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Narkose oder Schmerzlinderung?

Lesezeit: 7 Minuten

Trotz intensiver Forschung wurde bislang noch kein Mittel gefunden, das den Schmerz der Tiere effektiv lindert, gut verträglich ist und vom Landwirt selbst verabreicht werden darf.


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Will man sichergehen, dass kein Fleisch von geruchsauffälligen Ebern in den Kühltheken landet, dann ist und bleibt die Kastration das sicherste Verfahren. Deshalb suchen Tierärzte und Wissenschaftler intensiv nach geeigneten Narkose- bzw. schmerzlindernden Verfahren.


Hier bieten sich drei Alternativen an:


  • Vollnarkose (Kombibehandlung von Ketamin+Azaperon, CO2, Isofluran)
  • Örtliche Betäubung
  • Schmerzlindernde Mittel


Hohe Verluste bei Ketamin:

Zunächst zur Vollnarkose. Hier stehen drei Varianten zur Auswahl: Die kombinierte Behandlung mit Ketamin und Azaperon oder die Inhalationsnarkose mit CO2 bzw. Isofluran. Am einfachsten lässt sich die Kombination aus Ketamin und Azaperon anwenden. Die Mittel werden mit der Spritze verabreicht und benötigen eine Einschlafphase von etwa zehn Minuten. Sie betäuben und lindern den Schmerz, dürfen aber nur vom Tierarzt eingesetzt werden. Das größte Problem ist jedoch die lange Aufwachphase, die bis zu vier Stunden dauern kann. Während dieser Zeit nehmen die Ferkel keine Milch auf, kühlen aus, und die Erdrückungsverluste steigen. Deshalb ist das Mittel für die Ferkelkastration aus Expertensicht nicht zu gebrauchen.


CO2 ist tierschutzrelevant:

In den Niederlanden arbeitet man seit einigen Jahren mit der CO2-Inhalationsnarkose. Die Ferkel werden dazu in eine Kiste gesetzt, in der sie 45 Sekunden lang ein Gemisch aus 30% Sauerstoff und 70% CO2 einatmen müssen.


Während der Einschlafphase leiden die Tiere jedoch unter Erstickungsnot. Aus Tierschutzgründen ist diese Art der Betäubung nach Ansicht von Prof. Dr.Mathias Ritzmann, Leiter der Klinik für Schweine in München, daher nicht zu gebrauchen: „Unsere Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass das CO2 nicht die Schmerzen nimmt, sondern nur zusätzlichen Stress verursacht.“


Für die Vollnarkose mit dem Betäubungsgas Isofluran werden die Ferkel in einem Behandlungsstand fixiert und atmen 90 Sekunden lang ein Gemisch aus Isofluran (5 Vol.%) und Sauerstoff ein. Farbige Kontrollleuchten zeigen an, wenn die Tiere ausreichend narkotisiert sind.


Die Geräte kosten 8000 bis 9000€. Teilweise werden sie daher überbetrieblich eingesetzt. Der Behandlungstisch und das Gerät zum Verdampfen des flüssigen Isoflurans werden dazu zwischen den Betriebsbesuchen gereinigt und desinfiziert. Schlauch und Masken verbleiben im jeweiligen Betrieb. Trotzdem bleibt ein hohes Hygienerisiko.


Isofluran-Narkose praktikabel:

Die Erzeugergemeinschaft für Ferkel im Raum Osnabrück (EGF) hat drei Isofluran-Narkosegeräte ein Jahr lang in Praxisbetrieben getestet. Das Projekt wurde von der Tierärztlichen Hochschule Hannover wissenschaftlich begleitet. Ergebnis: Die Kastration unter Isofluran-Narkose ist praktikabel. Das Aufwendigste sind die Rüstzeiten. Je mehr Würfe bei einem Arbeitsgang behandelt werden können, desto geringer ist der anteilige Zeitaufwand pro Wurf.


„Im Schnitt dauerte die Kastration mit Isofluran-Betäubung pro Wurf ein bis drei Minuten länger. Wichtig ist, dass man die Arbeitsabläufe anpasst und die Narkose-Wartezeit für andere Ferkelbehandlungen nutzt“, fasst EGO-Beraterin Manuela König die Erfahrungen zusammen.


Die Ferkel vertrugen die Isofluran-Narkose gut. Erhöhte Verluste oder Wachstumsdepressionen traten nicht auf. Bei ständiger Beaufsichtigung durch den Tierarzt – wie es das Tierschutzgesetz vorschreibt – betragen die Kosten für Gerät, Gas und Arbeitszeit nach EGO-Auswertungen gut 2€ je Kastrat bzw. 1€ je Ferkel. Je größer der Bestand, desto geringer die Kosten.


Um eine optimale Narkose und den größtmöglichen Schutz des Anwenders zu gewährleisten, sollten die Ferkel etwa drei Tage alt und maximal 2,5 kg schwer sein. Bei diesen Tieren schließt die Maske am dichtesten. Zudem müssen die Ferkelmasken mit einem Absaugschlauch ausgestattet sein, der überschüssiges Gas in den Lüftungsschacht ableitet. Und das Gerät darf, wenn es in Betrieb genommen wird, nicht zu kalt sein. Denn sonst arbeitet der Verdampfer, der flüssiges Isofluran in Narkosegas umwandelt, nicht korrekt.


