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„Die Landwirtschaft muss mehr selbst gestalten“

Lesezeit: 10 Minuten

QS-Geschäftsführer Dr. Hermann-Josef Nienhoff fordert von der Wertschöpfungskette mehr gemeinsames Handeln. Die Verbände sieht er in der Pflicht, mehr eigene Ideen zu entwickeln. Man dürfe nicht immer alles der Politik überlassen.


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Dr. Nienhoff, Qualität und Sicherheit (QS) feiert dieses Jahr 20-jähriges Jubiläum. Was ist das Erfolgsrezept?


Nienhoff: Das ist vor allem die Plattform, die wir bei der QS-Gründung geschaffen haben. Hier sitzen alle Beteiligten der Wertschöpfungskette – Landwirtschaft, Futtermittelbranche, Fleischwirtschaft, Fleischwarenindustrie und Lebensmitteleinzelhandel – an einem Tisch. Streitfragen diskutieren wir gemeinsam, Lösungen beschließen wir gemeinsam und wir setzen sie auch gemeinsam um. Denn nur wenn wir uns innerhalb der Kette abstimmen und klären, wie wir neue Herausforderungen meistern wollen, werden wir uns am Markt behaupten können. Das gilt für die Landwirtschaft genauso wie für den Handel. Denn dieser will vor allem deutsche Ware in seine Regale legen.


Trotzdem liegt auch viel ausländische Ware in deutschen Supermarktregalen. Geht es dem Lebensmitteleinzelhandel (LEH) nicht vor allem um niedrige Einkaufspreise?


Nienhoff: Für den LEH ist entscheidend, dem Verbraucher ein attraktives Angebot zu bieten. Natürlich möchte der LEH möglichst günstig und auch international einkaufen können. Denn viele Konsumente lieben Parma-Schinken aus Italien oder spanische Wurst. Entscheidend ist unter dem Strich, dass alle ausländischen Waren, die mit QS gekennzeichnet sind, die Anforderungen des QS-Systems erfüllen. Denn so schaffen wir Wettbewerbsgleichheit. Wir garantieren im QS-System, dass z.B. bei einem spanischen Schinken oder italienischer Wurst sämtliche Anforderungen erfüllt sind, die wir in den QS-Gremien festgelegt haben.


Viele Bauern sehen QS skeptisch und kritisieren, dass immer nur der Lebensmitteleinzelhandel die Marschrichtung vorgibt. Ist das so?


Nienhoff: Jeder Lebensmitteleinzelhändler entscheidet individuell für sich, welche Ware er in seinen Supermärkten bzw. Discountmärkten anbietet und welche Produkte er gut verkaufen kann. Von daher ist der Handel natürlich in einer starken Verhandlungsposition. Der LEH ist aber auch auf die Bauern angewiesen. Denn wenn diese keine guten Produktqualitäten oder zu wenig Menge liefern, kann der Händler nichts verkaufen. Und der LEH will wie bereits gesagt am liebsten deutsche, regional produzierte Ware in seine Regale legen. Das Thema Regionalität gewinnt immer mehr an Bedeutung. Insofern hat die Stimme der Bauern nicht nur Gewicht, ihre Bedeutung wächst sogar. Die Landwirte bzw. deren Vertreter in den QS-Gremien reden und entscheiden mit.


Die Anforderungen an die Landwirte steigen permanent. Wie wichtig sind dem Handel die Themen Tierwohl und Nachhaltigkeit?


Nienhoff: Wir alle wissen, dass unsere Bürger in Meinungsumfragen für mehr Tierwohl und Nachhaltigkeit sind und als Verbraucher möglichst günstig einkaufen wollen. Trotzdem wird der Handel bei beiden Themen auch in Zukunft Forderungen stellen. Er tut das auch, um den NGOs entgegen zu kommen und sein Image zu pflegen. Kein Lebensmittelhändler kann es sich erlauben, öffentlich von NGOs angegriffen zu werden. Die Händler achten sehr stark darauf, dass ihnen da nichts anbrennt. Auch der Deutsche Tierschutzbund wird von den Händlern umgarnt. Dabei geht es aber nicht immer nur darum, Fleisch mit dem Tierschutzbund-Label zu verkaufen, weil es den Händlern aus den Händen gerissen wird.


Den Bauern stößt sauer auf, dass sie immer diejenigen sind, die die höheren Kosten schultern müssen. Können Sie das nachvollziehen?


Nienhoff: Wir dürfen nicht immer gleich auf die Partner in der Wertschöpfungskette schimpfen, wenn in QS andere oder zusätzliche Anforderungen gestellt werden. Denn zu 98% ist die Politik dafür verantwortlich. Wir im QS-System müssen dann klären, wie es sinnvoll gemacht werden kann und erläutern es den Bauern dann auch. Die Politik spielt dann häufig die Unschuldige und treibt neuerdings sogar einen Keil zwischen Landwirtschaft und Lebensmitteleinzelhandel. Es ist doch so, dass das Bundesumweltministerium (BMU) das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) bei den letzten Gesetzespaketen ein ums andere Mal ausgestochen hat. Die politischen Deals sind zu Lasten der Bauern gegangen. Die Unzufriedenheit in der Landwirtschaft und die Diskussionen und Blockaden der letzten Monate geben das Bild dazu ab.


