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Spaniens Schweinehalter spüren heftigen Gegenwind

Lesezeit: 10 Minuten

In Spanien geht die Post ab, die Schweinefleischerzeugung wächst seit Jahren rasant. Nun formiert sich Widerstand, vor allem gegenüber den Großbetrieben. Politik, Tier- und Umweltschützer nehmen die Bauern in die Zange.


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Die Zahlen sind beeindruckend: In den letzten 30 Jahren wuchs der spanische Schweinebestand von 15 auf über 30 Mio. Tiere. Allein in den letzten sechs Jahren betrug der Zuwachs gut 5 Mio. Schweine, wie Übersicht 1 zeigt. „Jedes fünfte in der EU produzierte Schwein stammt heute aus spanischer Produktion“, betont Pablo Bernardos Hernández, Leiter des Fachbereichs Schwein und Geflügel beim spanischen Landwirtschaftsministerium in Madrid, stolz.


Beachtenswert ist, dass die spanischen Produzenten ihre Spitzenposition seit Jahren immer weiter festigen. Zwar schwächt sich das Bestandswachstum etwas ab, weil aber der Zweitplatzierte Deutschland allein in den letzten zwölf Monaten über 3 % seiner Schweine verloren hat, steht Spanien heute unangefochten auf Platz eins in der Hitliste der größten EU-Schweinehalter.


Auch im Hinblick auf die Schweinefleischproduktion schicken sich die Südeuropäer an, den ersten Tabellenplatz von Deutschland zu übernehmen. Mit einer Jahresproduktion von rund 4,5 Mio. t Schweinefleisch liegen sie nur noch 1 Mio. t hinter Deutschland. Deutschland führt nur noch, weil die Schlachtgewichte im Schnitt gut 10 kg höher liegen.


Auch global gesehen arbeiten sich Spaniens Schweinehalter immer weiter nach vorn. Aktuell ist man der viertgrößte Schweinefleischproduzent weltweit. Der Umsatz in der Fleischindustrie liegt bereits bei gut 26 Mrd. € pro Jahr. Der Anteil an der spanischen Ernährungsindustrie beträgt 22%, am Bruttoinlandsprodukt 2,2%.


VEredlungshochburgen im Nordosten


Ähnlich wie in Deutschland konzentriert sich die Produktion sehr stark in wenigen Veredlungszentren. Die Hochburgen liegen im Nordosten des Landes. In der Region Katalonien stehen gut 24% der spanischen Schweine (7,8 Mio. Stück), in Aragonien etwa 26% (8,1 Mio. Stück), wie Übersicht 2 zeigt. Vor allem Aragonien hat einen wahren Schweineboom erlebt. Zwischen 2009 und 2018 stieg der Bestand um mehr als 46% an, in Katalonien lag das Plus bei 17%. Große Bedeutung in der Veredlung hat auch noch die Region Kastilien-León. Hier stehen über 4 Mio. Schweine.


Strukturen ändern sich


Im Zuge der rasanten Entwicklung des spanischen Schweinefleischsektors verändern sich auch die Produktionsstrukturen. Wie in Übersicht 3 auf Seite S 6 dargestellt, nahm die Zahl der Schweinehalter mit bis zu 2800 Sauen- bzw. bis zu 7000 Mastplätzen in den letzten elf Jahren um 51% zu! Ein Plus von 16% gab es bei den Betrieben mit maximal 1200 Sauen bzw. 3000 Mastplätzen. Verlierer sind die kleineren, oft von Familien geführten Betriebe mit bis zu 400 Sauen oder 1000 Mastplätzen. Ihr Anteil sank um 25%. Noch deutlicher war der Rückgang bei den Kleinstbeständen mit weniger als 100 Schweinen. Das Minus betrug 47%.


Aktuell betreiben in Spanien knapp 47000 Betriebe intensive Schweinehaltung, so wie wir sie auch in Deutschland kennen. Hinzu kommen aber noch einmal fast 40000 sogenannte „sonstige Schweinehalter“. Dazu zählen die spanischen Behörden Höfe mit Eichelmast, Outdoorhaltung, Bioschweinehalter usw. Diese Betriebe sitzen vor allem in den westlichen Regionen Spaniens wie zum Beispiel Extremadura, Andalusien, dem westlichen Teil von Kastilien-León und Galizien.


Integrationsmodell dominiert


Während das Thema vertikale Integration in Deutschland noch immer in den Kinderschuhen steckt und vielfach kritisch gesehen wird, arbeiten die Spanier bereits seit den 1960er-Jahren mit diesem Modell. Die Formen sind dabei sehr unterschiedlich.


  • Zu einer Integration können z.B. die Mischfutterproduktion, die Ferkelerzeugung, die Aufzucht und die Mast gehören.
  • Die Zusammenarbeit kann sich aber auch auf die Sauenhaltung, Aufzucht, Mast, Schlachtung und Verarbeitung beziehen.
  • In einer dritten Variante arbeiten Ackerbauern, Futtermühlen und Sauenhalter zusammen.
  • Darüber hinaus gibt es Integrationen, die die gesamte Produktionskette abdecken. Das heißt, vom Futtereinkauf bis zum Fleischexport ist alles in einer Hand organisiert.


