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Per Isofluran-Narkose im Schlaf kastriert

Lesezeit: 8 Minuten

Das Bundeslandwirtschaftsministerium favorisiert die Kastration männlicher Ferkel unter Isofluran-Narkose. Wie kommen Praktiker mit dem Verfahren klar? top agrar hat nachgefragt.


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Wenn Berufskollegen das Thema Ferkelkastration diskutieren, kann sich Sauenhalter Christian Wesseler ganz entspannt zurücklehnen. Denn er hat sich bereits für ein Verfahren entschieden. Der 36-Jährige, der im niedersächsischen Bissendorf gemeinsam mit seinen Eltern einen Kombibetrieb mit 200 Sauen im Geschlossenen System betreibt, kastriert die männlichen Ferkel schon seit mehreren Jahren unter Betäubung mit dem Narkosegas Isofluran.


Begonnen hat er damit im Juli 2012. Die Erzeugergemeinschaft für Qualitätsferkel im Raum Osnabrück eG (EGF) suchte damals nach Betrieben, die an einem Pilotprojekt teilnehmen und beim Kastrieren freiwillig die Isofluran-Narkose anwenden. Dafür stellte die EGF den Wesselers und zwei weiteren Ferkelzeugerbetrieben kostenlos die in der Schweiz erworbenen Narkosegeräte „PIGNAP Pro“ der Firma Walder-Technik zur Verfügung. Die Geräte verfügten über jeweils zwei Narkoseplätze.


Die Projektphase dauerte ein Jahr. Anschließend landete das Gerät wegen des höheren Aufwands und der Kosten zunächst unter einer Plane im Schuppen. Erst als sich eine interessante Vermarktungsmöglichkeit für betäubt kastrierte Ferkel ergab, holte Wesseler das Narkosegerät wieder hervor. Bereits seit 2017 werden alle männlichen Ferkel vor dem Kastrieren mit Isofluran in einen Kurzschlaf versetzt. Rund 6000 Tiere wurden seitdem mit der Apparatur erfolgreich narkotisiert.


Narkose durch den Tierarzt


Da eine Vollnarkose laut Tierschutzgesetz nur durch den Tierarzt durchgeführt werden darf (Tierärztevorbehalt), wird das Betäuben und anschließende Kastrieren im Betrieb Wesseler von der bestandsbetreuenden Tierarztpraxis Böhne aus Melle durchgeführt. „Wir müssen ohnehin während der gesamten Narkose anwesend sein. Deshalb haben wir mit Herrn Wesseler vereinbart, dass wir auch gleich das Kastrieren mit durchführen“, erläutert Praxisinhaberin Inge Böhne die ungewöhnliche Arbeitsverteilung.


Alle drei Wochen setzen die Wesselers nach vierwöchiger Säugezeit 300 bis 350 Ferkel ab, davon 150 bis 170 männliche. Am dritten Lebenstag bekommen die Ferkel zunächst eine Eiseninjektion und vorbeugend gegen Kokzidiose wird ihnen Baycox oral verabreicht.


Im gleichen Arbeitsgang werden auch die Ohrmarken eingezogen und die Tiere nach Geschlecht sortiert. Die weiblichen Ferkel erhalten eine weiße Gegenplatte zur Ohrmarke und die „Jungs“ eine rote. Auf diese Weise können zum Kastrieren, das zwei bis drei Tage später erfolgt, ganz gezielt nur die männlichen Tiere herausgegriffen werden. Das spart deutlich Zeit. Beim Kastrieren wird nach Zeit abgerechnet, nicht nach Anzahl behandelter Ferkel. Sobald das Narkosegerät einsatzbereit ist, werden die männlichen Ferkel in einen Behandlungswagen gesetzt und erhalten 0,25 ml Metacam sowie ein Penicillin zur besseren Wundheilung. „Das Metacam ist wichtig, um die schwache schmerzreduzierende Wirkung des Isoflurans in der Narkose zu unterstützen und die postoperativen Schmerzen zu lindern“, erläutert Inge Böhne.


