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„Wir hätten gigantisches Potenzial“

Lesezeit: 6 Minuten

BayWa r.e. hat eine Pilotanlage zur Agri-PV über einer Apfelplantage errichtet. Wir sprachen mit Stephan Schindele über die Hintergründe und Aussichten für die Landwirtschaft.


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Sie haben eine neuartige Agriphotovoltaikanlage installiert. Um was geht es dabei?


Schindele: Wir haben mit dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme und weiteren Forschungspartnern auf dem Bio-Obsthof Nachtwey in Gelsdorf erstmals eine Agri-PV-Forschungsanlage für Äpfel und Spalierobst errichtet. Die Versuchsfläche hat ca. 9100 m², die Agri-PV-Anlage nimmt mit einer Leistung von 258 kW etwa ein Drittel ein. Fünf Jahre lang wollen wir anhand von acht gleichzeitig angebauten Apfelsorten verschiedene Schutzsysteme untersuchen.


Welche Schutzsysteme sind das?


Schindele: Wir haben einen nicht regendurchlässigen Folienschutz, einen regendurchlässigen Hagelschutz und zwei Agri-PV-Varianten zum Vergleich: Fest installierte, lichtdurchlässige Module, die den Regen abhalten sowie nachgeführte PV-Module, die bei Bedarf Regen und Licht durchlassen. Wir wollen untersuchen, inwiefern Agri-PV-Anlagen die Pflanzen und Früchte vor Hagel, Starkregen, Sonnenbrand, Frost oder extremen Temperaturen bewahren können.


Bislang haben sie ja in den Niederlanden Agri-PV über Beerenobst installiert. Was ist jetzt anders?


Schindele: Spalierobst wie Äpfel, Birnen oder Kirschen sind höher und benötigen mehr Licht als Beerenobst. Dazu haben wir gemeinsam mit unseren Lieferanten eine Lösung, inklusive Gestell und PV-Module, entwickelt, die Landwirte entweder bei der Neuanlage oder bei der Nachrüstung installieren können.


Welche Vorteile hat Agri-PV gegenüber herkömmlichen Schutzsystemen?


Schindele: Netze oder Folien müssen Sie etwa alle sieben Jahre erneuern. Das verursacht Investitionskosten, Müll und hohe Arbeitskosten. Auch kann eine Agri-PV-Anlage das Wasser bei Bedarf mithilfe spezieller Regenrinnen sammeln und in einen Speicher leiten. Unsere Versuchsergebnisse in den Niederlanden zeigen, dass in einem Agri-PV-System mit integrierter Bewässerungstechnik bis zu 40% weniger Wasser benötigt wird als beim herkömmlichen Anbau unter Regenhauben. Zudem können Landwirte und Flächeneigentümer auch Co-Investor bei der Agri-PV-Anlage werden, sodass sie auch durch die Stromvermarktung profitieren können. Diese Steigerung der Wertschöpfung ist bei herkömmlichen Schutzsystemen nicht möglich.


Diskutiert wird ja auch, ob bereits installierte Gestelle wie im Hopfenbau für die Nachrüstung zur Agri-PV-Anlage geeignet sind. Wie ist da Ihre Erfahrung?


Schindele: Im Prinzip ist das möglich. Aber ein Hopfengarten ist ca. 8 bis 9 m hoch. Die Module wären dann in 10 bis 11 m Höhe installiert, was zu einer enormen Windlast führt. Darum werden wir dieses Potenzial vorerst nicht erschließen. Eventuell könnten organische Photovoltaikfolien künftig eine Lösung sein. Aber die Entwicklung wird noch ca. zehn Jahre dauern, bis ein Kostenniveau wie bei silizium-basierter PV-Technik erreicht wird.


Welches Potenzial sehen Sie insgesamt für Agri-PV im Obstbau?


Schindele: In Deutschland gibt es rund 34000 ha Apfelplantagen, vor allem in Baden-Württemberg und Niedersachsen. Baumobst wächst in Deutschland insgesamt auf etwa 50000 ha. Selbst wenn wir davon nur ein Zehntel mit Agri-PV erschließen würden, wären das 4 bis 5 Gigawatt Solarstromfläche bei gleichzeitig finanziellen und ökologischen Vorteilen für Landwirte.


