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Schwanzbeißen: Tätertiere überführt

Lesezeit: 11 Minuten

Schwanzbeißen geht zunächst von einzelnen Tieren in einer Gruppe aus. Was treibt diese Tätertiere an? Und wie müssen Ställe künftig aussehen, um ihre Anzahl zu reduzieren? Dr. Eckhard Meyer vom LVG Köllitsch berichtet.


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Mehr als 30 Forschungsprojekte in Deutschland beschäftigen sich mit der Haltung von unkupierten Schweinen. Dabei untersuchen die Wissenschaftler, in welchen Haltungssystemen und mit welchen Fütterungsmaßnahmen möglichst viele Tiere mit intakten Schwänzen zu erreichen sind.


Am sächsischen Lehr- und Versuchsgut Köllitsch hat man den Spieß nun umgedreht und sich näher mit den Tätertieren beschäftigt. Das sind die Schweine in einer Bucht, die als Erste mit dem Schwanzbeißen anfangen.


Zwei Jahre lang wertete man in 12 Durchgängen in der Ferkelaufzucht und 11 Mastdurchgängen jeweils 600 Aufzuchtferkel und Mastschweine aus. Bei jeweils einem Drittel der Tiere war der Schwanz um zwei Drittel oder um ein Drittel gekürzt worden oder blieb unkupiert. Zusätzlich bewertete man etwas mehr als 1 000 Jungsauen in einem Praxisbetrieb mit Hochleistungsgenetik in puncto Beißereien.


Vier Beiß-Stufen:

Zweimal wöchentlich wurden die Gruppen intensiv beobachtet und bonitiert. Dabei identifizierte man die Tätertiere und teilte das Beißverhalten in vier Kategorien ein:


  • In Stufe 1 gab es keine Auffälligkeiten,
  • in Stufe 2 war das Beißen eher spielerisch und spontan,
  • in Stufe 3 suchten die Tätertiere zielstrebig ihre Buchtengenossen auf und
  • in Stufe 4 bissen sie ständig und zwang­haft.


Neben den Tätertieren bestimmte man auch die Anzahl an Opfertieren in der gesamten Bucht und teilte den Schweregrad der Verletzungen in vier Stufen ein. In Stufe 1 waren keine Verletzungen sichtbar, in Stufe 4 hatten mehr als zwei Tiere deutlich erkenn­bare blutige Wunden.


Während der Untersuchungen wurde meist nur ein Parameter zwischen Kontroll- und Versuchsgruppe verändert. Beispielsweise legte man den Versuchs­tieren organisches Beschäftigungsmaterial vor, verringerte die Gruppengröße oder veränderte das Nachtlicht. Dadurch ließ sich auswerten, wie bestimmte Einzelmaßnahmen den Anteil an Täter­tieren beeinflussen. Hier die Ergebnisse im Überblick.


Tätertiere meist weiblich


Im Laufe des zweijährigen Versuchszeitraums wurden 1 335 Verhaltensstörungen dokumentiert. Dabei identifizierte man 604 unterschiedliche Tätertiere, die so lange beobachtet wurden, wie ihre Aggressivität zu tolerieren war. In mehr als 90 % der Fälle wurden Schwanz­verletzungen registriert. Selten kam es zum Flanken- und Ohrenbeißen.


Weibliche Schweine waren signifikant häufiger Tätertiere als Masteber oder Kastraten (Übersicht 1). Im Vergleich zu anderen Untersuchungen waren die weiblichen Tätertiere aber nicht leichter als ihre Buchtengenossen, sondern ähnlich schwer. Auch erreichten sie vergleichbare Zunahmen.


Weibliche Tiere sind vermutlich häufiger Täter, weil geschlechtsreife weib­liche Schweine sehr aktiv sind. Dann beschäftigen sie sich auch mehr mit dem Hinterteil ihrer Buchtengenossen als Börge, z. B. bei Analmassagen.


An zweiter Stelle in puncto Beißhäufigkeit standen die Masteber. Sollten also künftig nur noch Eber und Sau­schweine gemästet werden, wird ein möglicher Kupierverzicht noch schwieriger umzusetzen sein. Kastraten wiederum sind am wenigsten aktiv und damit ein leichtes Ziel für Beißattacken. Sie sind also eher die Opfertiere in der Gruppe.


