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„Wir hatten große Probleme mit der Influenza“

Lesezeit: 9 Minuten

Fruchtbarkeitsstörungen bei den Sauen und Atemwegserkrankungen im Flatdeck: Praktiker berichten, wie sie die Influenza durch Impfen und veränderte Betriebsabläufe in den Griff bekommen haben.


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Diese Erfahrung wünsche ich keinem Berufskollegen“, erinnert sich Ferkelerzeuger Daniel Hollenbeck noch heute mit Schrecken an den Influenzaausbruch in seiner Sauenherde vor eineinhalb Jahren. Der 35-Jährige bewirtschaftet im nordrhein-westfälischen Geseke am Rande des Sauerlandes einen Ferkelerzeugerbetrieb mit 300 Sauen und 100 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche. Die Ferkel verkauft er mit 8 kg an einen Mäster, mit dem er bereits seit mehr als zehn Jahren zusammenarbeitet.


Es fing alles mit einer starken Grippe an, die Hollenbeck für mehrere Tage schachmatt setzte. Aber die Sauen mussten gefüttert und die neugeborenen Ferkel versorgt werden. Deshalb schleppte sich der Landwirt wohl oder übel in den Stall, noch bevor er den Infekt selbst richtig auskurieren konnte.


Dabei muss es dann passiert sein. Nichtsahnend übertrug der Landwirt das Influenzavirus auf seine Sauen. Nur wenige Tage später zeigten sich im Abferkelstall die ersten Symptome: Innerhalb von drei Tagen verweigerten 20 Sauen das Futter. Einige wiesen über 41°C Fieber auf. Sie legten sich auf den Bauch und verwehrten ihren Ferkeln den Zugang zum Gesäuge.


Keine Zeit verlieren!


Daniel Hollenbeck alarmierte sofort seinen Hoftierarzt Dr. Franz Lappe von der Praxis Vivet in Geseke. Und bei dem schrillten angesichts der beschriebenen Symptome sofort alle Alarmglocken. „Ein so heftiges Krankheitsbild mit hohem Fieber und Fressunlust bei den Sauen ist typisch für eine akute Influenzainfektion“, schildert Dr. Lappe. Der Hinweis Daniel Hollenbecks, dass er selbst noch bis vor kurzem mit Grippesymptomen im Bett gelegen hatte, bestätigte Lappes Vermutung. Landwirt und Sauen hatten sich mit der „Schweinegrippe“ infiziert, dem pandemischen Influenzavirus „H1N1pdm“, das vom Menschen auf Schweine übertragen werden kann und sich seit 2009 auch in Europa immer weiter ausbreitet (siehe Beitrag auf Seite S26).


Jetzt war schnelles Handeln angesagt. „Denn die Influenza ist zurzeit der Erreger, der uns die größten Probleme bereitet. Er kann starke Fruchtbarkeitsstörungen verursachen und lässt den Antibiotikaverbrauch in vielen Flatdecks in die Höhe schnellen“, erklärt Tierarzt Lappe.


„Das Virus ist extrem anpassungsfähig, schwächt das Immunsystem und wirkt dadurch als Wegbereiter für viele andere Atemwegserreger, die wir bereits längst im Griff hatten. Influenzainfektionen beschränken sich inzwischen auch nicht mehr auf die Grippesaison im Frühjahr. Sie sind stattdessen zum Dauerbrenner geworden, der uns das ganze Jahr beschäftigt“, so Lappe.


Der Tierarzt entschied sich deshalb dafür, so schnell wie möglich mit der Impfung gegen den pandemischen Virustyp H1N1pdm zu beginnen. Der gesamte Sauenbestand wurde daraufhin zweimal im Abstand von drei Wochen geimpft, unabhängig vom Infektionsstatus. Klinisch kranke Tiere mit einer sichtbaren Störung des Allgemeinbefindens (Fieber, Futterverweigerung) wurden jedoch zunächst von der Impfung ausgeschlossen und nach ihrer Genesung nachgeimpft. Zusätzlich wurde auch die erste Gruppe abgesetzter Ferkel vakziniert.


Zahlreiche Totgeburten


Trotzdem waren die nächsten vier Wochen, bis der Impfschutz einsetzte, für Daniel Hollenbeck die Hölle. An den ersten Tagen waren die Saugferkel zwar noch unauffällig. Das änderte sich jedoch bald. Die in den Abferkelstall eingestallten Sauen ferkelten sehr zögerlich ab und es gab viele Totgeburten.


Zahlreiche Sauen, die bereits abgeferkelt hatten, litten aufgrund des hohen Fiebers unter Milchmangel. Die Saugferkel magerten ab, und die Würfe wuchsen auseinander. Die Unterversorgung machte sie zudem anfälliger für Infekte mit Actinobacillus pleuropneumoniae (APP) und Streptokokken. In von drei Wochen verdoppelten sich die Saugferkelverluste auf 26,1%.


