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„Hofnachfolger suchen neue Strategien“

Lesezeit: 10 Minuten

Viele Betriebe leiden unter Arbeitsüberlastung, knappen Flächen und niedrigen Preisen. Neue Geschäftsfelder bieten jungen Landwirten oft bessere Perspektiven als weiteres Wachstum, ist Schulleiter Fritz Gronauer-Weddige überzeugt.


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Herr Gronauer-Weddige, Sie betreuen seit 22 Jahren jährlich Dutzende von Studierenden aus Süddeutschland bei der Planung ihrer künftigen landwirtschaftlichen Betriebe. Wie haben sich in dieser Zeit die Höfe verändert?


Fritz Gronauer-Weddige: Die Betriebe sind gewachsen und haben sich stark spezialisiert. Vor zwanzig Jahren hatten wir noch eine Rinder- und eine große Schweineklasse in der Höheren Landbauschule. Betriebe mit 30 bis 50 Milchkühen und 400 bis 600 Schweinemastplätzen als zweites Standbein der Tierhaltung waren häufig. Das gibt es so gut wie gar nicht mehr. Heute stammen deutlich weniger Studierende aus Schweine haltenden Betrieben, und diese sind meist spezialisiert in Mast oder Ferkelerzeugung.


Wie sahen die Entwicklungsschritte vor 20 Jahren aus und wo stehen die Betriebe heute?


Gronauer-Weddige: Vor 20 Jahren war die Verdopplung von Kapazitäten eine gewisse Regel. Der technische Fortschritt und die Verbesserung der Verfahren, z.B. durch die Umstellung von Rohrmelkanlage auf Melkstände oder von Grünfutter auf Ganzjahressilage, hat zwar Rationalisierungseffekte gebracht. Aber diese sind in Verbindung mit den damit einhergehenden Wachstumsschritten verpufft, was die Arbeitszeit der Familienarbeitskräfte betrifft. Mit jeder Investition wurde die zu leistende Arbeit auf den Betrieben deutlich mehr. Das ging zu Lasten von Pausen- und Leerlaufzeiten. Mittlerweile ist in vielen Fällen der Arbeitstag verlängert worden und der Sonntag nicht selten Bürotag. Das ist keine gute Entwicklung, auch wenn der Arbeitskomfort viel besser geworden ist.


Welche Lösungen gibt es dafür?


Gronauer-Weddige: In den vergangenen Jahren war die Arbeitswirtschaft das größte Thema bei unseren Studierenden, noch vor Einkommen, Bürokratie und politischen Rahmenbe-dingungen.


Viele Betriebe unserer Studierenden bilden bereits aus und ergänzen dadurch die betriebliche Arbeitsmacht. Ein großer Teil steht mit dem nächsten geplanten Wachstumsschritt an der Schwelle zum festen Mitarbeiter. Das ist für viele eine große gedankliche Hürde. Da müssen wir als Landwirte noch dazulernen.


Um was geht es dabei konkret?


Gronauer-Weddige: Mitarbeiterführung wird zunehmend eine Schlüsselqualifikation. Tage und Abläufe klar strukturieren, Verantwortung delegieren. Akzeptieren, dass der Mitarbeiter nicht die gleiche Zeit im Betrieb arbeitet, dass er früher geht oder später kommt, dazu der Urlaub und Wochenenden. Damit haben einige Landwirte ein Problem. Das zeigt sich oft bereits, wenn der Hofnachfolger oder die Hofnachfolgerin mehr Freiheiten oder Freizeit beansprucht.


Mich beschäftigt auch, dass die Wahl der Fachschule so getroffen wird, dass die Arbeitskraft der Studierenden nach Ende des Schultags zur Verfügung steht. Auch eine Fremdlehre weiter weg von zu Hause oder Auslandspraktika sind meist nicht mehr drin. Es ist ein Alarmsignal, wenn in einem „Zukunftsbetrieb“ nicht einmal am Anfang der Entscheidungsfindung Freiräume zur Orientierung möglich sind.


