Damit sich das Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration nicht zur Strukturkeule für die deutschen Schweinehalter entwickelt, plädiert der Direktor Landwirtschaft der Vion Food Group, Dr. Heinz Schweer, für die Zulassung von Verfahren zur Lokalanästhesie. „Anderenfalls ist zu erwarten, dass insbesondere die kleineren Ferkelerzeuger aufgeben werden und die Ferkelerzeugung in angrenzende EU-Staaten abwandern wird, wo es bisher kein Verbot gibt und andere Betäubungsverfahren wie die Lokalanästhesie zugelassen sind“, gibt der Direktor Landwirtschaft der Vion Food Group im Interview mit Agra-Europe zu bedenken.
Sehr wahrscheinlich werde auch mehr Schweinefleisch aus anderen EU-Ländern bezogen, wenn es in Deutschland bei einem einzigen zugelassenen Betäubungsverfahren bleiben sollte, so Schweer. Als Mittler zwischen Landwirtschaft und Fleischkunden akzeptiere Vion alle drei Methoden, die aktuell für die Landwirte in Deutschland zur Verfügung stünden - also Ebermast, Immunokastration und Betäubung mit Isofluran. Man sehe aber auch die eingeschränkten Absatzmöglichkeiten für Eberfleisch. Viele nationale und internationale Kunden lehnten das Fleisch von Ebern aufgrund seiner spezifischen Eigenschaften ab. Gleiches gelte auch für Improvac-Eberfleisch. Mit Eberfleisch ließen sich keine Traditionsprodukte wie Rohschinken und Rohwurst herstellen. Auch traditionelle Absatzmärkte in Nachbarländern könnten nicht mit Eberfleisch bedient werden, stellt der Vion-Manager fest. Über die EU-Grenzen hinaus seien die Absatzmöglichkeiten ebenfalls sehr begrenzt. Somit werde ab 2021 auch die betäubte Ferkelkastration das dominierende Verfahren bleiben.
Der vom Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung vorgelegte Vorschlag einer mengenbezogenen Tierwohlabgabe auf Fleisch sollte nach Ansicht von Schweer zunächst geprüft werden. Es bleibe abzuwarten, welche Rolle der Markt in der zukünftigen Strategie spielen solle. „Wie soll der Bürger seine Wertschätzung für die Mittel zum Leben steigern, wenn er ständig Sonderangebote erwarten darf?“, so der Vion-Manager. Dies konterkariere jeden Mehraufwand der Landwirte und der nachfolgenden Stufen Schlachtung und Verarbeitung.
Der Verbraucher trage auch eine Verantwortung. „Wertschätzung heißt: Wir brauchen eine Balance zwischen öffentlichem Gut und Markt“, argumentiert Schweer. In der aktuellen Corona-Krise sei die Diskussion um die Borchert-Empfehlungen allerdings fast zum Erliegen gekommen. Entscheidend sei, dass mit Wiederaufnahme der Debatte nicht über einzelne Details diskutiert werde, sondern zu allererst über die Akzeptanz des gesamten Rahmens, nicht nur in den politischen Institutionen, sondern auch unter Einbeziehung der betroffenen Landwirtschaft. Gebe es jedoch keine Einigung über ein tragfähiges Rahmenkonzept, könnten nach und nach ordnungspolitische Regelungen verabschiedet werden, die die Landwirte ohne finanziellen Ausgleich tragen müssten. Dieses Vorgehen wäre laut Schweer „die schlechteste Lösung“.