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Ladenhüter „artgerechtes Hähnchen“

Lesezeit: 4 Minuten

Mit guten Preisen und langfristigen Verträgen wurden süddeutsche Landwirte in die Produktion von besonders artgerechten Hähnchen gelockt. Heute suchen viele von ihnen nach Alternativen.


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Die Erzeugung artgerechter Hähnchen mit Tierschutzbund-Label könnte eine gute Zukunftsperspektive für uns sein, dachten sich 2015 etliche Betriebe in Oberschwaben als sie von dem regionalen Premium-Hähnchenfleischprogramm „Alpigal“ hörten. Initiiert wurde es damals von der Oberschwäbischen Geflügel GmbH (OSG) aus Ertingen (Lkr. Biberach), die zum Schweizer Fleischkonzern Micarna gehörte. In der Fleischtheke sollte das Hähnchen zwischen konventioneller Ware und Bio-Hähnchen liegen. Zu den Haltungsauflagen gehörte unter anderem eine maximale Tierzahl von 9000 Tieren pro Stalleinheit, eine Belegungsdichte von maximal 27,5kg/m², erhöhte Sitzbänke, ein Wintergarten mit 125 m² sowie der Einsatz einer langsam wachsenden Geflügelrasse.


Lohnmäster für das Programm zu finden war nicht schwer. Sie wurden mit zehnjährigen Abnahmeverträgen und Gewinnversprechen gelockt. Die Euphorie war groß, zumal auch das Land Baden-Württemberg die tiergerechte Masthühnerhaltung mit 40% der Investitionssumme förderte. Von 2017 bis 2019 gab es dafür laut Landwirtschaftsministerium 19 Antragsteller für die Premiumstufe. Insgesamt flossen in diesem Zeitraum 316128€ an Fördermitteln in die Praxis.


Nachfrage Schwach


Doch schon bald zeigte sich: So viele Ställe werden nicht gebraucht, weil der Markt die Produkte gar nicht im erhofften Maße nachfragt. Einzelne wurden trotz Baugenehmigung nicht gebaut. Bereits in Betrieb gegangene Ställe durften zum Teil nie mit der vollen Tierzahl laufen. Die OSG wurde Mitte 2020 an die Geflügelschlachterei Gross im bayerischen Massing verkauft und Micarna hat sich inzwischen komplett aus dem deutschen Geflügelmarkt zurückgezogen. Die Landwirte wurden zwar für ihren betrieblichen Schaden entschädigt, doch die Enttäuschung sitzt immer noch tief. „Es war ein Schock“, beschreibt ein Betroffener. Gross hat die Betriebe zwar übernommen, allerdings zu anderen Vertragskonditionen. Statt nach Tierschutzlabel sollen sie ihre Tiere gemäß Haltungsstufe 3, aber mit einer schnell wachsenden Rasse für 1,20 €/kg mästen.


Privathof läuft auch nicht


Beim Tierschutzbundlabel-Programm „Privathof“ von Wiesenhof, das 2013 aufgelegt wurde, zeichnet sich seit längerem eine ähnliche Entwicklung ab: In den meisten Privathof-Ställen für Premiumhähnchen werden heute offenbar konventionelle Hähnchen erzeugt. Statt 1,20 € pro kg erhalten die Bauern nur 0,84 €. Die Begründung von Wiesenhof gegenüber den Produzenten: Es gebe keine Nachfrage für das Produkt. Gegenüber Südplus teilt das Unternehmen nur mit, dass aktuell 32 Landwirte Privathof-Geflügel aufziehen würden. Mit zwölf sei man gestartet.


Im Unterschied zur OSG hat sich Wiesenhof vertraglich abgesichert. In einer Zusatzklausel heißt es, dass die Privathof-Hähnchen bei schwacher Nachfrage konventionell vermarktet würden und kein Anspruch auf den höheren Privathof-Preis bestünde.


Der „Flurschaden“ auf den Höfen ist dennoch enorm. „Wir haben für den Stallneubau viel Geld in die Hand genommen, dürfen aber nicht dauerhaft für Privathof produzieren. Die höheren Kosten für die Investition und den laufenden Betrieb werden uns nicht, wie ursprünglich kalkuliert, entlohnt“, sagt ein betroffener Landwirt, der anonym bleiben möchte. Hinzu komme, dass die Mast der schnell wachsenden Rassen in den Premiumställen mit mehr Platz nicht optimal funktioniere.


Warum die Premiumgeflügelfleisch-Programme hinter den Erwartungen bleiben, liegt für unabhängige Marktbeobachter auf der Hand: Für den Verbraucher sei der Unterschied zwischen konventionell gemästeten Hähnchen und solchen mit Tierschutzbund-Label nicht ersichtlich, sodass vielfach der Preis entscheide. Wer in erster Linie auf das Tierwohl schaue, greife zu Bioware oder kaufe regional beim Metzger oder in Hofläden ein. Die geschädigten Landwirte kritisieren aber auch die Schlachtunternehmen und den LEH: „Die Produkte werden viel zu schlecht beworben.“


Welche Alternativen bleiben?


Eine Umgenehmigung der Ställe für höhere Tierzahlen sei laut Offizialberatung schwer. Eine Umnutzung, z.B. für Junghennen und Bruderhähne, oder die Umstellung auf Biohähnchen-Erzeugung erfordere meist zusätzliche Investitionen und mehr Platz. Der Markt bietet allerdings Chancen, vor allem für Bioware. Thomas Neumaier von Naturland: „Das Potenzial für Biohähnchen ist groß und die Preise sind sehr gut. Wir suchen Neueinsteiger für Masthähnchen, Legehennen und Bruderhahnaufzucht.“ Neumaier hat bereits einige Privathof-Betriebe beraten. Könne der Wintergarten vergrößert werden, seien die Umbaukosten gering.


Die Bell-Gruppe sucht derzeit für „Hubers Landhendl“ ebenfalls nach neuen Biomästern. Und auch Leonhard Gross von der Geflügelschlachterei Gross will die Bioschiene ausbauen. Er sieht aber auch für das artgerechte Hähnchen noch Chancen: „Wenn man das Fleisch mit Regionalität verbindet, haben beide Schienen Platz im Markt.“


silvia.lehnert@topagrar.com

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