Welche Faktoren wirken sich positiv auf die Arbeitswirtschaft aus?


Gronauer-Weddige: Die Arbeitszeit ist oft auf Kante genäht. Die normale Routine funktioniert, aber es gibt keine Pufferzeiten mehr. Wenn im Stall plötzlich Probleme auftreten, erst recht, wenn Krankheits- oder Pflegefälle in der Familie kommen, dann ist „Land unter“. Für viele Betriebe fehlt der „Plan B“, wie man bei Notfällen Ersatz findet. Besonders wenn Betriebsleiter ausfallen, zeigt sich, dass viele Höfe zu sehr auf eine Person als Entscheider zugeschnitten sind. Nicht umsonst ist seit einiger Zeit Burn-out bei Landwirten ein häufiges Thema.


Positiv ist, wenn die Familie oder Dritte in wichtige Prozesse eingebunden sind und einspringen können. Sehr hilfreich ist ein gutes Netzwerk an Personen, die schon in Routinezeiten bestimmte Arbeiten erledigen.


Flächen sind fast überall knapp und teuer, die Arbeitswirtschaft ausgereizt. Welche Entwicklungsmöglichkeiten haben Hofnachfolger heute noch?


Gronauer-Weddige: Unsere Studierenden merken, dass sich die Rahmenbedingungen verändert haben und neue Strategien gefragt sind. Das war früher nicht anders als heute. Seit ich bei Abschlussfeiern dabei bin, wird in Grußworten von der Krise in der Landwirtschaft gesprochen. Insofern war die Sorge um die Zukunft auch vor 20 Jahren vorhanden. Vielleicht wäre es besser gewesen, von den Erfolgen zu reden, als Pessimismus zu verbreiten. Ich nehme aber wahr, dass unsere Jugend unerschrocken ist.


Wie immer bringen Krisen auch Chancen. Früher brauchte es Mut, sich in neue Verfahren einzuarbeiten und mit Fremdkapital umzugehen. Auch heute würden viele Hofnachfolger lieber den bestehenden Betriebszweig weiter ausbauen, obwohl es die betrieblichen Rahmenbedingungen nicht mehr hergeben.


Was ist die Alternative?


Gronauer-Weddige: Heute ist es notwendig, neue Geschäftsmodelle auszuprobieren. Natürlich können diese scheitern. Das gehört zum Unternehmertum. Wichtig ist nur, dass diese Experimente den Betrieb nicht gefährden. Was wäre denn verloren, wenn ein Hofnachfolger eine neue Vermarktung oder Kultur ausprobiert?


Leider bleibt den Betriebsleitern zu wenig Zeit, um sich um solche Ideen zu kümmern. Denn das Entwickeln von neuen Geschäftsfeldern erkennen viele Landwirte nicht als Arbeitszeit an. In anderen Branchen hingegen werden Innovationen als zentrale Unternehmeraufgabe angesehen, um zukunftsfähig zu bleiben.


In welchen Feldern konkret sehen Sie Chancen für Landwirte?


Gronauer-Weddige: In vollen Märkten können wir den Wettbewerb mit Erzeugerländern nicht gewinnen, die in Sachen Tierwohl und Umweltschutz viel geringere Auflagen haben als wir. ▶Wenn es uns gelingt, die Gesellschaft ins Boot zu holen und die Ernährung in einen größeren Kontext mit der Kulturlandschaft, dem Tierwohl und dem Umweltschutz zu stellen, dann habe ich große Hoffnung. Vielleicht wird aus der ganzen Diskussion um Tierwohl, Düngeverordnung und Biodiversität eine große Chance.


Wir Landwirte sollten unser Wirtschaften kritisch hinterfragen, Probleme wahrnehmen und noch viel aktiver mit der Gesellschaft kommunizieren. Dabei sollten wir nicht nur die Sozialen Medien nutzen, sondern direkt mit den Akteuren im Handel, in den Kommunen und im Naturschutz sprechen. Wir fördern in unseren Schulen diese Offenheit und unsere Studierenden sind dazu bereit, auch wenn es manchem anfangs schwerfällt. Es ist wichtig, den Blickwinkel zu wechseln, damit wir von der Opferhaltung wegkommen und Teil der Lösung werden.


