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Wann sind stallspezifische Impfstoffe sinnvoll?

Lesezeit: 10 Minuten

Bei Infektionen, gegen die es keine handelsüblichen Impfstoffe gibt, können maßgeschneiderte Vakzinen eine wichtige Alternative sein. Voraussetzung ist allerdings eine sorgfältige Diagnose.


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Das war bereits die dritte Sau, die innerhalb von nur vier Wochen verferkelte. So etwas hatte Sauenhalter Tobias Leitner (Name geändert) noch nicht erlebt. Der 41-Jährige bewirtschaftet einen Ferkelerzeugerbetrieb mit 300 Sauen. Dank einer intensiven Betreuung der Muttersauen und seines strengen Hygienekonzeptes setzte er im Schnitt 30 Ferkel pro Sau und Jahr ab. Und die Umrauschquote betrug normalerweise nur 4%. Zu Aborten war es schon länger nicht mehr gekommen. Dass etliche Sauen verferkelt hatten, war zuletzt vor vier Jahren vorgekommen. Damals zirkulierte das PRRS-Virus im Bestand. Seitdem Leitner reproduktionsorientiert gegen den Erreger impfte, hatte sich das Problem jedoch erledigt. War es jetzt womöglich zu einer Impflücke gekommen? Oder wirkte der Impfstoff nicht mehr?


Ganz seltener Erreger


Um der Sache auf den Grund zu gehen und Seuchenerreger wie Brucellose, die Aujeszkysche Krankheit oder die Schweinepest als Auslöser der Aborte sicher ausschließen zu können, verschickte Leitners Tierarzt fünf abortierte Ferkel inklusive der Eihäute ordnungsgemäß verpackt und gut gekühlt an ein Untersuchungslabor.


Nach einigen Tagen erhielt die Tierarztpraxis einen außergewöhnlichen Befund: Bei der Gewebeuntersuchung unter dem Mikroskop wurde eine ei-trige Entzündung der Eihäute sowie einiger innerer Organe der Feten festgestellt. Viren ließen sich nicht nachweisen. Dafür ergab die bakteriologische Untersuchung einen ebenso überraschenden wie eindeutigen Befund: Eine Infektion mit dem hierzulande eher seltenen Bakterium Trueperella abortisuis. Aus Deutschland, Schottland und Japan gab es in der Vergangenheit jedoch einzelne Berichte, die den Erreger mit Aborten in Verbindung bringen.


Stallspezifischer Impfstoff


Um sicher zu gehen, ließ der Tierarzt weiteres Abortmaterial untersuchen. Jedes Mal wurde der Befund bestätigt. Das Problem war jedoch, dass es gegen diesen selten vorkommenden Erreger keinen handelsüblichen Impfstoff gab. Deshalb einigten sich Tobias Leitner und der Hoftierarzt schließlich darauf, aus den Erregerisolaten einen stallspezifischen Impfstoff herstellen zu lassen.


Nach vier Wochen, als die Vakzine eintraf, wurden alle Sauen reproduktionsbezogen zweimal im Abstand von drei Wochen geimpft, jeweils in der 9. und 12. Trächtigkeitswoche. Doch leider war das Problem damit noch nicht vom Tisch. Zwei Monate später kam es zu weiteren Aborten. Wieder wurde das gleiche Bakterium nachgewiesen.


Der Tierarzt vermutete, dass die Impfung beim ersten Versuch zu spät erfolgte, weil die Aborte ja bereits gegen Ende des zweiten Trächtigkeitsdrittels auftraten. Deshalb wurde die Impfung vorgezogen. Die erste Impfung erfolgte daraufhin bereits am 28. Trächtigkeitstag, gleich nach der Trächtigkeitsuntersuchung. Die Boosterimpfung wurde dann entsprechend zwei Wochen später durchgeführt. Seitdem herrschte wieder Ruhe im Bestand.


