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Nationale Nutztierstrategie der Borchert Kommission

WLV-Veredlungstag: Abschied vom Markt?

Viele Landwirte wissen nicht weiter. Der Borchert-Plan verspricht Perspektiven für Unternehmer. Oder ist es eine Sackgasse für die Schweinehalter, die sie vom Staat abhängig macht?

Lesezeit: 6 Minuten

Für Jochen Borchert ist der schnelle Umbau der Tierhaltung zu deutlich mehr Tierwohl alternativlos. „Wenn wir nicht selbst gestalten, wird der Staat das Ordnungsrecht verschärfen“, malte er beim virtuellen Veredlungstag des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbands (WLV) eine düstere Zukunft für den Fall, dass die Nationale Nutztierstrategie keinen Erfolg haben sollte. Hoffnung auf Erleichterungen auf der Verordnungsseite konnte er den Bauern nicht machen. Getrieben durch Gerichte, könne der Staat wie im Fall des Kastenstandurteils gar nicht anders, als mit Verschärfungen reagieren. Der achtzigjährige Ex-Landwirtschaftsminister warnte scharf vor einer Weiter-so-Mentalität: „Dadurch verlieren deutsche Tierhalter Konkurrenzfähigkeit, Produktion wandert ins Ausland ab".

35 % höhere Kosten in Stufe 2

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Borcherts Vision: Ein radikaler Umbau der Tierhaltung zu mehr Tierwohl. Die höheren Kosten bekommen die Tierhalter vom Staat erstattet, sowohl bei der Investition als auch bei der Produktion. In Haltungsstufe 2 beispielsweise kalkuliert Borchert mit 35 % höheren Produktionskosten. Da die Verbraucher nicht bereit sind, für mehr Tierwohl an der Ladenkasse zu zahlen, muss der Staat öffentliches Geld für öffentliche Güter geben – so wie es auch bei den Erneuerbaren Energien geschieht. Den Verbraucher koste das ganze 70 Cent/Woche.

WLV-Präsident Hubertus Beringmeier gab zu, dass er den Vorschlägen der Borchert-Kommission anfangs skeptisch gegenüber gestanden habe. Wichtig sei, dass die Mehrkosten bezahlt würden und dass dadurch verlässliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Gerade junge Landwirte brauchen Perspektiven für Investitionen in die Nutztierhaltung.

Eine Blitzumfrage unter den 650 Online-Teilnehmern des Veredlungstags zeigte eine gespaltene Stimmung unter den Tierhaltern. 37 % der Antwortenden hält den staatlich finanzierten Umbau der Tierhaltung für die Zukunft für Tierhalter, während 38 % keine Verbesserung darin erkennen kann. Gut ein Viertel der Landwirte blieb eine klare Antwort schuldig.

Junge Landwirte im Übertragungsstudio stellten kritische Fragen, so Sebastian Gering aus Rheine: „Bekommen wir Landwirte die Mehrkosten durch Tierwohl überhaupt wieder?“ Und er machte klar, wo er seine Zukunft nicht sieht: „Ich bin Landwirt – ich möchte nicht noch mehr Zeit im Büro verbringen.“ Für Achim Groß Holtmann aus Ladbergen ist wichtig, dass die Teilnahme freiwillig ist. Und er hakte nach: „Wenn der Tierbestand durch mehr Platz für die Schweine sinkt – bekomme ich Ersatzbauten genehmigt, um das Einkommen zu halten?“

Knackpunkte Baurecht und Immissonsschutz

„Wenn wir es nicht schaffen, Änderungen beim Bau- und Immissionsschutzrecht durchzusetzen, bleibt Tierwohl ein Papiertiger“, schaltete sich NRW-Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser aus Düsseldorf in die Diskussion ein. In einem Planspiel mit Genehmigungsbehörden, Beratern und Bauern hat das Ministerium die Erfahrung gemacht, dass Veredlungsbetriebe bei jetziger Rechtslage kaum eine Chance auf Um- oder Neubaugenehmigungen haben. Ohne Genehmigung aber keine Chance, die Ställe an die Tierwohlauflagen anzupassen. Heinen-Esser versprach kämpferisch: „NRW hat sechs Stimmen im Bundesrat. Wir stimmen der TA Luft nicht zu, wenn das Baurecht nicht geregelt ist.“

Durch den „Stall der Zukunft“, der mit Landesförderung auf Haus Düsse gebaut werden soll, will sie den Genehmigungsbehörden zeigen, wie tierwohlgerechte Stallelemente aussehen können, um genehmigungsfähig zu sein. Das soll Genehmigungsverfahren in Zukunft beschleunigen. Doch konkrete Antworten zur Ausgestaltung blieb sie schuldig und verwies nur auf den „evolutionären“ und „revolutionären“ Düsser Modellstall. Nachdem die Ministerin wegen einer Rede im Landtag schon mit Verspätung zugeschaltet worden war, verabschiedete sie sich aus der laufenden Diskussion vorzeitig wegen dringender Debatten im Landtag mit der Entschuldigung: „Mein Handy hat nur noch 10 % Akku.“