Kann auch der Zu- oder Nebenerwerb eine Perspektive für junge Landwirte sein?


Gronauer-Weddige: Warum nicht? Der vor- und nachgelagerte Bereich in der Landwirtschaft bietet seit Jahren sehr gute Beschäftigungsmöglichkeiten, die auch viele unserer Studierenden nutzen. Oft gibt es gute Kombinationsmöglichkeiten zum Betrieb. Es kommt auf so viele Facetten an, das Alter der Eltern, den Beruf des Partners usw.


Wir bekommen jährlich zwischen 80 und 100 Stellenangebote direkt an die Schule, die attraktive Einkommensmöglichkeiten eröffnen, von Buchstellen, Verbänden, dem Landhandel oder der staatlichen Verwaltung. Landwirtschaft 4.0, Beratung bis hin zur Zertifizierung bieten gute Chancen, die auch viele unserer Studierenden nutzen.


Das ist übrigens auch eine gute Nachricht für Familien, in denen mehrere Kinder Lust auf Landwirtschaft haben. Die Branche braucht dringend gute Fachkräfte.


Welche Entwicklungsschritte könnten den Betrieben bei gleichem Produktionsumfang einen Mehrwert bringen?


Gronauer-Weddige: Wenn man den Produkten einen Mehrwert gibt, dann ist es möglich, das zu realisieren. Am deutlichsten wird das im Ökolandbau, wo durch klare Regeln die Verbraucher verstehen, dass ein höherer Preis gerechtfertigt ist. Oder beim Strohschwein oder der Weidekuh.


Im Moment haben wir gesellschaftliche Debatten über Tierwohl, Biodiversität, Klimawandel und einiges mehr. So eine gesamtgesellschaftliche Plattform hat es vorher nie gegeben. Ich bin optimistisch, dass Landwirte diese nutzen können.


Sehen Sie noch Potenzial für den Ökolandbau und die Direktvermarktung?


Gronauer-Weddige: Der Umsatz mit Ökoprodukten in Deutschland hat sich trotz der Coronakrise auf 14 Mrd. € pro Jahr gesteigert. Das war ein deutlicher Sprung gegenüber den Vorjahren. Im Gesamtmarkt von etwa 200 Mrd. € ist aber noch viel Luft nach oben. Die Märkte werden voller und dennoch sehe ich darin einen Vorteil, da der Ökolandbau immer noch relativ hohe Infrastrukturkosten in der Erfassung der Verarbeitung, der Logistik usw. hat. Mit jedem Umsteller verbessert sich diese Situation.


Auch in der Direktvermarktung sehe ich noch Potenzial, sie muss aber auch kritisch hinterfragt werden. Denn „raus aus dem Flächendruck“ bedeutet nicht automatisch „raus aus der Arbeitsfalle“. Tag und Nacht den Hofladen zu bewachen, ob ein Kunde kommt, hat keinen Sinn.


Ein Laden verlangt gute Planung und professionelles Management. Im Moment gibt es vielversprechende Ansätze beim Automatenverkauf. Was überlegenswert ist, wenn mehrere Landwirte eine Direktvermarktung mit einem guten Sortiment gemeinschaftlich an einem guten Standort realisieren. Das schafft eine bessere Planbarkeit der Präsenz und der Vertretung. Auch da gibt es schon herausragende Beispiele.


Könnte sich aus der wachsenden Bedeutung der Biodiversität unabhängig von den Agrarumweltprogrammen ein Geschäftsmodell entwickeln und wie könnten Landwirte das nutzen?


