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Jungsauen mit 100% Ringelschwanz

Lesezeit: 10 Minuten

Jungsauenvermehrer Ludger Großekathöfer verzichtet seit Januar bei allen weiblichen Tieren auf das Kupieren des Ringelschwanzes. top agrar hat er verraten, wie sein Erfolgsgeheimnis aussieht.


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Schweine mit intaktem Ringelschwanz zu halten, ist für die meisten Sauenhalter und Mäster nach wie vor ein rotes Tuch. Viele haben Angst vor Beißereien im Stall und blutigen Schwanzspitzen, von denen Praktiker immer wieder berichten.


„Die Sorgen meiner Berufskollegen sind berechtigt“, sagt Ludger Großekathöfer, Jungsauenvermehrer aus dem westfälischen Langenberg bei Rheda-Wiedenbrück. Dennoch plädiert er dafür, das Thema aktiver als bislang anzupacken. „Machen wir uns nichts vor, nach dem Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration zum 1. Januar 2021 wird das Kupieren als Nächstes verboten. Das dauert keine zehn Jahre mehr“, ist sich der Landwirt sicher.


Veterinärämter sind kritisch


Großekathöfer gibt außerdem zu bedenken, dass sich die Sauenhalter beim Kupieren seit Jahren in einer rechtlichen Grauzone bewegen. Streng genommen darf nur derjenige kupieren, der eindeutig nachweisen kann, dass die Maßnahme aus Tierschutzgründen unerlässlich ist. „Der Nachweis ist aber gar nicht so einfach zu führen, Kontrolleure bewerten die Situation oft anders als Tierhalter. Außerdem schauen die Mitarbeiter der Veterinärämter uns Bauern immer genauer auf die Finger“, warnt er vor zu viel Sorglosigkeit.


Der 53-jährige Landwirt, der in seinem Betrieb jährlich rund 4000 Jungsauen der Linie Topigs Norsvin TN70 produziert, sucht bereits seit Jahren nach Ansätzen, wie er auf das Schwanzkupieren verzichten kann. Dabei ist Großekathöfer nicht sofort volles Risiko gegangen. Zunächst hat er bei seinen Reinzuchttieren Erfahrungen gesammelt. In jeder Absetzgruppe blieben bei 20% der weiblichen Ferkel die Ringelschwänze dran. Nach und nach hat er den Anteil dann erhöht. Seit gut drei Jahren wird in der Reinzucht nun kein Schwanz mehr eingekürzt.


Die positiven Erfahrungen haben ihn dazu bewegt, den Kupierausstieg auch in der Vermehrungsstufe anzugehen. Auch hier ging er schrittweise vor. „Seit Januar dieses Jahres sind wir nun so weit, dass wir bei allen von uns produzierten Jungsauen keinen Ringelschwanz mehr einkürzen“, beschreibt Großekathöfer die Situation.


Richtige Faser ist wichtig


Doch was macht seinen Erfolg aus? Warum scheint die Haltung von Schweinen mit intaktem Ringelschwanz im Betrieb Großekathöfer recht gut zu funktionieren, während es in anderen Beständen immer wieder Probleme gibt? Für den Landwirt sind es eine Reihe von Faktoren, auf denen sein Erfolg fußt.


Der wichtigste Hebel ist aus seiner Sicht die Fütterung. Entscheidend ist die Auswahl der Faser. „Sie muss qualitativ top sein, die Dünn- und Dickdarmverdauung unterstützen und dafür sorgen, dass die Tiere nach dem Fressen satt sind. Denn nur satte Schweine sind zufrieden“, betont der Jungsauenvermehrer. Er schwört auf den Einsatz von Silomais. Dieser sättigt, ist stärkereich und enthält viel bakteriell fermentierbare Substanz, die für die Ernährung der Mikroorganismen im Dickdarm wichtig ist. So fördert Großekathöfer gleichzeitig die positiven Darmbewohner.


Zudem bringt der Mais Lignocellulose mit in die Ration. Sie ist wichtig für die Darmmotilität, also die Beweglichkeit des Darms. Durch Lignocellulose wird die Vorwärtsbewegung des Darminhaltes unterstützt und es wird verhindert, dass bakterielle Zerfallsprodukte Ohr- und Schwanznekrosen auslösen.


„Allerdings muss der Anteil an Lignocellulose im Futter begrenzt werden, da die Darmwand sonst zu stark gereizt wird“, betont Clemens-August Grote vom Zuchtunternehmen Topigs Norsvin. Er berät Vermehrer, die Tiere mit intaktem Ringelschwanz halten möchten. Ludger Großekathöfer erntet den Mais deshalb möglichst früh und schneidet die Maisstängel beim Häckseln höher ab als üblich. „So senken wir gleichzeitig die Pilzgefahr“, beschreibt er seinen Ansatz. Zur Sicherheit setzt er noch einen Toxinbinder im Futter ein.


