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topplus Aus dem Heft

„Wir baden die Fehler der Behörden aus“

Lesezeit: 6 Minuten

Ein Nachbar bremst die Betriebsentwicklung von Familie Rittler aus Oberrussenried seit Jahren durch permanente Einwände aus. Dass er damit Erfolg hat, liegt vor allem an Fehlern des Bauamts.


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W ie sehr die aktuelle Situation und die ungewisse Zukunft an ihren Nerven zehrt, kann Familie Rittler aus Neukirch, Ortsteil Oberrussenried (Bodenseekreis), nicht mehr verbergen. Seit mittlerweile sechs Jahren blockiert ein Nachbar durch Widersprüche und Einwände die Entwicklung des Betriebes: Die 120 Milchkühe sind bereits verkauft, die 500 kW-Biogasanlage läuft nicht unter Volllast und das neue Gärrestelager steckt seit Monaten im Rohbau fest.


„Mittlerweile steht unsere Existenz auf dem Spiel“, klagt Betriebsleiter Elmar Rittler. Seinen Schaden durch den Ertragsausfall und die Mehrkosten schätzt er inzwischen auf über 1,5 Mio. €. In ihrer Verzweiflung hat die Familie Politiker aus Kreis- und Landtag sowie den Landrat um Hilfe gebeten. Im Stuttgarter Landtag reichte sie eine Petition ein.


Wohin mit den Gärresten?


Dabei schien es im Herbst 2019 noch so, als sei mit dem genehmigten Bau eines modernen, gasdichten Gärrestelagers für die 500 kW-Biogasanlage endlich ein Schlusspunkt unter die jahrelange Auseinandersetzung gesetzt. Ein Irrtum: Ein erneuter Widerspruch des Nachbarn beim Verwaltungsgericht Sigmaringen führte sogar zum sofortigen Baustopp des Behälters. Und das nur vier Tage vor seiner Fertigstellung.


„Seitdem haben wir kein Gärrestelager mehr, denn die alte Güllelagune musste aus Platzgründen dem Neubau weichen“, berichtet Rittler. Chaotische Wintermonate liegen hinter ihm, in denen er den Abtransport der Gärreste an andere Betriebe organisieren musste und durch zu wenig Lager die volle Leistung der Biogasanlage nicht abrufen konnte. „Denn ausbringen konnten wir sie ja im Winter nicht.“ Mittlerweile hat sich diese Situation zwar entspannt, doch inzwischen bricht am Behälter die Aushubwand durch Schichtwasser zunehmend ein. Die Gefahr, dass die Gülleleitung beschädigt wird, steigt. Wie man den Schaden beheben kann, ist derzeit genauso offen wie die Frage, ob und wann Familie Rittler weiterbauen darf.


VErsäumnisse des Amtes


Begonnen hat das Drama bereits 2014, als der Betriebsleiter die Erweiterung seiner Biogasanlage von 250 auf 500 kW genehmigt bekam.


Allerdings sorgte nicht allein der Widerspruch des Nachbarn dafür, dass die gesamte Anlage inklusive der Tierhaltung 2016 ein zweites Mal einem aufwendigen BImSch-Verfahren unterzogen werden musste. Das Regierungspräsidium (RP) Tübingen gab seinen Einwänden auch deshalb statt, weil das zuständige Landratsamt Bodenseekreis kein zweites Ingenieurbüro mit einem Geruchsimmissionsgutachten beauftragte und wichtige Fragen zum Verfahren unbeantwortet ließ. Das geht aus einem Aktenvermerk des RP hervor, das der Redaktion vorliegt.


Diese Versäumnisse des Amtes hatte schließlich Familie Rittler auszubaden. Zunächst musste sie drei weitere Jahre auf die zweite BImSch-Genehmigung warten. Und dann verschlugen ihr die zusätzlichen, massiven Auflagen zur Reduktion der Lärm- und Geruchsemissionen fast den Atem. Denn gefordert wurde:


  • Die Einstellung der Milchviehhaltung mit 120 Kühen an zwei Melkrobotern plus Nachzucht sowie die Stilllegung von zwei funktionstüchtigen Fahrsilos.
  • Der Bau eines Gärrestelagers mit 4000 m³ für neun Monate Lagerdauer am Standort der bisherigen offenen Lagune. Mit gas- und geruchsdichter Doppelfolien-Gasspeicherabdeckung, Leckageerkennung und automatisierter Überwachung sollte der Behälter dem neuen Wasserhaushaltsgesetz entsprechen. Bausumme rund 200000 €.
  • Die Umstellung auf Sandwichsilage, um durch kürzere Entnahmezeiten die Emissionen möglichst gering zu halten.
  • Die Einhaltung bestimmter Arbeitszeiten: So sollte die Beschickung der Biogasanlage sowie Liefer-, Lade- und Silierarbeiten nur an Werktagen zwischen 6 und 22 Uhr zulässig sein.


