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Solar und Sellerie auf einer Fläche

Lesezeit: 7 Minuten

Agrophotovoltaik ist eine neue Form der Flächennutzung mit großem Potenzial, bei der unter den Modulen herkömmliche Früchte wachsen. Ein mehrjähriges Forschungsprojekt am Bodensee macht deutlich, worauf es bei der Anlage ankommt.


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Florian Reyer betrachtet aufmerksam den Kartoffelbestand. „Das Kraut hier ist grüner, die Beschattung wirkt sich positiv aus in dem trockenen Sommer“, sagt der Landwirt von der Hofgemeinschaft Heggelbach aus dem Landkreis Sigmaringen. Reyer steht auf einem besonderen Kartoffelacker: Die Hälfte der Fläche ist mit einer Stahlkonstruktion überbaut, auf der Photovoltaikmodule installiert sind.


Drei Jahre Forschung


Die „Agrophotovoltaik“ (APV) ist eine neue Art der Flächenbewirtschaftung. In Deutschland gibt es inzwischen acht Anlagen dieser Art.


An dem Prototyp in Heggelbach hat ein Team von mehreren Wissenschaftlern u.a. der Universität Hohenheim und des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) aus Freiburg drei Jahre lang das Zusammenspiel von Ackerbau und Solarmodulen untersucht.


„Die Agrophotovoltaik ist so ausgelegt, dass die landwirtschaftliche Produktion im Vordergrund steht, die Stromproduktion sehen wir als Ergänzung“, erklärt Stephan Schindele vom Fraunhofer ISE, der das Projekt federführend geleitet hat.


Knapp 200 kW Modulleistung


Die Anlage ist so aufgebaut:


  • Die Anlage ist 136 m lang und 25 m breit. Sie überspannt eine Fläche von etwa einem Drittel Hektar.
  • In Längsrichtung beträgt der Abstand zwischen den Pfosten 18,4 m.
  • Die Pfosten wurden nicht betoniert oder gerammt, sondern mithilfe eines speziellen „Spinnankers“ in den Boden gedreht. Diese Schraubelemente sind Baumwurzeln nachempfunden und ragen schräg nach unten in die Erde. „Das war für uns wichtig, denn mit diesem System können wir die Anlage zu 100% zurückbauen“, sagt Reyer.
  • Die Module sind auf einer Höhe von 6 m angebracht, die Durchfahrtshöhe unter dem Gestell beträgt 5 m.
  • Sie haben insgesamt eine Leistung von 194 Kilowatt (kW).
  • Es handelt sich um bifaciale Module, die auch auf der Unterseite das Sonnenlicht in Strom umwandeln. Damit liegt der Stromertrag rund 10% über dem von herkömmlichen Modulen. Gleichzeitig sind sie durchscheinend.


Für den Versuch wurde die Anlage quer zur Bewirtschaftungsrichtung aufgebaut. Damit war es möglich, vier Kulturen nebeneinander anzubauen, bei denen etwa die Hälfte der Fläche unter den Modulen liegt, die andere Hälfte dagegen unter freiem Himmel. Damit konnten die Wissenschaftler genau vergleichen, welche Auswirkungen die Module auf Bestand und Ertrag haben.


Die ersten Erfahrungen


Als Kulturen haben die Heggelbacher, die nach Demeter-Richtlinien wirtschaften, Kleegras, Sellerie, Kartoffeln und Winterweizen angebaut.


Aktuell wird der Endbericht zum Forschungsprojekt noch erstellt. Aber es gibt Zwischenergebnisse, die bereits Tendenzen aufzeigen:


  • Der Abstand der Pfosten und die Höhe von 5 m ist für die Anbau- und Erntetechnik ausreichend. „Sogar der Mähdrescher hatte mit ausgeklapptem Korntank Platz“, sagt Reyer. Für ihn bedeuten die Pfosten nicht mehr Mühe als das Umfahren von Hecken oder anderen Hindernisse auf dem Acker.
  • Die Beschattung der Kulturen sorgte im ersten Versuchsjahr für einen Ertragsrückgang bei Kartoffeln, Weizen und Sellerie von 15 bis 18%. Beim Kleegras waren es dagegen nur ca. 5%.
  • Im Jahr 2018 gab es bei Sellerie (+12%) und Winterweizen (+3%) höhere Erträge, bei Kleegras dagegen ein Minus von 8%.
  • Im Jahr 2018 produzierten die 720 Module 249857 Kilowattstunden, was einem spezifischen Ertrag von 1285 kWh pro installiertem Kilowatt entsprach – ein guter Ertrag. Der Flächenertrag lag wegen der größeren Modulabstände etwa 20% unter dem einer herkömmlichen Freiflächenanlage.
  • Das von den Modulen abtropfende Wasser sammelte sich an und sorgte für Ernteausfälle. „Besonders kritisch ist das, wenn eine Fahrspur unter der Abtropfkante verläuft, in der sich das Wasser sammeln kann“, sagt Reyer. Dies war abhängig vom Zeitpunkt und der Kultur: Bei Kartoffeln und Sellerie als ausgeprägten Reihenkulturen war das Problem größer als z.B. bei Weizen und Kleegras, die nach dem Auflaufen geschlossene Bestände bilden.
  • Wenn die Module nach Südwesten ausgerichtet sind, ist die Einstrahlung bzw. die Beschattung gleichmäßiger. Der Schatten hat u.a. bewirkt, dass das Kartoffelkraut länger grün bleibt, die Pflanze damit länger wächst und sich der Anteil der vermarktbaren Knollen erhöht hat.