„Es machte einfach keinen Spaß mehr, morgens in den Stall zu gehen und die Ferkel leiden zu sehen“, erinnert sich der 35-Jährige. Auch bei den Sauen hinterließ die Influenzainfektion deutliche Spuren. Innerhalb weniger Wochen verendeten neun Muttersauen. Die Umrauschquote stieg von 2,6% auf 20%, und die Abferkelquote sank von 92% auf 88,5%. In den Folgewochen mussten zudem mehr Sauen selektiert werden, weil sie deutliche Gesäugeprobleme hatten.


Auswirkungen bis in die Mast


Zwei Wochen nach der zweiten Bestandsimpfung stellte sich dann der lang ersehnte Impferfolg ein. Im Abferkelstall kehrte wieder Ruhe ein. Die Sauen fraßen wieder, der Milchfluss normalisierte sich, die Ferkelverluste gingen zurück und die Würfe wuchsen nicht mehr auseinander.


Im Aufzuchtstall des Mästers, den Daniel Hollenbeck mit 8 kg-Ferkeln beliefert, hielten die Probleme hingegen noch länger an. Hollenbeck hatte ihn rechtzeitig auf die Influenzaprobleme hingewiesen. Deshalb war er vorgewarnt und blieb seinem Ferkelliefe-ranten treu. Die Ferkelgewichte streuten jedoch stark. Bis in die Mast hinein kümmerten einige Läufer aus den Problemwürfen. Hinzu kamen Probleme mit Circoviren (PCV2), die sich antibiotisch kaum behandeln ließen.


Insgesamt dauerte der Spuk im Betrieb Hollenbeck dank der sofort eingeleiteten Impfung zwar „nur“ fünf Wochen. Die wirtschaftlichen Schäden waren dennoch enorm. „Durch die Ausfälle bei den Sauen, kümmernde Ferkel, den Wegfall der Qualitätszuschläge, die Mehrarbeit bei der Fieberkontrolle und Ferkelversorgung sowie die Impfkosten summierte sich unser Gesamtschaden auf rund 30000 €“, hat Hollenbeck überschlagen. „Deshalb werde ich die Influenzaimpfung, die uns zurzeit etwa 10 € pro Sau und Jahr kostet, in unserem Betrieb auf jeden Fall fortsetzen. Denn so ein Desaster mit toten Sauen, Fruchtbarkeitsstörungen und hohen Ferkelverlusten möchte ich nicht noch einmal erleben“, so der nordrhein-westfälische Landwirt.


Management anpassen


In den meisten Fällen reicht Impfen allein jedoch nicht aus, um die Probleme in den Griff zu bekommen. Die Impfung muss vielmehr durch entsprechende Hygiene- und Managementmaßnahmen begleitet werden, die darauf abzielen, die Infektionsketten im Betrieb zu durchbrechen.


Diese Erfahrung hat auch Manuel Askemper aus Bottrop-Kirchhellen gemacht, dessen Bestand ebenfalls von Dr. Lappe tierärztlich betreut wird. Der 34-Jährige bewirtschaftet zusammen mit seinem Vater Rudolf (59), zwei festen Mitarbeitern und einem Auszubildenden einen Kombibetrieb mit 500 Sauen und 620 Mastplätzen. 80% seiner Ferkel verkauft er. Nur die „B- und C-Ware“ mästet die Familie selbst aus.


Obwohl die Sauen seit 15 Jahren regelmäßig mit dem Dreifachimpfstoff (FLU 3) gegen Influenza geimpft werden, kommt es seit gut zwei Jahren im Flatdeck immer wieder zu Problemen. „Der Erreger schwächt das Immunsystem der Tiere. Dadurch traten trotz Impfung im Flatdeck plötzlich wieder PRRS-bedingte Atemwegsinfekte auf, aber auch PDNS-Hautveränderungen“, erinnert sich Dr. Lappe.


Bis zum Absetzen bleiben die Ferkel dank der Influenza-Mutterschutzimpfung gesund. Die Probleme traten erst zwei bis drei Wochen später im Flatdeck auf. Solange es sich um Einzelfälle handelte, wurden die Tiere einzeln mit fiebersenkenden Mitteln und einem Antibiotikum behandelt.


Infektionsketten knacken


Sobald die Körpertemperatur 41°C überstieg und mehr Tiere betroffen waren, wurden die Schweine buchtenweise über das Futter behandelt. „Dadurch überschritten wir beim Antibiotika-monitoring aber häufig die Kennzahl 2 und mussten zeitaufwendige Maßnahmenpläne schreiben“, sagt Dr. Lappe.


„Man kann nicht alles allein über die Influenzaimpfung regeln. Ein guter Impfstoff senkt das Erkrankungsrisiko zwar deutlich. Die Impfung muss jedoch durch Hygiene- und Managementmaßnahmen flankiert werden, um die Infektionsketten im Betrieb zu durchbrechen“, ist der Tierarzt überzeugt. Gemeinsam mit den beiden Betriebsleitern überlegte er deshalb, warum die Influenza im Flatdeck immer wieder aufflammte.