Wie in Übersicht 4 dargestellt, dominiert das vertikale Integrationsmodell mit einem Anteil von 65% die spanische Schweinefleischproduktion ganz klar. Allein die 20 größten Unternehmen haben fast zwei Drittel Marktanteil. 17% der Erzeugung findet in Genossenschaften statt. Einige Genossenschaftsmodelle entsprechen dabei sehr stark dem Integrationsmodell. Auch hier ist die Konzentration groß. Die sieben größten Genossenschaften kommen auf einen Marktanteil von 72%. Freie Landwirte sind in der Minderheit. Ihr Anteil an der Gesamtproduktionsmenge beträgt nur noch 18%.


Nach Aussage von Pablo Bernardos Hernández ist das Integrationsmodell in Spanien fest etabliert. „Den größten Vorteil sehen viele Landwirte in dem geringeren Marktrisiko“, betont der Fachmann. Er erklärt: „Der Betriebsleiter stellt z.B. den Stall und seine Arbeitskraft zur Verfügung und erhält dafür eine Vergütung. Außerdem sorgt er für die Verteilung der Gülle. Um den Futterbezug, die tierärztliche Versorgung, die Vermarktung usw. kümmert sich der Integrator.“


Positiv bewertet Hernández zudem die Tatsache, dass der Integrator ein viel größeres finanzielles Polster hat, effiziente Strukturen aufbauen und neue Absatzmärkte besser erschließen kann. „Die Größe der Integration zahlt sich vor allen in schwierigen Marktphasen aus“, betont Hernández.


Der Experte aus dem Ministerium verschweigt aber auch die Nachteile nicht. Er gibt zu, dass die Handlungsfähigkeit des einzelnen Landwirts stark eingeschränkt ist. „Keine Frage, der Landwirt verliert die Kontrolle über sein Geschäft. Er hat keinen Einfluss auf den Ein- und Verkauf der Schweine und Produktionsmittel wie Futter oder Arzneimittel“, so Hernández. Als Nachteil sieht er auch die fehlenden Gestaltungsmöglichkeiten und die mitunter mangelnde Transparenz. „In einer Integration ist der einzelne Landwirt nur ein Zahn im großen Zahnrad“, gibt Hernándes zu bedenken.


Gründe für den Erfolg


Am Ende überwiegen für den Fachmann aus Madrid aber die Vorteile. „Aus meiner Sicht ist das Integrationsmodell der Schlüsselfaktor für den rasanten Aufstieg unseres Schweinefleischsektors. Ohne die enge Zusammenarbeit in der Kette hätten wir es in der kurzen Zeit nicht geschafft, eine starke Inlandsproduktion aufzubauen und weltweit neue Exportmärkte zu erschließen“, betont der spanische Behördenvertreter.


Einen weiteren Eckpfeiler des Erfolgs sieht Hernández in der sehr dünnen Besiedelung der spanischen Veredlungsregionen. Während die Mehrzahl der rund 46 Mio. Spanier in Städten oder den Küstenregionen lebt, ist die Einwohnerzahl im Landesinnern überschaubar. In Aragonien z.B. leben nur 28 Einwohner pro Quadratkilometer. Zum Vergleich: In einigen niedersächsischen und nordrhein-westfälischen Landkreisen mit starker Veredlung sind es teilweise über 200 Menschen.


Dank der geringen Einwohnerdichte werden neue Baugenehmigungen sehr schnell ausgestellt, spezielle Bauauflagen sind selten. Abluftfilter sind in Spanien bislang ein Fremdwort. Das große Platzangebot bietet weitere Vorteile: Wenn ein neuer Stall gebaut wird, beträgt der Abstand zur nächsten Produktionseinheit oft mehrere Kilometer. Das ist aus Sicht der Tiergesundheit natürlich ein riesiger Vorteil.


Auch die Produktionskosten sind geringer als bei vielen europäischen Mitwettbewerbern. Die Spanier produzieren laut Landwirtschaftsministerium für 1,35 € je kg Schlachtgewicht. Ihnen kommen dabei unter anderem die geringen Baukosten von nur 200 € pro Mastplatz bzw. 1500 € pro Sauenplatz entgegen. Energiekosten fallen kaum an. Auf Heizungs- und Lüftungsanlagen können die spanischen Mäster aufgrund der klimatischen Gegebenheiten komplett verzichten. Die freie Lüftung ist weit verbreitet. Auch die Verteilung der Gülle ist günstiger als in Deutschland, da diese in der Region auf Ackerflächen ausgebracht wird. In der Regel entstehen dem abgebenden Betrieb keine bzw. nur sehr geringe Kosten.


