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Finnisches Anti-Stress-Programm

Lesezeit: 7 Minuten

Finnlands Schweinehalter dürfen seit 14 Jahren keine Ferkelschwänze mehr kupieren. Auch der klassische Vollspaltenboden ist verboten. Wie Timo Heikkilä damit in der Aufzucht zurechtkommt, hat er top agrar bei einem Stallrundgang verraten.


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Die Tierwohldiskussion kommt in Deutschland nicht zur Ruhe. Die Gesellschaft wünscht sich tierfreundlichere Stallsysteme ohne Vollspaltenboden. Außerdem erhitzt das Thema „Schwänze kupieren“ die Gemüter. Tierschützer fordern den sofortigen Kupierstopp, Sauenhalter pochen vor dem endgültigen Ausstieg vehement auf praxistaugliche Alternativen.


Haltung optimieren:

In Finnland hat man diese Diskussionen schon lange hinter sich. „Der klassische Vollspaltenboden ist bei uns verboten. Zudem dürfen wir bereits seit 14 Jahren keine Ferkelschwänze mehr routinemäßig kupieren“, beschreibt Timo Heikkilä aus Rusko, einem kleinen Ort 200 km westlich von Helsinki, die Situation in seinem Heimatland. Doch wie kommen die finnischen Landwirte mit diesen Auflagen zurecht? Und worauf muss man achten, wenn man laut Gesetz Ferkel mit Langschwanz halten muss? Timo Heikkilä, der 3 600 Sauen dänischer Genetik hält und damit Finnlands größter Ferkelerzeuger ist, hat in diesem Punkt eine klare Meinung. „Man bekommt das Problem Schwanzbeißen niemals zu 100 % in den Griff. Selbst die geringe Schweinedichte und der hohe Gesundheitsstatus – Finnlands Bestände sind u. a. frei von PRRSV und Mykoplasmen – schützt die Betriebe nicht sicher vor der Problematik“, betont der Landwirt. „Man kann nur die Haltungsbedingungen optimieren so gut es geht und im Fall des Falles schnell reagieren. Ich persönlich halte es für wichtig, dass die Schweine wenig Stress haben.“


Damit seine Aufzuchtferkel entspannt sind, verfolgt Timo Heikkilä gleich mehrere Strategien. Oberste Priorität hat für ihn die wurfweise Aufstallung im Flatdeck. „So verhindere ich Rangkämpfe und offene Wunden, durch die Krankheitserreger eindringen können. Zudem werden weniger Krankheitskeime übertragen“, erklärt er.


Bis zu 0,50 m2 pro Ferkel:

Gute Erfahrungen hat er damit gemacht, wenn er den Schweinen mehr Platz zur Verfügung stellt. In Finnland sind in der Aufzucht bis 30 kg Lebendgewicht 0,40 m2 pro Ferkel per Gesetz vorgeschrieben, das sind 15 % mehr als in anderen europäischen Ländern. „Meinen Ferkeln stehen bis 30 kg Lebendgewicht je nach Wurfgröße bis zu 0,50 m2 pro Tier zur Verfügung. Das bringt viel mehr Ruhe in die Bucht, weil sich die Tiere aus dem Weg gehen können“, betont der Landwirt. Heikkiläs Einschätzung deckt sich übrigens mit den Beobachtungen deutscher Betriebsleiter, die an der Initiative Tierwohl teilnehmen. Schon bei 10 % mehr Platz läuft die Aufzucht bzw. Schweinemast reibungsloser, be-richten Teilnehmer.


Mindestens genauso wichtig ist nach Einschätzung von Timo Heikkilä genug Platz am Futtertrog. Er schwört auf Langtröge mit einem Tier-Fressplatzverhältnis von 1 : 1. „Nichts stresst die Tiere mehr als ständiger Futterneid und Gerangel am Sensorkurztrog oder Breiautomat“, gibt Heikkilä zu bedenken.


Apropos Futter: Der Landwirt bietet seinen Tieren ausschließlich Flüssigfutter mit hohem Gerstenanteil an. Hohe Weizenanteile hält er für problematisch, weil Weizen weniger Rohfaser enthält. Timo Heikkilä wirft auch immer ein besonderes Auge auf die Futterqualität. Bei ihm bestehen alle Futtermischungen aus pelletiertem Zukauf-Fertigfutter. Durch die Pelletierung will er vermeiden, dass Salmonellen über das Futter in den Bestand gelangen. Gleichzeitig setzt er Säuren im Flüssigfutter ein.


Auch die Hygiene in den Anmisch-behältern und Futterleitungen ist ihm heilig. Die Anmischbehälter hält er mit UV-Licht und Lauge sauber. Und im letzten Jahr hat der finnische Landwirt seine Flüssigfütterungsanlage technisch weiter aufgerüstet. Seitdem werden die Ablaufrohre zu den Futtertrögen täglich mehrmals automatisch mit einem Wasser-Luft-Gemisch gesäubert. „Das System arbeitet reibungslos und pustet die Ablaufrohre, in denen sich sehr schnell ein Schmierfilm aufbaut, sauber“, sagt Heikkilä.