Nach zehn bis fünfzehn Minuten werden die Ferkel rücklings in die Halterung des Kastrationsgerätes gespannt. Die Rüsselscheibe steckt dabei in einer trichterförmigen Maske und löst über einen Kontaktschalter die Zufuhr des Isofluran-Sauerstoff-Gasgemisches aus. Eine rote Kontrollleuchte zeigt den Betäubungsvorgang an. Nach 90 Sekunden springt die Kontrolleuchte auf grün. Jetzt kann mit dem Kastrieren begonnen werden. Zuvor überprüft die Tierärztin mithilfe des Zwischenklauen- und des Lidreflexes sowie der Muskelerschlaffung, ob das Tier ausreichend betäubt ist. Bei Bedarf muss Isofluran nachdosiert werden.


„Ideal ist es, wenn man die Wartezeit mit anderen Arbeiten überbrücken kann. Das PIGNAP-Gerät mit zwei Narkoseplätzen erwies sich dabei für unseren Betrieb mit 200 Sauen als zu klein“, berichtet Christian Wesseler. Von einem zweiten Testbetrieb, bei dem das Gerät seit Abschluss der Pilotphase ungenutzt herumstand, holten sich die Wesselers deshalb ein weiteres Narkosegerät dazu, sodass sie inzwischen über vier Narkoseplätze verfügen. Seitdem läuft das Narkotisieren und Kastrieren rund.


Angenehme Ruhe im Stall


„Auffallend ist die Ruhe im Stall. Die Ferkel quieken nicht wie sonst beim Kastrieren“, betont Wesseler. Und das wirkt sich natürlich auch auf das Verhalten der Sauen aus. Sie sind wesentlich ruhiger und weniger aggressiv. Das dürfte in Zukunft, wenn mehr Ställe mit Bewegungsbuchten ausgerüstet werden, an Bedeutung gewinnen.


Direkt nach dem Kastrieren werden die Ferkel zurück ins Ferkelnest gelegt. „Bereits nach anderthalb bis zwei Minuten wachen sie wieder auf, berappeln sich und laufen zum Gesäuge. Sie verpassen nahezu keine Säugezeit“, schildert EGF-Beraterin Manuela König ihre Beobachtungen.


Das bestätigen auch die Auswertungen des einjährigen Pilotprojektes durch die Tierärztliche Hochschule Hannover bei 1166 Ferkeln. Weder beim Säugeverhalten noch in der Gewichtsentwicklung oder bei der Wundheilung konnten Unterschiede zwischen den betäubungslos und den mit Isofluran betäubten Ferkeln beobachtet werden.


Sicher für den Anwender?


Bleibt die Frage nach der Anwendersicherheit. Denn Isofluran gilt nicht nur als klimaschädlich, sondern auch als lebertoxisch und damit möglicherweise krebserregend. Einige Anwender klagen nach längerem Gebrauch zudem über Kopfschmerzen. In der Humanmedizin wird Isofluran daher nur in Kombination mit speziellen Absaugeinrichtungen in Operationssälen eingesetzt.


Auch Tierärzte und Landwirt dürfen keinem erhöhten Gesundheitsrisiko ausgesetzt sein. Deshalb müssen die Masken die Ferkelschnauzen dicht umschließen. Es sollte kein Narkosegas entweichen. „Optimal funktioniert das Gerät, wenn die Ferkel 1 bis 2,6 kg wiegen. Hier dichtet die Maske optimal ab“, schildert Inge Böhne ihre Erfahrungen. Die Form der Ferkelmasken wurde deshalb mehrfach angepasst.


Das PIGNAP Pro-Gerät verfügt zudem über eine Doppelmaske, bei der seitlich austretendes sowie von den Ferkeln ausgeatmetes Narkosegas aktiv abgesaugt und über einen langen Schlauch ins Freie geleitet wird. Alternativ lassen sich neuere Geräte auch mit einem Aktivkohlefilter ausrüsten. Das ist jedoch teuer. Ein Aktivkohlefilter reicht für 350 Ferkel und kostet 70 bis 80 €!


