Den Schlachtunternehmen in Deutschland macht derzeit nicht nur die schleppende Fleischnachfrage zu schaffen; sie sehen sich auch einem zunehmenden öffentlichen beziehungsweise politischen Druck wegen mutmaßlichen Sozialdumpings in der Branche gegenüber. Ausländische Beschäftigte in den Schlacht- und Zerlegebetrieben würden lediglich einen Stundenlohn zwischen 3 € und 7 € erhalten, lautet dabei ein Vorwurf. Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies bezeichnete die Schlacht- und Zerlegebetriebe der Fleischindustrie in der vergangenen Woche anlässlich einer Mai-Kundgebung als „die unsozialste Branche“. Lies sprach sich in dem Zusammenhang erneut für einen flächendeckend geltenden Mindestlohn von 8,50 € aus. Darüber hinaus will der Minister insbesondere gegen den Missbrauch von Werkverträgen vorgehen.
Niedersächsische Minister treffen sich mit Fleischindustrie
Der SPD-Politiker wies darauf hin, dass Deutschland in Belgien als Billiglohnland gelte. Das westliche Nachbarland hat kürzlich Beschwerde bei der Europäischen Kommission wegen „Sozialdumping“ durch deutsche Schweinefleischverarbeiter eingelegt. Der in dieser Form eher ungewöhnliche Protest eines Mitgliedslandes gegen ein anderes bezieht sich auf die ausländischen Arbeiter in der hiesigen Fleischverarbeitung, die den Vorwürfen zufolge nur sehr geringe Löhne beziehen und keine deutschen Sozialversicherungsbeiträge bezahlen. Die belgische Regierung bezweifelt, dass die Zustände in der deutschen Fleischindustrie dem EU-Recht entsprechen. Beklagt wird eine daraus resultierende Verzerrung des Wettbewerbs zu Lasten der eigenen Fleischwirtschaft. Die Kritik scheint nun Wirkung zu zeigen: Sein Eindruck sei, dass die Industrie verstanden habe, dass es so nicht weitergehen könne, sagte Lies vergangene Woche, nachdem er sich am Abend zuvor gemeinsam mit Landwirtschaftsminister Christian Meyer mit Vertretern der niedersächsischen Fleischindustrie getroffen hatte. Thema der Besprechung waren die Arbeits- und Lebensbedingungen von Beschäftigten der Branche sowie insbesondere der Komplex Werkverträge gewesen.
Zustimmung zum Mindestlohn erklärt
Lies sprach nach dem Treffen von einem „Schritt in die richtige Richtung“. Wie aus einer gemeinsamen Pressemitteilung hervorgeht, hätten die Unternehmensvertreter ihre Zustimmung zur politischen Forderung nach Einführung eines bundesweiten Mindestlohnes erklärt. Zudem erklärten die Unternehmen bei dem Treffen auch ihre grundsätzliche Bereitschaft, den Anteil sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter zu erhöhen. Dies gelte auch für Arbeitnehmer aus dem Ausland. Sie hätten außerdem signalisiert, sich inhaltlich an einer Beratungsstelle für ausländische Beschäftigte in der Fleischindustrie zu beteiligen. Die Unternehmensvertreter zeigten sich laut Ministerien zudem offen für mehr Transparenz in der Branche. Gesprochen worden sei in diesem Zusammenhang über verstärkte Kontrollen in den Betrieben.
Erneutes Gespräch in sechs Wochen
Von den Unternehmen angeregt und von den Ressortchefs zugesagt wurde zudem eine rechtliche Prüfung, welche Möglichkeiten die Firmen der Fleischindustrie haben, um die Werkvertragsunternehmen auf die Einhaltung sozialverträglicher Lebens- und Arbeitsbedingungen für ihre Beschäftigten zu verpflichten. Angeregt worden sei dabei eine Zertifizierung von Werkvertragsunternehmen, berichteten die Ministerien. Lies und Meyer sagten ihrerseits zu, einen Entwurf für eine solche Zertifizierung gemeinsam mit der Branche zu entwickeln. Dem Wirtschaftsminister zufolge sind bei den sechs Unternehmen, die am Gespräch Anfang vergangener Woche beteiligt waren, zwischen 20 % und 80 % der Arbeiter mit Werkverträgen bei Subunternehmen angestellt. Er kenne keine andere Branche in Niedersachsen und Deutschland mit so vielen Werkverträgen, stellte Lies kritisch fest. Der Wirtschaftsminister betonte, nun müssten den Worten aber auch Taten folgen. Er kündigte an, dass er die Vertreter der Fleischindustrie in etwa sechs Wochen erneut ins Ministerium einladen werde, um die Gespräche dann auch unter Beteiligung der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG), fortzusetzen. (AgE)