Mehr als ein Viertel der im Flatdeck identifizierten Tätertiere wurde auch in der Mast auffällig. Das lag aber weniger daran, dass sie erlerntes Fehlverhalten wiederholten. Vielmehr provozierten in zwei Drittel aller Fälle unvollstän­-dig abgeheilte Verletzungen erneutes Schwanz­beißen. Meist beteiligten sich noch weitere Tiere daran, besonders wenn es die Opfertiere erneut duldeten.


Daher müssen Schweinehalter alles dafür tun, dass Wunden abheilen können. Dazu müssen sie stark betroffene Schweine auch antibiotisch behandeln – Antibiotikadatenbank hin oder her!


Da Tätertiere oft so lange weiterbeißen, wie noch ein anderes Tier in der Bucht ist, müssen sie schnellstmöglich separiert werden. Dafür muss man in allen Abteilen kleinere Reservebuchten vorhalten, die man nicht im Dauer­betrieb mitbenutzt.


Mehr Platz hält Täter nicht ab


Mehr Platz je Tier hatte im Vergleich mit den Ergebnissen anderer Versuchsanstalten einen geringen Einfluss auf die Anzahl Tätertiere. Voraussetzung ist natürlich, dass die gesetzlichen Platzvorgaben erfüllt werden. Das liegt daran, dass man in den Versuchen mit sogenannten Tierwohlbuchten die Effekte von erhöhtem Platzangebot und Gruppengröße nicht voneinander trennen konnte. Denn in die Tierwohlbuchten wurden weniger Schweine eingestallt als in die gleich großen Kontrollbuchten.


Mehr Platz ist definitiv kein Fehler, der Effekt der Gruppengröße überwiegt jedoch bei Weitem. Um den Einfluss der Besatzdichte zu prüfen, müsste man also unterschiedlich große Buchten miteinander vergleichen, in die dieselbe Anzahl Tiere eingestallt werden.


Ferkelaufzucht mehrphasig?


Beißereien treten am häufigsten in der Aufzuchtphase und An­fang bis Mitte der Mast auf. In diesem Zeitfenster erhöhen sich die Tages­zunahmen deutlich, die Stoffwechsel­belastung steigt. Das macht die Tiere anfälliger für Stress. Wird diese kritische Phase jedoch ge­meistert, überstehen nicht betroffene Gruppen die Mast meist ohne größere Beißereien.


Daher sollte man alles dafür tun, die Haltungsbedingungen in der zweiten Hälfte der Ferkelaufzucht und der An­fangsmast optimal zu gestalten. Zu­künftig kann also eine mehrphasige Ferkel­aufzucht sinnvoll sein, bei der beispielsweise die Ferkel nach der ersten Aufzuchthälfte nochmals umgestallt werden. In Geschlossenen Systemen könnte man diese zweite Aufzuchtphase mit der Vormast zusammenlegen. Der Stall der Zu­kunft in puncto Kupierverzicht definiert also die Haltungsabschnitte ganz neu und stattet sie entsprechend mit allem aus, was unkupierte Tiere in diesem Zeitraum benötigen.


Ad libitum-Fütterung am Langtrog optimal


Erhöhte man bei den Untersuchungen die Anzahl an Fress­plätzen am Breiautomat und an der Sensor-­Flüssigfütterung über das vorgegebene Maß von 8 : 1 bzw. 4 : 1 hinaus, stieg das Risiko für Schwanzbeißen. Denn Schweine fressen umso langsamer, je größer das Fressplatzangebot ist. Dadurch präsentieren sie jedoch ihren Schwanz länger den Buchten­genossen, die in der zweiten Reihe hinter dem Trog drängeln. Die Tätertiere haben dann leichtes Spiel.


Diese negativen Auswirkungen kehren sich jedoch um, sobald ein Tier-Fress­platz­-Verhältnis von 1 : 1 erreicht wird. Als optimale Fütterungstechnik im Hinblick auf das Schwanzbeißen empfiehlt sich daher die ad libitum-Fütterung am Lang- oder Quer­trog mit einem Tier-Fress­platz-Ver­hältnis von 1 : 1. Ad libitum deshalb, weil Futter die Schweine am nachhaltigsten beschäftigt und ihnen so der Stress bei der Futteraufnahme genommen wird.


