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Härtefälle ungelöst

Lesezeit: 6 Minuten

Im Schatten von Corona will das Land Baden-Württemberg das neue Gesetz zur Stärkung der Biodiversität noch vor der Sommerpause durchdrücken. Etliche Existenzen stehen auf dem Spiel.


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Was hat Thomas Romer aus Litzelstetten am Bodensee seit letztem Sommer nicht alles getan, um die Folgen des neuen Gesetzes zur Stärkung der Biodiversität für seinen Betrieb abzuwenden. Er hat Minister und Presse auf seinen Hof eingeladen, zigmal mit Referenten im Ministerium telefoniert und in den letzten Monaten sogar mit Vertretern vom Konstanzer Umweltamt, der Insel Mainau sowie vom NABU ein eigenes Projekt zum Artenschutz ins Leben gerufen. „Denn auch ich mag die Vielfalt!“, sagt der Landwirt.


20388 ha betroffen


Bisher hat Romer mit seinem Engagement allerdings wenig bewegt, denn der Hauptknackpunkt für seinen Obsthof mit 14 verschiedenen Kulturen auf 22ha steht unverändert im Gesetzentwurf: In Naturschutzgebieten soll der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ab 2022 komplett verboten werden.


Mittlerweile drängt die Zeit, denn laut Ministerium für Ländlichen Raum (MLR) in Stuttgart soll der Entwurf bereits nach den Pfingstferien im Landtag diskutiert werden und womöglich schon 2021 in Kraft treten. „Wir haben 70% unserer Fläche im Naturschutzgebiet. Ein gezielter Pflanzenschutz ist für uns unverzichtbar, um die Ernte zu sichern. Insbesondere unser Stein- und Beerenobst wäre ohne nicht denkbar“, sagt Thomas Romer. Selbst als Biobetrieb bräuchte er eine Ausnahmeregelung, um z.B. mit der nötigen Menge Schwefel für einen vermarktungsfähigen Bioapfel zu sorgen.


Romer ist nicht der Einzige, dem das geplante Gesetz schlaflose Nächte bereitet. Auch Nebenerwerbslandwirt Dieter Schechter aus Rosengarten-Tullau (Lkr. Schwäbisch-Hall) macht sich Sorgen. Von seinen 43 ha Acker liegen 11,5% in einer Auenlandschaft entlang des Kochers im Naturschutzgebiet. „Unser Betrieb ist auf diese Flächen angewiesen. Der Anbau von Qualitätsgetreide oder Mais ist bei einem Pflanzenschutzverbot dort nicht mehr möglich. Nach mir wird man für diese Fläche wohl keinen Pächter mehr finden“, ist er überzeugt.


Wie viel Härtefälle gibt es?


Ausnahmen und Härtefallregelungen sieht der Entwurf zwar vor. Doch wie diese aussehen könnten, bei wem sie greifen und wie viel Betriebe sie bräuchten, um überhaupt zu überleben, ist unklar. Selbst das MLR in Stuttgart hat dazu keine Zahlen. Fest steht offenbar nur, dass ca. 20388 ha landwirtschaftliche Fläche von dem Pflanzenschutzverbot in Naturschutzgebieten betroffen sind, über 17000 ha davon sind Grünland. „Die Betroffenheit ist im Einzelfall zu ermitteln“, teilt die Behörde auf Anfrage mit. Man werde noch vor 2022 einzelfallbezogen und kooperativ Lösungen anbieten.


Planungssicherheit fehlt


Eine befristete Ausnahme für einzelne Mittel im Bedarfsfall, die mit enormem bürokratischen Aufwand verbunden wäre, lehnen die Praktiker ab. Sie wollen dauerhaft weiter nach den Kriterien des integrierten Pflanzenschutzes wirtschaften, denn schließlich hätten sich die Naturschutzgebiete dadurch über Jahrzehnte nicht verschlechtert. „Praktikabel wäre, wenn man mit dem Gemeinsamen Antrag eine Ausnahmegenehmigung für die nötigen Mittel beantragen könnte“, schlägt Wolfgang Kölle von Land schafft Verbindung (LsV) Baden-Württemberg vor.


Die betroffenen Bauern brauchen dringend Planungssicherheit: „Mündliche Zusagen aus dem Ministerium, dass ich so weitermachen kann wie bisher, helfen mir nicht weiter. Mein Sohn und ich brauchen Planungssicherheit, erst dann wird wieder investiert“, betont Romer.


