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„Ich würde auf höhere Haltungsformen umstellen“

Lesezeit: 8 Minuten

Handelsexperte Prof. Dr. Thomas Vogler sagt: Vom Trend hin zu mehr Tierwohl und Regionalität werden die Bauern mittelfristig profitieren. Sie müssen aber viel mehr Infos zu ihren Produkten liefern.


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Viele Bauern sehen sich als reine Rohstofflieferanten, denen der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) die Preise diktiert. Wie beurteilen Sie die Rolle der Landwirtschaft innerhalb der Wertschöpfungskette?


Vogler: In der Wertschöpfungskette sind Landwirte als Urproduzenten von Lebensmitteln im Vergleich zur Handelsstufe eigentlich der wichtigere Teil. Denn wenn die Bauern nichts produzieren, kann der Handel nichts verkaufen. Durch die zunehmende Konzentration auf Handelsseite haben sich die Verhandlungspositionen in den letzten Jahrzehnten allerdings deutlich verschoben. Klarer Verlierer waren die Bauern.


Ich bin mir aber sicher, dass sich das Blatt wieder zugunsten der Landwirte wenden wird. Ihre Verhandlungsposition wird stärker, denn immer mehr Verbraucher denken beim Thema Lebensmitteleinkauf um. Eine wachsende Zahl ernährt sich bewusster und will wissen, woher ihr Essen kommt.


Also werden die Landwirte bei Preisverhandlungen künftig wieder Forderungen stellen können?


Vogler: Auf der bäuerlichen Seite sind die Strukturen leider sehr stark zersplittert. Außerdem sind zwischen Bauern und Handelskonzernen noch andere Verarbeitungsstufen am Geschäft beteiligt. Deshalb wird es sicherlich noch ein paar Jahre dauern, bis die Landwirtschaft wieder so eine starke Verhandlungsposition einnimmt, dass die Bauern die Preise diktieren beziehungsweise mitdiktieren können. Der Zug rollt aber.


Händler setzen verstärkt auf Themen wie Tierwohl und Regionalität. Spielt das den Bauern in die Karten?


Vogler: Wenn der Lebensmitteleinzelhandel weiterhin auf diese Themen setzt, dann braucht er regionale Lieferanten. Das ist die Chance der Landwirte vor Ort, weil dann nicht mehr nur die Größe bzw. Liefermenge zählt, sondern Aspekte wie Nähe, Regionalität usw. für den Händler wichtiger werden. Und diese Aspekte kann nur der Landwirt liefern.


Wie können Landwirte das Thema Regionalität ihren Händlern vor Ort schmackhaft machen?


Vogler: Die Landwirte sollten aktiv den Kontakt zu selbstständigen Lebensmitteleinzelhändlern in ihrer Region suchen und mit ihnen eine Strategie besprechen. Auch die örtlichen Metzgereien sind potenzielle Ansprechpartner. Denn die Fleischereien können sich durch regionale Produkte sehr gut von Discountern und Supermärkten abgrenzen.


2000 € für eine Weinflasche sollen suggerieren, dass die Flasche für 60 € günstig ist. Funktioniert diese Strategie auch bei Fleisch? Steigt der Absatz für Ware aus Haltungsform 3, wenn ich zusätzlich teuren Parma- oder Ibérico- Schinken in der Theke anbiete?


Vogler: Die Mechanismen bei der Preiswahrnehmung sind in allen Warengruppen dieselben. Wenn ich in eine Fleischtheke im Supermarkt Schnitzel in drei verschiedenen Qualitäten mit drei unterschiedlichen Preisen lege, dann wird sich die mittlere Preislage immer am besten verkaufen. Kann der Kunde aus zwei Preislagen auswählen, verkauft sich die günstigere besser.


Wenn wir also den Verkauf von Fleisch aus Haltungsform 3 vorantreiben wollen, müssen wir nur dafür sorgen, dass der Verbraucher auch Fleisch aus Haltungsform 1 oder 2 sowie teure Premiumware findet. Am Ende ist auch Fleischverkauf reine Psychologie.


