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Neue TA Luft verhindert mehr Tierwohl

Die neue Technische Anleitung (TA) Luft könnte den Um- und Neubau für mehr Tierwohl häufig blockieren. Das zeigt das Planspiel von NRW-Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser.

Lesezeit: 9 Minuten

Wenn die neue TA Luft so bleibt, wie sie das Bundesumweltministerium vorgelegt hat (siehe Seite 36), droht das Tierwohl auf der Strecke zu bleiben. In den meisten Fällen dürfte es nicht gelingen, eine Baugenehmigung zu bekommen, mit der die bestehenden Ställe für mehr Tierwohl umgebaut werden können. Das ist das ernüchternde Ergebnis eines Planspiels, dass das nordrhein-westfälische Umwelt- und Landwirtschaftsministerium gemeinsam mit Fachleuten durchgeführt hat.

Die Agrar-, Bau- und Umweltexperten prüften dabei folgende sechs Kernfragen:

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1. Vorsorgeanforderungen

Bei welcher Immissionsbelastung wäre eine Privilegierung aus Gründen des Tierwohls noch möglich?

Ergebnis:

  • Die Behörden haben keine Spielräume für eine Privilegierung des Tierwohls, wenn eine Gesundheitsgefahr vorliegt. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die Bioaerosole die Grenzwerte überschreiten.

  • Bei Ställen, die nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSch) genehmigt werden müssen (z.B. mehr als 1500 Mastschweine, 560 Sauen oder 30000 Hähnchen), gelten die strengen Schutzanforderungen der TA Luft uneingeschränkt. Hier gibt es keine Ermessensspielräume. Zusätzlich müssen ab diesen Stallgrößen Vorsorgeanforderungen wie z.B. die Abluftfilterung eingehalten werden. Für besonders tierwohlgerechte Haltungsverfahren sind hier gewisse Ausnahmen möglich.

  • Auch bei Ställen, die nicht unter das BImSch-Gesetz fallen und nur nach Baurecht genehmigt werden müssen, gelten die strengen Schutzanforderungen der TA Luft als Maßstab. Nur unvermeidbare schädliche Umweltauswirkungen können toleriert werden. Beispiel: Wenn in der Tierschutznutztierhaltungsverordnung Haltungsverfahren vorgeschrieben wären, die zu mehr Emissionen führen würden, wäre das eine unvermeidbare Umweltauswirkung. Gegenwärtig ist das aber nicht der Fall.



    Derzeit ist auch nicht klar, was der Gesetzgeber unter „vermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen“ versteht. Hier müsste unbedingt definiert werden, welche Maßnahmen ggf. zu ergreifen sind und was der Stand der Technik beim „Tierwohl“ ist.'



    Die Experten waren sich einig: Hier fehlt in der TA Luft eine klare Definition und Privilegierung für bestimmte tierwohlorientierte Haltungsverfahren, die möglichst genau zu beschreiben sin
  • Einzig bei der Geruchsbeurteilung im Außenbereich wäre es denkbar, die laut Geruchs-Immissionsrichtlinie (GIRL) in Ausnahmefällen mögliche, maximal 25%ige Geruchshäufigkeit gerade bei Tierwohlställen anzuwenden.

2. Mindestvorgaben Tierschutz

Inwieweit werden neue Mindestvorgaben aus dem Tierschutzrecht vorrangig in der TA Luft berücksichtigt?

Ergebnis:

  • Die vorgesehenen Spielräume für BImSch-Ställe (keine Abluftreinigung bei Haltungsverfahren, die dem Tierwohl dienen bzw. generelle Ausnahmen für Ökobetriebe) gelten für Tierwohlmaßnahmen, die über den gesetzlichen Standard hinausgehen. Beim Beispiel der Sauenhaltung also nur noch in der für den Umbau der Kastenstände vorgesehenen Übergangsfrist.

  • Bei nach Baurecht genehmigten Ställen gelten die unter Frage 1 beschriebenen Maßstäbe. Wird der Stand der Technik eingehalten, sind die Umweltauswirkungen als unvermeidbar anzusehen, solange sie die Gesundheit nicht gefährden.

  • Insgesamt folgt daraus, dass neue Mindestvorgaben des Tierschutzrechts nicht vorrangig berücksichtigt werden. Vorrang haben Tierwohlmaßnahmen, die über den gesetzlichen Standard hinausgehen, zum Beispiel freiwillige Labelprogramme wie das geplante Staatliche Tierwohlkennzeichen.

3. Verbesserungsregelung

Gilt die immissionsschutzrechtliche Verbesserungsregelung auch für Baurechtsanlagen?