Das größte Problem ist jedoch die fehlende Zulassung. Isofluran ist zwar für Pferde zugelassen, nicht jedoch für Schweine. Der Tierarzt kann es umwidmen, wenn ein Therapienotstand vorliegt, also kein vergleichbares Medikament zur Behandlung von Schweinen verfügbar ist.


„Alternativ könnte die Kombination aus Ketamin und Azaperon verabreicht werden. Da hier die Gefahr von Erdrückungsverlusten jedoch zu hoch ist, muss man zwischen Arzneimittelgesetz und Tierschutz abwägen. Auf diese Weise lässt sich der Therapienotstand gut begründen“, argumentiert Dr. Jörg Baumgarte, Tierschutzreferent im niedersächsischen Landwirtschaftsministerium.


Das grün regierte Ministerium hat großes Interesse, den Isofluran-Einsatz zu legalisieren. Denn etliche Biobetriebe (z.B. Neuland) setzen bereits Isofluran zur Kastration ein. Im ebenfalls grün regierten baden-württembergischen Landwirtschaftsministerium sieht es ähnlich aus.


Langfristig strebt man in Hannover allerdings an, dass Isofluran auch für Schweine zugelassen wird. Diese Zulassung muss der Hersteller beantragen. Das kostet jedoch viel Geld und ist für die Pharmaindustrie nur dann interessant, wenn eine entsprechend große Nachfrage zu erwarten ist.


In jedem Fall müsste die Isofluran-Narkose in Deutschland unter Aufsicht eines Tierarztes erfolgen. So schreibt es das Tierschutzgesetz vor. In der Schweiz hingegen darf diese Arbeit auch von Landwirten erledigt werden. Sie müssen nur einen entsprechenden Sachkundenachweis vorlegen.


Wichtig ist zudem, dass mindestens 15 Minuten vor der Narkose ein schmerz-linderndes Mittel wie z.B. Metacam verabreicht wird. „Denn Isofluran betäubt nur, nimmt aber nicht den Schmerz“, betont Prof. Ritzmann.


Lokale Narkose ungeeignet:

Schonender als eine Vollnarkose wäre für die Ferkel eine lokale Betäubung, wie sie in Norwegen bereits seit 2002 durchgeführt wird. In Untersuchungen der Münchener Schweineklinik wurden dazu den Ferkeln 15 Minuten vor der Kastration 0,5 ml Procain in jeden Hoden gespritzt. Parallel dazu hat man als Stressparameter die Cortisolkonzentration im Blutserum der Ferkel gemessen.


Das Ergebnis war enttäuschend. Durch das Procain konnte der Kastrationsschmerz nicht vermindert werden. Im Gegenteil: Die Procain-behandelten Tiere wiesen eine Stunde nach der Kastration die höchsten Cortisolspiegel auf.


Auch das Vereisen (-12°C) des Hodenbereichs und das anschließende direkte Aufträufeln des Betäubungsmittels in die Wundhöhle konnten den Kastrationsschmerz nicht deutlich mindern.


Schmerzlindernde Mittel:

Im nächsten Schritt haben die Münchener Wissenschaftler den Einsatz schmerzlindernder Mittel getestet, sogenannter Nichtsteroidaler Entzündungshemmer (NSAID). Dazu gehören Wirkstoffe wie Meloxicam (Metacam), Flunixin und Metamizol. Ziel ist es, das Schmerzleitungssystem schon vor der Sensibilisierung vor übermäßiger Aktivierung zu schützen. Zusätzlich wirken die Präparate entzündungshemmend.


Ergebnis: Die Cortisolkonzentration im Blutserum und damit der Stress der Ferkel war nach dem Kastrieren bei rechtzeitiger Verabreichung von Meloxicam und Flunixin deutlich niedriger als bei den herkömmlich kastrierten Ferkeln. Das Schmerzempfinden kann durch diese Methode jedoch nicht komplett ausgeschaltet werden.


Im Anschluss haben die Münchener Wissenschaftler deshalb auch stärkere Schmerzmittel getestet, sogenannte Opioid-Abkömmlinge. In einem ersten Versuch kam Butorphanol zum Einsatz, das bereits für Pferde zugelassen ist und daher umgewidmet werden könnte. In einer ersten Untersuchung blieb der erhoffte Erfolg zwar aus. „Ich verspreche mir vom Einsatz von Opioiden dennoch sehr viel. Deshalb werden wir weiterforschen“, fasst Prof. Ritzmann die bisherigen Ergebnisse zusammen.


„Zudem brauchen wir eine vernünftige Definition für den Begriff „wirksame Schmerzausschaltung“, wie er im Tierschutzgesetz steht“, gibt Isabella Timm-Guri vom BBV zu bedenken. Ist wirklich eine komplette Schmerzausschaltung erforderlich? Oder reicht eine deutliche Schmerzminderung? Timm-Guri: „Wenn bei Verfahren mit Narkose ein gewisses Schmerzniveau toleriert wird, muss das auch für Schmerzsenker gelten, die der Landwirt selbst anwenden darf!“Henning Lehnert

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