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Vitale Saugferkel in Bewegungsbuchten?

Lesezeit: 7 Minuten

Niederländische Landwirte und Forscher haben eine neue Abferkelbucht entwickelt. Das Ergebnis sollen schnellere Geburten, eine höhere Milchleistung und vitalere Ferkel sein, berichtet Forschungsleiterin Anita Hoofs im Interview mit top agrar.


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Seit über zwei Jahren ent-wickeln Sie im Versuchs- und Innovations-Center (VIC) Sterksel gemeinsam mit 14 Sauenhaltern eine neue Abferkelbucht mit dem Namen „ProDromi“. Was ist das Besondere an der Bucht?


Hoofs: Bei der Konzeption der Bucht haben wir einige neue Akzente gesetzt.


Den Futtertrog für die Ferkel haben wir z. B. direkt gegenüber dem Trog der Sau platziert, beide sind nur durch ein Gitter voneinander getrennt. Dank dieser Idee konnten wir erreichen, dass die Saugferkel schon ab dem 3. Lebenstag nennenswerte Mengen festes Futter aufnehmen, weil sie das Fressen schneller von ihrer Mutter lernen.


Der Vorteil der frühen Futteraufnahme machte sich selbst im Ferkel­aufzuchtstall noch bemerkbar, wie unsere Auswertungen ergaben. 35 Tage nach dem Absetzen wogen die Ferkel, die ihrer Mutter beim Fressen direkt in die Augen schauen konnten, knapp 2 kg mehr als die Tiere, deren Tröge nicht in der Nähe des Sauentroges standen. Insbesondere das Absetzloch fiel deutlich kleiner aus.


Welche Besonderheiten weist die Bucht noch auf?


Hoofs: Beim ProDromi-Konzept wird die Frischluft nicht von oben, sondern unterflur direkt zur Nase der Sau geführt. So wird die Sau immer mit sauberer, kühler und frischer Luft versorgt.


Das geschlossene Ferkelnest ist vorne am Kontrollgang platziert und mit Automatiktüren ausgerüstet, die sich per Knopfdruck einseitig verriegeln lassen. Vor der Behandlung der Ferkel wird der Schließmechanismus aktiviert. Dann können die Tiere das Nest zwar ungehindert betreten, es aber nicht mehr verlassen, weil die Tür nur in Richtung Nest durchgängig ist.


Durch diese praktische Hilfe spart man sich das mühevolle, zeitaufwen-dige Fangen der Ferkel. Pro Wurf liegt die Zeitersparnis bei bis zu zwei Minuten. Bei einer 30er-Abferkelgruppe sind das eine Stunde Arbeitszeitersparnis!


Hinzu kommt, dass man die Bucht dank des Selbstfangmechanismus seltener betreten muss, was vor allem aus hygienischer Sicht sehr vorteilhaft ist, da weniger Keime von einer Bucht zur anderen Bucht verschleppt werden.


Und weil das Nest nahezu rundum geschlossen ist, kann die Raumtemperatur problemlos auf 18 bis 20 °C abgesenkt werden. Das wirkt sich positiv auf die Futteraufnahme der Sauen aus. Die Tiere verlieren 10 % weniger Gewicht als Sauen in Abferkelställen mit höheren Raumtemperaturen.


Die Sauen erhielten vor der Geburt Nestbaumaterial. Welchen Effekt hatte das, und welches Material stand den Tieren zur Verfügung?


Hoofs: Die besten Erfahrungen haben wir mit Jutesäcken gemacht, mit denen sich die Sauen bereits am Tag vor der Geburt beschäftigen konnten.


Dank des Jutesacks leben die Sauen ihren Nestbaubetrieb viel intensiver aus, sie reagieren sich regelrecht daran ab. Die Folge: Die Sauen sind während und nach der Geburt ruhiger, weil der Cortisolspiegel (Stress-Hormon) im Blut weniger stark ansteigt. Gleichzeitig erhöht sich der Oxytocinspiegel (Wehen-Hormon), wodurch die Geburt schneller beendet ist. Das führte zu einer insgesamt steigenden Kolostrumaufnahme pro Ferkel.


Bei unseren Untersuchungen konnten wir außerdem nachweisen, dass die Sauen beim Einsatz von Nestbauma-terial während der Geburt seltener ihre Position wechseln. Dadurch sank die Zahl der erdrückten Ferkel pro Wurf um rund 0,3 %.


Dank der geringeren Ferkelverluste macht der Einsatz eines Jutesacks auch wirtschaftlich Sinn. Schon bei einem Rückgang der Ferkelverluste um 0,3 % rentiert sich die Investition von 0,90 € pro Sack inklusive Befestigung, Arbeit und Entsorgung.


Positiv fiel uns auch auf, dass der Jutesack den Geruch der Sau annimmt. Legt man den Sack nach der Geburt ins Ferkelnest, ziehen sich die Saugferkel schneller dahin zurück. Auch das ist positiv im Hinblick auf die Ferkelverluste.


Gibt es unterschiedliche Varianten der Bucht?


Hoofs: Insgesamt gibt es drei Varianten. Bei „ProDromi 1“ bleiben die Sauen während der gesamten Laktation fixiert. Bei „ProDromi 1,5“ wird der Ferkelschutzkorb drei Tage nach der Geburt geöffnet, und bei „ProDromi 2“ kann sich die Sau sowohl vor als auch nach der Geburt frei bewegen.


Konnten Sie Unterschiede zwischen den drei Varianten feststellen?