Mittlerweile setzen immer mehr Landwirte stallspezifische Impfstoffe, sogenannten Autovakzinen, ein. Denn sie ergänzen die Palette zugelassener Fertigimpfstoffe und können mögliche Lücken in der Immunprophylaxe beim Schwein schließen. Während in Deutschland im Jahr 2014 noch 3875 Chargen stallspezifischer Impfstoffe ausgeliefert wurden, waren es vier Jahre später bereits 5210 Chargen bzw. mehr als 13,9 Mio. Impfstoffdosen. Und die Nachfrage steigt weiter.


Individuelle Lösung


Autovakzinen bieten mehr Flexibilität, weil sie individuell auf das Erregerspektrum des Betriebes abgestimmt werden können. Zudem ist keine zeitaufwendige und teure Zulassung erforderlich. An ihre Herstellung und Anwendung sind jedoch klare Voraussetzungen geknüpft. Sie dürfen nur dann zum Einsatz kommen, wenn:


  • Für die jeweilige Tierart und den betreffenden Erreger kein zugelassener Impfstoff existiert;
  • Ein zugelassener Impfstoff gegen den Erreger momentan nicht lieferbar ist;
  • Ein zugelassener Impfstoff nicht den Antigentyp enthält, der im jeweiligen Bestand Probleme verursacht;
  • Oder der zugelassene Fertigimpfstoff im Bestand nachweislich nicht wirkt.


Im letzten Fall muss der Hoftierarzt allerdings genau dokumentieren, dass sich durch das Verimpfen der bereits zugelassenen Vakzinen (z.B. gegen APP oder E.coli) keine Besserung des Krankheitsbildes ergeben hat und deshalb der Einsatz einer stallspezifischen Vakzine erforderlich ist, die speziell die Erregerserotypen oder -stämme enthält, die im Bestand nachgewiesen wurden.


Erst gründliche Diagnose


Stallspezifische Impfstoffe kommen meist bei bakteriellen Erregern zum Einsatz (siehe „Einsatzmöglichkeiten“, Seite S14). Entscheidend für den Erfolg stallspezifischer Impfstoffe ist, dass sie Antigene gegen genau die Erreger enthalten, die die Probleme im jeweiligen Betrieb verursachen. Denn nur wenn der Impfstoff exakt zum Problem im Bestand passt, ist eine gute Wirkung zu erwarten.


Das A und O bei der Herstellung des Impfstoffes ist daher zunächst eine gründliche klinische Untersuchung des Bestandes und eine gezielte Auswahl der Tiere, die für die Erregerbestimmung beprobt bzw. seziert werden. Es wird empfohlen, mindestens sechs frisch erkrankte Tiere auszuwählen. Sie dürfen zudem nicht antibiotisch vorbehandelt sein. Bei Saugferkeln gilt dies auch für die Muttertiere.


Am besten übernimmt der Hoftierarzt die Auswahl der Tiere. Denn sonst besteht die Gefahr, dass sich der Landwirt für Kümmerer entscheidet. Die müssen jedoch nicht zwingend mit dem für das Krankheitsbild typischen Erreger besiedelt sein.


Bei den meisten Erkrankungen ist es ratsam, ganze Tierkörper zur Untersuchung einzuschicken. Denn dann können die betroffenen Organe bei der Sektion auch auf Anzeichen einer Entzündung untersucht werden. Das mindert die Gefahr, dass am Ende womöglich harmlose Schleimhautbesiedler isoliert werden, die mit dem eigentlichen Krankheitsbild gar nichts zu tun haben.


Man sollte sich zudem nicht auf ein einziges Untersuchungsergebnis verlassen. Denn die meisten Erreger, gegen die stallspezifische Impfstoffe hergestellt werden, kommen auch bei gesunden Tieren vor. Und nichts wäre schlimmer, als einen teuren Impfstoff in Auftrag zu geben, der nur auf einem einzigen Zufallsbefund basiert.