Der Mais ist dem Landwirt auch deshalb wichtig, weil er damit die Tiergesundheit indirekt unterstützt. Die Tiere speicheln das Futter besser ein und die Milchsäurebakterien sorgen dafür, dass der pH-Wert sinkt. Das fertige Flüssigfutter weist einen pH-Wert von 4 bis 4,5 auf. Der saure Futterbrei sorgt dafür, dass insbesondere E. coli-Bakterien oder andere gramnegative Keime wie z.B. Salmonellen abgetötet werden.


Silomais findet man im Betrieb in allen Produktionsstufen. Der Mischungsanteil bei den tragenden Sauen beträgt bezogen auf 88% TS 17%, bei den laktierenden Sauen sind es 10%, in der Ferkelaufzucht 4% und bei den Jungsauen mischt der Unternehmer 10% ein. Vorquellen lassen muss Großekathöfer den Mais vor dem Verfüttern nicht, da er 30% Trockensubstanz aufweist. Allerdings muss das Material vorher mithilfe eines Cutters zerkleinert werden. Ansonsten würde die Flüssigfütterungsanlage Probleme bekommen.


Fischmehl als Topdressing


Ebenso wichtig wie der Einsatz von Mais ist für den Landwirt die Gabe von tierischem Protein. Er mischt bei sich im Betrieb bis zu 2% Fischmehl in die Futterrationen ein. Bei Bedarf gibt der Vermehrer das Fischmehl als top-Dressing per Schaufel in den Futtertrog. Handlungsbedarf sieht er, wenn sich die Schweine vermehrt an den Flanken, an den Fußfesseln oder den Ohren lecken. ▶


Der ostwestfälische Ferkelerzeuger versucht durch die Fischmehlgabe, den Tryptophangehalt gezielt zu erhöhen. Denn erhalten die Tiere zu wenig von dieser essenziellen Aminosäure, werden sie unruhiger und das Risiko für Schwanzbeißen steigt. Die Fütterungsempfehlungen besagen, dass das Lysin-Tryptophan-Verhältnis bei 1:0,18 bis 0,20 liegen sollte.


Wichtig ist ihm auch, dass der Stoffwechsel durch eine ausgewogene Fütterung möglichst wenig belastet wird. „Die Tiere müssen das Futter gut verdauen können, und die Darmgesundheit ist mir wichtiger als die letzten 10 g Zunahmen. Mit Gerste, Triticale, Silomais, CCM und Weizenstärke setzte ich zudem auf eine vielfältige Rationsgestaltung“, so Großekathöfer.


Vorsichtig geworden ist er beim Thema Nährstoffreduzierung, zu der viele Landwirte aufgrund der verschärften Vorgaben der Düngeverordnung heute gezwungen sind. Großekathöfer füttert N-/P-reduziert, mehr nicht. Bei der Kalziumversorgung achtet er darauf, dass die Tiere gut versorgt sind. Denn Kalzium hat Einfluss auf den Stoffwechsel, die Blutgerinnung und die Durchlässigkeit der Zellmembranen.


Zudem ist für ihn ein striktes Futterregime ein wichtiger Baustein. „Futterwechsel beschränke ich auf das Nötigste. Auch bei der Komponentenauswahl experimentiere ich ungern, weil ich mich dann immer wieder neu an das Optimum herantasten muss. Ich kaufe das Futter auch niemals nur über den Preis,“ warnt der Vermehrer vor allzu viel Experimentierfreudigkeit.


Auch die Fütterungstechnik muss passen. Vorteilhaft ist, wenn alle Tiere gleichzeitig fressen können. Dann herrscht weniger Stress am Futtertrog. Im Betrieb Großekathöfer hat deshalb jedes Tier in der Ferkelaufzucht und im Jungsauenbereich einen eigenen Fressplatz. Auch bei den Sauen im Wartestall sind Langtröge installiert.


Tierkontrolle in aller Ruhe


Viel Erfahrung hat der Unternehmer inzwischen bei der Tierbeobachtung gesammelt. Anstatt im Laufschritt durch den Stall zu flitzen, nimmt sich Großekathöfer beim täglichen Stallrundgang Zeit. Immer wieder setzt er sich auf die Buchtentrennwände und beobachtet die Tiere bzw. Tiergruppen. „So schule ich mein Auge und erkenne ein mögliches Beißgeschehen frühzeitiger“, erklärt er seine Strategie.


Doch worauf achtet der Landwirt im Detail? Skeptisch wird er, wenn in der Ferkelaufzucht Unruhe herrscht. Zudem nimmt er Ferkel genauer ins Visier, die ihren Ringelschwanz lang herabhängen lassen und einklemmen. Diese Tiere haben Angst. Ein Grund dafür kann sein, dass sich ein Beißer in der Bucht befindet. Diesen muss der Landwirt dann schnell finden.


