Ein Mutterkuhhalter aus Franken weidet einen Teil seiner Herde auf einer grenznahen Fläche in Hessen. Vor dem Abtrieb im Herbst muss er alle Tiere für die BHV1-Untersuchung bluten lassen – mit hohem Risiko für Mensch und Tier.
Jeden Herbst, wenn die Weideperiode zu Ende geht, wird Monika und Oswald Büttner angst und bange. Denn für die Mutterkuhhalter aus Kleinkahl im Landkreis Aschaffenburg ist der Abtrieb der 30 Mutterkühe samt deren Jungtieren von der Weide im nahegelegenen Lettgenbrunn ein risikoreiches Unterfangen.
Quarantäne auf der Weide:
Alle Tiere auf dieser Weide müssen vor dem Verbringen zunächst in Quarantäne gehalten und dann geblutet werden. Die 28 ha große Weide eignet sich zwar hervorragend für die Mutterkuhhaltung und ist nur 10 km Luftlinie von Büttners Hof entfernt. Aber sie befindet sich auf hessischem Gebiet.Weil Hessen im Gegensatz zu Bayern noch nicht als BHV1-freies Gebiet anerkannt ist, gelten spezielle Vorschriften für das Verbringen von Rindern nach Bayern. Tiere von dort dürfen nur nach Bayern kommen, wenn für sie eine Bescheinigung gemäß BHV1-Verordnung vorliegt. Diese stellt die Veterinärbehörde vor Ort nur dann aus, wenn die Rinder zunächst 21 Tage unter Quarantäne gestellt und dann negativ auf BHV1 getestet wurden. Dafür bedarf es einer Blutprobe.
Schon die Quarantäne-Haltung ist eine echte Herausforderung. Denn in Lettgenbrunn und Umgebung steht dafür kein Stall zur Verfügung. Büttners sperren deshalb die rund 60 Tiere in einen festen Weidegral mit Gatter. Weil der Futteraufwuchs auf dieser Fläche im Spätherbst nicht mehr reicht, muss Oswald Büttner täglich zufüttern. Viel mehr ärgert ihn jedoch die Zerstörung der Grasnarbe. „Wenn es regnet, wird es extrem schlammig und die Tiere stecken stellenweise regelrecht im Morast“, berichtet der Mutterkuhhalter.
Der größte Knackpunkt ist für den Landwirt die Blutentnahme auf der Weide. „Das Problem sind vor allem die Kälber, die zu diesem Zeitpunkt bereits 200 bis 300 kg wiegen und schwer zu fixieren sind“, erläutert Büttner. „Das ist für uns gefährlich, und für die Tiere bedeutet es einen riesigen Stress.“ Zwei Tiere verletzten sich dabei so sehr, dass sie getötet werden mussten. Und nach dem Bluten sind die Jungtiere oft so verschreckt, dass regelmäßig mehrere Tiere aus der Koppel ausbrechen.
Transport wird gefährlich.
Weil der Schrecken nachwirkt, wird auch das Verladen der widerspenstigen Tiere für den Rücktransport auf den Hof zum gefährlichen Wagnis. „Solange wir nicht bluten mussten, lief das fast reibungslos ab, jetzt ist es für Mensch und Tier eine regelrechte Prozedur“, kritisiert Monika Büttner.Zudem kostet das Verfahren den Betrieb viel Geld. So können Büttners die Weide weniger gut ausnutzen als bisher, weil sie die Herdengröße jetzt an den Futteraufwuchs im Herbst an-passen müssen. Grund: Wegen der Quarantänevorschrift können sie alle Tiere nur in einem Zug zurück in den Stall holen. Vorher haben sie die ersten Fresser schon im Sommer heimgebracht.
Weitere Kosten verursacht die Untersuchung. So mussten Büttners 2013 allein für die Blutanalyse von 56 Rindern 345 € an das Labor überweisen. Weitere 114 € flossen an die hessischen Veterinärbehörden für die Überwachung der Quarantänebestimmungen. Die Blutentnahme durch die Hoftierärztin schlug mit 280 € zu Buche. In Bayern übernimmt die Tierseuchenkasse die kompletten Kosten der jähr-lichen Bestandsblutung.
Gibt es Alternativen?
