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„Erneuerbare Energien statt neuer Stromtrassen“

Lesezeit: 9 Minuten

Seit November ist Hubert Aiwanger Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident von Bayern. Wie will der Freie Wähler die Energiewende und die Begrenzung des Flächenfraßes voranbringen? Und wie steht er zu Agrarministerin Kaniber?


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Herr Aiwanger, Ihre Partei ist erstmals an einer Regierung beteiligt und Sie selbst erst seit wenigen Monaten im Amt. Wie fühlt sich das für Sie an?


Aiwanger: Ich bin sehr glücklich und zufrieden damit, dass wir jetzt endlich in die Regierung gekommen sind. Wir haben zehn Jahre darauf hingearbeitet. Ich bin überzeugt, dass wir als Freie Wähler durch unseren Pragmatismus und unsere Fachkompetenz dem Land guttun. Wir können die Welt nicht aus den Angeln heben, aber wir können in der Regierung Dinge bewegen, die wir vorher langwierig anleiern mussten.


Sind Sie schon im Amt angekommen?


Aiwanger: Der Einstieg ist gut gelungen. Ich bin im Haus gut angenommen worden und habe mit dem Energiegipfel im Dezember meine ersten politischen Akzente gesetzt. Allerdings ist das Wirtschaftsministerium sehr facettenreich. Da hat man den ganz großen Werkzeugkasten. Den vollumfänglich zu bedienen, ist schon eine Herausforderung und dauert.


Ihre Partei steht den Bauern sehr nah. Warum haben Sie das Agrarressort der CSU überlassen?


Aiwanger: Es war nicht in Stein gemeißelt, dass wir dieses Ressort bekommen und die CSU hätte es nur ungern hergegeben. Natürlich hätte mir auch das Landwirtschaftsressort sehr viel Freude gemacht. Aber über das Wirtschafts- und das Umweltministerium, die wir als Freie Wähler u.a. führen, haben wir mehr Berührungspunkte mit der Landwirtschaft, als vielen bewusst ist. So kann ich als Wirtschaftsminister viel für die Bauern bewegen, z.B. für die Vermarktung, die Energie, Urlaub auf dem Bauernhof oder die Präzisions-Landwirtschaft. Wenn ich ehrlich bin, kann ich in meinem Amt den Bauern vielleicht genauso nützen wie im Landwirtschaftsministerium.


Kommen Sie sich da mit Agrarministerin Kaniber nicht ins Gehege?


Aiwanger: Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu Frau Kaniber. Wir werden uns abstimmen und gemeinsam etwas bewegen. Ich bin ja auch stellvertretender Ministerpräsident und Parteivorsitzender. Daher sitzt die Landwirtschaftspolitik bei uns nicht auf der Reservebank, sondern sie spielt in der politischen Strategie eine starke Rolle.


Ein wichtiges Feld, dass Sie beackern wollen, ist die Energieerzeugung. Sie fordern eine „Energiewende 2.0“ und wollen die Rahmenbedingungen für Investitionen in erneuerbare Energien deutlich verbessern. Was genau haben Sie vor?


Aiwanger: Ich will die Energiewende zu einem zentralen Thema als Wirtschaftsminister machen. In Bayern hat in letzter Zeit kein Politiker über die Energiepolitik geredet. Das war nach dem Reaktorunfall im japanischen Fukushima im Jahr 2011 noch völlig anders. Dann sind jedoch viele Aktivitäten im Sande verlaufen.


Jetzt müssen wir die Energiewende wieder zum Laufen bringen. Denn gerade hier in Bayern ist sie rückläufig: Wir hatten schon deutlich mehr Neuinstallationen bei der Photovoltaik, neue Windräder gibt es kaum noch. Dazu kommt, dass die Stimmung gegenüber erneuerbaren Energien vergiftet ist. Man tut so, als wäre ein Windrad oder eine Biogasanlage schlimmer als ein Atomkraftwerk.


Haben Sie konkrete Vorschläge für die Wiederbelebung?


Aiwanger: Ich setze dabei auf das Zielviereck: sicher, bezahlbar, nachhaltig und mit möglichst viel Wertschöpfung vor Ort. Zunächst wollen wir eine Landesagentur für Energie gründen. Die soll die Aktivitäten koordinieren und auf Umsetzbarkeit abklopfen (siehe Kasten Seite 13).