Stallklima wichtig:

„Schlechte Luft stresst die Schweine mindestens genauso wie ständiger Futterneid. Für besonders problematisch halte ich aufsteigende Schadgase aus dem Güllekeller“, betont Timo Heikkilä. Der finnische Landwirt reduziert die Schadgasbelastung auf dreierlei Wegen:


  • Er entzieht der Gülle Wärme, das senkt die NH3-Ausgasungen. Im Boden der Güllekanäle liegen 22 km Kunststoffschlauch, durch die Wasser im Kreislauf gepumpt wird. Beim Umpumpen nimmt das Wasser die Restwärme aus der Gülle auf. Mithilfe von Wärmepumpen entzieht der Unternehmer dem Wasser die Wärme und speist diese in den Heizkreislauf ein. Die Temperatur der Gülle sinkt dadurch auf 13 °C ab.
  • Der Landwirt favorisiert planbefestigte Böden im Aufzuchtstall. Der Buchtenboden in seinen Ställen ist zu zwei Drittel komplett geschlossen, die Gülleoberfläche in den Abteilen entsprechend gering. Gesetzlich vorgeschrieben ist in Finnland, dass zwei Drittel des Bodens maximal 10 % Schlitzanteil enthalten darf und ein Drittel 15 %.
  • Die Zuluft strömt über die abgedeckten Liegekessel direkt in die Buchten und nicht zuerst durch den Kontrollgang und dann in die Buchten. Das verhindert, dass die Frischluft möglicherweise zuerst in den parallel zum Mittelgang verlaufenden Güllekeller fällt, Schadgase aufnimmt und von dort in den Liegebereich der Ferkel aufsteigt.


Um Hitzestress zu vermeiden, liegen zwei Warmwasser-Heizkreisläufe in den Fußböden der Abteile. Den Heizkreislauf unter den Liegekesseln fährt Heikkilä 5 °C wärmer als den Kreislauf im Aktivitätsbereich. So gelingt es ihm, die Raumtemperatur bei für Ferkel angenehmen 24 °C zu halten, während er in den Liegekesseln bis zu 32 °C erreicht.


Spiel und Spaß:

Seit dem Kupierverbot setzen die finnischen Tierhalter konsequent Beschäftigungsmaterialien ein. Gesetzlich vorgeschrieben ist der permanente Zugang zu Stroh, Hackschnitzeln oder anderen organischen Materialien. Außerdem müssen Spielmateria-lien wie Ketten, Bälle, Beißstäbe oder Holzstücke in den Buchten hängen.


Timo Heikkilä setzt im Flatdeckstall Strohraufen ein. Während der Aufzuchtphase von 10 bis 30 kg erhält jedes Ferkel ca. 300 g. Bei ca. 4 500 Aufzuchtplätzen – der Rest der Ferkel wird als Babyferkel verkauft – verbraucht er gut 20 Strohballen pro Woche. „Für die reine Strohvorlage benötigen wir gut 30 Minuten pro Woche“, beschreibt der Landwirt seinen Arbeitsaufwand.


Im Großen und Ganzen funktioniert der Stroheinsatz, allerdings bereitet die teilweise schlechte Qualität des Strohs den finnischen Landwirten Probleme. „Ausreichend Stroh in guter Qualität ist schwer zu bekommen. Dabei wäre eine gute Strohqualität wichtig“, ist Heikkilä überzeugt.


Wenn in einzelnen Buchten gebissen wird, werfen Timo Heikkilä und sein Team Stroh auf den Buchtenboden. „Die Ferkel werden durch die neue Situation abgelenkt, die Tiere spielen intensiv mit dem Stroh“, berichtet der Landwirt. Sobald Heikkilä einen Beißer entdeckt, nimmt er diesen aus der Bucht und stallt ihn in eine Krankenbucht um. Genügend Reservebuchten sind vorhanden, denn in Finnland müssen laut Gesetz 5 % Krankenbuchten, bezogen auf den Tierbestand, vorgehalten werden.


Dusche plus Sauna:

In Finnland sind die Schweinehalter in der glücklichen Situation, dass ihre Tiere frei von PRRSV und Mykoplasmen sind. Timo Heikkilä ist davon überzeugt, dass dies ein we­sentlicher Grund dafür ist, warum in seinem Betrieb nur bei 1 % der Ferkel Schwanzbeißen auftritt. „Weniger Krankheiten gleich weniger Stress ist auch hier der Schlüssel zum Erfolg“, meint der Unternehmer.


Damit die Tiergesundheit im Stall dauerhaft erhalten bleibt, schreibt der finnische Unternehmer seinen einheimischen und osteuropäischen Mitarbeitern klare Regeln vor. Einduschen und stalleigene Kleidung sind Standard. Das Mitbringen von Essen ist strengstens verboten, stattdessen spendiert Timo Heikkilä allen Mitarbeitern verschiedene Fertiggerichte. „Das kostet mich zwar bis zu 2 € pro Person und Tag, ist aber gut investiertes Geld“, zeigt sich der Anlagenchef kompromisslos.


Einen besonderen Empfang bietet Heikkilä den Besuchern, die kurz zuvor in anderen Schweineställen waren. Diese Leute müssen vor dem Stallrundgang zuerst in die stalleigene Sauna! „Das ist bei uns in Finnland üblich, und es gibt sicherlich schlimmere Auflagen“, ist Heikkilä überzeugt.Marcus Arden

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