Studien zeigen aber immer wieder, dass der Verbraucher vor allem preiswert einkaufen will. Richtig?


Vogler: Das Problem ist Folgendes: Wenn der Kunde das Gefühl hat, dass alles teurer wird – auch das Fleisch – und ihm dann auch noch Informationen über Qualitätsunterschiede fehlen, dann wird er immer nach der günstigsten Ware Ausschau halten. Biete ich ihm keine anderen Infos, dann bleibt ihm als Auswahlkriterium am Ende nur der Preis.


Will die Landwirtschaft erreichen, dass der Kunde künftig nicht mehr nur nach Preis einkauft, dann muss sie ihre Produkte intensiver bewerben. Die Landwirte bzw. die Beteiligten der Wertschöpfungskette müssen viel mehr Information über die Haltungsformen liefern. Ein kleiner Aufkleber auf der Verpackung mit dem Hinweis auf die Stufen 1 bis 4 reicht nicht. Damit können Verbraucher wenig bis gar nichts anfangen. Denn sie wissen ja nicht, wo die Unterschiede liegen.


Welche Infos braucht der Kunde?


Vogler: Er muss auf einen Blick erkennen, worin der Unterschied zwischen den Haltungsformen 1, 2, 3 und 4 liegt. Was genau bedeutet „Stallhaltung plus“, „Außenklima“ oder „Premium“? Diese Infos gehören auf die Verpackung und nicht nur ins Internet. Den Umweg gehen Verbraucher nicht, die Infos müssen ihm direkt im Supermarktregal ins Auge springen.


Man muss ihm auch erklären, warum das Fleisch aus Haltungsform 3 oder 4 gegebenenfalls besser schmeckt als das Fleisch aus Haltungsform 1. Hier sind die Verbände in der Pflicht, ansprechendes und informatives Material zur Verfügung zu stellen.


Der Verbraucher will auch kurz vor Ladenschluss noch aus einer Vielzahl von Produkten auswählen können. Bei Schweinefleisch dürfte das schwierig werden, wenn der Handel zu schnell auf Haltungsform 3 umstellt, die dafür benötigten Ställe aber nicht genehmigt werden. Wie lässt sich das lösen?


Vogler: Halb leere Regale wird es nicht geben. Aldi wird sich bei seinen Lieferanten vorher rückversichert haben. Ich glaube eher, dass der öffentliche Druck auf die Genehmigungsbehörden steigt, entsprechende Ställe zu genehmigen. Am Willen der Bevölkerung kann der Gesetzgeber auf Dauer nicht vorbeigenehmigen!


Durch seine Ankündigung treibt Aldi zudem andere Händler vor sich her. Es werden weitere Supermärkte auf höhere Haltungsformen umsteigen. Dann sinkt der Absatz aus den Stufen 1 und 2. Das wirkt sich negativ auf die Preise aus, sodass sich diese Haltungsformen nicht mehr rechnen. ▶


Würden Sie den Landwirten also raten, so schnell wie möglich auf höhere Haltungsformen umzusteigen?


Vogler: Ja, sobald das bau- und genehmigungsrechtlich möglich ist. Die Entscheidung von Aldi wirkt wie ein Booster, es kommt Bewegung in das Verbraucherverhalten. Aldis Worte und Taten haben immer noch Gewicht.


Nur 30% des Frischfleisches und der Verarbeitungsware wird über den LEH verkauft, der Rest über Kantinen, Großverbraucher usw. Dort spielen die Haltung usw. keine Rolle. Wird hier die Haltungsform 1 weiter dominieren?


Vogler: Sobald die Haltungsformen stärker in das Bewusstsein der Verbraucher treten, wird auch in der Gastronomie Fleisch aus höheren Stufen verstärkt nachgefragt. Ich rate der Landwirtschaft deshalb, die Gastronomiebranche bereits heute mit Informationen zu füttern.


Auch Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen werden immer präsenter. Für mich ist es am Ende nur eine Frage der Zeit – und des Informationsdrucks – bis sich auch Restaurant- oder Kantinenbesucher mit den Haltungsformen in der Tierhaltung intensiver als bisher auseinandersetzen.