Beim Ausbau sollten wir uns zunächst auf die Maßnahmen konzentrieren, die schneller Erfolge versprechen. So ist im Süden die Photovoltaik mehr akzeptiert als die Windenergie. Daher wäre es falsch, sich an Dingen festzubeißen, die wünschenswert wären, aber keiner will. Wir haben in Bayern 44% erneuerbare Energien im Stromsektor. Das soll jedes Jahr deutlich steigen.


Und wir müssen verhindern, dass bestehende Energiesysteme vom Markt verschwinden. Dazu gehört, dass wir eine attraktive Anschlussfinanzierung für Biogasanlagen schaffen, damit die Biogasbranche nicht länger in der Luft hängt.


Wie wollen Sie den Betreibern von Biogasanlagen konkret helfen?


Aiwanger: Zunächst will ich die Akzeptanz von Biogas neu beleben. Dazu gehört, dass sich das Wirtschaftsministerium offen zu der Technologie bekennt. Gern will ich auch an Ansätze wie den „Bayernplan“ 2011 anknüpfen, bei dem viele Gülleanlagen einen Teil des in Bayern benötigten (Bio-)Erdgases produzieren könnten. Biogas ist ein wichtiger Baustein für die CO₂-Einsparung und die Grundversorgung, das müssen wir kommunizieren.


Dabei denken wir auch an neue Anlagen. Da die Wirtschaftlichkeit der Güllevergärung derzeit sehr eng ist, will ich mit dem Landwirtschaftsministerium nach Lösungen für eine bessere Förderung suchen, für die wir uns in Berlin einsetzen wollen. Das könnten eine höhere Einspeisevergütung oder ein Bauzuschuss sein. Das gilt auch für den Anbau von Pflanzen, die die Biodiversität fördern, wie die Durchwachsene Silphie.


Sorgenkind in Bayern ist die Wind-energie. Die Freien Wähler haben sich immer dafür eingesetzt, die 10 H-Regelung abzuschaffen. Jetzt steht sie dennoch im Koalitionsvertrag.


Aiwanger: Die Abstandsregelung war leider nicht zu verhandeln. Aber das ist nicht das einzige Hindernis. Die Akzeptanz gegenüber der Windenergie ist in den letzten Jahren systematisch zerstört worden. Die Gemeinden haben Windvorranggebiete ausgewiesen, plötzlich kamen Debatten über Infraschall, Landschaftsbild und ausbleibende Touristen. Wegen der anstehenden Kommunalwahl im Jahr 2020 will kein Bürgermeister gegen eine Bürgerinitiative ein Windrad genehmigen lassen.


Insofern müssen wir die Akzeptanz von unten zurückgewinnen. Dazu gehört, dass Bürger den in einem Windpark erzeugten Strom günstig kaufen können sollten. Das wäre der Durchbruch für mehr Akzeptanz.


Zudem müssen wir stärker kommunizieren, dass eine Gemeinde die 10 H-Regelung ganz legal unterlaufen kann, wenn sie einen eigenen Flächennutzungsplan aufstellt.


Wo sehen Sie noch Potenzial bei der Photovoltaik?


Aiwanger: Es gibt auch in Bayern noch sehr viele leerstehende Dächer. Hier können wir sehr schnell wachsen. Freiflächen sind zwar auch eine Option. Hier gibt es inzwischen gute Ansätze, um unter den Modulen Landwirtschaft zu betreiben z.B. mit Beerenanbau. Aber es besteht auch die Gefahr, dass Investoren den Pachtpreis in einer Region in die Höhe treiben. Das wäre eine Zumutung für aktive Landwirte. Daher sehe ich Dachanlagen als die bessere Alternative. Im Zusammenspiel mit Speichern können sie Hausbesitzer ein gutes Stück unabhängiger machen vom Energieversorger. Zudem können sie mit dem Strom vom Dach ihr Elektrofahrzeug laden oder eine Wärmepumpe betreiben. In jedem Fall können wir mit diesen Lösungen die Stromnetze entlasten und müssen weniger neue Trassen bauen.


Stichwort Stromtrasse: Daran entzünden sich derzeit viele Diskussionen. Sie haben ins Spiel gebracht, auf Leitungen wie den Südostlink zu verzichten, wenn mehr Energie im Land produziert wird. Die Trasse ist aber schon beschlossene Sache.