Zuluft wird desinfiziert


Sie wurden schnell fündig. Die Askempers arbeiteten bisher im Wochenrhythmus, d.h. nahezu jede Woche wurden Ferkel über den Zentralgang zur Verladestelle oder vom Abferkel- in den Aufzuchtstall getrieben – vorbei an den übrigen Abteilen, die über eine Futterganglüftung mit Frischluft versorgt wurden. „Auf diese Weise wurden Woche für Woche immer wieder Influenzaerreger verteilt und über die Lüftung in die Aufzuchtabteile gesogen“, berichtet Manuel Askemper.


Gemeinsam mit ihrem Tierarzt entwickelten die Betriebsleiter deshalb eine Art Luftfilter für die 0,8 x 0,8 m großen Zuluftöffnungen. Rechtzeitig vor jedem Verladen setzen sie seitdem einen passenden Holzrahmen auf drei Gewindeschrauben rund um das Lüftungsgitter in der Tür. Der Rahmen ist mit einem Tuch aus Frotteestoff bespannt, das der Juniorchef vor dem Ferkeltreiben mithilfe einer Rückenspritze befeuchtet. In der Spritze befindet sich ein Gemisch aus fünf Litern Wasser, 150 ml Alcapur, das als Pufferlösung dient, sowie 50 ml Wofasteril (Peressigsäure), dem eigentlichen Desinfektionsmittel. „Die Reihenfolge beim Anmischen muss jedoch unbedingt eingehalten und die Lösung immer frisch angesetzt werden!“, betont Dr. Lappe.


Für Wofasteril habe man sich entschieden, weil es auch in belegten Ställen angewendet werden darf, so der Tierarzt. Die Desinfektionslösung tötet auf diese Weise alle Keime ab, die über die Zuluftöffnung in die mit jüngeren Tieren belegten Abteile gelangen könnten. Der Frotteestoff hält die Feuchtigkeit etwa drei Stunden. Nach dem Umtreiben und Reinigen der Gänge werden die Holzrahmen entfernt und bis zum nächsten Termin in Türnähe griffbereit mit Haken an der Wand befestigt. Um die Treibehäufigkeit zu reduzieren, haben die Askempers zusätzlich auf den 5-Wochen-Rhythmus umgestellt.


Der Erfolg dieser beiden Maßnahmen ließ nicht lange auf sich warten. Bereits drei Wochen nach dem ersten Einsatz der in Peressigsäure getränkten Türvorhänge waren kaum noch klinische Symptome erkennbar. Die Ferkel im Flatdeck husteten nicht mehr, die PDNS-bedingten Hautveränderungen verschwanden und auch die Streptokokkeninfektionen spielten so gut wie keine Rolle mehr. Die Umstellung auf den 5-Wochen-Rhythmus wirkte sich dagegen erst drei Monate später aus.


„Erst die Kombination aus Impfung und verändertem Management führte zum Erfolg“, fasst Dr. Lappe zusammen. Das machte sich auch im Antibiotikaverbrauch des Betriebes bemerkbar. Er konnte deutlich reduziert werden. „Hier schlummert noch ein gewaltiges Potenzial“, ist der Tierarzt überzeugt. „Über 80% der Maßnahmenpläne, die wir zurzeit schreiben, sind auf einen erhöhten Antibiotikaverbrauch durch Influenzainfektionen zurückzuführen.Das kostet viel Zeit, bringt aber keine neuen Erkenntnisse“, beklagt Dr. Lappe.


Sinnvoller wäre es seiner Meinung nach, die Gründe für den Antibiotikaverbrauch in einer Online-Datenbank zu erfassen, z.B. in der HIT-Datenbank. Dadurch ließe sich der Schreibaufwand reduzieren. Betriebsdaten, die sich nicht laufend ändern, müssten nur einmalig erhoben werden und diagnostizierte Ursachen würden durch einfaches Anklicken erfasst und bei Bedarf durch kurze Texte ergänzt. Außerdem bestünde die Möglichkeit, die Gründe für den Antibiotikaverbrauch bestandsübergreifend auszuwerten.


Hotspots impfen


„Auf diese Weise würde schnell offensichtlich, welche wirtschaftliche Bedeutung die Influenza tatsächlich hat und wo sich die Influenza-Hotspots befinden. In diesen Regionen könnte man dann mit einer freiwilligen, flächendeckenden und vom Staat finanziell unterstützten Influenzaimpfung starten“, regt der Tierarzt an.


Zudem sollten die Zulassungsvoraussetzungen für Influenzaimpfstoffe erleichtert werden. „Das Virus ist extrem anpassungsfähig. Deshalb wird die Auswahl der im Impfstoff verwendeten Stämme in der Humanmedizin jährlich angepasst. Dafür ist nur eine Zulassungserweiterung nötig. In der Tiermedizin hingegen ist nach jeder Anpassung eine teure Neuzulassung erforderlich. Das ist für die Pharmaindustrie aufgrund der begrenzten Einsatzmöglichkeiten der Vakzine zu kostenintensiv, sodass die Impfstämme selten angepasst werden“, ist Dr. Franz Lappe überzeugt.


henning.lehnert@topagrar.com

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