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„Ein großes Defizit in der Kommunikation“

Durch das Volksbegehren Artenvielfalt sehen sich viele Bauern an den Rand gedrängt. Wie kommen sie wieder zurück in die Mitte der Gesellschaft? Ein Gespräch mit Alois Glück.

Lesezeit: 7 Minuten

Alois Glück (79) moderierte im Frühsommer den Runden Tisch zum Volksbegehren Artenvielfalt in Bayern, an dem auch Vertreter der Landwirtschaft und des Naturschutzes teilnahmen.

Der gelernte Landwirt aus Traunwalchen im Landkreis Traunstein saß 38 Jahre im Bayerischen Landtag.

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Er war Umweltstaatssekretär, CSU-Fraktionsvorsitzender und zuletzt Landtagspräsident.

Herr Glück, Sie haben Landwirtschaft gelernt und schon 1957 den elterlichen Betrieb übernommen. Haben Sie seitdem jemals eine so schlechte Stimmung in der Landwirtschaft erlebt wie augenblicklich?

Glück: Ich habe vor allem im Rahmen des Projektes Runder Tisch so richtig aufgenommen, wie viel Verdrossenheit, wie viele Verletzungen innerhalb der bäuerlichen Familien da sind. Die Bäuerinnen und Bauern haben den Eindruck, ihre Arbeit erfährt keine Wertschätzung mehr. Ich erlebe, dass in wirtschaftlich zukunftsfähigen Betrieben die Senioren den Junioren empfehlen, aufzuhören und etwas anderes zu suchen. Das hat mich sehr getroffen und beschäftigt mich nach wie vor sehr, sehr stark.

Es sind vor allem die immer heftiger werdenden Vorwürfe der Gesellschaft, die die Bauern bedrücken. Objektiv gesehen haben die Landwirte in den letzten Jahrzehnten den Tier- und Umweltschutz immer weiter verbessert. Warum nimmt die Kritik trotzdem zu?

Glück: Ein Grund ist sicher die zunehmende Entfremdung zwischen der Landwirtschaft und der übrigen Bevölkerung.

Mir fällt dabei auf, dass die Landwirte eine unterschiedliche Wertschätzung erfahren: Große gesellschaftliche Anerkennung bekommen die Ökobetriebe, Akzeptanzprobleme haben vor allem die intensiv wirtschaftenden Betriebe. Das ist eine massive Verschiebung innerhalb der Landwirtschaft. Denn früher waren die Biobauern „die Spinner“ und jetzt sind sie die, die in der Öffentlichkeit Anerkennung genießen. Das schafft auch Spannungen innerhalb der Landwirtschaft.

Warum entfremdet sich die Gesellschaft immer mehr von den Bauern?

Glück: Wir haben einen heftigen Strukturwandel, die Zahl der Landwirte ist stark zurückgegangen. Die Landwirte sind auch im öffentlichen Leben nicht mehr so präsent, weil sie sehr durch die Bewirtschaftung ihrer Betriebe gebunden sind.

Zudem sind viele Höfe nicht mehr im Dorf. Die Betriebe, die sich entwickeln, haben ausgesiedelt. Das Nachbarschaftserlebnis, das ich in meiner Jugendzeit noch erlebt habe, gibt es in der Form kaum noch.

Was sicher eine Rolle spielt, ist die Berichterstattung in den Medien über zu hohe Nitratbelastung mit Auswirkungen auf das Grundwasser und letztlich auch auf das Lebensmittel Trinkwasser. Das ist für die Menschen etwas, wo sie sofort sehr sensibel sind.

Bauschen die Medien nicht auch Probleme künstlich auf?

Glück: In den klassischen Presseorganen erlebe ich das nicht. Was sich in den sozialen Medien wiederum abspielt, kann ich schwerer abschätzen.

Warum stehen die Landwirte dann in den Medien so oft am Pranger?

Glück: Das mediale Problem ist: Was normal und in Ordnung ist, ist keine Nachricht. Eine Nachricht ist immer, was aus dem Üblichen herausfällt oder wo die Regeln verletzt werden. Das verzerrt die Wirklichkeit. Aber das betrifft nicht nur die Landwirtschaft. Wer spricht von den vielen Menschen, die sich so oft für die Allgemeinheit engagieren?

Gleichzeitig gibt es vonseiten der Landwirtschaft ein großes Defizit, was die Kommunikation mit und für die

Gesellschaft betrifft. Man muss immer wieder erklären, dass z. B. Pflanzenschutz nicht eine systematische Vergiftung des Bodens ist. Der Außenstehende hat dafür kein Gespür, versteht die fachlichen Hintergründe nicht und warum die Maßnahme notwendig ist.

Wie können die Landwirte ihre Kommunikation verbessern?

Glück: Man muss bereits in der Ausbildung der Landwirte und der landwirtschaftlichen Berater diese Kompetenz besser berücksichtigen. Es gibt ein sehr gutes Papier vom Verband der landwirtschaftlichen Fachschulabsolventen zu diesen Fragen Bildung, der Information und der Kommunikation mit der Öffentlichkeit.

Aber ich stelle auch fest, dass die Landfrauen ein ganz großes Ansehen in der Bevölkerung haben, unter anderem durch ihre vielen Aktionen. Von daher sehe ich das öffentliche Bild der Landwirtschaft nicht so pauschal negativ. Aber die Landwirte nehmen vor allem die Kritik wahr, und von daher kommt auch das Gefühl, dass ihre Arbeit keine Wertschätzung mehr hat.