Auch Winzer Kölle wünscht sich von Landwirtschaftsminister Peter Hauk, dass er ihm und seinen Berufskollegen seine mündlich gemachte Zusage, den Steillagen-Weinbau in Naturschutzgebieten aus dem Verbot herauszunehmen, schriftlich bestätigt. „Denn sonst lohnt sich hier der Anbau von Trollinger nicht mehr.“


Das Pflanzenschutzverbot ist für die Bauern in Baden-Württemberg nach wie vor nicht der einzige Knackpunkt am neuen Gesetz. Das zeigen die umfangreichen Stellungnahmen der Bauernverbände, des Landesverbandes Erwerbsobstbau (LVEO) und der Weinbauverbände sowie die über 100 Betroffenen, die sich im Beteiligungsportal des Landes zu Wort gemeldet haben (Zusatzinfo S. 15).


Keine fundierte Analyse


Zentrale Kritik bleibt, dass dem Entwurf keine fundierte, unabhängige Analyse der Einflussfaktoren auf die Artenvielfalt zugrunde liegt. Daher fehle für die unterstellte höhere Vielfalt auf biologisch bewirtschafteten Flächen schlichtweg der Beleg. „Erst brauchen wir die wissenschaftliche Analyse, dann können wir daraus zielgerichtete Handlungsmaximen ableiten“, meint Antonia Kitt, Obstbäuerin aus Überlingen. Diese Forderung sei einer der großen Unterschiede von Volksantrag und Gesetzentwurf, die von den Ministerien bisher ignoriert würden.


Als weiteren Hammer werten viele die Vorgaben zum Biotopverbund, der bis 2030 rund 254000 ha des Offenlandes betragen soll. Landwirte fragen sich: Woher soll diese Fläche im kleinstrukturierten Baden-Württemberg denn kommen? „Hierfür muss es für Eigentümer und Pächter Entschädigungen geben“, fordert Kölle.


Als Schnellschuss sehen die Kritiker ebenso die Unterschutzstellung von Streuobstbeständen. Durch das geplante Erhaltungsgebot ab 1500 m² rechnet der LVEO damit, dass es wie in Bayern vor Inkrafttreten zu Rodungen kommt. Anreize für freiwillige Anlagen könnten die Zahl der Bäume dagegen deutlich steigern.


Viele Punkte, wie etwa die Ausgangsbasis für die Reduktion von Pflanzenschutzmitteln um 40 bis 50% bis 2030 oder die konkrete Ausgestaltung und dauerhafte Bewirtschaftung von Refugialflächen, sind für die Praktiker immer noch völlig unklar. In welche konkreten Forschungsvorhaben Geld fließen soll, ebenso.


Finanzierung gesichert?


Überhaupt hegen die Verbände zunehmend Zweifel an den Finanzierungszusagen der beiden Ministerien, die auf Nachfrage von Südplus trotz der Mehraufwendungen durch Corona weiterhin Bestand hätten. „Die Politik tut so, als ob Geld kein Problem wäre. In der Vergangenheit war es aber immer so, dass irgendwann die Mittel ausgehen, die Einschränkungen und Auflagen für die Bauern aber bleiben. Von dieser Salamitaktik muss sich die Politik nun endlich verabschieden“, sagt Michael Nödl vom Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverband (BLHV).


Habitate besser pflegen


Einwände kommen auch von Naturschutz-Fachleuten: „Die Landwirtschaft ist in dieser Diskussion eigentlich ein Nebenaspekt. Tatsächlich reichte die öffentlich geförderte Landschaftspflege in den letzten Jahrzehnten nicht aus, um die zentralen Habitate heute hochgradig gefährdeter Arten, nämlich blütenreiche Magerrasen und Magerwiesen auf Grenzertragsstandorten, großflächig zu erhalten“, sagt die kommunale Landschaftsplanerin Dr. Ulrike Schuckert. Sie plädiert für eine konzentrierte Wiederherstellung von verbrachten Beständen mit Restvorkommen dieser Arten. „Solche Maßnahmen wären in Schutzgebieten viel entscheidender als breitgestreute Pestizidverbote und mehr Ökolandbau.“


Viele Landwirte sind inzwischen der Ansicht, dass man das Gesetz mit seinen weitreichenden Folgen und dem dauerhaft hohen Finanzbedarf nicht übers Knie brechen dürfe. Zumal sich durch die Corona-Pandemie die Bedeutung der regionalen Lebensmittelversorgung verändert habe. Die Verbände drängen zudem darauf, dass endlich die Anliegen des Volksantrags berücksichtigt werden müssten. Bisher halten die Ministerien jedoch an ihrem Zeitplan fest. Vermutlich auch, weil ProBiene per Newsletter wieder Druck macht.


silvia.lehnert@topagrar.com

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