Täter, Opfer, Neutrale suchen


Noch sucht er den Übeltäter mit bloßem Auge, in Zukunft könnte ihn moderne Technik bei der Tierbeobachtung unterstützen. „Mithilfe von hoch auflösenden Stallkameras und künstlicher Intelligenz versuchen wir, sozial verträgliche Schweine besser zu identifizieren. Erste Versuche mit diesen technischen Hilfen laufen im Zuchtunternehmen jetzt an“, verrät der Unternehmer. Das Ziel ist, den Täter, das Opfer und das sich neutral verhaltene Tier zu identifizieren (siehe Übersicht). „Der Neutrale ist uns am liebsten. Denn er beißt nicht und lässt sich auch nicht beißen“, erklärt Clemens-August Grote.


Ist der Übeltäter gefunden, wird dieser sofort von der Gruppe abgesondert. Die Tiere stallt Großekathöfer in Kleinbuchten um. Davon hat er ausreichend. „Auf rund 1400 Jungsauenaufzuchtplätze kommen bei uns zwölf Selektionsbuchten, die Platz für 60 Tiere bieten“, erklärt der Landwirt. Dank des reichlichen Platzangebots kann er auch drei oder vier Tiere gleichzeitig aus den Buchten nehmen. „Das vorübergehende Trennen der Gruppen hilft immer noch am besten“, betont der Vermehrer. Tiere mit angeknabberten Schwänzen bleiben in den Kleinbuchten, Schweine mit angelutschtem Ringelschwanz, die schnell verheilen, stallt er drei bis vier Tage später wieder zurück.


Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Getreu diesem Motto kontrolliert Ludger Großekathöfer täglich das Stallklima. Dazu klettert er in einzelne Buchten, geht auf die Knie und überprüft das Stallklima auf Augenhöhe der Tiere. Riecht die Luft angenehm frisch oder sind Schadgase wahrzunehmen? Sind die Augen der Tiere gerötet oder klar? Herrscht Zugluft in der Bucht? Liegen die Tiere nebeneinander oder auf dem Haufen? „Beim Stallklima verlasse ich mich niemals auf die Technik. Als Landwirt muss ich selbst spüren, ob das Klima im Tierbereich in Ordnung ist“, so der Tipp des Landwirts.


Während der Kontrolle der Buchten schaut er sich auch das Beschäftigungsmaterial an, das in jeder Bucht hängt. Er setzt überwiegend Eisenketten mit Gummischeiben ein. Zudem hat der Unternehmer immer einen größeren Vorrat an Kaustricken im Betrieb. Auch Stroh gibt er gelegentlich in einzelne Buchten. „Stroh lenkt die Tiere wunderbar ab“, sagt er.


Knabbermüsli zur Ablenkung


Sehr gut helfen auch grob vermahlenes Futter wie gequetschter Weizen oder Knabberartikel, die man sonst nur abgepackt im Supermarkt findet. Großekathöfer bezieht derzeit Ware mit Erdnussanteil in großen Gebinden und mischt das Knabbermaterial unters Futter. Dass legt er Problemtieren bei Bedarf on top vor. „Das Maismehl, das Fett, die Erdnüsse sowie der salzige Geschmack halten die Tiere von Beißereien ab“, hat der Landwirt beobachtet.


Geteilte Meinung der Kunden


Ludger Großekathöfer gelingt es, Jungsauen mit intaktem Ringelschwanz zu produzieren. Was sagen seine Kunden dazu? „Die Meinungen gehen auseinander. Einige begrüßen es, dass wir Züchter das Thema aktiv angehen, weil es öffentlich diskutiert wird. Andere sind skeptisch und werfen uns vorauseilenden Gehorsam vor“, gibt er die Stimmungslage wieder.


Die Skepsis kann er verstehen, aufgrund der eigenen guten Erfahrungen will der Vermehrer das Thema aber weiter vorantreiben. Er hat auch keine Sorge, dass seine Jungsauen nicht mehr vermarktungsfähig sind. „Die Selektionsrate hat unter dem Projekt Langschwanz nicht gelitten. Nur 1% der Jungsauen sind aufgrund von Schäden am Ringelschwanz nicht vermarktungsfähig“, erklärt der Unternehmer.


Auch Berater Clemens-August Grote glaubt, dass es an der Zeit ist, mehr Schwung in die Diskussion zu bringen. „Die Kritiker der modernen Tierhaltung werden nicht lockerlassen und weiter vehement unversehrte Tiere fordern. Es liegt an uns, Wege zu finden, wie wir Schweine mit Langschwanz in modernen Ställen ohne Tiefstreu halten können“, so Grote.


marcus.arden@topagrar.com

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