Die Bundesregierung will ja Agri-PV über die neue Innovationsausschreibung besonders fördern. Reicht das aus, um das große Potenzial zu heben?


Schindele: Nein, denn es gibt zu viele Einschränkungen. So dürfen sich nur Projekte mit maximal 2 MW an der Ausschreibung beteiligen. Da immer ein Speicher zum Konzept gehören muss, reden wir also von maximal 1,5 MW Solarstromleistung pro Projekt, also ca. 2 ha. Das ist für große Obstplantagen viel zu wenig. Andere Länder sind da mutiger, in Frankreich sind 5 MW die Höchstgrenze, in Italien 10 MW, in den Niederlanden gibt es gar keine Einschränkung. Durch das künstliche Kleinhalten von Agri-PV-Projekten werden Investitionen aus dem Energiesektor zur Aufwertung von landwirtschaftlichen Dauerkulturflächen verhindert. Aktiver Klimaschutz ist ziemlich genau das Gegenteil, was die Innovationsausschreibung hier ermöglicht.


Ist die Ausschreibung selbst auch ein Hemmnis?


Schindele: Aus Sicht der Obstbauern auf jeden Fall. Denn sie müssen ja Abnehmern wie den Lebensmitteleinzelhandel oder einer Vermarktungsgenossenschaft vertraglich eine bestimmte Liefermenge zusichern. Wenn aber nicht feststeht, ob ein Projekt überhaupt einen Zuschlag erhält, sind Bestellvorgänge, beispielsweise für Pflanzen, einem höheren Risiko ausgesetzt. Ein weiteres Hemmnis ist zudem die Direktzahlungsdurchführungsverordnung, die in Deutschland keine Beihilfefähigkeit für eine landwirtschaftliche Tätigkeit in Verbindung mit Agri-PV zulässt. In anderen EU-Ländern wird darüber verhandelt, ob die landwirtschaftliche Agri-PV-Tätigkeit mittels „Eco-Schemes“ aus der ersten Säule zusätzlich gefördert wird, damit den landwirtschaftlichen Betrieben Anreize gegeben werden, ihre Flächen mit Agri-PV zu entwickeln.


Bei herkömmlichen Solarparks werden Stromlieferverträge außerhalb des EEG, sogenannte PPA, beliebter. Wäre das auch eine Lösung für Agri-PV ?


Schindele: Das funktioniert nur im Einzelfall. Denn Sie haben bei Agri-PV Produktionskosten von 7 bis 8 ct pro kWh, bei Freiflächenanlagen dagegen von 4 bis 5 ct/kWh. Daher wäre eine Agri-PV-Anlage nicht konkurrenzfähig. Stromabnehmer wären nur dann bereit, mehr für den Strom zu bezahlen, wenn sie einen gewissen Mehrwert erhalten. Das kann bei Lebensmittelkonzernen der Fall sein: Sie würden neben den Äpfeln auch den Strom von der Plantage bekommen und könnten das für das Marketing nutzen.


Könnten Landwirte den Strom auch selbst nutzen?


Schindele: Das wäre auf jeden Fall möglich und sinnvoll, der Strom ist ja erheblich günstiger als der aus der Steckdose. Zudem kann der Landwirt über das Förderprogramm zur Energieeffizienzsteigerung und CO2-Einsparung in der Landwirtschaft, das die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung verwaltet, einen Teil der Kosten gefördert bekommen. Dafür darf die Anlage aber nicht zu groß sein, damit er den größten Teil des Stroms im eigenen Betrieb verbrauchen kann. Diesen kann er auch dafür nutzen, elektrische Fahrzeuge wie z.B. den eTraktor von Fendt zu laden, den wir in unserem Agri-PV-Obst-Projekt auf Biohof Nachtwey ebenfalls eingebunden haben. Da sich Landwirte die Investitionen in Hagelschutznetze oder Folien sparen, könnten sie sich durch ihre Ersparnisse höhere Anschaffungskosten im Fuhrpark oder weitere Elektrifizierungsmaßnahmen leisten. So entsteht daraus insgesamt ein sinnvolles Konzept mit viel Mehrwert für den Landwirt.


hinrich.neumann@topagrar.com

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