Wie können wir dem ständigen Treiben der Politik entgehen?


Nienhoff: Indem wir in der Wirtschaft stärker zusammenarbeiten und miteinander Vereinbarungen treffen. Ein Gesetz ist meist für die Ewigkeit gemacht und lässt sich später nur ganz schwer ändern. Das lähmt die Branche, in der Wirtschaft sind wir viel flexibler. Deshalb befürworte ich praktikable und zukunftsorientierte Lösungen aus der Wertschöpfungskette heraus. Wenn uns das gelingt, sind wir der Politik einen Schritt voraus und man kann uns nicht so leicht auseinanderdividieren. Gerade auch die Landwirte können im Markt nur erfolgreich sein, wenn wir die Zukunft gemeinsam mit den anderen Wirtschaftsbeteiligten selbst in die Hand nehmen und an einem Strang ziehen.


Einige Interessenverbände der Bauern erwecken derzeit nicht den Eindruck, dass man an einem Strang zieht. Täuscht der Eindruck?


Nienhoff: Da gibt es schon eine Vielstimmigkeit und Interessenvielfalt. Das macht auch das Vorankommen in QS manchmal schwierig. Wenn sie z.B. als Vertreter des Deutschen Bauernverbandes alle Strömungen mitnehmen wollen, bewegen wir uns als Branche oft zu langsam. Es ist nicht gut, wenn das langsamste Schiff im Geleitzug das Tempo bestimmt. In Zukunft wünsche ich mir mehr Mut, Engagement und Durchschlagskraft seitens der grünen Seite. Wir müssen dringend dahin kommen, dass man seinen Mitgliedern ehrlich sagt, was sich künftig ändern muss und wird, um erfolgreich am Markt bestehen zu können. Es ist zu einfach, immer nur zu sagen: Das haben Andere entschieden, dafür können wir nichts.


Sie kritisieren die Politik dafür, dass sie nach wie vor keinen Masterplan für die deutsche Sauenhaltung hat. Was werfen Sie den Verantwortlichen in Bund und Ländern vor?


Nienhoff: Ich halte das, was im Hinblick auf die deutsche Sauenhaltung in den letzten Jahren passiert ist, für ein Politikversagen. Denn die jetzt beschlossenen Veränderungen der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung waren doch lange absehbar. Den Sauenhaltern wurden zu keiner Zeit Perspektiven aufgezeigt, es gibt keinen Masterplan für die Ferkelerzeugung in Deutschland. Aus meiner Sicht hat die Politik seit Jahren versäumt, die Frage zu beantworten: Wie kann eine tierschutzgerechte und wettbewerbsfähige Sauenhaltung in Deutschland aussehen und welche Voraussetzungen müssen wir dafür schaffen? Wie können wir z.B. vermeiden, dass die Mast der Ferkelerzeugung davonwächst und gerade große Mäster verstärkt im Ausland kaufen?


Das Einzige was geschafft wurde ist, den deutschen Ferkelerzeugern immer wieder neue Hürden aufzubürden. Ich nenne in diesem Zusammenhang nur die beiden Themen Ferkelkastration und Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung.


Haben die Interessenverbände zu wenig getan?


Nienhoff: Auch die Interessenvertretungen der Bauern sehen beim Thema Sauenhaltung nicht gut aus. Seien wir ehrlich: Viele haben immer nur gedacht, dass es irgendwie schon weitergehen wird. Keiner hat die Herausforderungen und notwendigen Veränderungen klar ausgesprochen und niemand hat Angebote in Richtung der Politik gemacht. Wir haben uns in eine Situation manövriert, in der die Sauenhalter bzw. Ferkelerzeuger mit dem Rücken zur Wand stehen. Das darf in Zukunft nicht mehr passieren! Wir müssen viel proaktiver handeln und eigene Vorschläge auf den Tisch legen.


Sie haben das Reizthema Ferkelkastration bereits angesprochen. Was läuft da falsch?


Nienhoff: Falsch läuft, dass sich die Wertschöpfungskette auch nach jahrelangen Diskussionen nicht einig ist und es Markteinschränkungen für die alternativen Verfahren zur Kastration gibt. Oft sitzen die Verhinderer in der Mitte der Wertschöpfungskette.


Wenn die Landwirtschaft und der Lebensmitteleinzelhandel in der Kastrationsfrage stärker mit gemeinsamer Stimme sprechen, gäbe es meines Erachtens keine Probleme mit der Ebermast oder Immunokastration. Aber bei diesem Thema gibt es ja selbst unter den Vertretern der Landwirtschaft keine Einigkeit.


Die Ferkelerzeuger ärgert, dass nach wie vor ausländische Ferkel ins QS-System geliefert werden dürfen, die zur Kastration nicht nach deutschem Recht betäubt wurden. Haben Sie dafür Verständnis?


