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Der neue Kurs der ISN

Lesezeit: 10 Minuten

Die ISN will sich künftig stärker in die Tierschutzdebatte einbringen und nicht nur für höhere Schweinepreise kämpfen. top agrar sprach mit dem Vorsitzenden Heinrich Dierkes und Geschäftsführer Dr. Torsten Staack.


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top agrar: Dr. Staack, Sie sind seit Oktober im Amt. Was waren Ihre ersten Aufgaben?


Staack: In den ersten Monaten ging es vor allem darum, die inhaltlichen Schwerpunkte der ISN-Arbeit neu zu justieren. Dazu habe ich mich mit allen Vorstands- und Beiratsmit-gliedern getroffen, um deren Sichtweisen kennenzulernen. Im Anschluss haben wir dann in einer zweitägigen Klausur-tagung gemeinsam den neuen Kurs der ISN beschlossen.


top agrar: Wie sieht dieser neue Kurs aus? Was ändert sich?


Staack: Die ISN, die ausschließlich nach höheren Preisen gerufen hat, wird es in Zukunft nicht mehr geben! Denn reine Preisdiskussionen können wir uns bei einem Selbstversorgungsgrad von über 110 % nicht mehr leisten. Wir müssen bei allen künf-tigen Preisverhandlungen verstärkt darauf achten, dass die Absatzsicherheit gewährleistet ist.


top agrar: Kapituliert die ISN vor der roten Seite?


Staack: Nein, die ISN wird auch weiterhin mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln für einen gerechten Schweinepreis kämpfen. Aber wir müssen der Realität ins Auge sehen. Mit reinem Populismus kommen wir nicht weiter. In den letzten 20 Jahren haben sich die Märkte grundlegend verändert. Der Schweinefleischkonsum im Inland stagniert, die Erwartungen des Verbrauchers an die Produktqualität steigen. Und angesichts des hohen Selbstversorgungsgrades müssen wir heute viel stärker darauf achten, dass wir Exportmärkte offen halten und uns Marktzugänge in anderen Ländern sichern. Denn nur wenn der Markt funktioniert, können wir überhaupt Schweinepreise aushandeln. Vor diesem Hintergrund rückt die Sicherung des Schweinefleischabsatzes auch für die ISN viel stärker als früher in den Mittelpunkt ihrer Arbeit.


top agrar: Wollen Sie die Fronten wechseln und für die rote Seite neue Absatzmärkte erschließen?


Staack: Nein, das ist und bleibt Aufgabe der Schlacht- und Verarbeitungsindustrie! Aber wir müssen einfach erkennen, dass die Musik künftig immer mehr auf den Exportmärkten spielt. Unser Ziel besteht deshalb darin, uns verstärkt auf diesen Märkten umzusehen und uns ein eigenes Bild von der Situation zu machen. Wenn wir bei der Preisgestaltung weiterhin mitreden wollen, brauchen wir viel mehr eigene Informationen darüber, was sich auf den wichtigen Exportmärkten in Osteuropa und Asien tut. Wir werden deshalb ein eigenes Informationsnetzwerk aufbauen, um die Transparenz am Schweinefleischmarkt zu erhöhen.


Dierkes: Wie wichtig das ist, haben die letzten Wochen gezeigt. Es ist schon merkwürdig, dass Schreckensmeldungen rechtzeitig zum Wochenende publik werden. Böse Zungen könnten behaupten, dass derartige Negativschlagzeilen bewusst zum Zeitpunkt der Notierungsfindung gestreut wurden.


top agrar: Die politische Lobbyarbeit hat die ISN in den letzten Jahren ausgezeichnet. Bleibt es dabei?


Staack: Ja, natürlich. Aber wir werden das politische Engagement an der ein oder anderen Stelle ein wenig zurückfahren. Denn wichtige Entscheidungen für die Schweinehalter werden nicht nur in der Politik getroffen. Wir müssen stattdessen viel mehr darauf achten, wer in der öffentlichen Diskussion welche Streitthemen vorantreibt und uns das Leben schwer macht.


Wir müssen künftig viel stärker im Vorfeld der Politik ansetzen. Das heißt, wir müssen häufiger mit dem Lebensmitteleinzelhandel und den NGO‘s, den Nicht-Regierungs-Organisationen wie dem Tierschutzbund, reden. An dieser Stelle gilt es, Aufklärungsarbeit zu leisten. Wichtig ist, zwei Dinge unter einen Hut zu bringen: Schweinehalter müssen konkurrenzfähige Produkte auf den Weltmärkten anbieten und gleichzeitig unter steigenden und kostenintensiven Auflagen produzieren können.


