Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Sonstiges

Stilllegung 2024 Agrardiesel-Debatte Bürokratieabbau

topplus News

„Fürs Tierwohl brauchen wir ein Gesamtpaket!“

Tierwohllabel, Kastenstand und Kastration. Der Berufsstand ist unzufrieden mit dem Stand der Verhandlungen und fordert die Politik auf, endlich ein Gesamtpaket zu schnüren. Wir sprachen mit WLV-Präsident Johannes Röring und dem ISN-Vorsitzenden Heinrich Dierkes.

Lesezeit: 9 Minuten

Tierwohllabel, Kastenstand und Kastration. Der Berufsstand ist unzufrieden mit dem Stand der Verhandlungen und fordert die Politik auf, endlich ein Gesamtpaket zu schnüren. Wir sprachen mit WLV-Präsident Johannes Röring und dem ISN-Vorsitzenden Heinrich Dierkes.


Das Wichtigste zum Thema Schwein mittwochs per Mail!

Mit Eintragung zum Newsletter stimme ich der Nutzung meiner E-Mail-Adresse im Rahmen des gewählten Newsletters und zugehörigen Angeboten gemäß der AGBs und den Datenschutzhinweisen zu.

Wie ist die Stimmung bei den Schweinehaltern?


Röring: Explosiv. Die Preise sind mau und die Diskussion über das Tierwohl wird in weiten Teilen fernab der Realität geführt. Auch die Politik zögert: Weder beim Tierwohllabel, noch beim Kastenstand oder in der Kastrationsfrage geht es wirklich voran.


Dierkes: Die drei Bereiche werden weitgehend unabhängig voneinander diskutiert, als hätten sie nichts miteinander zu tun. Die Gefahr ist groß, dass dabei Stückwerk herauskommt und hinterher nichts zusammenpasst. Mir fehlt die praxisnahe Gesamtstrategie.


Röring: Betroffen sind vor allem die Ferkelerzeuger. Wenn wir nicht aufpassen, droht ein gewaltiger Strukturbruch.


Wie ist der Verhandlungsstand beim staatlichen Tierwohllabel?


Dierkes: Klöckners Vorschlag, ein dreistufiges Label einzuführen, ist im Grundsatz richtig. Sie muss das Rad aber nicht neu erfinden, denn mit der Initiative Tierwohl (ITW) und QS haben wir bereits funktionierende Systeme, auf denen sie aufbauen kann.


Was heißt das?


Röring: Bei der ITW sitzen seit fünf Jahren alle wichtigen Marktpartner am Tisch. Sie haben Strukturen geschaffen, die für das staatliche Tierwohllabel hervorragend genutzt werden können.


Dierkes: Zum Beispiel bei der Festlegung der Kriterien für die einzelnen Stufen. Wir schlagen die ITW-Standards für die Einstiegsstufe vor. Die Stufen 2 und 3 könnten sich am Label des Tierschutzbundes orientieren.


Ist das konsensfähig?


Dierkes: Wir streiten mit dem BMEL zurzeit vor allem über die Einstiegsstufe. Es gibt im Ministerium Stimmen, die fordern, dass die Vorgaben der Einstiegsstufe deutlich über dem gesetzlichen Standard liegen müssen. Im Raum stehen u.a. 30% mehr Platz. Das halten wir für falsch. Wenn schon die Einstiegsstufe des Labels in der Produktion und später im Laden zu teuer wird, macht niemand mit.


Ein weiterer Streitpunkt ist die Freiwilligkeit des Labels. Warum ist eine verpflichtende Haltungskennzeichnung besser?


Dierkes: Weil dann keiner mehr ausbüxen kann. Ich habe nichts dagegen, zunächst freiwillig zu starten. Wenn das System dann auf der Erzeugerstufe läuft, muss die Ware im LEH, bei den Metzgern, in den Kantinen und bei der Systemgastronomie verpflichtend gelabelt werden. Dann können wir auch Rind und Geflügel mit einbinden.


Röring: Das Ganze müssten wir bis zum Ende der zweiten Projektphase der Initiative Tierwohl auf die Reihe gebracht haben. Das wäre Ende 2021.


Geht der Handel da mit?


Dierkes: Ich höre, dass Lidl und Co. ihre Haltungskompasse zurückziehen werden, wenn es eine überzeugende staatliche Kennzeichnung gibt und die Spielregeln für alle gleich sind.


Welchen Anteil der Produktion muss das Tierwohllabel abdecken, damit es die notwendige Breitenwirkung erzielt?


Dierkes: Wir dürfen in der Einstiegsstufe nicht unter das aktuelle ITW-Niveau von 20% Marktanteil rutschen. Wenn es uns gelingt, die Großverbraucher einzubinden, sind auch 50% Marktanteil möglich. Die Stufen 2 und 3 des Labels werden Nischen bleiben.


Wie soll der Mehraufwand in den Labelstufen finanziell ausgeglichen werden?


