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topplus Aus dem Heft

Nach dem Skandal

Lesezeit: 6 Minuten

Bilder von einem Allgäuer Milchviehbetrieb haben viele verstört. Die Bauern an den Pranger stellen will – außer Tierrechtlern – trotzdem niemand. Fruchtet die Öffentlichkeitsarbeit der Landwirtschaft?


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Falls irgendjemand hoffte, dass sich Politik und Medien jetzt wieder völlig auf die Bauern einschießen, dann wurde er wohl enttäuscht. Erstaunlich besonnen war so manche Reaktion auf die Bilder von dem Milchviehbetrieb in Bad Grönenbach, die die Soko Tierschutz über das ARD-Magazin Panorama veröffentlichte, und die Ereignisse in den Wochen danach.


Vier Allgäuer Landräte positionierten sich pro Bauern: Leidtragende der aktuellen Diskussionen seien „die vielen landwirtschaftlichen Betriebe, die seit Generationen mit viel Herzblut, Sachverstand und Tierliebe geführt werden“. Und die Augsburger Allgemeine stellte fest: Es dürfe nicht sein, dass jetzt eine Hexenjagd auf Landwirte beginnt. „Es ist nicht verhältnismäßig, wenn zur Durchsuchung eines Bauernhofs so viele Beamte anrücken wie zur VW-Zentrale im Dieselskandal“, so das Blatt.


Überraschenden Applaus erhielt Helmut Mader, Geschäftsführer des Bauernverbandes im Kreis Unterallgäu, als er in der Diskussionssendung „Jetzt red i“ im Bayerischen Fernsehen das Wort ergriff: Kein Landwirt wolle, dass man in seinen Stall wochenlang filme. „Wir hoffen auf die Justiz“, sagte er.


Wie reagieren?


Die Bauern stehen also nicht so alleine da, wie der ein oder andere vielleicht glauben machen will. Aber kommt es bei Nichtlandwirten gut an, wenn die Branche nach solchen Veröffentlichungen gleich auf mögliche Regelverstöße seitens der Tierrechtler verweist?


„Vielleicht kontraproduktiv, aber durchaus verständlich“, bewertet Milch-viehhalter Stefan Häfele aus Mindelheim im Unterallgäu dies. Zwei Familien melken auf dem Hof der Häfeles 55 Kühe und vermarkten rund ein Drittel ihrer Milch direkt. Die Landwirte haben daher immer direkten Kontakt zu den Verbrauchern und wissen aus erster Hand, wie diese über die Stallvideos denken. Häfele versteht die Sorgen der Kundschaft – aber auch, warum die Agrarbranche nach der Veröffentlichung eine Abwehrhaltung einnahm.


Druck vom Weltmarkt


„Ich habe kein Verständnis für Tierquälerei. Aber ich weiß auch, dass viele Milchviehhalter unter enormem Druck stehen, der im Extremfall dazu führt, dass sie sich selbst, ihre Familie und ihre Tiere vernachlässigen“, sagt Häfele. Er sieht den Hauptgrund in der Globalisierung. „Wir müssen hierzulande immer höhere Standards einhalten, aber mit Billigprodukten vom Weltmarkt konkurrieren, auch bei der Milch“, sagt er. Das bevorstehende Handelsabkommen der EU mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten beweise, dass diese Entwicklung weitergehen wird. Der Spagat sei für viele nicht mehr leistbar.


Doch wissen Tierrechtler, unter welchem Druck Bauern arbeiten und dass das mediale Dauerfeuer diesen weiter erhöht? Als wir Friedrich Mülln, Vorsitzender der Soko Tierschutz und Aufdecker des Falles im Allgäu, damit konfrontieren, antwortet er überraschend: Die Politik fördere, dass immer mehr Betriebe ausscheiden und die verbleibenden immer größer werden. „Das ist schlecht für die Bauern, die Umwelt – und letztlich für die Tiere“, sagt er.