Hier werden wir die Rolle des Übersetzers einnehmen. Wir zeigen zum Beispiel, was ein Kastrationsverbot den Landwirt kosten würde. Mit den Ergebnissen kann die ISN die Auswirkungen verständlich an Politik, Verbraucher u. a. weitervermitteln. Gerade beim Thema Tierschutz müssen wir uns besser aufstellen. Denn wenn wir nicht aufpassen, werden wir hier rechts und links überholt.


top agrar: Glauben Sie wirklich, dass Sie den Tierschutzbund oder Peta-Aktivisten überzeugen können?


Staack: Nein, es geht vielmehr darum, Aldi, Edeka und Co. unsere Sicht der Dinge darzulegen und aufzuzeigen, was geht und was nicht geht. Aktuell geschieht das in der Regel nur einseitig von den NGO‘s. Entscheidend wird sein, dass wir die Themen sachlich diskutieren und Emotionen weglassen.


Bei der Diskussion um die Kastration männlicher Ferkel ist das den Beteiligten der Branche gelungen. Die ISN sperrt sich nicht gegen die Ebermast, aber wir brauchen Zeit, um Erfahrungen zu sammeln. Als ISN setzen wir in Zukunft verstärkt auf die Mitarbeit unserer Schweinehalter. Denn sie sind es, die die praktischen Erfahrungen in die Diskussion einbringen können – nicht die Wissenschaft und auch nicht der Tierschutzbund.


top agrar: Trotzdem werden Sie den Zug nicht aufhalten können, die Tierschutzdebatte ist und bleibt ein heikles Thema, oder?


Dierkes: Das stimmt, und das Thema wird uns in Zukunft sogar noch viel stärker beschäftigen. Aber wir müssen unbedingt darauf achten, dass die Weichen richtig gestellt werden und wir mehr Sachkompetenz an die runden Tische bringen. Gut gelungen ist dies zum Beispiel beim Thema Festflächenanteil in der Abferkelbucht. Hier hat die ISN durchgesetzt, dass die Festfläche unter der Sau weiterhin Löcher haben darf, so dass Flüssigkeiten ablaufen können. Entscheidend war hier, dass wir die zuständigen Behördenvertreter und Politiker genauestens informiert und aufgeklärt haben. Wir konnten ihnen zeigen, welche gesundheitlichen Gefahren lauern, wenn die Sauenmilch auf einer geschlossenen Festfläche vor sich „hingammelt“.


top agrar: Die Dioxonkrise hat gezeigt, dass das Ansehen der konventionellen Schweinehaltung schlecht ist. Derzeit werben verschiedene Organisationen für die Branchenkommunikation Schweinefleisch. Dabei sollen für jedes Schlachtschwein 20 Cent eingezogen werden, um Image-Maßnahmen zu finanzieren. Wie steht die ISN dazu?


Dierkes: Wir befürworten die Branchenkommunikation ohne Wenn und Aber. Denn wir müssen uns in Sachen Kommunikation besser aufstellen, und wir brauchen dringend eine fundierte Presse- und Öffentlichkeitsarbeit speziell für die Schweinehaltung, die den Medien sachlich und fachlich korrekte Informationen zur Verfügung stellt.


Ein Beispiel: Große Tageszeitungen wie die FAZ oder die Süddeutsche Zeitung stellen derzeit die konventionelle Landwirtschaft grundsätzlich in Frage. Dass der Dioxinskandal durch kriminelle Machenschaften ausgelöst wurde und die Landwirtschaft Opfer und nicht Täter ist, wird überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. In Fernsehtalkshows ist es nicht anders, auch hier läuft die Diskussion in die völlig falsche Richtung. Deshalb müssen wir dringend etwas tun!


top agrar: Beim Geld hört die Freundschaft aber bekanntlich auf.


Dierkes: Das mag so sein, aber wir dürfen die Augen nicht vor der Realität verschließen. Nehmen wir das Beispiel Exportmärkte. Die Handelspartner vor Ort in Russland, China oder Südkorea informieren sich heute mithilfe der Tagespresse und des Internets über den Dioxinskandal. Wenn diese Leute ihre Informationen auf Dauer nur aus der Regenbogenpresse beziehen, sind die Grenzen schneller dicht als wir glauben. Wenn wir jetzt nicht Flagge zeigen, Geld in die Hand nehmen und aufklären, trifft es uns später umso härter. Dann müssen wir unser Schweinefleisch in Krisenzeiten verramschen. Der finanzielle Verlust für die Bauern dürfte dann weitaus höher sein, als eine gute Branchenkommunika-tion kostet.


top agrar: Unklar ist noch die Verteilung der Gelder. Wer bestimmt darüber, schließlich handelt es sich um Bauerngelder?