Röring: Am besten über den Marktpreis. Wir müssen davon wegkommen, dass der Landwirt nur die Mehrkosten erstattet bekommt. Jeder Unternehmer hat auch Anspruch auf eine Marge. Das Ziel muss sein, das sich für Tierwohl-Fleisch ein eigener Marktpreis bildet. Beim niederländischen Programm „Beter-Leven“ hat das funktioniert.


Wie sieht dann die Notierung aus?


Dierkes: Wir hätten zunächst zwei Notierungen – den Vereinigungspreis für die Standardware und diesen plus X für das Tierwohlfleisch. Beim Ferkelpreis wäre es genauso.


Röring: Es wird dauern, bis sich das eingependelt hat. Möglicherweise ist es in einer Übergangszeit sinnvoll, mit dem bisherigen Tierwohlfonds der ITW weiterzuarbeiten. So kämen auch die Ferkelerzeuger zur ihrem Recht.


Wie wichtig ist die Nämlichkeit für die Durchsetzung von Preisaufschlägen?


Röring: Daran werden wir nicht vorbeikommen. Wir müssen den Kunden zusichern, dass das gekaufte Fleisch von einem Betrieb stammt, der die Kriterien des Labels einhält und entsprechend kontrolliert wurde. Für Ferkelerzeuger und Mäster ist die Nämlichkeit schon heute kein Problem. Jedes Ferkel hat eine Betriebsohrmarke, jedes Mastschwein einen Schlagstempel.


Von den Schlachtern erwarte ich, dass sie die Nämlichkeit in Zukunft bei Schlachtung und Verarbeitung auch hinbekommen. Schließlich profitiert auch die rote Seite davon, wenn wir die Akzeptanz der Tierhaltung in Deutschland verbessern. Dann können sie ihre Schlachthaken auslasten.


Dierkes:Je größer der Marktanteil des Tierwohlfleisches ist, desto leichter wird es für die Schlachter und Verarbeiter, weil sie entsprechende Mengen einkaufen und ihre Logistik darauf aufbauen können. Im Rahmen der ITW laufen derzeit erste Tests.


Frau Klöckner hat angekündigt, rund 70 Mio. € für die Bewerbung des Labels bereitzustellen. Welche flankierenden Maßnahmen brauchen wir noch?


Röring: Wir müssen ein nationales Aktionsprogramm für die Sauenhalter auflegen. Neben einem Investitionsförderprogramm gehören dazu auch Erleichterungen im Baurecht. Ein gut ausgestattetes Agrarinvestitionsförderprogramm nützt nichts, wenn die Sauenhalter und Mäster keine Umbaugenehmigungen bekommen.


Die Sauenhalter wissen nicht, wie sie umbauen sollen. Es fehlt die Lösung für den Kastenstand. Was nun?


Röring: Mit dem Urteil des OLG Magdeburg haben wir Rechtssicherheit: Wir müssen die Deckzentren umbauen. Was den Sauenhaltern fehlt, ist die Planungssicherheit. Sie wissen nicht, wie sie umbauen sollen und wie lange sie dafür Zeit haben. Wir brauchen Lösungen, die die vorhandenen Deckzentren nicht komplett auf links drehen. Das betrifft vor allem die Breite der Kastenstände. Wenn wir uns darauf einigen, dass die Sauen künftig nur noch wenige Tage im Kastenstand stehen und dann in die Gruppe gehen, kann es nicht das Problem sein, dass sich die Sauen im Kastenstand auch mal berühren.


Dierkes: Und wir müssen den Sauenhaltern Zeit geben. Deshalb sind Übergangszeiten im Deckstall von mindestens 17 Jahren notwendig.


Bund und Länder haben schon vor Monaten ein Eckpunktepapier mit einer Kompromisslinie zum Kastenstand ausgearbeitet. Was ist daraus geworden?


Röring: Ich hatte erwartet, dass die letzte Agrarministerkonferenz (AMK) Klarheit bringt. Denn selbst die Grünen haben die Kompromisslinie mitgetragen. Dass dann so ein existenziell wichtiges Thema komplett von der Tagesordnung gestrichen wird, verstehe ich nicht. Hier wird Parteipolitik auf Kosten der Sauenhalter gemacht.


Sollte die Abferkelbucht gleich mitverhandelt werden?


Röring: Für bestehende Abferkelställe fordere ich Bestandsschutz, bei Neubauten bin ich gesprächsbereit. Bevor wir im Abferkelstall aber die Welt verändern, müssen uns die Wissenschaftler sagen, was funktioniert.


Dierkes: Das sehe ich auch so. Wie soll ein Betrieb sonst für die Zukunft planen können. Momentan wird mir die ganze Debatte viel zu einseitig geführt. Die ganze Welt redet immer nur vom Selbstbestimmungsrecht und dem Wohlbefinden der Sau. Wer denkt an den Schutz der Ferkel und der Landwirte?


Und was empfehlen Sie Sauenhaltern, die dringend umbauen müssen, weil die Abferkelbuchten „auf“ sind?


Dierkes: Im Moment kann ich dazu keine Antwort geben und das macht mich wütend. Ich sehe nur, dass immer mehr Ferkelerzeuger frustriert das Handtuch werfen, weil unsere Politik auf ganzer Linie versagt.


