Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Sonstiges

Stilllegung 2024 Agrardiesel-Debatte Bürokratieabbau

topplus Aus dem Heft

Das Bauernhof-System

Lesezeit: 7 Minuten

Zieht eine junge Frau auf den Hof, kommt sie in eine „neue Welt“. Um das Leben und das Arbeiten auf einem Bauernhof zu verstehen, ist es hilfreich, beides in Systeme aufzuteilen. Diese funktionieren aber nur dann reibungslos, wenn es klare Regeln gibt.


Das Wichtigste zum Thema Süd extra freitags per Mail!

Mit Eintragung zum Newsletter stimme ich der Nutzung meiner E-Mail-Adresse im Rahmen des gewählten Newsletters und zugehörigen Angeboten gemäß der AGBs und den Datenschutzhinweisen zu.

In kaum einem anderen Beruf ist die Arbeit so stark mit dem Familienleben verknüpft, wie in der Landwirtschaft. Der Betrieb sitzt mit am Mittagstisch und abends auf der Couch. Das macht das Zusammensein auf einem Hof nicht leicht. Vor allem für Frauen, die einheiraten, selbst zuvor aber keinerlei Erfahrungen mit dem Leben in der Landwirtschaft gesammelt haben, ist das eine Herausforderung.


Susanne Fischer und Erhard Reichs- thaler sind beide psychologische Berater und arbeiten seit vielen Jahren mit Familien im bäuerlichen Bereich. Die beiden Österreicher beraten Familien, halten Vorträge und Seminare. Bei ihrer Arbeit ist ihnen die systemische Sicht hilfreich, das heißt, den Bauernhof als System mit mehreren Untersystemen zu betrachten. „Jedes System dient einer Aufgabe. So ist die des Familiensystems die Begleitung der Kinder in die Selbstständigkeit und Eigenverantwortung“, erklären sie. „Demgegenüber steht das Arbeitssystem. Es ist definiert durch Produkte oder Dienstleistungen, die hergestellt oder erbracht werden.“


Das Familiensystem verstehen:

Beide Systeme treffen in der Landwirtschaft in intensiver Weise aufeinander, ähnlich wie es z.B. in Handwerksbetrieben der Fall ist. Die Kunst liegt nun darin, diese beiden Systeme getrennt voneinander zu betrachten.


Zum Familiensystem, auch Herkunftssystem genannt, gehören die Eltern und die Kinder. Das Herkunftssystem unterteilt sich in Untersysteme: Eltern bilden die Paarebene, die Kinder die Geschwisterebene. Vor allem die Paarebene ist ein Raum, in den sich niemand einmischen sollte. Und auch eine Einmischung in das Geschwistersystem ist meistens nicht ratsam. „Der Kampf, den Geschwister hin und wieder austragen, ist prägend fürs Leben“, sagt Su- sanne Fischer. „Wer mit Geschwistern groß wird, lernt mit Frustration zurechtzukommen, denn Geschwister schenken sich nichts.“


Frau dringt ins System ein:

Kommt nun eine junge Frau auf den Hof – ganz egal welche – ist das bestehende, eingespielte System irritiert.


„Das Gelingen einer Partnerschaft hängt nicht nur davon ab, welchen Wert ich mir selbst zugestehe, sondern auch, ob die Partnerschaft Vorrang vor der Beziehung zur Herkunftsfamilie hat, also zu Vater, Mutter und Geschwistern“, sagt Erhard Reichsthaler. „Wenn der Mann dazwischensteht, steht er falsch. Sein Platz ist neben der Frau.“ Dieser Vorrang der Partnerschaft gilt nicht nur für den Hofnachfolger. Auch die Frau, die auf den Hof kommt, muss sich aus ihrem Herkunftssystem lösen.


Und wenn solche Aussagen vor allem in der älteren Generation häufig für Frustration sorgen, so kann argumentiert werden, dass das Lösen von den Eltern bereits in der Bibel beschrieben ist: „Deshalb wird ein Mann Vater und Mutter verlassen und dem Weibe anhangen“, heißt es da. Dabei geht es nicht darum, sich abzukapseln oder eine innere Ablehnung zu entwickeln. Im Vordergrund steht vielmehr das Bewusstsein der Eigenverantwortung und der Unabhängigkeit.


Und gerade wenn der Hofnachfolger niemals aus dem „Dunstkreis“ des Hofes herauskam, immer rundum versorgt wurde, ist das schwierig. „Lasst die Söhne auch mal selbst kochen oder ihre Wäsche waschen“, rät Susanne Fischer deshalb den Müttern. „So lernen sie Eigenständigkeit.“


Zu welchem System gehöre ich?

