Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Sonstiges

Stilllegung 2024 Agrardiesel-Debatte Bürokratieabbau

topplus Interview

Schweinestau: Laumann hält an Corona-Auflagen fest!

NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann gilt als „harter Hund“. Die Corona-Auflagen in den Schlachthöfen will er trotz Schlachtstau nur bedingt lockern. Auch die Bauern nimmt er in die Pflicht.

Lesezeit: 7 Minuten

Herr Laumann, die Schweinehalter kämpfen aktuell ums wirtschaftliche Überleben. Wie nehmen Sie die Sorgen und Nöte der Familien wahr?

Laumann: Ich kenne die Sorgen und Nöte sehr gut. Ich komme aus einem landwirtschaftlich geprägt Wahlkreis, mein Bruder führt unseren elterlichen Hof mit Schweinemast. Glauben Sie mir, ich weiß, was auf den Höfen los ist.

Das Wichtigste zum Thema Schwein mittwochs per Mail!

Mit Eintragung zum Newsletter stimme ich der Nutzung meiner E-Mail-Adresse im Rahmen des gewählten Newsletters und zugehörigen Angeboten gemäß der AGBs und den Datenschutzhinweisen zu.

Der Berufsstand kritisiert, dass Sie zu viel Druck machen und die Corona-Auflagen in der Fleischbranche besonders scharf kontrollieren lassen. Deshalb können die Schlachter Kapazitäten nicht hochfahren. Das wäre angesichts des Schweinestaus aber dringend nötig. Schießen Sie übers Ziel hinaus?

Laumann: Nein! Schlachthöfe sind Orte, wo sich das Coronavirus gern aufhält und vermehrt. Deshalb müssen wir in der Fleischbranche besonders sensibel sein. Als Gesundheitsminister muss ich dafür sorgen, dass der Infektionsschutz nach bestem Wissen und Gewissen umgesetzt wird. Das Schlimmste, was den Bauern jetzt passieren kann, ist, dass wir einen zweiten Lockdown in einem großen Schlachthof bekommen.

Das können wir verhindern, indem wir wachsam bleiben und die Infektionsschutz- und Hygienestandards einhalten. Unsere Schlachthöfe sind nun mal nicht für Corona-Bedingungen gebaut. Die Bauern können aber sicher sein, dass wir nicht mehr fordern als unbedingt nötig ist. So dürfen zum Beispiel bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück die Abstände am Zerlegeband reduziert werden, wenn dafür mehr getestet wird. Auch mein erklärtes Ziel ist, den Durchsatz in den Schlachthöfen möglichst groß zu halten.

Die Fleischbranche kritisiert, dass es keine einheitlichen Auflagen für das Testen und den Arbeitsschutz gibt. Warum werden die Fleischbetriebe in NRW unterschiedlich behandelt?

Laumann: Das stimmt nicht. In der Corona-Fleischverordnung sind die Mindestvorgaben z.B. im Hinblick auf die Testdichte für alle Unternehmen einheitlich geregelt. Unterschiede entstehen, weil einzelne Firmen freiwillig darüber hinaus gehen. Westfleisch z.B. testet weit mehr als gesetzlich gefordert wird.

Die Misere in der Schlachtbranche haben wir nur, weil alles auf Kante genäht ist.“ - Laumann

Die Probleme in der Fleischbranche treffen die Bauern massiv. Der Schweinestau führt zu wachsenden Tierschutzproblemen in den Ställen. Berücksichtigen Sie die Nöte der Bauern bei Ihren Entscheidungen überhaupt?

Laumann: Selbstverständlich mache ich das. Aber ich darf bei meinen Entscheidungen den Infektionsschutz nicht außer Kraft setzen. Seien wir doch ehrlich: Die Misere, die wir jetzt in der Schlachtbranche haben, ist ein Problem der großen industriellen Schlachthöfe. Es gibt sie, weil man die Effizienz immer weiter gesteigert hat und das ganze System auf Kante genäht ist. Das kann auch den Bauern nicht verborgen geblieben sein. Westfleisch z.B. ist eine Genossenschaft und gehört den Bauern. Diejenigen, die in den Aufsichtsräten sitzen, kennen die Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen und sie wissen, dass die Bedingungen in keiner Weise akzeptabel sind.

Das System lässt sich nicht von heute auf morgen verändern. Wäre es nicht an der Zeit, mehr Fingerspitzengefühl zu zeigen und den Schlachtern durch vertretbare Lockerungen bei den Corona-Auflagen die Möglichkeit zu geben, den Schweinestau abzuarbeiten?

Laumann: Durch die Erlaubnis von Sonn- und Feiertagsarbeit habe ich Möglichkeiten geschaffen, um den Schweinestau aufzulösen. Mehr lässt die Arbeitszeitgesetzgebung nicht zu, denn sie dient dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer. Im Übrigen haben wir von den Schlachtunternehmen kaum Anträge auf Sonn- und Feiertagsarbeit bzw. Erweiterung der Arbeitszeiten erhalten.

Die Schlachter beklagen, dass die Überstunden sehr zeitnah wieder abgebaut werden müssen.

Laumann: Das Problem der dünnen Personaldecken und damit die Probleme beim Ausgleich der Überstunden haben sich die industriell tätigen Schlachter selbst zuzuschreiben. Wenn die Manager der Schlachthöfe beklagen, dass sie keine Mitarbeiter haben, müssen sie die Leute endlich gerecht bezahlen. Es ist blamabel, wenn für die Arbeit in einem Schlachthof nur der Mindestlohn gezahlt wird.

