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„Die lokale Betäubung ist die Lösung“

Lesezeit: 6 Minuten

Weil sie die bisherigen Alternativen zur betäubungslosen Kastration von Ferkeln ablehnen, testen bayerische Ferkelerzeuger jetzt die örtliche Betäubung durch den Tierarzt. Die ersten Erfahrungen damit sind sehr positiv.


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Ab 2021 kommt es zu einer Zeitenwende in der deutschen Ferkelerzeugung. Ab dann dürfen Ferkel nicht mehr betäubungslos kastriert werden. Doch die Alternativen, die nach jetzigem Stand erlaubt sein werden, lehnen die meisten Ferkelerzeuger ab.


So sprachen sich bei einer Umfrage des Bayerischen Bauernverbandes jeweils nur rund 1 % der befragten Landwirte für die Jungebermast, die Immunokastration mit Improvac und die Kastration unter Vollnarkose mit Isofluran als bevorzugte Variante aus. 97 % favorisierten die lokale Betäubung durch den Landwirt.


Doch die Chancen, dass diese Methode ab 2021 erlaubt sein wird, stehen schlecht. Die Kritiker bezweifeln unter anderem, dass Landwirte bei der Vielzahl an Ferkeln alle Injektionen genau genug setzen können.


Tierarzt betäubt lokal


Die Ringgemeinschaft Bayern, in der die meisten bayerischen Erzeugergemeinschaften und Erzeugeringe für Vieh und Fleisch zusammengeschlossen sind, setzt deshalb in Abstimmung mit dem Schweinegesundheitsdienst (SGD)Bayern jetzt auf die Lokalanästhesie durch den Tierarzt. „Diese Methode mindert den Schmerz der Tiere deutlich und wird von der Mehrzahl der Landwirte akzeptiert“, erklärt Stephan Neher, Vorsitzender der Ringgemeinschaft.


Damit die Chancen für die Zulassung dieses Verfahrens ab 2021 steigen, hat die Ringgemeinschaft die bayerischen Sauenhalter aufgerufen, schon jetzt ihre Ferkel vor dem Kastrieren örtlich betäuben zu lassen. „Wenn viele Landwirte in Vorleistung gehen, dann können wir die Methode eher bekannt machen und Verbrauchern und Politik zeigen, dass dies der richtige Weg ist“, ist Neher überzeugt. Zudem könne man auf diese Weise auch die Tierärzte für die lokale Betäubung gewinnen und das Verfahren weiter optimieren.


Direkt In den Hoden?


Laut Dr. Anja Rostalski, Leiterin des SGD Bayern, haben sich bisher zwei Varianten der lokalen Betäubung he-rauskristallisiert, die gut funktionieren:


  • Die Injektion von 0,5 ml Procain direkt in jeden Hoden;
  • die Injektion von 1 ml Procain in jeden Hodensack.


Das Procain enthält bei beiden Verfahren einen Adrenalinzusatz. „Dieser verengt die Blutbahnen und bewirkt, dass der Wirkstoff nicht so schnell abgebaut wird“, erläutert Rostalski.


Bei der Injektion in den Hoden entfaltet das Mittel schon nach 10 Minuten seine volle Betäubungswirkung, bei der Spritze in den Hodensack dauert es etwa 45 Minuten. „Beide Varianten wirken gleich gut, deshalb wählen die Praktiker in der Regel das Verfahren, das besser zum Arbeitsablauf im jeweiligen Betrieb passt“, so die Tierärztin.


Wenn neben dem Tierarzt zwei weitere Personen im Stall sind, bietet sich die schnellere Variante an. Dann übernimmt eine Person vorweg das Sortieren der Ferkel und die Metacam-Injektion und die zweite kastriert sie nach der Betäubung durch den Tierarzt.


Kann der Betrieb nur eine Arbeitskraft stellen, dann ist die längere Zeitdauer von Vorteil, weil das Kastrieren bei den in Südddeutschland üblichen Betriebsgrößen warten kann, bis der Tierarzt alle männlichen Ferkel lokal betäubt hat. Die Person, die der Betrieb stellt, erledigt in diesem Fall zunächst die Vorarbeiten und kastriert die Ferkel erst, nachdem alle lokal betäubt sind.


Den Zeitablauf Beachten


Meist fängt der Landwirt alle Ferkel eines Wurfes, sortiert sie nach Geschlecht und verabreicht den männlichen Ferkeln – wie bisher schon üblich – intramuskulär Metacam, um die Schmerzen nach der Kastration zu lindern.


Meist verbleiben die männlichen Tiere eines Wurfes danach in einer Kiste oder einem Korb vor oder neben der Abferkelbucht.


