Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Meinung & Debatte
Newsletter
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Heftarchiv
Sonstiges

Kitzrettung Trockenheit auf dem Feld Regierungswechsel

topplus Das System VetVise

Schweine rund um die Uhr überwachen - KI machts möglich!

Wie wäre es, wenn Schweine selbst ihr Stallklima steuern könnten? Oder den Tierarzt anrufen? Mit KI-gestützten Systemen ist das nicht abwegig. Wir haben mit dem Start-up VetVise gesprochen.

Lesezeit: 7 Minuten

Johannes Schmidt-Mosig ist Tierarzt, Mitbegründer des Start-Ups VetVise und hat sich zum Ziel gesetzt, die Überwachung von Tierbeständen mithilfe von Kameras und Künstlicher Intelligenz (KI) zu verbessern.

Bei der üblichen Tierkontrolle sieht er folgendes Problem: Zeit und Personal werden immer knapper. Betriebsleiter reiben sich auf, um das Optimum aus ihrem Stall herauszuholen. Am Ende können sie trotzdem nur kurze Ausschnitte aus dem Stallalltag sehen – und schätzen die Situation womöglich falsch ein. Oder sie kommen vor lauter Arbeit über wichtige Details hinweg.

Schnell gelesen

  • Das Kamerasystem von VetVise erkennt ungewöhnliches Tierverhalten und Unregelmäßigkeiten im Stall.

  • Mithilfe Künstlicher Intelligenz wertet das Team die Daten aus und gibt Empfehlungen an einzelne Betriebe heraus.

  • Zusammen mit Partnern arbeitet das Start-Up jetzt daran, entsprechende Änderungen im Stall zu automatisieren.

  • Im Lehr- und Versuchszentrum Haus Düsse ist die Technik bereits im Einsatz.

Schmidt-Mosig liefert ein Beispiel: „Wer morgens die Hälfte seiner Tiere ausstallt und vergisst, Luftrate und Heizung anzupassen, verschenkt Tierwohl und Leistung. Den Kameras fällt das Problem dagegen mit Sicherheit auf, weil sie 24/7 durchlaufen – egal, ob ­gestern Schützenfest war oder man gedanklich schon auf dem Acker ist.

Was das System leistet

Wir befinden uns auf Haus Düsse, genauer gesagt im Stall der Zukunft. Den hat VetVise zu Forschungszwecken mit seiner Kameratechnik ausgestattet. Damit will das Unternehmen künftig Geburten überwachen, Schwanzbeißen erkennen, Frühwarnsysteme für Krankheiten etablieren und das Stallklima sowie die Fütterung steuern können. „Der Clou besteht darin, dass wir verschiedene Daten kombinieren“, erklärt Schmidt-Mosig. „Und dann fängt es an, interessant zu werden.“

Aktuell kontrollieren Mitarbeiter des Start-Ups noch die Auswertungen der KI und leiten deren Handlungsempfehlungen an den einzelnen Betrieb weiter. Damit verbessern sie die KI weiter, sodass der Prozess irgendwann vollständig automatisiert ist. Für Geflügel hat VetVise bereits eine fortgeschrittene Anomalienerkennung eingerichtet, für Schweine wird diese gerade noch auf verschiedene Stallsysteme angepasst.

Auffallen würden darüber etwa ein Fütterungsausfall, aggressives Verhalten oder eine falsche Nutzung von Funktionsbereichen. „Bisher erreichen wir das über stallindividuell eingestellte Grenzwerte, auf Dauer dann vollständig über KI“, erläutert Schmidt-Mosig.

Die Technik erfasst neben der Tierzahl noch Liegeverhalten, Aktivität und Verteilung in der Bucht. So kann man zwischen leichter Unruhe und Stress zwischen Einzeltieren unterscheiden. Zusätzlich fließen Daten zu Stallklima, Futter- und Wasseraufnahme ein.