Ein krasser Fall. Das sagen selbst erfahrene Gutachter: „Im Außenbereich sind mir solche Auflagen für den Betrieb völlig unbegreiflich“, sagt Anton Baumann, der als Biogasberater über 25 Jahre in der Branche tätig ist.


Keine Rechtssicherheit


Familie Rittler machte sich trotz der erheblichen Mehrkosten daran, alle Auflagen zu erfüllen. „Wir haben immer alle Zuständigen eingebunden, mit offenen Karten gespielt, die geforderten Gutachten besorgt und alle Lärm- und Geruchsauflagen erfüllt“, sagt Elmar Rittler.


Der Nachbar, der namentlich nicht genannt werden will, sieht das anders. Man habe ihn im Vorfeld zu wenig eingebunden, seine Interessen hätten nie interessiert und Absprachen seien nicht eingehalten worden. Die Gemeindestraße, die auch zum neuen Fahrsilo führt, habe man zwar gemeinsam umgelegt, verbreitert und finanziert. Doch er leide nach wie vor unter wochenlangem Gestank des Silosaftes und ständigem Lärm durch Einbringtechnik und Rührwerk.


Klage gegen das Landratsamt


Mit der offiziellen BImSch-Genehmigung in der Tasche glaubte Familie Rittler endlich Rechtssicherheit zu haben. Im Herbst 2019 rückten nach Erhalt der Baufreigabe die Bagger für den Bau des Gärrestelagers an. Dass sie sich zu früh freute und der Nachbar in Baden-Württemberg – anders als in Bayern – auch nach einer Genehmigung, die zu einer deutlichen Verbesserung der Emissionssituation führt, erneut Widerspruch einlegen kann, wissen sie erst heute.


Weil das Bauamt alle Bauvorhaben im Betrieb offiziell genehmigt hat, klagt der Anwohner letztlich gegen das Landratsamt. Das dortige Bauamt sehen auch die beiden hinzugezogenen Gutachter aufgrund falscher Beratung und mehrerer Fehlentscheidungen mit in der Verantwortung: „Der Stall hätte nicht geräumt werden müssen, wenn man spezielle Ablufttechnik installiert und die Lagune stillgelegt hätte. Außerdem hat das Landratsamt versäumt, dem Gericht klarzumachen, dass es sich beim Gärrestelager klar um eine Verbesserungsgenehmigung handelt. Dann wäre es nicht zum Baustopp gekommen, denn es gibt weit und breit kein neues Gärrestelager, das solch hohen Standards genügt“, sagt Heinrich Esch, Sachverständiger für Landwirtschaftliches Bauwesen und Immissionsschutz.


Zudem hätte ein zweites Büro mit einem Geruchsgutachten beauftragt werden müssen. Biogasberater Baumann: „Man hätte die strittigen Ostwinde in diesem Fall am Standort durch Messungen vor Ort belegen müssen.“


Welche Lösung gibt es?


Mit Verweis auf das laufende Verfahren will sich das Landratsamt gegenüber top agrar nicht äußern. Landrat Lothar Wölfle macht in seiner Antwort an die Familie allerdings den zu frühen, eigenmächtigen Abriss der Lagune für ihre Notlage verantwortlich. „Aber es war doch seine Behörde, die den Neubau am Standort der alten Lagune genehmigt hat“, wundert sich nicht nur Elmar Rittler.


Sein neuer Anwalt, Prof. Andreas Staudacher aus Laupheim, sowie die Gutachter arbeiten jetzt mit Hochdruck an einer Lösung. So wurde im ersten Schritt beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschwerde gegen die Entscheidung aus Sigmaringen eingelegt. „Wir arbeiten auf eine Verbesserungsgenehmigung für das Gärrestelager hin, sodass es fertig gebaut werden darf. Bis die 2. BImSch-Genehmigung rechtskräftig ist, kann Familie Rittler den Kuhstall und die Biogasanlage im genehmigten Umfang weiterbetreiben. Denn diese Genehmigungen sind bisher nicht erloschen“, so Prof. Staudacher.


Damit der Plan aufgeht und die Existenz des Betriebes gesichert ist, müsste sich jetzt das Landratsamt bewegen. Ob es das tut, war bis Redaktionsschluss offen.


silvia.lehnert@topagrar.com

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