Im bundesweiten Vergleich ist die bayerische Landwirtschaft kleinstrukturiert, vielfältig und weniger intensiv. Warum war das Volksbegehren Artenvielfalt in Bayern trotzdem erfolgreich?

Glück: Es war nicht erfolgreich in der Stimmungslage gegenüber den Bauern, sondern es hat einen starken emotionalen Zusammenhang mit der ganzen Dynamik um die Klimadebatte. Die Menschen haben das Gefühl, das ist eine bedrohliche Entwicklung, und sie bringen den Klimawandel ganz eng in Verbindung mit den Entwicklungen in der Landwirtschaft.

Von außen hatte man den Eindruck, dass sich Umweltschützer und Bauern am Runden Tisch so weit annähern, dass daraus ein gemeinsamer Gesetzesvorschlag entstehen könnte. Wäre das zu schaffen gewesen ?

Glück: Tatsächlich haben die Initiatoren gesagt, am liebsten wäre uns ein neuer verbesserter Entwurf und wir würden uns auch bei einem Volksentscheid hinter diesen stellen. Eine überraschende Botschaft. Aber wir waren durch das Verfassungsrecht zeitlich in einem so engen Korridor, dass es einfach nicht möglich war, etwas Substanzielles zu erarbeiten. Dann hätten die Verbände noch in ihren internen Abstimmungsprozess gehen müssen und ihren Mitgliedern erklären, warum sie ihren ursprünglichen Text verlassen. Und ein Gegenentwurf aus der Landwirtschaft, der nicht vom Naturschutz befürwortet wird, wäre chancenlos gewesen.

Unabhängig von den Auflagen, die das Volksbegehren mit sich bringt, hat es auch dem Image der Landwirte geschadet. Wie lässt sich die Stimmung gegen die Bauern wieder drehen?

Glück: Wichtig wäre, dass die Landwirte erleben, dass das Thema Artenvielfalt auch von den anderen gesellschaftlichen Gruppen als Aufgabe begriffen und realisiert wird. Das ist das, was Ministerpräsident Söder als „Volksbegehren plus“ bezeichnet. Dazu gehört der ganze Bereich der öffentlichen Flächen und die Hausgärten. Wir haben ein großes Potenzial in diesem Bereich.

Ich stelle fest, dass sich draußen eine große Sensibilität für dieses Thema entwickelt hat. Deshalb ist es jetzt wichtig, substanzielle und fachlich begründete Angebote zu machen. Und die öffentliche Hand hat sehr viel zu leisten: die ganzen Flächen im Staatsbesitz, im kommunalen Bereich, die Straßenränder. Ich erlebe, dass die Leute ständig fragen: Was passiert da?

Wie muss sich die bayerische Landwirtschaft aufstellen, um eine gute Perspektive zu haben?

Glück: Momentan haben alle Landwirte Zukunftsängste, auch die Ökolandwirte. Viele von ihnen sagen, wenn jetzt der Ökoanteil mit staatlicher Förderung auf 30 %, wie im Volksbegehren gefordert, steigt, dann gibt das der Markt nicht her und die Preise brechen zusammen. Das bleibt natürlich ein begrenzter Markt. Denn es gibt auch eine Käuferschicht, die kann sich höherwertige regionale Produkte oder Bioprodukte nicht leisten.

Ich meine, dass die Beratung und vor allem die Offizialberatung die Aufgabe hat, diesen Prozess zu begleiten. Die Bauern tun ja nichts anderes, als auf Wettbewerb und Beratung zu reagieren. Wer intensiv wirtschaftet, hat auf die Vorgaben der Märkte und die Macht der Handelsketten reagiert.

Andererseits darf die Landwirtschaft auch nicht eine heile Welt produzieren, wo Probleme da sind. So gibt es auch in Bayern die Nitratbelastung im Grundwasser und dann im Trinkwasser. Darauf haben die Vertreter der Wasserversorger, am Runden Tisch eindringlich hingewiesen. Dem muss sich die Landwirtschaft stellen und gegenüber der Öffentlichkeit deutlich machen „wir gehen das aktiv an“.

Die Digitalisierung und der Klimawandel gelten als die Themen, die die Menschen aktuell am meisten beschäftigen. Wie können sich die Landwirte darauf einstellen?

Glück: Ja, das sind die beiden prägenden Herausforderungen – und beide sind mit Ängsten besetzt.

Beim Thema Klimawandel entwickelt sich nun eine Dynamik, die auch die agrarpolitische Diskussion in Brüssel beeinflussen wird. Ob die Landwirtschaft den Klimawandel auch positiv für sich nutzen kann, müssen die Fachleute beantworten. Damit muss sich die Wissenschaft auseinandersetzen. Wir brauchen jedenfalls insgesamt eine umfassendere Ausbildung, wie wir Natur verstehen und Landwirtschaft betreiben.

Mit der Digitalisierung verbinden viele Menschen die Angst, dass sie Arbeitsplätze verdrängt. In der Landwirtschaft wird sie eher hilfreich sein, zum Beispiel bei der exakteren Messung und Ausbringung von Nährstoffen.

Dieser Artikel stammt aus der Südplus 9/2019. Jetzt testen.

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