Verursacht der Erreger an Körperstellen Krankheitssymptome, die normalerweise keimfrei sind, wie z.B. in den Gelenken oder im Gehirn, lassen sich die Ergebnisse relativ einfach interpretieren. Erst recht dann, wenn der gleiche Erreger an diesen Stellen mehrfach nachgewiesen wird.


Deutlich schwieriger wird es, den richtigen Verursacher herauszufiltern, wenn es sich um Organe wie den Darm, die Lunge oder Abortmaterial handelt, wo natürlicherweise sehr viele Keime vorkommen. In jedem Fall sollten die Proben steril und möglichst direkt an den erkrankten Organen gewonnen werden.


Das Probenmaterial bzw. die getöteten oder verendeten Tiere sollten frisch, d.h. möglichst schnell und (wenn erforderlich) gekühlt ins Labor transportiert werden. Ein guter Vorbericht des Tierarztes kann bei der Diagnose sehr hilfreich sein.


Lieferdauer 5 bis 7 Wochen


Nachdem der für die Erkrankung verantwortliche Erreger ausfindig gemacht wurde, wird er im Labor vermehrt und inaktiviert. Es können auch mehrere Erregerisolate in einem bestandsspezifischen Impfstoff kombiniert werden. Entscheidend ist jedoch, dass alle aus ein und demselben Bestand stammen. Nach der Aufreinigung und Aufbereitung (Formulierung) wird der fertige Impfstoff dann abgefüllt, etikettiert und an den Tierarzt verschickt.


Das Herstellen einer stallspezifischen Vakzine dauert, nachdem der Erreger erfolgreich isoliert wurde, bei bakteriellen Erregern etwa fünf und bei Viren rund sieben Wochen. Die Mindestbestellmenge richtet sich nach den Herstellervorgaben und dem jeweiligen Erreger. In den meisten Fällen liegt sie jedoch bei mehreren hundert Impfdosen.


Die Größe der Impfflaschen sollte so gewählt werden, dass der Inhalt einer Flasche möglichst innerhalb eines Arbeitstages (8 Stunden) verbraucht wird. Die maximale Lagerfähigkeit ab der Abfüllung ist in der Tierimpfstoff-Verordnung geregelt. Sie beträgt maximal sechs Monate bei 2 bis 8°C.


Impfregime festlegen


Der Tierarzt gibt den stallspezifischen Impfstoff dann zusammen mit dem Abgabe- und Anwendungsbeleg (AuA) sowie einem für das Impfkontrollbuch vorgesehenen Vordruck an den Landwirt ab und bestätigt die Impffähigkeit der Tiere.


Bestandsspezifische Impfstoffe werden von staatlicher Stelle nicht auf ihre Wirksam- und Unbedenklichkeit geprüft. Deshalb sollte die Verträglichkeit einer neuen Impfstoffcharge zunächst an einer kleinen Tiergruppe mit maximal zehn Schweinen getestet werden. Erst dann kann die Vakzine großflächig zum Einsatz kommen.


Gemeinsam legen Tierarzt und Landwirt dann das Impfregime fest. Wichtig ist, wann der Immunschutz vorliegen muss. Insbesondere bei Saugferkeldurchfällen oder frühen Streptokokkeninfektionen bietet sich eine Mutterschutzimpfung der Sauen an. Damit das Kolostrum der Sauen einen hohen Antikörperspiegel aufweist, sollten die Sauen vor dem Geburtstermin zweimal geimpft werden. Die erste Impfung erfolgt sechs bis fünf und die zweite drei bis zwei Wochen vor der Geburt. Dieses Impfregime ist zwar aufwendiger als eine Bestandsimpfung, bietet aber einen besseren Schutz.