Gute Flächeneffizienz


„Aus agrarwissenschaftlicher Sicht ist Agrophotovoltaik ein viel versprechender Lösungsansatz, um die Landnutzungseffizienz zu erhöhen und den Mix erneuerbarer Energien zu erweitern, die zukünftig aus der Landwirtschaft bereitgestellt werden“, resümiert auch Prof. Dr. Iris Lewandowski, Leiterin des Fachgebiets Nachwachsende Rohstoffe und Bioenergiepflanzen an der Universität Hohenheim.


Auch wenn Ackerbau- und Solarertrag unter der Anlage einzeln betrachtet unter dem liegen, was bei getrennten Flächen möglich wäre, steigt die Effizienz in der Kombination trotzdem um 60 bis 80%. Das bedeutet: Ein Hektar Agrophotovoltaik benötigt 0,6 bis 0,8 ha weniger Fläche als Ackerbau plus Freiflächenphotovoltaik. Messungen der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Dresden zeigten, dass die Solarmodule auch die Bodenwasserbilanz verändern. Unter den Modulen zeigte sich eine höhere Bodenfeuchte.


Weitere Pilotanlagen


Neben dem Prototypen in Heggelbach gibt es weitere Systeme, die aktuell in Deutschland getestet werden:


  • An der Hochschule Weihenstephan- Triesdorf (HWST) in Freising steht eine Anlage mit drei Modultischen, die sich nach dem Stand der Sonne drehen. Die 3,5 m aus dem Boden ragenden Pfosten sind 4 m tief in die Erde gerammt. Die Modulfläche beträgt insgesamt 144 m2. Zur Bewirtschaftung lassen sich die Module waagerecht stellen. Die Anlage produziert pro m2 Ackerfläche im Jahr 52 kWh, pro m2 Modulfläche 175 kWh Strom. „Die Beschattung ist weniger ein Problem als das ablaufende Wasser“, erklärt Dr. Michael Beck von der HWST, der die Versuche geleitet hat. Die Hochschule will jetzt mit Industriepartnern alternative Aufstellungs- und Modulkonzepte umsetzen.
  • Ein anderes System besteht aus beweglichen Modulen, die sich während der Bewirtschaftung in „Ackerstellung“ senkrecht nach oben bewegen lassen.


Noch viele Hürden


Bei diesem neuen Anlagentyp gibt es allerdings noch einige Hürden wie z.B. die Genehmigungsauflagen. Auch ist der Prototyp in Heggelbach mit Prüfstatik und anderen Besonderheiten so aufwendig wie eine landwirtschaftliche Halle. „Wenn wir das System schnell etablieren wollen, muss die Genehmigung einfacher werden“, sagt Reyer.


Der Aufwand hat sich auch in den Kosten niedergeschlagen: Die Versuchsanlage hat 1300 €/kW gekostet. Die höhere Aufständerung sowie der höhere Aufwand beim Bau haben Mehrkosten von 33% gegenüber einer herkömmlichen Freiflächenanlage verursacht. „Unterm Strich lässt sich der Solarstrom mit dieser APV-Anlage für 9,94 ct/kWh erzeugen im Vergleich zu 6,65 ct bei einer vergleichbaren Freiflächenanlage“, rechnet Schindele vor. Allerdings sieht er Einsparpotenzial bei der Pflege: Bei einem Solarpark muss mehrmals im Jahr der Bewuchs entfernt werden. Das entfällt bei der APV.


Problem Stromvermarktung


Ein weiteres Problem: APV fällt nicht unter die Systematik im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Als Freiflächenanlage wäre der Bau nur sehr eingeschränkt auf Ackerflächen möglich, u.a. neben Schienen oder Autobahnen.


Zwar kann ein Anlagenbetreiber auf die EEG-Förderung verzichten. Aber dann würde er für den ins Netz eingespeisten Strom auch nur den Börsenstrompreis von 2 bis 3 ct/kWh bekommen. Das wäre unwirtschaftlich.


Eine Alternative wäre der Selbstverbrauch von Strom. Im Beispiel Heggelbach verwertet die Hofgemeinschaft den Strom etwa zur Hälfte selbst. „Wir haben mit Käserei, Gemüseverarbeitung, Kühlhäusern, Heutrocknung sowie fünf Wohneinheiten einen relativ hohen Stromverbrauch“, erklärt Reyer. Mit APV, einer Dachanlage mit 100 kW sowie einer Batterie mit 150 kWh Kapazität liegt der Eigenstromverbrauch bei 65%. Doch nicht jeder Betrieb hat einen so hohen Eigenverbrauch. Für mehr APV-Anlagen ist also eine andere Stromvermarktung gefragt.


Eine Alternative wäre die Vermarktung an Industrie oder Gewerbe. Aber das ist – wie bei anderen Erneuerbare-Energien-Anlagen auch – mit aktueller Rechtslage kaum möglich. Denn dabei fallen viele Umlagen an wie z.B. die EEG-Umlage oder Netzentgelte, was den Strom schnell um 15 bis 20 ct/kWh verteuert. Da wird es schwer, für den Strom einen Abnehmer zu finden.


Auch entfällt in Deutschland die EU-Flächenprämie unter den Solarmodulen, da sie nicht mehr als landwirtschaftliche Fläche gilt. In Frankreich dagegen erhalten Landwirte unter einer APV-Anlage noch die Flächenprämie. „Hier ist dringend eine Harmonisierung nötig“, sagt Schindele.


Für Florian Reyer wäre APV eine sehr interessante Lösung. Seine Forderung: „Jetzt ist die Politik gefordert. Sie muss den Weg ebnen und den Landwirten einen praktikablen Weg mit einfacherer Genehmigung und einer wirtschaftlichen Perspektive aufzeigen!“


Hinrich.Neumann@topagrar.com

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