Und noch eine Überraschung hat er parat: Seine Organisation wolle nicht auf Gedeih und Verderb einen veganen Lebensstil durchsetzen, sondern auch praktische Verbesserungen für Tiere ermöglichen. „Tierausbeutung muss enden. Aber das ändert nichts daran, dass wir Praktiker sind und sehen, welche Probleme es gibt und welche sich beheben lassen“, sagt er.


Nachts filmen überflüssig?


Beim Kritikpunkt, dass Bauern nicht über Monate heimlich gefilmt werden wollen, winkt er ab: Bilder von den Höfen bekäme er meist von Mitarbeitern von Schlacht- oder Bauernhöfen, die einfach mit dem Handy filmen. „Die klassische Recherchearbeit – nachts raus zum Filmen – habe ich schon lange nicht mehr miterlebt“, behauptet er.


In manchen Punkten stimmen Landwirt Häfele und Veganer Mülln offenbar überein. Beide stellen sich gegen die Globalisierung der Agrarmärkte. Und während Mülln weiß, dass die sofortige Abschaffung der Tierhaltung nicht zur Debatte steht, hat Häfele kein Problem mit Veganern: „Wenn die Leute mehr pflanzliche Lebensmittel wollen, baue ich eben mehr Kartoffeln statt Futtermais an“, sagt er pragmatisch.


Und in noch einem Punkt klingen Landwirt und Tierrechtler teils ähnlich: Dass Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) eine neue, zentrale Einheit schafft, die Großbetriebe kontrollieren soll, sieht Mülln zwar einerseits als Erfolg, doch andererseits kritisiert er: „Es kann nicht die Lösung sein, dass sich die Einheit wie ein Feuer durch die bayerischen Milchviehbetriebe brennt, während die eigentlichen Probleme ungelöst bleiben.“


Ob seitens der Tierrechtler wirklich ein ehrliches Interesse an Aufklärung und dem Erhalt der bäuerlichen Landwirtschaft besteht, steht auf einem anderen Blatt. Landwirte einfach als herzlose Tierquäler abzutun, funktioniert aber – anders als früher – offenbar nicht mehr.


Bauernfamilien verunsichert


Differenziert äußert sich der Bayerische Bauernverband. Zwar heilige der Zweck nicht die Mittel, in einem Rechtsstaat dürfe man nicht in Ställe einbrechen und Kameras anbringen. Und dass die Medien auf der Basis von Einzelfällen das Bild der Nutztierhaltung in Bayern mit Titeln wie „Blutige Milch“ zeichnen, sei schlicht falsch und verunsichere Verbraucher und Bauernfamilien.


Aber: Während man sich zum konkreten Fall wegen des laufenden Verfahrens nicht äußern wolle, seien „Verstöße, wie sie die Videoaufnahmen dokumentieren, weder hinnehmbar noch in irgendeiner Art und Weise zu entschuldigen“, sagt Präsident Walter Heidl in einer Stellungnahme.


Für Stefan Häfele beginnt die Lösung der globalen Probleme auf dem eigenen Hof. Immer wieder lade er Naturschützer und Verbraucher aus dem Umkreis ein, zuletzt im Rahmen eines Blühstreifenprojekts. Dabei entstünden konstruktive Gespräche über die Situation der Bauern und wie Naturschutz und Landwirtschaft gemeinsam Lösungen finden. „Viele sind tolle Leute, haben aber ein Informationsdefizit“, sagt er.


Er wünscht sich, dass alle Berufskollegen noch mehr Kontakt zu den Nichtlandwirten halten. „Wenn neue Umwelt- oder Tierschutzgesetze anstehen, werden wir im Dialog mehr erreichen als Gegeneinander“, sagt er.


Milchkühe bleiben im Fokus


Bitter nötig wäre es: Die Tierrechtler haben wohl mehr Material in der Pipeline. Gerade die Milchviehhaltung könnte es weiter treffen.


Möglich aber auch, dass der Schuss nach hinten losgeht. Denn bei plumpen Bauernbashing macht in Süddeutschland derzeit wohl kaum jemand mit.


claus.mayer@topagrar.com,


katharina.riedmeier@topagrar.com

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