Ergebnis:

  • Die Regelung besagt, dass bei BImSch- Ställen eine Genehmigung nicht versagt werden darf, wenn die Maßnahme zu einer Verbesserung der Gesamtsituation führt. Demnach wäre ein tierwohlorientierter Stallumbau genehmigungsfähig, wenn sich die vorhandenen Immissionen zumindest verbessern, selbst wenn die Grenzwerte nicht eingehalten werden.

  • Im Baurecht gibt es diese Regelung nicht. Das Bundesverwaltungsgericht hat aber entschieden, dass die Verbesserungsregelung sinngemäß auch in diesem Bereich anwendbar ist.

  • Die Experten bezweifeln allerdings, dass die Verbesserungsregelung in der Praxis überhaupt zur Anwendung kommt, weil die Ausgangslage auf den Betrieben und in deren Umfeld sehr unterschiedlich ist und somit schnell eine erneute Prüfung notwendig wird. Bei Tierwohlställen erhöhen sich zum Beispiel in der Regel die Emissionen – insbesondere im Nahbereich des Stallgebäudes. Das liegt an den Festflächen und am Außenauslauf, die zu Emissionen führen, die sich bodennah ausbreiten.

4. Ausnahmeregelung

Welche Kriterien müssen tierwohlgerechte Haltungsverfahren erfüllen, um von der Ausnahmeregelung profitieren zu können?

Ergebnis:

  • Die Ausnahmeregelung gilt nur für BImSch-Ställe, denn nur für diese gelten die Vorsorgekriterien.

  • Bisher sind nur für Ökobetriebe hinsichtlich der Vorsorgeanforderungen (u.a. nährstoffreduzierte Fütterung, Abluftreinigung) abweichende Regelungen möglich.

  • Die Experten sind sich einig, dass die Ausnahmen auch für vergleichbare tierwohlgerechte konventionelle Haltungsverfahren gelten sollten. Gegenwärtig ist das nicht der Fall. Dafür müsste die TA Luft konkretisiert werden.

5. Neue Haltungsverfahren

Wie werden alternative Haltungsverfahren bewertet, solange noch keine belastbaren Emissionsfaktoren vorliegen?

Ergebnis:

  • Für frei gelüftete Ställe oder Ställe mit Auslauf gibt es derzeit keine belastbaren Emissionsfaktoren als Basis für die Genehmigung.

  • Es wird noch mindestens ein bis zwei Jahre dauern, bis diese Werte vorliegen.

  • Bis dahin sollten Bund und Länder definieren, wie mit diesen Ställen genehmigungstechnisch umzugehen ist. Sonst besteht die Gefahr, dass durch die alternativ erfolgenden Einzelfallprüfungen eine völlig unterschiedliche Genehmigungspraxis in Deutschland entsteht. In einem Kreis werden solche Ställe genehmigt, im nächsten nicht.

6. Sanierungsgebiete

Ist es über sogenannte „Sanierungsgebiete“ möglich, die Interessenkonflikte zwischen Luftreinhaltung und Tierwohl aufzulösen?

Ergebnis:

  • Die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände hat vorgeschlagen, sogenannte „Sanierungsgebiete“ einzurichten, in denen bestimmte Immissionsschutzwerte erst fünf Jahre später erreicht werden müssen. Diese Übergangszeit könnte dann genutzt werden, Umbauten für Tierwohlmaßnahmen umzusetzen.

  • Die Experten halten dieses Konzept für nicht geeignet, weil es keine einheitliche Umsetzung im Land sicherstellt und die Verfahren zur Abgrenzung der Sanierungsgebiete planungsrechtlich sehr aufwändig sind. Verzögerungen und eine unterschiedliche Rechtslage in Deutschland wären die Folgen.

  • Zudem ist derzeit nicht erkennbar, welche Maßnahmen im Anschluss an die Genehmigung bei Tierwohlställen ergriffen werden könnten, um nach fünf Jahren dann die Immissionswerte tatsächlich einzuhalten.

Das ernüchternde Fazit

Der Entwurf der neuen TA Luft verhindert in der gegenwärtigen Fassung viele Umbauten für mehr Tierwohl. Dazu wäre es notwendig im Rechtstext an vielen Stellen eine privilegierte Vorrangstellung für tierwohlbedingte Um- und Neubauten einzufügen. Nur so könnte der Gesetzgeber dem gesellschaftlichen Wunsch nach mehr Tierwohl Rechnung tragen.