Dierkes: Entscheidend wird sein, dass wir Bauern das Heft in der Hand behalten und bestimmen, wofür das Geld genutzt wird. Das geht aber nicht ohne unsere Marktpartner. Dringend erforderlich ist eine fundierte Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, die von Profis betrieben wird. Aber auch wichtige Forschungsprojekte können mit dem Geld „angeschoben“ werden. Die genauen Strukturen werden in den nächsten Wochen festgelegt. Anschließend wird es alle drei Jahre eine Überprüfung der Arbeit geben.


top agrar: Gemeinsam sind wir stark, heißt es. Aber vielen Bauern gefällt der Schmusekurs zwischen den unterschiedlichen Verbänden und Interessensvertretungen nicht.


Dierkes: Von einem Schmusekurs will ich nicht sprechen. Stattdessen versuchen wir, konstruktiv zusammenzuarbeiten. Die Abgrenzung ist heute viel schwieriger. Das liegt unter anderem daran, dass sich Bauernverband und ISN inzwischen in vielen Positionen einig sind. Der ISN-Grundsatz „Wir bekennen uns zum freien Markt“ hat sich bei vielen Organisationen durchgesetzt. Die ISN kann heute ganz vorne mitgestalten. Und einen Streit, wie ihn die Milchwirtschaft gerade erlebt, kann sich eine so marktwirtschaftlich ausgerichtete Branche wie die Schweinehaltung nicht leisten. Wir brauchen Netzwerke und keinen eitlen Profilierungswettstreit zwischen den Organisationen.


top agrar: Viele ISN-Mitglieder wollen neue Schweineställe bauen. Immer häufiger lehnen Kommunen und Kreise jedoch Bauanträge ab, oder Bürgerinitiativen machen mobil. Welche Lösungen gibt es aus ISN-Sicht für die Problematik?


Dierkes: Wachstum ist für die Schweinebranche nötig, aber wir müssen akzeptieren, dass ein neuer Schweinestall nicht mehr überall sinnvoll ist. Und wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass einige Regionen fast „dicht“ sind. Wenn wir dort einen neuen 5 000er-Maststall mit Gewalt durchdrücken, schaden wir der Schweinehaltung insgesamt. Das Motto „Mit dem Kopf durch die Wand“ löst unsere Probleme nicht, wir fangen uns nur neue Probleme ein. Um Lösungswege aufzuzeigen, wird die ISN eine „Roadmap 2030“ erstellen. Darin wollen wir konkrete Vorschläge erarbeiten, wie sich die Schweinehaltung in Deutschland weiterentwickeln kann.


Zudem bieten wir bauwilligen Schweinehaltern künftig einen „Erste- Hilfe-Koffer Stallbau“ an. Konkret geht es darum, Schweinehaltern einen Mediator zur Seite zu stellen, der Konflikte im Vorfeld einer Baumaßnahme erkennt und gegebenenfalls vermittelt.


top agrar: Trotzdem, viele Schweinehalter wollen vorankommen und ihre Betriebe entwickeln.


Dierkes: Das ist auch gut so, und die ISN wird weiterhin dafür kämpfen, dass die Betriebe ihre Möglichkeiten ausschöpfen können. Aber wir müssen uns endlich davon verabschieden, dass betriebliches Wachstum nur noch über neue Ställe realisiert wird.


Diese Philosophie ist falsch. Werfen Sie einen Blick in den Betriebszweigvergleich Schweinehaltung in Weser-Ems. Sie werden erstaunt sein, wie viele Landwirte mit 2 000 Mastschweinen am Jahresende mehr Geld übrig haben als Schweinemäster mit 10 000 Schweinen. Ich will damit sagen, dass in der Optimierung der Produktion noch immer gewaltige Reserven stecken. Gleichzeitig müssen wir mehr differenzieren. Ferkel mit dem Kennzeichen „4 x D“ sind ein erster Ansatz. Über solche Wege können wir die Wertschöpfung erhöhen.


top agrar: Bedeutet das, dass Sie Tierschutzlabel wie „Aktion Tierwohl“ von der Westfleisch oder „Better Leven“ der Vion begrüßen?


Dierkes: Vor fünf Jahren hätte die ISN sicherlich sehr viel kritischer auf solche Aktionen reagiert. Heute sehen wir aber sehr wohl, dass diese Tierschutz-Programme wichtig für die Aufrechterhaltung der Exporte sind. Außerdem helfen sie uns, die Akzeptanz der Schweinehaltung in der Bevölkerung zu erhöhen. Entscheidend ist, dass sich die zusätzlichen Auflagen und der Mehraufwand für den teilnehmenden Bauern auszahlen, und die höheren Vorgaben später nicht für alle Landwirte gelten. Andernfalls lehnen wir solche Programme strikt ab!


top agrar: Meine Herren, vielen Dank für das Gespräch.


Das Interview führten die top agrar-Redakteure Marcus Arden und Henning Lehnert.

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