Schon jetzt kann jeder Nutzer mittels Kamerabildern und Verteilungskarten aus der Ferne das Tierverhalten überwachen – über ein Tablet mit Web-App oder neuerdings über eine Handy-App. Darin werden Graphen zum Tierverhalten präsentiert. Auffällige Bereiche sind eingefärbt und mit möglichen Ursachen beschriftet. Auch Benachrichtigungen, etwa per E-Mail, lassen sich einstellen.

Für Praxis und Forschung

Sehr gefragt sei auch die Erkennung lahmender und toter Tiere. Gerade in Großgruppen und bei Strohschweinen könnte diese Funktion helfen. Deshalb arbeiten er und sein Team gerade an einem Automatismus. Das Problem: „Die übliche Liegezeit von Schweinen ist sehr betriebsindividuell, weil es so viele unterschiedliche Ställe und Buchtenstrukturen gibt.“

Auf Haus Düsse wird das System von VetVise eingesetzt, um Versuche sinnvoll zu organisieren. Es nimmt dem Team Aufgaben wie das Zählen von Schweinen in bestimmten Funktionsbereichen ab – ein nicht zu unterschätzender Aufwand. Außerdem hilft es dabei, spezifische Verhaltensmuster zu erkennen. Stehen, sitzen oder liegen die Tiere? Wie verteilen sie sich auf die Stall- und Freiflächen? Um solche Forschungsfragen zu beantworten, wird der Stall am Bildschirm in unterschiedliche Regionen eingeteilt.

„Wir haben für unseren Stall der Zukunft VetVise ausgewählt, weil es das einzige marktreife Produkt seiner Art ist“, erklärt Dr. Sophia Schulze-Geisthövel, Referentin zur Weiterentwicklung nachhaltiger Tierhaltung bei der Landwirtschaftskammer NRW. Dass die Erkennung von Aktivitäts- und Ruheverhalten wirklich funktioniert, belegt die Forschungsarbeit einer Masterstudentin der FH Soest in Zusammenarbeit mit Haus Düsse. Trotz der außergewöhnlichen Bauweise des Stalls mit seinen hohen Decken, kam sie auf eine sehr hohe Korrelation.

Ein Hoch auf Teamwork

Gemeinsam mit dem Technikhersteller Lock hat VetVise bereits auf der EuroTier im November ein Steuerungssystem für Außenklimaställe vorgestellt. Es soll auf Dauer autonom auf Veränderungen reagieren und auch andere Systeme im Stall steuern, wie zum Beispiel Beleuchtung und Fütterung. Die Grundidee: Wer will schon drei Mal am Tag die Curtains hoch- und runterfahren, wenn das Wetter wechselhaft ist? Was den Landwirt am meisten nervt, soll er abgeben können.

Schweine wissen selbst am besten, was sie brauchen!“
Johannes Schmidt-Mosig, VetVise

Der Stall der Zukunft setzt auf neue Haltungskonzepte. Nicht alles funktioniert so, wie ursprünglich gedacht. Wenn das Team etwas anpasst, analysiert VetVise sofort die Auswirkungen. Diese Feedbackschleife ermöglicht es Maßnahmen zu ergreifen, bevor größere Probleme auftreten.

In der Praxis soll das nicht nur Landwirten, sondern auch Tierärzten, Futtermittellieferanten und Beratern helfen, die sonst nicht alle Zusammenhänge kennen können. Dafür lassen sich mehrere Zugänge installieren.

So läuft es bei Neukunden

Hat ein Betrieb Interesse, lässt VetVise sich die spezifischen Bedürfnisse erklären – oft unterstützt durch Fotos oder Pläne des Stalls. Wichtig sind zum Beispiel Tierzahl und Deckenhöhe. Dann macht ein Mitarbeiter sich vor Ort ein genaues Bild vom Stall und erstellt das Angebot. „Im Regelfall findet sich eine Lösung. Selten ist es so, dass die Gegebenheiten gar nicht passen – etwa bei sehr kleinen Buchten und schrägen Decken“, erklärt Schmidt-­Mosig.

