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Fördert Futterkohle die Tiergesundheit?

Lesezeit: 5 Minuten

Pflanzenkohle im Futter soll die Fußballengesundheit bei Geflügel verbessern, die Zellzahlen in der Milch senken und den Ebergeruch mindern. Unser Autor hat sich auf Spurensuche begeben.


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Putenmäster Rüdiger Lämmle will weg von Chemie und Arznei. In seinem Stall in Leutenbach im Rems-Murr-Kreis stehen 18000 Tiere. Hennen wohlgemerkt. Schon damit ist Lämmle ein Exot unter den Putenfarmern. Die meisten seiner Kollegen mästen nur Putenhähne, weil sie mehr Fleisch liefern.


Wer den Hof betritt, sieht, dass Lämmle als konventioneller Betrieb unkonventionell denkt und handelt. In einer Scheune lagern zum Beispiel zwei Big-Bags mit befeuchteter Pflanzenkohle. „Die staubt nicht mehr und lässt sich besser verarbeiten als trockene Kohle“, sagt der Mäster und lächelt.


4 bis 5 kg Kohle pro t Futter


Die aus Pflanzenfasern wie Getreidespelzen oder Holzhackschnitzel pyrolysierte Kohle gibt er dem Futter zu. Per Verladeschnecke mischt er 4 bis 5 kg pro t Futter ins Silo ein.


Schon hier mache sich die Wirkung der Pflanzenkohle bemerkbar, ist Lämmle überzeugt. Schimmeliges Futter kenne er nicht mehr. Durch ihre große innere Oberfläche saugt die Pflanzenkohle Feuchtigkeit auf. „Ein einziges Gramm kann mehrere 100 m² spezifische Oberfläche haben“, sagt Christoph Zimmermann. Der Forstingenieur aus Göppingen stellt die Pflanzenkohle, die er unter der Marke „Moola“ (englisch: Kohle) verkauft, her, die Lämmle seinen Puten füttert.


Haben die Vögel die Kohle erst einmal im Darm, nehme diese ebenfalls dort Flüssigkeit auf. Der Kot im Stall sei daher deutlich trockener, so Lämmle. Vor allem aber verbessere sich die Gesundheit der Tiere. So spart der Landwirt inzwischen 90% seiner Kosten für Arznei und Tierarztbesuche. Wobei er den Effekt nicht allein der Pflanzenkohle zuschreibt. Er füttert den schwarzen Zusatz seit Frühjahr 2019 bereits an Eintagsküken insgesamt 16 Wochen lang, ehe es zur Schlachtung geht.


Lämmle verwendet zusätzlich fermentierte Kräuterextrakte, die er ins Trinkwasser gibt. Auch chemische Reiniger hat der Landwirt von seinem Hof verbannt, auf dem er jährlich 80000 Puten mästet. Stattdessen setzt er auf probiotische Putzmittel.


Gesündere Füße für Puten


Was genau welchen Anteil an der verbesserten Tiergesundheit hat, kann der Landwirt nicht mit Gewissheit sagen. Dass sie sich verbessert, ist aber unstrittig. Im Schlachthof werden die Tiere anhand ihrer Fußballenqualität bewertet. Im Durchschnitt hätten Putenzüchter 60% A-, 30% B- und 10% C-Qualität. Lämmles-Puten glänzen mit 95% A- und 5% B-Qualität.


Bemerkbar mache sich das Futterkonzept des Landwirts auch auf dem Acker. Weil Pflanzenkohle als CO2-Absorber gilt, wandere Methan aus den Tiermägen direkt in den Boden, wo es jahrzehntelang gebunden bleibe, erklärt Kohlehersteller Zimmermann.


Mindert Kohle Ebergeruch?


Diesen und andere Effekte, die der Pflanzenkohle zugeschrieben werden, kennt auch Dr. Nino Terjung. Der Lebensmittelwissenschaftler (Fachrichtung Fleisch) arbeitet am Deutschen Institut für Lebensmitteltechnik. Der Verein sitzt in Quakenbrück.