Die passive Immunisierung durch das Kolostrum der Sauen bietet aber nur für begrenzte Zeit Schutz. Bei späteren Infektionen müssen die Ferkel daher selbst geimpft werden, um aktiv eine Immunität aufzubauen. Dabei ist es in den meisten Fällen sinnvoll, die Ferkel möglichst spät zu impfen, um zu verhindern, dass mütterliche Antikörper den Impfstoff in seiner Wirksamkeit einschränken.


Gleichzeitig sollte die Immunitätsentwicklung vor der Infektion bereits abgeschlossen sein, d.h. die Boosterimpfung sollte etwa zwei bis drei Wochen vor dem erwarteten Infektionszeitpunkt liegen. Impfungen in der Aufzucht können in vielen Fällen empfohlen werden, unterbleiben oftmals jedoch wegen des hohen Arbeitsaufwands.


Bleibt der erhoffte Impferfolg aus, obwohl im Bestand nach wie vor der gleiche Erreger nachgewiesen wird, muss das Impfregime wie im Beispiel von Sauenhalter Tobias Leitner entsprechend nachjustiert werden.


Nur im eigenen Bestand


Stallspezifische Impfstoffe dürfen nur in dem Bestand verimpft werden, aus dem das jeweilige Erregerisolat stammt. So schreibt es die Tierimpfstoff-Verordnung vor. In vielen Betrieben werden die unterschiedlichen Altersgruppen an verschiedenen Standorten gehalten. Soll die Vakzine in mehreren Altersgruppen eingesetzt werden, um Infektionsketten wirksam zu durchbrechen, muss der Landwirt nachweisen, dass die verschiedenen Ställe eine epidemiologische Einheit bilden.


Ganz wichtig ist, dass der Tierarzt den Anwendungserfolg der Bestandsvakzine überprüfen und im Impfkontrollbuch dokumentieren muss. Denn leider kommt es immer wieder vor, dass man mit der ersten Probe nicht alle bzw. nicht den wesentlichen Erreger findet, sodass die gewünschte Wirkung des Impfstoffs ausbleibt. Oder es wird beim ersten Versuch zu spät geimpft, wie im Fall von Tobias Leitner.


Zur Bewertung der Wirksamkeit dokumentiert man die Anzahl und Entwicklung der erkrankten Tiere. Auch die Verluste werden notiert und der Medikamenteneinsatz wird bewertet. Wirkt der Impfstoff nicht ausreichend, muss das Impfregime angepasst oder anhand von Laboruntersuchungen überprüft werden, ob der im Impfstoff verwendete Erreger noch aktuell ist. Muss stallspezifischer Impfstoff nachbestellt werden, ist eine solche Aktualisierung ohnehin zu empfehlen.


Impfung ist nur ein Baustein


In den meisten Fällen wird es nicht gelingen, den Erreger mit dem stallspezifischen Impfstoff ganz aus dem Bestand zu verdrängen. Die Impfung trägt jedoch dazu bei, den Erregerdruck im Bestand zu senken und die wirtschaftlichen Auswirkungen für den Betrieb zu beschränken.


Deshalb kann es sinnvoll sein, eine bestandsspezifische Vakzine auch über Jahre hinweg einzusetzen. Spätestens nach zwei Jahren sollte jedoch der Erregernachweis auf den neuesten Stand gebracht werden.


Allein durch eine Impfung wird man die Probleme in vielen Beständen dennoch nicht lösen können. Saugferkeldurchfälle zum Beispiel lassen sich weder durch stallspezifische noch durch den Einsatz kommerzieller Vakzinen nachhaltig stoppen.


Deshalb ist es wichtig, dass die Sauen- bzw. Ferkelimpfung durch eine optimale Eingliederung und Immunisierung der Jungsauen sowie eine sorgfältige Reinigung und Desinfektion der Abteile ergänzt wird. Entscheidend ist zudem, dass die Ferkel rechtzeitig und ausreichend Kolostrum aufnehmen können. Dazu müssen Sauen und Ferkel rund um den Geburtstermin optimal betreut werden.


henning.lehnert@topagrar.com

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