Daraus entnimmt sie der Tierarzt dann nach etwa 20 Minuten, um die Hoden per Injektion zu betäuben. Nach der Injektion in den Hodensack kommen die Ferkel für die 45-minütige Wartezeit zurück in die Abferkelbucht, damit sie dort Milch aufnehmen können.


10 bzw. 45 Minuten später kastriert der Landwirt die Tiere und setzt sie wieder in die Abferkelbucht.


In der Regel integrieren die Ferkelerzeuger, die ihre Tiere lokal betäuben lassen, einige weitere Routinearbeiten wie Impfungen oder das Einziehen von Ohrmarken in den Tagesablauf.


„Der Arbeitsablauf beim Kastrieren ist etwas komplizierter, aber wir kommen gut damit klar“, zieht Ferkel-erzeuger Stephan Mederle nach vier Durchgängen ein erstes Fazit (siehe Reportage Seite 68). „Im Vergleich zu vorher brauchen wir für unsere Gruppen von rund 100 männlichen Ferkeln etwa eine Viertelstunde länger.“


Auch die Kosten für die Behandlung halten sich in Grenzen. „Wenn das Verfahren eingespielt ist, betragen die Mehrkosten für das Medikament und die Injektion durch den Tierarzt 0,80 bis 1,20 € pro Ferkel“, so Ringgemeinschaftsvorsitzender Stephan Neher.


Anfangs viel Skepsis


Dr. Anja Rostalski vom Schweinegesundheitsdienst Bayern beobachtet, dass viele Landwirte und Tierärzte anfangs eine Hemmschwelle gegen die Injektion in den Hoden haben. „Dabei handelt es sich um eine normale Injektion, die relativ einfach zu setzen ist“, erläutert die Fachtierärztin. ▶


Wenn die Tierärzte feststellen, dass die Ferkel bei der Spritze in den Hoden oder in den Hodensack nicht zucken oder keine Schmerzreaktion zeigen, lasse deren Skepsis schnell nach, so Rostalski. Tierärzten, die unsicher sind, wie sie die Spritze richtig setzen soll, bietet sie ihre Unterstützung an.


Bei der Injektion in den Hoden (siehe Foto auf Seite 66) hält der Tierarzt das Ferkel mit einer Hand an den zwei Hinterbeinen so fest, dass sich die Hoden unter der Haut abzeichnen. Bei der Spritze in den Hodensack (siehe Foto Seite 67) hält der Tierarzt das Ferkel an einem Bein fest. „Die Nadel sollte bei dieser Injektion kürzer sein, damit man nicht in den Hoden oder das Hodengekröse sticht“, erklärt Rostalski.


„Beste Alternative“


Ob die lokale Betäubung ab dem Jahr 2021 als Alternative zur betäubungslosen Kastration zugelassen wird, hängt letztlich davon ab, wie gut sie den Schmerz bei der anschließenden Kastration ausschaltet. Nach Rostalskis Beobachtung findet eine wirksame Schmerzausschaltung statt.


„Wenn es uns wirklich darum geht, das Tierleid zu mindern, dann eignet sich dieses Verfahren besser als die übrigen Alternativen Ebermast, Vollnarkose und Immunokastration“, ist die Tierärztin überzeugt.


Um davon auch die politisch Verantwortlichen zu überzeugen, soll die Wirksamkeit der lokalen Betäubung nun im Rahmen mehrerer Studien wissenschaftlich untersucht werden. „Die ersten Auswertungen laufen jetzt, damit wir im zweiten Halbjahr 2019 Daten erheben können“, erklärt die Leiterin des SGD.


50 bis 100 Betriebe testen


Bisher testen nach Angaben der Ring-gemeinschaft Bayern etwa 50 bis 100 bayerische Ferkelerzeuger die lokale Betäubung. Ringgemeinschaft-Vorsitzender Neher will diese Quote in den nächsten Monaten aber deutlich erhöhen. Je mehr Ferkelerzeuger mitziehen, umso größer seien die Chancen, politisch gehört zu werden, so seine Begründung.


Bei den Mitgliedsorganisationen stößt er dabei auf offene Ohren. So überlegt derzeit die Erzeugergemeinschaft Südbayern, mit welchen Anreizen sie ihre Ferkelerzeuger für dieses Verfahren gewinnen kann, bestätigt EG-Geschäftsführer Willi Wittmann.


Am Ernst der Lage zweifelt kaum noch jemand in der Branche. „Wenn wir dieses Verfahren nicht bekommen, droht der ganzen Schweinehaltung in Süddeutschland ein brutaler Strukturbruch“, warnt Neher. „Bricht uns die Ferkelerzeugung weg, verlieren wir auch die Mast in Süddeutschland.“ Denn die Importe aus Dänemark oder Holland seien wegen der langen Transportwege auf Dauer nicht sicher.


klaus.dorsch@topagrar.com

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