Zudem ist die Trockenfütterung vorteilhafter als die Flüssigfütterung. Trockenes Futter speicheln die Tiere erst ein. Daher sind sie länger mit der Futteraufnahme beschäftigt und zufriedener.


Neben der Fütterungstechnik kommt es aber auch darauf an, wie man die Fress­plätze anordnet. Standen die Rohrbreiautomaten in den Versuchen in der Buchtenmitte, gab es signifikant weniger Tätertiere im Vergleich zu einer Platzierung in den gegenüberliegenden Trennwänden. Erklärung: Wahrscheinlich nehmen die Tiere einen mittig eingebauten Automaten – zumindest in Verbindung mit einer kurzen Trennwand – als Strukturelement wahr. So können sie sich vor Tätertieren besser zurückziehen.


Kleinere Gruppen vorteilhaft


Die Gruppengröße hatte den größten Einfluss auf den Anteil ernsthaft beißender Tätertiere. In vier Durchgängen wurden Gruppen mit etwa 13 Schweinen mit Buchten mit ca. 27 Tieren verglichen. Dabei beobachtete man in den größeren Gruppen doppelt bis viermal soviel intensiv beißende Schweine (Übersicht 2).


Erklärung: Verletzte Schweine regen in größeren Gruppen mehr Tiere zur Nachahmung an. Damit erhöht sich das Schwanzbeiß-Risiko. Das bedeutet je­doch, dass die derzeit beliebten Großgruppen nicht die Zukunft zur Haltung unkupierter Schweine sein können.


Darüber hinaus stallt man die Tiere am besten gemischtgeschlechtlich auf. Denn das verbessert das Sozialverhalten besonders der männlichen, aber auch der weiblichen Schweine. Falls allerdings im Betrieb sehr unterschiedliche Ställe oder Abteile vorhanden sind, dann sollte man die weiblichen Schweine in den besser ausgestatteten Abteilen unterbringen.


Toxinlast im Futter tabu


Bevor es zu Beißereien kommt, zeigen die Tiere an den Schwanz- und/oder Ohrenspitzen häufig ­Ne-­krosen. Sie entstehen, wenn Endotoxine die feinen Blutgefäße verstopfen. Daraufhin stirbt das Ge­-webe ab. Das führt zu Juckreiz und in der Regel auch zu Blutungen. Oft empfinden es die betroffenen Tiere dann als angenehm, wenn Buchtengenossen die juckenden Schwänze oder Ohren beknabbern.


Es wird vermutet, dass sich die Probleme mit Nekrosen durch die Zucht auf hohe Zunahmen und eine bessere Futterverwertung verschlimmert haben. Offensichtlich ist der Darm durchlässiger geworden, wodurch auch Endotoxine leichter ins Blut übertreten können.


Deshalb sollte man dafür sorgen, dass die Schweine über das Futter und organisches Beschäftigungsmaterial und Ferkel über die Sauen­milch möglichst keine Myko- bzw. Endotoxine aufnehmen. Das Futter sollte daher regelmäßig auf Mykotoxine untersucht werden.


Tiere gemeinsam beschäftigen


Bei den Versuchen wurden Buchten mit Standardbeschäftigung – bestehend aus Ketten mit Kunststoff oder Holzbalken – mit erweiterten Beschäftigungsmöglichkeiten verglichen. In den besser ausgestatteten Buchten gab es etwa 8 % weniger Tätertiere der Stufen 3 und 4.


Die Beschäftigung war am nach­haltigsten, wenn sie die Schweine gemeinsam, am Boden und mit dem Maul ausüben konnten. Hierfür bieten sich beispielsweise Wühlkegel und Leck­massen an.


Organisches Beschäftigungsmaterial, wie z. B. Stroh, Heu oder Mais, beschäftigt die Tiere am meisten, weil sie es teilweise fressen können. Zudem kann das Raufutter den Stoffwechsel unterstützen. Zukünftig ist es daher wichtig, dass die organischen Beschäftigungsmaterialien hygienisch einwandfrei sind.