Sie pochen weiter auf das Verbot von Werkverträgen in der Schlacht- und Zerlegebranche. Für das Baugewerbe oder die Automobilindustrie, wo Werkverträge ebenfalls gang und gäbe sind, fordern Sie das nicht. Warum diese einseitigen Forderungen?

Laumann: Weil die Probleme im industriell geprägten Teil der Fleischbranche seit Jahren bekannt sind und sich die Branche keinen Millimeter bewegt. Die Fleischriesen geloben zwar seit langer Zeit Besserung, tatsächlich tricksen sie aber rum. Beispiele gibt es zu Hauf: Der Gesetzgeber hat den Mindestlohn eingeführt und die Schlachtriesen antworten mit dem Messergeld, das ihre Mitarbeiter entrichten müssen. Der Gesetzgeber verabschiedet das Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten (GSA Fleisch), um u.a. die Arbeitszeitdokumentation durchzusetzen. Die Fleischriesen antworten mit Zettelwirtschaft. Nach all den Jahren muss man nüchtern feststellen: Es hat sich an den grundlegenden Problemen so gut wie nichts geändert. Hier ist für mich in der industriellen Schlachtung jegliches Vertrauen verspielt worden, im mittelständisch geprägten Teil der Branche mag das noch anders sein.

Was sagen die Branchenvertretern dazu?

Laumann: Nichts! Im Oktober haben wir gravierende Verstöße gegen die Arbeitszeitregelungen nachgewiesen und daraufhin Vertreter der Fleischbranche ins Ministerium nach Düsseldorf eingeladen. In meiner über 30-jährigen politischen Karriere habe ich noch nicht erlebt, dass die Vertreterrinnen und Vertreter der Betriebe nicht mit Ministern einer Landesregierung reden, sondern ihre Verbandssprecher vorschicken. Es kann doch nicht sein, dass mir ein Schlachthof zwar sagen kann, von welchem Schwein meine Mettwurst stammt. Er aber nicht in der Lage ist, die Arbeitszeiten digital zu erfassen. Den Herren geht es doch nur darum, zu verhindern, dass der Mindestlohn effektiv kontrolliert wird. Die Branche muss sich nicht wundern, wenn in einer Pandemie wie dieser ganz genau auf die Strukturen geschaut wird. Jetzt gibt es eine politische Mehrheit, die diese Strukturen ändern will. Und genau das werden wir tun.

In anderen Branchen funktioniert das System der Werkverträge. Wo liegt der Unterschied?

Laumann: Werkverträge funktionieren nur dann, wenn das Kerngeschäft des Unternehmens nicht ausgelagert wird. Wenn Volkswagen hingehen würde und seine Autos nur noch von Werkvertragsmitarbeitern bauen ließe und selbst nur noch die Logistik übernehmen würde, würde das Unternehmen seine Verantwortung auslagern. Und damit würden die Probleme beginnen.

Im nachgelagerten Bereich, etwa bei Wurstfabriken, wollen Sie Ausnahmen zulassen. Das passt doch überhaupt nicht zusammen.

Laumann: Wenn es nach mir ginge, gäbe es keine Ausnahmen. Wenn man aber den politischen Kompromiss braucht, muss man nach Lösungen suchen, die einem selbst nicht 100 %ig gefallen. Hier kann das Werkzeug der Zeitarbeit vorübergehend helfen. Zeitarbeit ist gesetzlich stark reguliert und kann über einen Tarifvertrag auch in der Fleischindustrie angewendet werden. Wenn dieser Tarifvorbehalt gilt, halte ich sie für vertretbar.

Allen, die es wissen wollten, ist klar, dass die Verhältnisse in der Schlachtbranche nicht in Ordnung sind.“ -Laumann

Sie wollen das Verbot der Werkverträge schnell durchsetzen und fordern die Bundesregierung zum Handeln auf. Warum diese Eile? Solch weitreichende Folgen müssten fairerweise doch zuerst mit den Beteiligten im Detail besprochen werden.

Laumann: Was sollen wir noch diskutieren, die Arbeitsverhältnisse und die Unterbringung der Menschen sind nicht in Ordnung. Das wissen die Schlachthofbetreiber und alle, die das System kennen und sich Gedanken dazu gemacht haben. Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel Dänemark. Dort werden seit Jahren viel höhere Löhne gezahlt und die Schlachthöfe existieren immer noch.

Wünschen Sie sich wieder viele kleinere Schlachthöfe?

Laumann: Ich würde mir einen größeren Anteil von dezentralen mittelständischen Strukturen in der Schlachtbranche wünschen. Sie passen auch besser zu einer von Familienbetrieben geprägten, bäuerlichen Landwirtschaft. Es war noch nie gut, wenn ganz wenige Entscheider eine ganze Branche dominieren. Wir müssen nun aber schauen, wie wir mit den bestehenden Strukturen umgehen. Man kann die Zeit nicht einfach zurückdrehen. Wir sollten die bestehenden Standorte nicht noch weiter ausbauen, sondern die kleineren Standorte, die wir in Deutschland Gott sei Dank noch haben, effektiver machen. Das hilft uns in Pandemiezeiten wie diesen enorm weiter, weil wir Warenströme notfalls umleiten können.

top agrar besser machen. Gemeinsam
Sie sind Schweinehalter oder lesen regelmäßig den top agrar Schweine-Teil und/oder die SUS? Dann nehmen Sie an einem kurzen Nutzerinterview teil.
top + Letzte Chance: Nur noch bis zum 01.04.24

3 Monate top agrar Digital + 2 Wintermützen GRATIS

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.