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Kartoffelbauern in der Sackgasse?

Lesezeit: 7 Minuten

Die Anforderungen an die Kartoffelqualität steigen kontinuierlich an. Die Erlöse sind dagegen nicht kostendeckend. Wie können süddeutsche Anbauer und Verarbeiter darauf reagieren?


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Dass mittlerweile so viele Kartoffeln aufgrund von Qualitätsmängeln entsorgt werden müssen, tut Martin Hauß aus Hartheim-Feldkirch (Lkr. Breisgau-Hochschwarzwald) in der Seele weh. 2020 wanderten aufgrund massiver Schäden durch Drahtwurm und Drycore ganze Ernten in die Biogasanlage. „Und das obwohl es am Markt noch Potenzial für regionale Speisekartoffeln gibt“, sagt der Vorsitzende der Erzeugergemeinschaft für Früh- und Spätkartoffeln Baden-Württemberg.


Rückläufiger Anbau


Seine Region ist für schöne, gelbe, geschmackvolle Speisekartoffeln, vor allem im frühen und mittelfrühen Segment bekannt, kann ihren kaufkräftigen Markt vor der Tür aber immer weniger bedienen. Der Selbstversorgungsgrad liegt bei Speiseware in Baden-Württemberg mittlerweile nur noch bei ca. 48%, die Anbaufläche sank zuletzt auf 5200 ha (siehe Übersicht 1). Dieser Trend lässt sich wohl nur schwer umkehren, vor allem, wenn andere Marktfrüchte wie Getreide, Mais und Raps, besser bezahlt werden: „Die Qualitätsanforderungen des Handels steigen immer weiter, gleichzeitig werden die Möglichkeiten, gegenzusteuern, immer weniger und für kleine Strukturen zum Teil schlichtweg zu teuer“, sagt Hauß. Er nennt Beispiele:


  • Gegen den sich immer stärker ausbreitenden Drahtwurm gebe es in dieser Saison noch drei Mittel, aber nur im Rahmen von Notfallzulassungen. Es fehle an Planungssicherheit, denn wie es 2022 weitergehe, sei offen.
  • Die Zunahme an Trockenjahren erfordere in vielen Betrieben Investitionen in eine Beregnungstechnik. „Doch ohne Perspektive, dass wir langfristig die Wasserrechte dafür bekommen, nimmt keiner Geld in die Hand.“


Das Problem hoher Absortiermengen von 30% bis hin zum Ausfall kompletter Partien betrifft die bayerischen Kartoffelbauern gleichermaßen. Nur müssen die Betriebe, die mit 20 bis 50 ha schon größer und spezialisierter sind als ihre Kollegen in Baden-Württemberg, mit deutlich niedrigeren Erlösen zurecht kommen. Aktuell zahlt der Abpacker Wild GmbH in Eppingen für regionale, festkochende Speisekartoffeln in Baden-Württemberg je nach Lagerung zwischen 18 und 20 €/dt. Im Herbst waren es 14 bis 16 € ab Feld.


In Bayern sind für die Erzeuger dagegen laut Marktberichtsstelle des Bayerischen Bauernverbandes (BBV) nur 9 bis 13 €/dt drin (siehe Übersicht 2, S. 12). In der Haupternte 2020 waren es sogar nur 8 bis 10 €! Für nicht vertraglich gebundene Pommeskartoffeln sowie für Exportware wird noch weniger gezahlt.


Starker Preisdruck


„Es ist ein Irrsinn: Private Haushalte kauften 2020 über 13% mehr Speisekartoffeln, aber der höhere Absatz zahlt sich für uns Erzeuger überhaupt nicht aus“, bringt es Konrad Zollner, Vorsitzender der bayerischen Landesvereinigung für Kartoffeln auf den Punkt.


Am fehlenden Wettbewerb um die Knolle kann es in beiden Bundesländern jedenfalls nicht liegen. Beide verfügen über mehrere schlagkräftige große Abpackunternehmen, die verschiedene Verwertungsrichtungen im In- und Ausland bedienen. In Bayern sind zudem flächendeckend kleinere Schäl- und Abpackbetriebe aktiv.


Der Hauptgrund für die Preismisere liegt wohl eher in der starken Ausweitung der Flächen für Speisekartoffeln. Bundesweit legten sie nach den guten Preisen im Jahr 2019 im vergangenen Jahr um 9% zu. Gleichzeitig führten gute Erträge zu einem großen Angebot. In Bayern werden aktuell auf 42000 ha Kartoffeln angebaut, ein Drittel davon zu Speisezwecken.


Dass der Lebensmitteleinzelhandel das Argument Qualität in solchen Jahren mit einem Überangebot besonders stark dazu benutzt, um Preisdruck auszuüben, liegt auf der Hand. Die Regionalität der Ware spielt dann keinen Mehrerlös mehr ein.


Aber auch wenn in Jahren mit weniger Rohstoff die Absortiermengen in der Regel deutlich kleiner sind, werden die massiven Qualitätsprobleme und die hohen Absortiermengen vermutlich auch künftig nicht verschwinden. „Daher muss der Erzeugerpreis einen Teil dieser hohen Absortiermengen ausgleichen“, fordert Konrad Zollner.


Ist Stärke noch eine Option?


Dass man für Kartoffeln, die aufgrund von Qualität oder Sortiergröße aussortiert werden, einen eigenen Markt schafft und sie als zweite Wahl vergünstigt anbietet, sei ein aussichtsloser Weg, meinen die Experten. „B-Ware will heute keiner mehr“, ist Johann Graf von der BBV-Marktberichtsstelle überzeugt.