Stichpunkt Kosten: Während der Pilotphase hat die EGF die anfallenden Kosten genau ausgewertet. Die Testgeräte mit zwei Narkoseplätzen konnte die EGF für je knapp 8000 € erwerben. Ein modernes PIGNAP-Gerät mit vier Arbeitsplätzen kostet aktuell etwa 9800 € (o. MwSt.).


Mehrkosten: 1€ pro Ferkel


Die Geräte wurden für die Berechnung auf fünf Jahre abgeschrieben. Für Wartung und Reparatur wurden zudem pro Jahr 250 € angesetzt. Hinzu kommen die laufenden Kosten für das Gas. Eine Flasche Isofluran reicht für etwa 300 Ferkel und kostete damals rund 68 €.


Als Trägergas wird beim PIGNAP Pro medizinischer Sauerstoff eingesetzt. Aktuell kostet eine Füllung (für 300 Ferkel) 42,80 €. Hinzu kommen der Transport durch eine Fachfirma (ca. 100 €) und die Flaschenmiete (225 €/Jahr).


Summa summarum schlug die Isofluran-Narkose der Ferkel vor sechs Jahren mit 0,60 € (bei 600 Sauen) bis 1,27 € pro Ferkel (bei 200 Sauen) zu Buche. „Damit ist das Verfahren wesentlich teurer als die Lokalanästhesie, wenn sie denn zugelassen wäre. Bei uns rechnet sich das auch nur, weil unser Vermarkter für betäubt kastrierte Ferkel einen Aufschlag zahlt“, so Wesseler.


Wobei allein die Hälfte der Mehrkosten auf das Konto der Tierarztkosten geht. Darf der Landwirt die Isofluran-Narkose selbst durchführen, halbieren sich die Aufwendungen für die Narkose. Dafür hat sich der Bezug des medizinischen Sauerstoffs deutlich verteuert.


„Unter dem Strich ist die Isofluran-Narkose ein ausgereiftes, aber aufwendiges Verfahren“, bringt es Beraterin König auf den Punkt. Die Narkosegeräte arbeiten zuverlässig. Bislang ist im Betrieb Wesseler und in den anderen Pilotbetrieben kein einziges Ferkel durch die Narkose zu Tode gekommen, und es traten keine Leistungseinbußen auf.


Zudem verfügt das PIGNAP Pro über eine „Blackbox“, die jede Anwendung dokumentiert und nur von den Kontrollbehörden ausgelesen werden kann. Das ist nach Ansicht von Beraterin König ein weiterer Pluspunkt, der dem Landwirt Sicherheit gibt, wenn eine Kontrolle erfolgt.


Die Kehrseite der Medaille: Die Isofluran-Narkose ist kosten- und personalaufwendig. „Zudem kann man Brüchlinge etwas schlechter erkennen, weil die Ferkel auf dem Rücken liegen. Der Darm fällt in dieser Position zurück“, gibt Christian Wesseler zu bedenken.


Und schließlich ist auch noch nicht abschließend geklärt, wie groß die Gefährdung der Anwender durch das Narkosegas ist. Hier werden zurzeit von der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft Messungen durchgeführt. Mit ersten Ergebnissen wird im Frühsommer gerechnet (siehe Seite S13).


„Dank des frühen Engagements der EGF haben wir für unseren Betrieb eine praktikable Alternative zur betäubungslosen Ferkelkastration gefunden“, bringt es Christian Wesseler auf den Punkt. „Wir sind in der komfortablen Situation, dass uns die Geräte kostenlos zur Verfügung gestellt wurden und wir nur die laufenden Kosten tragen müssen. Zum jetzigen Zeitpunkt wäre ich jedenfalls nicht bereit, für ein Gerät mit vier Narkoseplätzen 10000 € hinzublättern.“ Für die Kaufbereitschaft der Landwirte wird deshalb entscheidend sein, welchen Betrag der Bund als Investitionsbeihilfe zuschießt.


henning.lehnert@topagrar.com

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