Aufzuchtferkel wenig mischen


In insgesamt acht Durchgängen wurden die Gruppen entweder aus nur zwei oder drei Würfen oder aus bis zu 20 Würfen zusammengestellt. Je weniger die Ferkel ge­mischt wurden, umso ge­ringer waren der Anteil an Tätertieren sowie der Schweregrad der Beiß­attacken. Das hat aber vermutlich weniger einen sozialen, sondern mehr einen immunologischen ­Hin-tergrund. Denn jede Sau gibt ihren Ferkeln andere Keime und Antikörper mit. Werden nun viele Würfe gemischt, verteilt man mit den Ferkeln gesundheitliche Probleme.


Väter identifizieren


Bei der Auswertung der Tätertiere nach ihrer Abstammung fiel auf, dass Nachkommen einzelner Eber häufiger Beißer waren. Alle eingesetzten Eber gehörten zur Rasse Piétrain. Das zeigt, dass die Veranlagung zum Beißen sehr individuell verankert ist. Die genetischen Unterschiede zwischen den Rassen sind geringer als zwischen den Vertretern einer Rasse. Es gilt also, züchterisch daran zu arbeiten, denn die Erblichkeiten sind mit 0,3 relativ hoch.


Tätertiere stammten oft von Endstufenebern ab, die extrem auf hohe Zunahmen und/oder auf einen hohen Magerfleisch­anteil gezüchtet worden waren. Vermutlich sind sie aufgrund des geringeren Fett­anteils weniger stress­tolerant. Tipp: Praktiker finden also am besten heraus, von welchen Vätern Tätertiere abstammen. Eber, die wiederholt auffallen, sollten sie nicht mehr einsetzen.


Zugluft ist gefährlich


Ohr- oder Schwanzbeißen trat häufig bei Zugluft auf. Oft begleitet von zu hohen Temperaturen, die zunächst zu Ohr- oder Schwanznekrosen geführt haben.


Gefährlich sind daher Lüftungssysteme mit Wandklappen und zentraler Ab­­saugung. Sie führen häufig zu ungenauer Luftführung. So entstehen Mief­ecken am Rand der Abteile sowie Zugluft in der Mitte und an den Abluftpunkten. Zum Liegen suchen die Schweine dann die Plätze auf, an denen sie keine Zugluft spüren – auch wenn dort die Luft sehr schlecht ist.


Zukünftig sollte man das Stallklima in Warmställen deshalb so gestalten, dass sich die Schweine wenig anpassen müssen. Damit werden Maßnahmen noch wichtiger, die die Wärmebelastung vermindern, z. B. Dämmung, Unter­flurzuluft und Hochdruckverneblung. Zudem sollte die Zuluft künftig nicht nur nach Temperatur, sondern auch nach Schadstoffgehalt im Abteil gesteuert werden.


Vorsicht beim Nachtlicht!


Um das gesetzlich vorgeschriebene Notlicht einzuhalten, wurden in den Versuchen einzelne Leuchtstoffröhren im Wechsel über den Buchten angelassen. In den Buchten, in denen das Licht auch nachts brannte, wurden etwa 10 % mehr Tätertiere beobachtet. Das helle und direkte Notlicht hat den Tag-Nacht-­Rhythmus der betroffenen Tiere also stark gestört. Sie waren gestresster und aggressiver gegenüber ihren Buchtengenossen.


Daher ist es wichtig, dass das Notlicht nicht zu hell ist – empfehlenswert sind weniger als 10 Lux. Zudem sollte man die Nachtbeleuchtung so gestalten, dass alle Schweine ungefähr der gleichen Lichtintensität ausgesetzt sind. Hier kann künftig die LED-Technologie helfen, indem einzelne LED des Hauptlichtes an- und abgeschaltet werden. So verteilt sich die geringe Lichtmenge gleichmäßig.


Bei natürlichem Lichteinfall sollte das Licht die Tiere nicht direkt treffen. Im untersuchten Praxisbetrieb gab es umso mehr Tiere mit Schwanz- und Hautverletzungen, je näher die Bucht am Fenster lag. Daher ist es ratsam, die Fenster im Abteil eher hoch einzubauen und das Dach überstehen zu lassen, insbesondere wenn es sich um große Abteile handelt.

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