Ebenfalls keine Option sei es, blind darauf zu vertrauen, unverkäufliche Speiseware oder Industriekartoffeln in der Stärkefabrik der Südstärke – wie im Frühjahr 2020 rund 55000 t – zu verwerten. Dieser Markt sei zwar laut Südstärke-Geschäftsführer Dr. Stefan Dick auf lange Sicht gesehen verhältnismäßig krisenstabil. Das zeige die relativ konstante Marktleistung von 4000 €/ha. Doch auch dieses Segment blieb durch seinen hohen Exportanteil nicht von der Pandemie verschont. So wurde dieses Jahr die Fläche erstmals gedeckelt, nachdem 2020 noch 600 ha neu hinzugekommen sind und die jährliche Verarbeitungsmenge in den beiden Werken in Schrobenhausen und Sünching auf ca. 600000 t anstieg. Nach wie vor sind deutsche Kartoffelstärkeerzeuger aber im innereuropäischen Wettbewerb, z.B. durch freiwillige, gekoppelte Direktzahlungen in anderen Ländern, durch die Düngeverordnung und die deutsche CO2-Steuer benachteiligt.


Mehr in Qualität investieren


„Qualität vor Menge“ ist daher das Mantra der Stunde für die gesamte Branche. „Der Markt für Speisekartoffeln ist ausbalanciert, wir brauchen in Bayern nicht noch mehr Fläche, sondern bessere Qualitäten“, betont Johann Dittenhauser von der Agropa GmbH in Brunnen.


Nach etlichen Jahren des Flächenwachstums rief auch das Kartoffel-Centrum Bayern (KCB) in Rain am Lech die Erzeuger bereits im Herbst dazu auf, „Grenzflächen“ aus der Produktion zu nehmen. Das gilt letztlich auch für Verarbeitungskartoffeln. Schon vor Corona stand dieser Markt durch den starken Konkurrenzkampf zwischen Niedersachsen, Frankreich und Belgien unter Druck. Dem kann sich auch die Branche in Bayern nicht ganz entziehen, selbst wenn die Fritten von Aviko hauptsächlich nach Osteuropa gehen.


Kontraktpreise reduziert


„Wir haben unsere Flächen bereits 2020 reduziert. In diesem Jahr halten wir die Vertragsfläche stabil“, erklärt Josef Färber vom KCB, das jährlich 350000 t Kartoffeln vermarktet. Der weitaus größte Teil davon geht in das Frittenwerk von Aviko in Rain am Lech.


Der Vermarkter ist für 2021 verhalten optimistisch. Seit Februar laufe die Verarbeitung bereits wieder unter Volllast und es sei absehbar, dass im Herbst mehr Menge nötig sei als geplant. Mit Exporten nach Asien und der Möglichkeit des Straßenverkaufs habe man die Einbußen des 2. Lockdowns reduzieren können. Die Kontraktpreise für 2021 müsse man aber dennoch um 50 ct/dt zurücknehmen. Vom Anbau freier Ware in der Hoffnung auf bessere Preise rät Färber ab.


Wie reagieren?


Doch wie bei weiter sinkenden Preisen die Qualität steigen soll, lässt der Händler offen. Johann Graf vom BBV: „Wir brauchen eine Qualitätsoffensive im gesamten Kartoffelanbau. Ein Hochschrauben des Qualitätsniveaus ist mit einer Investition gleichzusetzen, ohne Aussicht auf bessere Erzeugerpreise wird diese aber keiner tätigen. Hier ist die gesamte Branche gefragt.“


So muss z.B. die Forschung und Beratung zur mechanischen, aber auch zur chemisch-biologischen Schädlingsbekämpfung sowie zu neuen virusresistenten und Krautfäule-robusten Sorten intensiviert werden. Hier sind auch die Abpacker gefragt. Agropa und Wild unterstützen ihre Bauern bereits mit Fachinformationen.


Die Erzeuger ihrerseits sind gefordert, z.B. über weitere Fruchtfolgen oder durch mechanische Bodenbearbeitung die Schädlingsausbreitung zu verlangsamen. Von einem gezielten Humusaufbau profitiert auch der Wasserhaushalt der Böden: Denn vor allem im Südwesten wird das knapper werdende Wasser zum Damoklesschwert für die heimische Kartoffel.


Jürgen Wild macht sich Sorgen um seinen Rohstoff: „Wir müssen jetzt gemeinsam mit der Politik die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass beregnet werden kann und dass die Technik über attraktive Fördermaßnahmen für die Betriebe finanzierbar ist.“


Bei der gesamten modernen Kartoffeltechnik gebe es laut Mark Mitschke vom Beratungsdienst Kartoffelanbau Heilbronn inzwischen einen gewissen Investitionsstau: „Ich sehe mittelfristig die Gefahr, dass unsere Betriebe dadurch irgendwann nicht mehr mithalten können. Hier brauchen Handel und Politik eine realistischere Brille.“


Eine weitere Mammutaufgabe wird sein, einen Teil des gestiegenen Privatkonsums an Speisekartoffeln über die Pandemie hinaus zu erhalten. Zuvor ging der Kartoffelkonsum von Jahr zu Jahr – auch bei Direktvermarktern – zurück. Erzeuger Martin Hauß: „Wir müssen mit gezielteren Werbemaßnahmen beim Endkunden ansetzen. Und zwar auf allen Absatzkanälen und unabhängig davon, wie sich die übrige Arbeitswelt nach Corona weiter entwickelt.“


silvia.lehnert@topagrar.com

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