Als Bereichsleiter Produktinnovation untersucht er, ob und wie sich Pflanzenkohle als Futterzusatz eignet. In seinem vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Forschungsprojekt geht es um die Reduktion der Konzentration der Ebergeruchsstoffe Skatol und Indol im Schweinefleisch. „Wir wollen herausfinden, welche Kohle den typischen Ebergeruch mindert“, so Terjung, der in Kooperation mit der Stiftung Tierärzt-liche Hochschule Hannover forscht. Seit Sommer 2018 mischen er und sei-ne Kollegen Ebern Pflanzenkohle ins Futter.


Insgesamt wurden 54 Eber gefüttert, 38 davon mit Pflanzenkohle, die übrigen 18 sind Kontroll-Tiere. Was zunächst keinen messbaren Erfolg liefert. Terjung vermutet, dass die Pflanzenkohle, die fein wie Puderzucker ist, bereits voll mit Mikroorganismen ist, ehe sie im Darm Skatol und Indol aufnehmen kann.


Besser laufen die Tests, als die Wissenschaftler die Pflanzenkohle ummanteln. „Die Mittelwerte gehen deutlich runter“, sagt Terjung, der für das Verfahren eine Patentanmeldung in Arbeit hat. Das Prinzip sei ähnlich wie bei Tabletten, die ihren Wirkstoff erst freisetzen, wenn der Mantel sich im Magen-Darm-Trakt auflöst.


Zellzahl sinkt


Keine Eber, dafür 160 Rinder, davon 95 Milchkühe, hält Martin Leiprecht auf seinem Hof in Rechberg im Ostalbkreis. Der 47-jährige Landwirt füttert seit geraumer Zeit Pflanzenkohle zu. 120 g pro Kuh und Tag. Auch er berichtet von positiven Veränderungen.


Die Sommerhitze hat den Kühen zugesetzt, die im offenen Stall stehen und täglich auf den Wiesen rund um den Hof weiden. „Ab April bekamen sie nur frisches Gras, Heu und Getreideschrot“, so Leibrecht, der vom Bodensee stammt und den Hof 2004 mit seiner Frau Simone übernommen hat. Doch die Qualität des Grünfutters schwanke, sei abhängig vom Schnittmanagement und vom Wetter. „Fehlender Regen oder Hitze bringen alles durcheinander.“


Auch 2020 machte Hitze den Kühen zu schaffen. Der Zellgehalt in der Tankmilch stieg auf mehr als 350000 pro ml und schrammte knapp an der 400000er-Marke vorbei. Auch an der Klauenkrankheit Mortellaro litten einige der Rinder.


Deshalb und weil das Gras hitzebedingt vertrocknete und kaum mehr Energie lieferte, hat Leiprecht im Hochsommer Mais- und Grassilage sowie Pflanzenkohle zugefüttert. Die Kombination zeigte Wirkung. Binnen Tagen halbierte sich der Zellgehalt in der Milch auf 180000. Auch die Mortellaro-Fälle nahmen ab. „Normalerweise kommt die Klauenkrankheit zurück, nachdem wir sie behandelt haben“, berichtet der Landwirt – diesmal nicht.


Welchen Anteil welche Komponente bei der Futterumstellung hat, mag Leip-recht nicht genau einzuschätzen. Allerdings ist die Pflanzenkohle wie bei Putenzüchter Lämmle seither fester Bestandteil des Ernährungsprogramms.


Laut Hersteller Zimmermann fragen immer mehr landwirtschaftliche Betriebe Pflanzenkohle bei ihm an. Binnen drei Jahren hat er drei Pyrolyseanlagen in Betrieb genommen. Und auch Dr. Terjung kann einen gewissen Trend erkennen. Allerdings warnt der Wissenschaftler vor schnellen Rückschlüssen. Um fundierte Erkenntnisse zu haben, müsste mehr zur Pflanzenkohle als Futterzusatz geforscht werden.


klaus.dorsch@topagrar.com

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