Keine Preisdifferenzierung im Laden

Die beiden verbleibenden Diskutanten bearbeiteten unter der Moderation von Wochenblatt-Chefredakteur Patrick Liste und top agrar Fachbereichsleiter Tier, Marcus Arden, die konkreten Fragen zur Umsetzung der Tierwohlstrategie. „Wird der Verbraucher das teurere Tierwohl-Fleisch überhaupt kaufen“, wollten die Journalisten wissen. Borchert stellte klar, dass das gesamte Fleisch im Lebensmitteleinzelhandel mit einer Tierwohlabgabe von 40 Cent/kg belegt wird – unabhängig davon, ob es aus einem Tierwohlstall kommt oder nicht. Diese Abgabe soll ebenso für Verarbeitungsbetriebe und Gastronomie gelten wie für importiertes Fleisch. Handel, Verarbeitung und Außer-Haus-Verpflegung sollen die Tierwohlabgabe an den Staat abführen. Der verteilt das Geld dann unter den Landwirten, so dass dieser neben dem schwankenden Markterlös mit dem Tierwohlbonus eine stabile Einnahmequelle hat. „Und das hat über mehrere Legislaturperioden Bestand?“, fragte skeptisch ein Teilnehmer im Chat. Das will Jochen Borchert durch Verträge zwischen jedem einzelnen Tierhalter und dem Staat absichern: „Bislang hat der Staat sich immer an Verträge mit einzelnen Bürgern gehalten.“

Inflationsausgleich über 20 Jahre notwendig

Doch reichen Geldbeträge von heute für die Teuerungsrate in 20 Jahren? „Wir brauchen eine Wertsicherungsklausel“, forderte Sauenhalter Carsten Spieker. „Nur dann kann ich für mich und meine Mitarbeiter ein angemessenes Einkommen erwirtschaften.“ Gerade die Sauenhalter würden von der Nutztierstrategie profitieren, prognostizierte Borchers. Denn dadurch bekämen sie die Mehrkosten bezahlt, die ihnen die Nutztierhaltungsverordnung aufbürdet. Das könne den Strukturwandel verlangsamen. Das klappt aber nur, warf ein Diskussionsteilnehmer ein, wenn nicht die nationale Tierschutzgesetzgebung Grundlage für die Förderung ist, sondern die europäische.

„Lösungen kann es nur mit der Landwirtschaft geben.“ Hubertus Beringmeier

Unterschiedliche Bedingungen der Bundesländer wie bei der AFP-Förderung will Jochen Borchert durch ein Geldleistungsgesetz verhindern. So kann der Bund einheitliche Regelungen vorgeben, die für die Bundesländer bindend sind.

Um die rechtlichen Details von Förderung und Bonus auszuloten, hat der Bund eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben. Borchert rechnet Ende Februar mit Ergebnissen. Er hofft, dass er die Nutztierstrategie bis zur Bundestagswahl soweit vorantreiben kann, dass der Weg unumkehrbar ist. Denn es ist sehr ungewiss, ob die jetzige Zustimmungsquote in der Politik mit anderen Mehrheitsverhältnissen noch einmal machbar ist.

EEG-Umlage auch für Schweinefleisch

Schweinehalter sind den rauen Wind des Markts gewöhnt. Vielen graut davor, künftig am Tropf des Staates zu hängen. Dabei lässt sich eine Tierwohl-Abgabe dem Verbraucher sehr gut erklären, argumentierte Hubertus Beringmeier. Er sieht darin ein Mittel, die Schweinehaltung aus dem medialen Dauerfeuer zu bringen. Und Jochen Borchert konnte nur den Kopf schütteln angesichts der Bedenken gegenüber der Staatsprämie: „Warum akzeptieren Landwirte den EEG-Bonus für Windräder, Biogas- oder Photovoltaikanlagen, aber machen bei der Tierhaltung ein Problem daraus?“

Wann macht China auf?

Corona, ASP und wegfallende Drittlandsexporte blieben natürlich beim Veredlungstag nicht außen vor. Top agrar-Redakteur Marcus Arden hakte bei NRW-Landwirtschaftministerin Ursula Heinen-Esser nach, wann die Grenzen nach China für deutsches Schweinefleisch wieder aufgingen. Heinen-Esser berichtete von „sehr intensiven“ Verhandlungen des Bundeslandwirtschaftsministeriums mit chinesischen Behörden. Die Funde in Sachsen hätten die Verhandlungen zur Regionalisierung zurückgeworfen, so ihr Eindruck. Obwohl sie Rheinländerin sei, glaube sie im Augenblick nicht, dass „das Glas mehr als halb voll“ sei.

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