Voraussetzung für die Installation ist eine stabile Internetverbindung im Stall. Über jeder Bucht wird eine IP67-Weitwinkelkamera installiert, die auch bei der Stallwäsche im Abteil bleiben kann. Der Preis richtet sich nach den gewünschten Funktionen und der Anzahl der zu überwachenden Tiere.

Kosten je nach Bedarf

VetVise beziffert die Kosten für eine Hardwareeinheit aus Server, Stromversorgung und 32 Kameras, inklusive Installation auf circa 10.000 € zuzüglich Systembereitstellung. Für einen konventionellen Maststall mit 400 Plätzen lassen sich ab 300 € pro Monat erste Projekte realisieren. Anders als im hoch standardisierten Geflügelbereich haben Schweinehalter aber deutlich individuellere Anforderungen, die in der Preisfindung be­rücksichtigt werden müssen.

An Forschungsvorhaben mangelt es deshalb nicht. Hier ein paar Beispiele:

  • In einer Sauenanlage in Niedersachsen laufen gerade Versuche zur automatischen Geburtsüberwachung. 300 Abferkelungen haben die Kameras schon gefilmt. Damit wird jetzt die KI gefüttert, um erste Anzeichen einer Geburt sowie Abweichungen vom normalen Geburtsverlauf melden zu können. Diese Funktion könnte noch im Laufe des Jahres praxisreif werden.

  • Weil nicht jeder Betrieb mit Tablets oder Smartphones arbeiten möchte, plant VetVise zurzeit im Rahmen eines ZIM-Projektes ein farbiges Anzeigesystem zu entwickeln. Bei einem Ausfall der Fütterung würde zum Beispiel eine rote Lampe leuchten, die bedeutet: Jetzt bitte den Laufzettel mit der roten Markierung abarbeiten, um genau dieses Problem zu beheben. Insbesondere in großen Betrieben mit vielen Mitarbeitern könnte das zum Einsatz kommen.

  • Außerdem arbeitet VetVise daran, das Mikroklima in Aufzuchtställen und in der freien Abferkelung über Kistendeckel, Fußbodenheizung und -kühlung automatisch zu steuern, unter anderem, um Erdrückungsverluste zu minimieren. Dazu ist gerade ein Forschungsprojekt in Planung.

Laut VetVise ist die Zusammenarbeit mit Landwirten und Beratern wesentlich, um das Feedback aus der Praxis in die Weiterentwicklung des Systems einfließen zu lassen. Die Technik ist bisher in 15 Schweineställen in Deutschland und den Niederlanden integriert.

Startup mit Gründerstipendium

Spätestens nach ihrem Studium der Tiermedizin in Hannover stand für die Vetvise-Mitbegründer Norman Caspari, Johannes Schmidt-Mosig und Jakob Wendt fest: Die klassische Tierbeobachtung ist viel zu aufwendig. Alle drei entwickelten KI-basierte Projekte, darunter eine Physiotherapie-App für Hunde. Über das Exist-Gründerstipendium erhielt das Trio Fördermittel zur Entwicklung eines Businessplans.

Zahlreiche Videoaufnahmen und Auswertungsmethoden später gründeten sie im Herbst 2020 schließlich Vetvise. Das System soll Landwirten und Tierärzten helfen, alle wichtigen Faktoren im Stall auf einen Blick zu erfassen. Aktuell sind 15 Mitarbeiter in dem jungen Unternehmen beschäftigt. Zu den Eigentümern von Vetvise gehört u.a. auch die LV Digital GmbH, eine hundertprozentige Tochter des Landwirtschaftsverlags. Sie ist seit Anfang 2024 an dem Start Up beteiligt.

Ihre Meinung ist gefragt

Was denken Sie über dieses Thema? Was beschäftigt Sie aktuell? Schreiben Sie uns Ihre Meinung, Gedanken, Fragen und Anmerkungen.

Wir behalten uns vor, Beiträge und Einsendungen gekürzt zu veröffentlichen.

Mehr zu dem Thema

top + Ihre Herausforderungen - unsere Antworten

Wir liefern Ihnen das Fachwissen, das Sie für Ihre Energieprojekte brauchen.

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

E-Mail-Adresse

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.