Aiwanger: Das stimmt nur zum Teil. Zwar ist das momentan die bundespolitische Beschlusslage, aber gerade der genaue Verlauf des Südostlinks soll ja erst in drei Jahren endgültig festgelegt sein. Dann erst beginnt die juristische Auseinandersetzung und anschließend der Bau. Die Trasse dürfte also frühestens in zehn Jahren fertig sein. Darin sehe ich eine große Gefahr und ein Risiko für die heimische Industrie.


Inwiefern?


Aiwanger: Offiziell soll die Trasse gebaut werden, um Windstrom aus dem Norden und dem Osten Deutschlands in die Ballungszentren im Süden zu leiten. Doch wer sagt, dass wir in zehn Jahren noch überschüssigen Windstrom im Norden und Osten haben werden, der durch die Trassen geleitet wird? Die Kohlekommission drängt drauf, dass wir in den nächsten zehn Jahren sukzessive aus der Kohleverstromung aussteigen. Dann brauchen auch die Kohleländer verstärkt Windstrom. Daher halte ich es für sinnvoller, dass wir auf die Trassen verzichten und stattdessen mit Gaskraftwerken und erneuerbaren Energien den Strom bei uns selbst erzeugen. Für die Versorgungssicherheit ist es besser, wenn die Grundlast mit Gas gedeckt wird. Diese brauchen wir für unsere Industrie, die sich heute schon Sorgen macht, ob sie in zehn Jahren noch wettbewerbsfähig produzieren kann, wenn wir in Bayern aus der Atomenergie aussteigen.


Aber mit Gaskraftwerken schaffen Sie doch neue Abhängigkeiten vom Erdgas.


Aiwanger: Nur zum Teil. Denn das Gas im Gasnetz muss nicht unbedingt nur Erdgas sein. Dafür können wir auch Biomethan aus Biogasanlagen verwenden. Das wäre im Übrigen eine interessante Alternative zur Stromerzeugung für bestehende Anlagen, wenn die EEG-Förderung ausläuft. Oder Wasserstoff bzw. synthetisches Methan aus Power-to-Gas-Anlagen. Ich sehe Gas als idealen Kombinationspartner für die Erneuerbaren, um das wechselhafte Einspeisen von Wind- und Solarstrom auszugleichen.


Werden die nordostdeutschen Bundesländer und der Bund das unterstützen?


Aiwanger: Das wird sich zeigen. Auf jeden Fall ist es nicht zielführend, wenn jedes Land bei der Energiewende isoliert handelt. Ich will vielmehr mit den Energieministern der Länder mehr Austausch und den Energiegipfel, den wir im Dezember in München hatten, fortführen. Gern können wir dabei über einen Interessensausgleich reden, auch finanziell. Wir brauchen eine ständige tagende Arbeitsgruppe zu diesem bundesweiten Gesamtkonzept Energiewende. Es geht dabei nicht nur um Strom. Mit Gas könnten wir auch die Wende bei der Wärme und im Verkehr voranbringen.


In Berlin steht aber die Elektromobilität hoch im Kurs.


Aiwanger: Ich würde daraus keine Glaubensfrage machen. Es gibt für den E-Antrieb wie für den Gasantrieb diverse Anwendungen. Das E-Auto bietet sich z.B. für Betreiber von Photovoltaikanlagen an. Aber im Schwerlastverkehr, bei Lkw, Bussen oder Schiffen geht die Tendenz eher zum Gas.


Beim Thema Wärmewende gibt es Forderungen nach einer CO2-Bepreisung, um den Umstieg von fossilen Energien auf erneuerbare Energieträger voranzutreiben. Was halten Sie davon?


Aiwanger: Auf den ersten Blick ist das eine gute Idee. Aber ich bin auch Industrieminister. Und als dieser lehne ich es ab, Brennstoffe durch eine solche Regelung künstlich zu verteuern. Das gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft, vor allem, wenn wir in Deutschland oder Europa isoliert vorgehen würden. Wir sollten die Energiewende ohne diese Maßnahmen eher durch geschickte politische Manöver und mit Vernunft voranbringen.


Deutschland gibt jedes Jahr 100 Mrd.€ für den Import fossiler Rohstoffe aus. Einen Teil davon könnten wir auch für die Energiewende ausgeben und für mehr Wertschöpfung im Inland sorgen.


Kontakt: klaus.dorsch@topagrar.com


hinrich.neumann@topagrar.com

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