Bauern spüren Gegenwind


Bleibt die Frage: Geht die spanische Erfolgsstory ungebremst weiter, oder stößt der Sektor irgendwann an Grenzen? Viele Experten sehen bereits erste dunkle Wolken aufziehen. „Wir spüren deutlich, dass die Kritik an unserer Arbeit wächst“, sagt Pablo Bernardos Hernández. Druck machen vor allem die Tier- und Umweltschützer. Ihr Einfluss wächst täglich und sie haben eine starke Lobby. Insbesondere die Megabetriebe mit mehreren tausend Sauen oder Mastschweinen sind den Aktivisten ein Dorn im Auge. Überall im Land formiert sich Widerstand gegen die Großanlagen, ihre Botschaften verbreiten die Gegner der Tierhaltung millionenfach in den sozialen Netzwerken. Ähnlich wie in Deutschland fällt es den Branchenvertretern schwer, argumentativ dagegen zu halten.


Kritik wird auch an dem stark steigenden Wasserverbrauch durch die Schweinehaltung laut. Schon heute fließen Millionen Kubikmeter Wasser aus den Pyrenäen nach Katalonien und Aragonien, um die Bevölkerung ausreichend mit Frischwasser zu versorgen. Dafür hat der spanische Staat teure Kanäle gebaut. Viele Umweltschützer sehen die Gefahr, dass der Wasservorrat in Zukunft nicht mehr ausreichen wird, um zusätzlich zur Bevölkerung Millionen Tiere zu versorgen.


Kritik hagelt es auch für den rasant steigenden Futterimport. Spanien muss etwa 50% seines Futters bzw. der Nährstoffe importieren – Tendenz steigend. Viele Kritiker bemängeln, dass die Landwirtschaft immer mehr Nährstoffe ins Land einführt und sich diese im Boden anhäufen.


Eine neue Strategie muss her


Viele Vertreter aus der Politik und der Veredlungsbranche glauben vor dem Hintergrund der immer lauter werdenden Proteste, dass der spanische Schweinefleischsektor jetzt dringend eine neue Entwicklungsstrategie braucht. „Ungebremstes Wachstum ist keine Zukunftsoption mehr für uns“, betont Pablo Bernardos Hernández.


Doch wie kann die Zukunft aussehen? Laut Landwirtschaftsministerium soll der Sektor zwar weiter wachsen dürfen, beim Ausbau der Kapazitäten will man aber verantwortungsvoller handeln. Es soll eine Zukunftsstrategie entwickelt werden, bei der sowohl die intern als auch die extern Beteiligten der Kette eingebunden werden. „Durch die stärkere Einbindung der Behörden, der Tier- und Umweltschützer, der Bürgerinitiativen, Lieferanten und Kunden wollen wir die Akzeptanz wieder verbessern“, beschreibt Hernández die Zukunftsstrategie.


Auch der Gesetzgeber ist nicht untätig. Nächstes Jahr soll eine neue Rahmengesetzgebung für die Schweinehaltung verabschiedet werden. Diskutiert wird u.a. über Obergrenzen für die Tierhaltung. Geplant ist z.B. eine maximale Bestandsgröße von 720 Großvieheinheiten. Das entspricht 1000 Mastplätzen im geschlossenen System. Zudem sollen größere Mindestabstände zu Ökosystemen eingehalten werden müssen. Geplant sind auch schärfere Biosicherheitsmaßnahmen – Umzäunung, Einbau von Hygieneschleusen usw.


Eine bedeutende Rolle im neuen Gesetz wird auch der Umweltschutz spielen. So sollen die Betriebe spezielle Maßnahmen umsetzen, mit dem der Stickstoffausstoß gesenkt wird. Konkret geplant ist die Abdeckung der Güllelager. Zudem ist vorgesehen, dass die Güllekanäle zwei Mal pro Woche geleert werden müssen. Auch im Bereich der Haltungsauflagen plant man deutliche Verschärfungen und es sollen betriebliche Eigenkontrollen eingeführt werden.


Beim Thema Tierwohl halten sich die Spanier indes noch zurück. Zwar hat der spanische Branchenverband Interporc im Mai dieses Jahres das Tierwohllabel „Bienestar Animal Certificado“ vorgestellt. Bei genauerer Betrachtung wird aber deutlich, dass man sich noch relativ wenig Gedanken zur näheren Ausgestaltung gemacht hat. Neben den fünf von der Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) festgelegten Tierschutzgrundsätzen Freiheit von Hunger, Durst, Angst und körperlichen Schmerzen sowie der Vorgabe, dass die Tiere ihr arttypisches Verhalten ungestört ausleben können müssen, macht das Label keine weiteren Tierwohl-Vorgaben. Kritiker sagen bereits deutlich, dass das Label nur ins Leben gerufen wurde, um den Absatz und den Export nicht zu gefährden.


„Die Beteiligten der Veredlungskette werden sich auf neue Herausforderungen einstellen müssen. Klar ist schon heute, dass der Sektor dabei nicht mehr mit allen Bällen selbst jongliert. Auf der Bühne stehen künftig mehr Jongleure, mit denen sich der Sektor die Bälle zuwerfen muss. Bleiben alle Bälle in der Luft, mache ich mir um die Zukunft der spanischen Schweineproduktion keine großen Sorgen“, so das Fazit von Pablo Bernardos Hernández.


marcus.arden@topagrar.com

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