Es sind oft das Bedürfnis nach dem „Geliebtsein“ und die Sehnsucht nach Zugehörigkeit, die es für junge Frauen oder Männer, die in ein Bauernhofsystem einheiraten, schwierig machen. „Wenn man erwartet, dass man wie ein Kind in das Familiensystem gehört, in das man einheiratet, dann ist Enttäuschung vorprogrammiert“, erklärt Susanne Fischer. „Das wird man trotz aller Bemühungen nicht schaffen. Es sollte genügen, dass einen der Mensch liebt, für den man auf den Hof gezogen ist.“


Das Geheimnis liegt in gegenseitiger Wertschätzung und dem Respekt – aus Liebe. Wenn die Eltern zum Sohn oder der Tochter sagen können: Aus Liebe zu dir akzeptieren wir deine Wahl. Und das Schwiegerkind sagt: Aus Liebe zu dir achte und respektiere ich deine Eltern. „Das Schimpfen über die Schwiegereltern ist unangebracht“, sagt Erhard Reichsthaler. „Niemand hat es gern, wenn über die Eltern geschimpft wird.“


Susanne Fischer und Erhard Reichs- thaler empfehlen eine klare Trennung der Lebensbereiche, um Problemen aus dem Weg zu gehen. Dass die Mutter/Schwiegermutter frisch gebügelte Wäsche in die Wohnung des jungen Paares legt, unangekündigt und ohne dass einer der beiden zu Hause ist – ein weit verbreitetes und häufig diskutiertes Beispiel. Hier gilt: Bevor eine Wohnung, die nicht die eigene ist, betreten wird, sollte zumindest geklopft oder geklingelt und die „Eintrittserlaubnis“ abgewartet werden. Die Privatsphäre des anderen zu respektieren, ist der erste Schritt der Konfliktvermeidung.


Der Bereich der Arbeit:

Eng verbunden mit der Familie ist auf den Höfen das Arbeitssystem. Um hier eine Trennung zu schaffen, ist es notwendig, den Bauernhof als eine Firma zu sehen – mit einem (oder zwei) Chef(s) und Mitarbeitern. Es muss Vereinbarungen geben und klar definierte Aufgabenbereiche. Für den Chef heißt das, Verantwortung und Führung zu übernehmen und die Mitarbeiter mit den entsprechenden Informationen zu versorgen.


Um das Familienleben und das Arbeitssystem nicht zu stark zu vermischen, ist es ratsam, Arbeitsbesprechungen durchzuführen. „Einmal in der Woche setzt sich der Chef mit seinen Mitarbeitern zusammen und bespricht, was in der vergangenen Woche gut gelaufen ist, was weniger gut und was in der kommenden Woche ansteht“, rät Erhard Reichsthaler. „Persönliche Befindlichkeiten sind hier fehl am Platz, es gilt das Arbeitsleben zu organisieren.“


Die Experten empfehlen außerdem, öfter ein „Bitte“ und „Danke“ gezielt einzusetzen, schließlich bleiben sie im harten Arbeitsalltag häufig auf der Strecke.


Warum wackelt das System?

Einmischung ist ein grundlegender Faktor, der Systeme in Schwierigkeiten bringen kann. „Wer in einem System mitredet, zu dem er nicht gehört, der mischt sich ein!“, sagt die Expertin und fügt hinzu: „Gerade Frauen neigen dazu, überall mitreden zu wollen.“ Wer Einmischungen vermeidet, vermeidet auch Ausei- nandersetzungen („Das geht Dich gar nichts an!“). Und auch, wenn häufig die Frau und Mutter als Sprachrohr von Mann und Sohn genutzt wird („Sag dem Sohn mal…“ und „Sag dem Papa mal…“), sollte sie sich nicht einmischen und vielmehr beiden erläutern, dass sie MITEINANDER sprechen sollen.


Konflikte sind in jedem System normal. Die Frage ist, wie sie abgehandelt werden. Denn das schauen sich auch die Kinder ab. Später einmal eine andere Art zu „lernen“, mit einem Konflikt umzugehen, ist eher schwierig. Deshalb sollten alle Beteiligten, egal ob in der Familie oder bei der Arbeit, an ihrem Umgang mit Konflikten arbeiten. Kons- truktiv zu streiten ist besser als Rechthaberei und die Sieger-Verlierer-Strategie. Konflikte mit den Schwiegereltern sollte das leibliche Kind austragen, nicht das Schwiegerkind. Klärende Gespräche führt somit die Person, die in diesem Familiensystem aufgewachsen ist – oder nimmt zumindest an diesen teil.


Jede Art, die Kommunikation zu unterbrechen, führt dazu, dass das System nicht mehr funktioniert. Auch hier gilt: Kinder schauen sich von den Eltern ab, welche Kommunikationsform diese praktizieren. Wichtig ist, immer wieder den Dialog zu finden, sich gegenseitig zuzuhören und sich auch die Zeit für Gespräche zu nehmen.


Ein „No-Go“ in Familien- und Arbeitssystemen ist Konkurrenz. Diese kann nicht nur zwischen Schwiegertochter und Schwiegermutter auftreten, sondern auch zwischen dem Vater und dem Sohn (unterschiedliche Ansichten, was die Arbeit angeht) und zwischen dem neuen Partner und Schwägerinnen und Schwagern (unterschiedliche Einstellungen zur Arbeit, zur Erziehung, zum Leben).


Demgegenüber empfehlen die beiden Experten, Toleranz, Respekt und Wertschätzung statt Sprachlosigkeit und Misstrauen zu pflegen. Denn dann stehen die Chancen gut, dass das gemeinsame Leben und Arbeiten auf dem Hof gelingt.


Kontakt: anja.rose@topagrar.com

Die Redaktion empfiehlt

top + Letzte Chance: Nur noch bis zum 01.04.24

3 Monate top agrar Digital + 2 Wintermützen GRATIS

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.