Gronauer-Weddige: Jenseits der Programme ist das sicher eine Herausforderung. Es gibt Archehöfe, die aussterbende Rassen halten und ihre Produkte teurer vermarkten, neben bestimmten Zuschüssen. Das sind erste Ansätze, die Preisaufschläge mit besonderen Anstrengungen für Biodiversität zu erklären. Im Weinbau bewerben erste Betriebe den Weinverkauf mit Terrassenanbau, weil die dazugehörigen Steinmauern als Lebensraum für Eidechsen dient.


Kann auch der Klimawandel, unter dem bereits viele landwirtschaftliche Betriebe leiden, eine Chance für Bauernhöfe sein?


Gronauer-Weddige: Die Klimakrise ist vorwiegend verursacht durch CO2-Emmissionen aus fossilen Energieträgern. Deshalb müssen regenerative Energien diese Lücke füllen. Das ist für die Landwirtschaft eine große Chance. Schon jetzt sind viele Landwirte in der Photovoltaik schwer engagiert. Kaum ein Stall, eine Maschinenhalle, wo nicht alle Dächer für Solarstrom genutzt werden. Die vergangenen Krisen im Milchmarkt und im Schweinebereich wurden nicht zuletzt wegen der Einnahmen aus der Stromerzeugung meist gut überwunden. Das hat den Betrieben viel Liquidität gebracht.


Die Landwirte haben zudem die Standorte für Windkraftanlagen. Darüber hinaus sind es die Biogasanlagen, die regelbare Energie liefern können. Also allerbeste Aussichten, dass da noch ein großes Potential zu heben ist.


Kann es gelingen, dass die Landwirtschaft den Strom selbst bündelt und verkauft? Landauf, landab werden zur Zeit Nahwärmenetze auf Holzbasis errichtet, der Automobilhersteller Audi möchte auf diese Art seine Produktion klimaneutral stellen. Förderprogramme führen zur Umrüstung privater Heizungen auf Holzbasis. Reicht dafür das Holz aus unseren Wäldern aus? Vielleicht gibt es Chancen in Richtung Kurzumtriebsplantagen, wenn der CO2-Preis entsprechend hoch ist.


Ob wir über Humusaufbau zu einer CO2-Bindung kommen und diese Leistung über CO2-Zertifikate bezahlt wird, und wie diese Wertschöpfung dauerhaft gesichert werden kann, ist mit vielen Fragezeichen verbunden.


Welche besonderen Kompetenzen benötigen Hofnachfolger heute viel mehr als vor 20 Jahren?


Gronauer-Weddige: Im besonderen Maße muss der Unternehmer bzw. die Unternehmerin Netzwerker sein. Er muss gut kommunizieren und delegieren können. Zudem muss er offen und neugierig sein. Dass die Digitalisierung dazu führt, dass immer mehr intelligente Technik auf dem Hof ist und viele Schnittstellen zu betreuen sind, ist auch zu erwarten.


Dafür braucht es ein gutes Zeit- und Krisenmanagement. Ich wünsche den künftigen Hofnachfolgern und Hofnachfolgerinnen, dass die Arbeitsbelastung wieder mehr Freiräume zulässt. Das kommt dem Menschen und der Familie zugute. Mehr Freiräume, um an gesellschaftlichen Veranstaltungen teilzunehmen und die eigene Persönlichkeit zu entwickeln.


Wir an der HLS und der Technikerschule in Triesdorf bereiten die Studierenden darauf vor. Wichtig ist uns, dass sie früh Verantwortung und Vertrauen bekommen und dass in der Familie Pläne offen besprochen werden. Jeder muss seinen wertgeschätzten Platz finden, auch die einheiratenden Partnerinnen und Partner.


Die Eltern können das unterstützen, indem sie auch solche Freiräume suchen und die Jugend in diesem Wunsch unterstützen. Der Mensch definiert sich nicht über maximale Arbeitszeit. Die Jugend hat klare Vorstellungen und das macht mich hoffnungsfroh. Deshalb bin ich überzeugt: Der landwirtschaftliche Familienbetrieb hat gute Perspektiven.


klaus.dorsch@topagrar.com

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