Nienhoff: Wir können das deutsche Tierschutzgesetz und das deutsche Arzneimittelrecht nicht den anderen Ländern überstülpen – weder in der EU noch global. Das ist schlichtweg unmöglich. Aber wir können für annähernd gleiche Wettbewerbsbedingungen sorgen. Deshalb hat QS gesagt: Wer künftig Ferkel ins QS-System liefern möchte, muss eine Betäubung oder Schmerzausschaltung vornehmen – so wie es im deutschen Tierschutzgesetz gefordert wird. Was ist die Alternative? Wollen wir denn ernsthaft die deutsche Schweinemast um 20% reduzieren und die gesamte Wertschöpfung ins Ausland verlagern? Die größten Verlierer wären die deutschen Mäster und in der Folge würde auch der Rest der Kette mit leeren Händen dastehen.


Die Tierhaltung in Deutschland wandelt sich. Das Tierwohl spielt eine immer größere Rolle. Können wir für Tierwohlware einen Markt aufbauen?


Nienhoff: Davon bin ich überzeugt. Entscheidend ist, dass wir mit den Tierwohlprodukten immer mehr in die Breite kommen. Dafür müssen wir in absehbarer Zeit ausreichend Ware am Markt platzieren. Das schaffen wir mit der Initiative Tierwohl (ITW). Mit über 4500 Betrieben und mehr als 16 Mio. Mastschweinen im Rücken sind wir hervorragend aufgestellt. Bei Geflügel sind wir ja schon seit drei Jahren in der Nämlichkeit mit etwa 2500 Betrieben und mehr als 70% Marktanteil.


Glücklicherweise springen auch immer mehr Ferkelerzeuger auf den ITW-Zug auf. In diesem Zusammenhang sehe ich den Handel jetzt in der Pflicht, ausreichend Geld für den Finanzierungstopf zur Verfügung zu stellen, aus dem die Ferkelerzeuger und -aufzüchter bezahlt werden. Es müssen möglichst viele Ferkelerzeuger mit ins System kommen. Sonst schaffen wir die vom Handel gewünschte, und übrigens auch vom Kartellamt geforderte, durchgängige Nämlichkeit nicht.


Die Initiative Tierwohl ist bereits gut im Markt unterwegs. Künftig kommt das staatliche Tierwohllabel hinzu. Belebt auch hier die Konkurrenz das Geschäft?


Nienhoff: Aus meiner Sicht benötigt niemand im Markt ein staatliches Tierwohllabel! Die Entwürfe zum Tierwohlkennzeichengesetz und zur Tierwohlkennzeichenverordnung zeigen, dass der Verwaltungs- und Kontrollaufwand in keinem Verhältnis stehen zu dem Nutzen eines solchen Labels. Immer wenn der Staat solche Dinge festlegt, werden starre Regeln geschaffen und der Aufwand steigt überdimensional. Der Staat kann den Markt nicht lenken. Im Übrigen bevorzuge ich bei gesetzlichen Vorgaben europäische Lösungen.


Zudem frage ich mich, warum man im Rahmen des Borchert-Prozesses für die verschiedenen Labelstufen sehr konkrete Haltungsverfahren und Produktkennzahlen nennt, die in Zukunft möglicherweise gar nicht mehr relevant sind. Niemand kann voraussagen, ob die heute favorisierten Außenklimaställe im Jahr 2040 wirklich noch die Wahl sind. Vielleicht gibt es in fünf oder zehn Jahren schon geeignetere Systeme. Die Digitalisierung wird uns neue Wege öffnen. Wir legen uns hier staatlich gelenkt viel zu konkret und zu lange fest. Das ist Planwirtschaft.


Dann sehen Sie die Borchert-Pläne also kritisch, oder?


Nienhoff: Zunächst ist mir wichtig zu betonen, dass die Borchert-Kommission wichtige Impulse für das politische Handeln gesetzt hat. Die anstehenden Herausforderungen wurden klar benannt und ein wichtiger Verständigungsprozess erreicht. Der Ansatz der Borchert-Kommission, einen schrittweisen Umbau der Tierhaltung mit staatlichen Mitteln zu unterstützen ist grundsätzlich gut. Richtig ist auch, dass man den Landwirten bei der Transformation finanziell helfen muss.


Die Hilfe des Staates sollte sich aber auf die Investitionen für Neu- und Umbaumaßnahmen konzentrieren. Hier braucht der Landwirt Anreize und Planungssicherheit für einen längeren Zeitraum. Die variablen Produktionskosten müssen meines Erachtens immer über den Markt ausgeglichen werden. Da können als Überbrückung wirtschaftsgetragene Fondslösungen wie bei der Initiative Tierwohl hilfreich sein. Aber letztendlich muss dem einzelnen Landwirt Spielraum für seine unternehmerische Entscheidung bleiben.


marcus.arden@topagrar.com


andreas.beckhove@topagrar.com

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