Hoofs: Ja, die Geburten waren bei kontinuierlicher Bewegungsmöglichkeit in der ProDromi 2-Bucht im Schnitt etwa eine Stunde schneller abgeschlossen, was sich positiv auf die Vitalität der Ferkel auswirkte. Die Saugferkel liefen viel schneller zum Gesäuge der Sau. Zudem erhöhten sich Milchleistung und Säugefrequenz bei freier Bewegung. Wir erklären uns das dadurch, dass die frei laufenden Sauen weniger Stress haben.


Die Ergebnisse zeigen, dass wir uns in Zukunft viel mehr Gedanken um das Wohlbefinden der Sauen im Abferkelstall machen müssen. Wir dürfen unser Augenmerk nicht mehr nur auf das Wohlergehen der Saugferkel legen.


Und wie sehen die biologischen Leistungen aus?


Hoofs: Sowohl die Anzahl der lebend und tot geborenen als auch die Zahl der abgesetzten Ferkel unterschied sich in allen drei Aufstallungs-Varianten nicht signifikant voneinander.


Allerdings wurden tendenziell mehr Ferkel erdrückt, wenn sich die laktierenden Sauen während der gesamten Aufenthaltsdauer in der Abferkelbucht frei bewegen konnten. Vor allem die ersten Tage nach der Geburt sind für die Ferkel extrem gefährlich, wenn sich die Sau frei bewegen kann.


Signifikante Unterschiede gab es bei den Tageszunahmen der Ferkel und beim Absetzgewicht. Die Ferkel aus den Bewegungsbuchten wogen beim Absetzen am 27. Lebenstag im Schnitt 0,4 kg mehr.


Unsere Analysen zeigen, dass der Zugang zum Gesäuge der Sau bei freier Bewegung für die Ferkel leichter möglich ist, weil der Ferkelschutzkorb nicht stört. Zudem war die Säugefrequenz wie bereits erwähnt höher.


Wo sehen Sie die Grenzen des ProDromi-Konzepts?


Hoofs: Zum einen muss man ganz klar feststellen, dass nicht alle Sauen für die Haltungsform geeignet sind. Einzelne aggressive Sauen werden zum Problem, wenn sie sich während der Laktation frei bewegen können. Schließlich müssen wir bei der ganzen Diskussion auch immer an die Gesundheit des Landwirts bzw. seiner Mitarbeiter denken! Allerdings sollte man das Problem auch nicht überbewerten, denn auch bei der Gruppenhaltung im Wartestall gibt es immer wieder Einzeltiere, die Probleme bereiten und separat aufgestallt werden müssen.


Ein weiteres Problem sind sehr un-ruhige, nervöse Sauen. In unseren Versuchen fielen uns in den Bewegungsbuchten zwei Sauen auf, die zusammen elf Ferkel erdrückt haben. Diese beiden Sauen haben dafür gesorgt, dass die Ferkelverluste durch Erdrücken sprunghaft angestiegen sind. Rechnet man die beiden Problemsauen allerdings heraus, bewegen sich die Verluste durchaus auf Normalniveau.


Ein zweites Problem ist der Platzbedarf, die ProDromi 2-Bucht beispielsweise ist 7 m2 groß. Somit ist der nachträgliche Einbau in Altgebäuden nicht ohne Weiteres möglich. Für eine ProDromi-Bucht muss man zwei konven-tionelle Abferkelbuchten „opfern“. Und das erhöht die Kosten deutlich.


Mit welchen Mehrkosten müssen Sauenhalter genau rechnen?


Hoofs: Der um bis zu 2 m2 größere Platzbedarf beim ProDromi 2-Konzept schlägt mit rund 600 € pro Bucht zu Buche. Weitere 300 € kostet das Ferkelnest inklusive der Automatiktüren. Bei ProDromi 1 beschränken sich die Mehrkosten aufgrund der geringeren Platzansprüche auf ca. 300 €.


Unterstellt man eine Abschreibungsdauer von zehn Jahren sowie 3 % für Zins und Reparatur, errechnen sich Mehrkosten von ca. 1 € pro Ferkel aufgrund des höheren Flächenbedarfs. Weitere Kosten in Höhe von 1 € pro Ferkel kommen durch Mehrarbeit hinzu. Vor allem das Reinigen der größeren Grundfläche und das Säubern des Ferkelnestes kostet Zeit.


Kein Sauenhalter wird bereit sein, diese Mehrkosten zu tragen, oder?


Hoofs: In der Tat sind die Mehrkosten das Problem Nr. 1. Die Frage ist aber, ob der Gesetzgeber den Landwirten mittelfristig überhaupt eine Wahl lässt. Und wenn die Bewegung in der Abferkelbucht gesetzlich vorgeschrieben wird, brauchen wir praxisreife Konzepte. Die Forschung muss also weitergehen. Wir werden künftig in zwei 500er- bzw. 300er-Sauenherden weiter an der Optimierung der Buchten forschen.


Sollte es so kommen, müssen wir die Mehrkosten natürlich irgendwie auffangen. Und sollte es sich bestätigen, dass Ferkel aus Bewegungsbuchten tatsächlich vitaler sind und schneller wachsen, ließe sich damit ein Teil der Mehrkosten refinanzieren.


Interessant dürfte das Konzept bereits heute für Sauenhalter sein, die z. B. eine Direktvermarktung aufbauen bzw. betreiben oder an Label-Programmen teilnehmen. Diese Vermarktungswege versprechen in der Regel einen höheren Erlös.


Das Interview führtetop agrar-Redakteur Marcus Arden

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