Frust und Verunsicherung verursacht auch das Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration Ende des Jahres. Wo stehen wir?


Dierkes: Wir haben mit der Betäubung, der Ebermast und der Immunokastration drei Wege, von denen keiner „die Lösung“ ist. Die Betäubung darf der Landwirt nicht ohne Tierarzt vornehmen. Das Fleisch der Eber und der immunokastrierten Tiere will keiner haben. Deshalb brauchen wir zusätzlich einen 4. Weg.


Röring: Bei der praktischen Umsetzung des 4. Weges kommen wir nicht weiter, weil die Tierschützer auf 100% Schmerzausschaltung beharren. Sie verweisen auf das Tierschutzgesetz. Humanmediziner bestätigen uns indes, dass es eine 100%ige Schmerzausschaltung auch beim Menschen nicht gibt. Jede Injektion schmerzt, auch die Impfung tut weh. Natürlich wollen wir die Schmerzen bei der Kastration bestmöglich reduzieren. Dafür brauchen wir aber ein Verfahren, das auch in der Praxis funktioniert. Und das ist ganz klar die Lokalanästhesie, der 4. Weg.


Und wenn es die am 1. Januar 2019 noch nicht gibt...


Röring: ...dann müssen wir eine Übergangslösung nach österreichischem Vorbild schaffen. Dort dürfen die Landwirte so lange weiter kastrieren, bis eine tragfähige Alternative gefunden ist. Die Sauenhalter müssen allerdings Schmerzmittel geben. Pragmatisch sind auch die Dänen vorgegangen. Sie haben kurzerhand ein Lokalanästhetikum aus der Humanmedizin zugelassen, weil die Anatomie des Schweines der des Menschen ähnelt. Langwierige Gutachten halten sie daher für überflüssig.


Wir müssen aufpassen, dass wir die deutschen Sauenhalter nicht in die Notlage bringen, illegal handeln zu müssen, nur weil ihnen der Gesetzgeber keine praktikablen Alternativen zur Verfügung stellt.


Wie geht es jetzt weiter?


Röring: Einige Bundesländer wollen eine neue Bundesratsinitiative starten. Länder wie Bayern denken offenbar auch über regionale Sonderwege nach. Mir ist im Grunde jeder juristische Weg recht, der zu einer Verbesserung des Status quo führt.


Dierkes: In einem vereinten Europa sollte selbst Deutschland keinen Sonderweg beschreiten. Einzelne Bundesländer schon gar nicht. Wenn die Bayern es aber schaffen, mit ihrer Initiative anderen Bundesländern Beine zu machen, hätte ich damit kein Problem.


Was erwarten Sie von Frau Klöckner?


Röring: Wir brauchen ganz schnell einen runden Tisch in Berlin. Wenn das nicht gelingt, wird der Selbstversorgungsgrad bei deutschen Ferkeln dramatisch sinken. Schon heute liegen wir bei nur 75%. Dann klatschen die dänischen und niederländischen Kollegen in die Hände.


Dierkes: Erstens, dass sie beim Label auf die Argumente und Sorgen der Wirtschaft hört. Zweitens, und da bin ich mir mit Johannes Röring einig, dass Sie kurzfristig einen Gipfel zur Sauenhaltung einberuft. Denn wenn die Ferkelerzeugung in Deutschland stirbt, brauchen wir uns über regionale Produkte, Haltungskennzeichnung usw. nicht mehr unterhalten. Nämlichkeit mit spanischen Ferkeln ist dämlich.


-------------------------------------------------


ZDG: Volle Kostendeckung!


Der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) fordert die volle Deckung der Mehrkosten des staatliches Tierwohllabels. „Das kann der Markt v.a. zu Beginn alleine nicht leisten,“ betont ZDG-Präsident Friedrich-Otto Ripke. „Deshalb brauchen wir ergänzend ein Förderprogramm oder eine EU-Tierwohlprämie wie bei Bio.“


Klöckners Vorschlag für ein drei- stufiges Label trägt Ripke mit, wenn die Einstiegsstufe den jetzigen ITW-Kriterien entspricht. Diese liege deutlich über dem Gesetzesstandard, erfasse bereits 575 Mio. Hähnchen und Puten, sei sofort in das Labelsystem überführbar und sorge für vertretbare Preisaufschläge. „Die zweite und dritte Stufe kann sich an das bewährte Tierwohllabel des Deutschen Tierschutzbunds anlehnen“, so Ripke.


Der ZDG will ein verbindliches Label, weil zwei Drittel des deutschen Geflügelfleisches über Restaurants, Kantinen und Großküchen abgesetzt würden. Dort werde vor allem über den Preis gekauft.

top agrar besser machen. Gemeinsam
Sie sind Schweinehalter oder lesen regelmäßig den top agrar Schweine-Teil und/oder die SUS? Dann nehmen Sie an einem kurzen Nutzerinterview teil.

Die Redaktion empfiehlt

top + Letzte Chance: Nur noch bis zum 01.04.24

3 Monate top agrar Digital + 2 Wintermützen GRATIS

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.