden vermutlich früher oder später die Ferkelproduktion an den Nagel hängen.


Um die besonders starke Belastung der süddeutschen Schweinefleischerzeuger durch das Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration abzumildern, schlagen die Autoren des Gutachtens daher ein ganzes Bündel von Maßnahmen vor. Dazu gehören unter anderem:


  • Der weitere Ausbau regionaler Erzeugerprogramme wie das „Geprüfte Qualität Bayern“ (GQ-Bayern) oder dss „Qualitätszeichen Baden-Württemberg“ (QZ-BW). Gleichzeitig sollten die Teilnehmer dazu verpflichtet werden, für das Programm ausschließlich süddeutsche Ferkel einzustallen.
  • Die Erlaubnis, dass Landwirte die Inhalations- bzw. die Injektionsnarkose nach Ablegen eines entsprechenden Sachkundenachweises selbst durchführen dürfen. §6 Abs. 6 des Tierschutzgesetzes bietet nach Auffassung der Gutachter dafür die erforderliche Ermächtigungsgrundlage.


Alternativ bestünde die Möglichkeit, spezielle Fachkräfte für Narkoseanwendung auszubilden, die in Vertretung für den Tierarzt während der Kastration anwesend sind. Für diese Narkose-Fachkräfte würden vermutlich geringere Lohnkosten anfallen.


  • Der Staat könnte die Anschaffung der teuren Isoflurangeräte durch entsprechende Fördermaßnahmen unterstützen. Denkbar wäre auch, dass die Landwirte nur das Basis-Narkosegerät anschaffen und die teuren Verdampfer vom Tierarzt bzw. von der Fachkraft für Narkoseanwendung überbetrieblich eingesetzt werden.
  • Anbieter aus dem Ausland, die Ferkel, Mastschweine oder Schweinefleisch in das QS-System liefern wollen, müssten sich bei der Kastration der Ferkel den gleichen Auflagen unterwerfen wie deutsche Ferkelerzeuger. Die CO2-Narkose, die in den Niederlanden angewendet wird, darf für die Importferkel nach Deutschland nicht erlaubt sein. Denn die CO2-Narkose ruft bei den Ferkeln Erstickungsängste hervor und ist deshalb bei uns nicht zugelassen. Für Ferkelimporteure aus den Niederlanden wäre das Verfahren jedoch attraktiv, da es billiger ist als die Isofluran-Narkose und sich die Anwendung praktisch nicht kontrollieren lässt.
  • Eine Aufspaltung des Ferkelmarktes nach Geschlecht (weibliche Tiere, Kastrate, Eberferkel) muss unbedingt vermieden werden. Denn das kann wie beim Geflügel dazu führen, dass ein Teil der Ferkel keine Abnehmer mehr findet und dadurch wertlos wird.
  • Marktbeteiligte und Politiker sollten alles daran setzen, bis zum 01.01.2019 ein rechtskonformes, praktikables und zugleich kostengünstiges erfahren zur Ferkelkas-tration auf den Weg zu bringen, notfalls auch als rein süddeutsche Lösung.


Henning Lehnert

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