Die Würfe werden immer größer, die Ferkel aber immer leichter. Ein Teufelskreis?
Brandt: Nein, kein Teufelskreis, sondern ein hausgemachtes Problem. Wir haben das Zuchtziel bei den Mutterlinien lange Zeit zu einseitig auf geborene Ferkel pro Wurf ausgerichtet. Und wir haben es versäumt, die negativ korrelierten Merkmale ebenfalls im Blick zu behalten. Denn hohe Fruchtbarkeit ist mit anderen wichtigen Merkmalen wie dem Geburtsgewicht der Ferkel, ihrer Vitalität und ihrer Überlebensfähigkeit negativ korreliert. Wenn man einseitig auf das eine Merkmal züchtet, zieht man die anderen in Mitleidenschaft.
Müssen die Zuchtziele der Mutterlinien dringend angepasst werden?
Brandt: Die Zuchtunternehmen haben das Problem längst erkannt und steuern gegen. Die Dänen, die einen drastischen Anstieg der Ferkelverluste und der Remontierungsquoten beobachteten, züchten inzwischen nicht mehr auf lebend geborene Ferkel pro Wurf, sondern selektieren auf die Anzahl lebender Ferkel am 5. Tag. Und in der Schweiz wird die Zahl der Ferkel unter 1 kg Lebendgewicht geschätzt und als zusätzliches Selektionskriterium genutzt. Ich meine, dass man noch weiter gehen und die Einzelkriterien züchterisch bearbeiten muss, z. B. die Ferkelgewichte und die Ausgeglichenheit des Wurfes. Einige Zuchtunternehmen sind hier bereits auf einem guten Weg.
Aus welchen Kriterien sollte sich das Zuchtziel zusammensetzen?
Brandt: Aus wirtschaftlichen Gründen benötigen wir natürlich weiterhin eine Mindestzahl von lebend geborenen Ferkeln pro Wurf. Ziel sollte jedoch die optimale und nicht die maximale Ferkelzahl sein. Das setzt voraus, dass die Sauen über eine ausreichende Anzahl funktionsfähiger Zitzen verfügen. Und auch die negativ korrelierten Merkmale wie die Geburtsgewichte und die Ausgeglichenheit des Wurfes müssen berücksichtigt werden. Hinzu kommen die Mütterlichkeit der Sauen, gerade wenn künftig die freie Abferkelung an Bedeutung gewinnt.
Wo liegt die optimale Wurfgröße?
Brandt: Im Schnitt 13,5 bis 14 Ferkel pro Sau und Wurf sind ein realistisches Ziel. Dann bleibt noch genug Spielraum, um Ferkel von größeren Würfen an andere Sauen zu versetzen. Bei noch mehr Ferkeln steigen die Management-Anforderungen und die Kosten exponentiell an. Letztlich muss man die optimale Wurfgröße einzelbetrieblich kalkulieren.
Gibt es eine biologische Obergrenze?
Brandt: Sicher gibt es eine Kapazitätsgrenze der Gebärmutter. Zudem müssen wir aufpassen, dass wir uns bei den Zitzen keine neuen Probleme einhandeln. Die Zahl der Zitzen lässt sich zwar züchterisch bearbeiten. Mit zunehmender Zitzenzahl werden die Sauen jedoch immer länger. Und dann handeln wir uns womöglich Fundamentprobleme ein.
Prof. Dr. Horst Brandt, Institut für Haustier-genetik, Uni Gießen