Wegen der gravierenden Probleme hat Oswald Büttner frühzeitig bei den bayerischen Veterinärbehörden um ein alternatives Untersuchungsverfahren gebeten. Eine Aufgabe der Weidefläche in Lettgenbrunn, die er seit 20 Jahren gepachtet hat, stand für den Landwirt nicht zur Debatte. Denn auf bayerischer Seite stehen keine geeigneten Flächen für die Weidehaltung mehr zur Verfügung.Büttner schlug vor, die Tiere von Hessen ausschließlich mit dem eigenen Anhänger in den Stall zu bringen und dort dann sofort eine Blutung des gesamten Bestands vorzunehmen. „Der nächstgelegene Hof an der Fahrtstrecke ist 1,5 bis 2 km von der Straße entfernt“, so der Mutterkuhhalter.
Er verweist auch darauf, dass sich die Weide in einem BHV1-freien Gebiet Hessens befindet, so dass eine Infektion allenfalls durch den direkten Kontakt zwischen Mensch und Tier möglich wäre. „Eine solche Übertragung ist aber auch auf einer meiner bayerischen Weiden möglich, weil viele Spaziergänger und Fahrradfahrer aus dem angrenzenden Hessen nach Bayern kommen“, gibt der Landwirt zu bedenken, der insgesamt rund 80 Mutterkühe und 130 Jungtiere hält.
„Kein Spielraum möglich!“
Doch die zuständigen Behörden bleiben bislang hart. Das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit argumentiert, dass mit der Anerkennung Bayerns als BHV1-freie Region zusätzliche Garantien bzw. Schutzmaßnahmen für das Verbringen von Tieren aus Regionen mit niedrigerem BHV1-Gesundheitsstatus gelten. Diese stellten geltendes Recht dar, das keinen Spielraum bezüglich der durchzuführenden Untersuchungen biete.Landwirt Büttner nervt das ungemein. „Die Behörden verschanzen sich hinter Paragrafen, gesunder Menschenverstand ist nicht gefragt“, macht er seinem Ärger Luft. „So schreckt man junge Hofnachfolger von der Übernahme des Betriebes ab.“
Selbst in Extremsituationen weichen die Veterinärbehörden kein Jota von dieser Auslegung ab. Als 2012 bereits Mitte Oktober der Winter mit starkem Schneefall hereinbrach und die Quarantänefläche der Weide völlig verschlammte, holte Büttner die Tiere ohne Blutuntersuchung in seinen Stall. Er stellte sie daheim in Quarantäne und bekam dafür eine Bestandssperre. Diese dauerte an, bis alle Tiere geblutet und negativ auf BHV1 getestet waren.
5 000 € Geldbuße:
Zusätzlich verhängte das Veterinäramt Aschaffenburg 5 000 € Geldbuße gegen Büttner, weil er seine Rinder ohne die vorgeschriebene BHV1-Bescheinigung von Hessen nach Bayern verbracht hat. Das Landratsamt wirft Büttner vor, bewusst einen Verstoß in Kauf genommen zu haben, nachdem er im Vorfeld umfassend informiert worden sei.Der Landwirt klagte gegen das Bußgeld. Das zuständige Amtsgericht Aschaffenburg gab dem Landwirt zunächst recht. Doch das Oberlandesgericht Bamberg hob das Urteil im August 2015 wieder auf und verwies das Verfahren zurück an das Amtsgericht.
Für den Mutterkuhhalter ändert sich an der grundsätzlichen Situation somit nichts. Büttner muss die Tiere, die in Lettgenbrunn auf der Weide stehen, somit weiter bluten, bevor er sie heimholen kann.
Einen Hoffnungsschimmer hat der Mutterkuhhalter. Das Land Hessen hat Ende August Antrag auf Anerkennung als BHV1-freie Region in Brüssel gestellt. Sobald die EU-Behörden diesem Antrag offiziell stattgeben, hat Hessen den gleichen Status wie Bayern – und Monika und Oswald Büttner müssten ihre Rinder in Hessen nicht mehr auf der Weide bluten lassen.
Allerdings rechnet Hessen mit ei-ner Anerkennung erst bis Ende dieses Jahres. Kommt es so, müssten das Ehepaar und ihre Weidetiere die Proze-dur diesen Herbst noch einmal durch-machen.
Klaus Dorsch