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Die Anforderungen an die Betriebe steigen

Das Bundesumweltministerium (BMU) hat im Juli des vergangenen Jahres einen Entwurf für eine neue „Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft“ (TA Luft) vorgelegt. Diese macht strengere Vorgaben für

  • Belästigungen durch Gerüche,
  • Nachteile durch Schädigung empfindlicher Pflanzen und Ökosysteme durch Ammoniak und N-Niederschlag aus der Luft,
  • Beeinträchtigung von FFH-Gebieten und
  • gesundheitsgefährdende Bioaerosole (Pilze, Bakterien, Viren und Pollen als Partikel in der Luft).

Streng genommen gilt die TA Luft nur für Betriebe, die unter das Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSch) fallen (z.B. Ställe mit mehr 1500 Mastschweinen, 560 Sauen, 600 Rindern oder 30000 Masthähnchen). Das sind etwa 10% aller Ställe. Für die restlichen 90% der Ställe, die nur dem Baurecht unterliegen, soll die TA Luft aber auch als „Erkenntnisquelle“ herangezogen werden.

Wie stark sich die neuen Vorgaben auf die viehhaltenden Betriebe auswirken, ist zum Teil noch unklar. Probleme drohen vor allem in folgenden Bereichen:

  • Der Ammoniakausstoß pro Schweinemastplatz muss von jetzt zulässigen 3,64 kg auf 1,8 kg Ammoniak pro Jahr sinken. Ob der Zielwert über eine Abdeckung der Güllelager bzw. über N-reduzierte Fütterung erreicht werden kann, ist fraglich.

  • Landwirten, die an vorbelasteten Standorten produzieren (z.B. in der Nähe eines Waldes) und z.B. auf Auslaufhaltung umstellen wollen, droht eine deutliche Reduzierung der Tierzahlen, wenn der Entwurf so bleibt, wie er gegenwärtig auf dem Tisch liegt.

  • Das BMU hält die Abluftreinigung für „Stand der Technik“. Die Landwirtschaftskammer Niedersachsen und das Thünen-Institut sehen das anders, weil die Wirtschaftlichkeit dieser Maßnahme nicht gegeben sei, dies aber Voraussetzung für die Definition „Stand der Technik“ sei.

  • Die bisherige Geruchsimmissions-Richtlinie (GIRL) soll künftig Bestandteil der TA Luft werden und würde dann bundesweit gelten. Bisher sind die Länder dafür zuständig und haben entsprechend den jeweiligen Standortbedingungen regionale Umsetzungsregelungen erlassen. Solche regionalen Öffnungsklauseln fehlen auf Bundesebene. Das würde eine praktikable Umsetzung deutlich erschweren.

  • Völlig unzureichend ist im aktuellen Entwurf die Frage des Tierwohls. Wenn in diesem Bereich in Zukunft mehr möglich sein soll, braucht das Tierwohl eine privilegierte Stellung in der TA Luft.

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Kommentar: TA Luft und Tierschutzrecht müssen gemeinsam entwickelt werden!

Ein Kommentar von Dr. Ludger Schulze Pals, top agrar:

Es ist vorbildlich, dass die nordrhein-westfälischen Umwelt- und Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser geprüft hat, wo die neue TA Luft mit dem Anspruch kollidieren würde, möglichst viele Ställe für mehr Tierwohl umzubauen. Damit will Heinen-Esser vermeiden, dass es später, wenn die TA Luft in Kraft ist, ein böses Erwachen gibt.

Dieses würde es in der Tat geben, denn das Ergebnis des Planspiels ist ernüchternd. Die Botschaft lautet: Das Tierwohl spielt in der neuen TA keine Rolle. Warum nicht? Weil auf Bundesebene jedes Ministerium nur sein Ding macht, ohne nach rechts und links zu schauen.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze bastelt eine TA Luft zusammen, die das Thema Tierwohl konsequent ausblendet. Ihre Amtskollegin Julia Klöckner, für die Landwirtschaft zuständig, arbeitet gleichzeitig an der Tierschutznutztierhaltungsverordnung, um endlich die Kastenstandfrage zu lösen und den Sauerhaltern eine Perspektive aufzuzeigen.

Ministerinnen auf Egotrip

Auf die Idee, dass beide Ministerinnen dabei zusammenarbeiten müssen und am besten zu den Gesprächen auch noch die externen Fachleute des Umwelt-, Bau- und Agrarbereichs gleich hinzuzuziehen, einschließlich kompetenter Vertreter aus der Praxis, ist bisher offenbar niemand gekommen.

Wenn die beiden Ministerinnen wirklich den Willen haben, die Zielkonflikte auszuräumen, sollten sie sich schleunigst zusammensetzen. TA Luft und Tierwohl müssen zusammenpassen, sonst hat die Tierhaltung in Deutschland vor allem unter Tierwohlaspekten keine Chance. Am besten beginnen die beiden damit gleich morgen!

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