Immer mehr Verbraucher lassen sich Lebensmittel von Lieferdiensten bringen, Corona hat diesen Trend verstärkt. Ist das im Hinblick auf den Fleischeinkauf kontraproduktiv, weil der Kunde sein Stück Wurst oder Fleisch nicht mehr selbst aussucht?


Vogler: Es gibt bereits einzelne Anbieter, die Fleischspezialitäten direkt an Kunden liefern. Bislang ist die Resonanz sehr positiv, allerdings werden hier nur sehr geringe Mengen vermarktet. Ich glaube, dass Kunden bei verpackten Markenartikeln eher auf einen Lieferservice umsteigen werden als beim Kauf von frischen Produkten. Hier ist immer noch das Einkaufserlebnis – sehen, schmecken, riechen – für den Kunden interessant.


Der Verkauf von Bioware sowie vegetarischen und veganen Produkten steigt. Welche Marktpotenziale sehen Sie angesichts der wachsenden Konkurrenz für die klassischen Fleischerzeugnisse in Zukunft noch?


Vogler: Ein insgesamt höheres Bewusstsein für gesunde Ernährung bei den Kunden führt sicher zu sinkenden Absatzmengen bei den klassischen Fleischprodukten, zumal hier auch der Umweltgedanke und das Thema Klimaschutz eine Rolle spielen. Ich bin aber gleichzeitig fest davon überzeugt, dass der Absatz der klassischen Fleischprodukte zwar deutlich zurückgehen wird, sich der Umsatz aber konstant entwickelt. Denn es wird in Deutschland künftig weniger, dafür aber teureres Fleisch gekauft.


Für Bauern ist es angesichts langer Abschreibungszeiten für Ställe schwierig, schnell auf neue Ernährungstrends zu reagieren. Wer setzt eigentlich die Trends im Handel: Der LEH oder die Verbraucher?


Vogler: Hier haben sich die Machtverhältnisse dank der Verfügbarkeit von Informationen im Internet deutlich verändert. Die Trends setzt heute der Verbraucher. Wenn z.B. im Netz oder den sozialen Medien eine Welle von Negativschlagzeilen über Tierwohl, Lebensmittelskandale etc. schwappt, hat das sofort großen Einfluss auf das Verhalten der Kunden im Supermarkt.


Wir nehmen außerdem einen deutlich steigenden Informationsbedarf der Kunden wahr. Im Textilhandel zum Beispiel häufen sich Fragen nach Lieferketten, schädlichen Inhaltsstoffen oder Arbeitsbedingungen in den Herkunftsländern der Ware. Auf die kritischen Nachfragen der Kunden reagieren die Händler und Hersteller sofort. Das ist bei Lebensmitteln nicht anders.


Schweinefleisch hat ein schlechtes Image. Wie lässt sich der Trend umkehren?


Vogler: Das Image von Schweinefleisch hat sich über Jahre hinweg kontinuierlich verschlechtert. Nur durch entsprechende Informationen und den Nachweis, dass Schweinefleisch im Vergleich zu anderen Fleischarten gute Ernährungseigenschaften mitbringt, können langfristig wieder positive Imageeffekte erzielt werden.


Es gibt aber auch noch eine zweite Möglichkeit, um das Image aufzupolieren: Schweinehalter könnten ihre Produktionsweise überprüfen und die Produktion ggf. umstellen. Wie wichtig es ist, mit der Zeit zu gehen, zeigt das folgende Beispiel: Bei der Firma Kodak hat das Geschäftsmodell, Filme für Kameras herzustellen und diese dann zu entwickeln, mehr als 100 Jahre gut funktioniert. Durch die Digitalfotografie ist das Konzept aber hinfällig geworden. Jeder Schweinehalter muss sich also regelmäßig fragen: Produziere ich noch das richtige Produkt oder produziere ich am Markt vorbei?


Ihr Kontakt zur Redaktion:


marcus.arden@topagrar.com

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