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Algorithmen für Stall und Acker

Lesezeit: 9 Minuten

Künstliche Intelligenz bietet auch in der Landwirtschaft riesige Möglichkeiten. Erste Systeme sind im Einsatz.


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Computer, die irgendwann ein eigenes Bewusstsein haben? Immer wieder berichten Medien über die künstliche Intelligenz (KI). Das Feld der KI ist in zwei Bereiche geteilt. In ihrer starken Ausprägung soll sie eines fernen Tages über Bewusstsein verfügen. Ob das je gelingen kann, ist unklar.


Forschungen im Bereich sogenannter schwacher KI orientieren sich jedoch an ganz realen Anforderungen verschiedener Wirtschaftszweige. Entworfen von Mathematikern und Informatikern simulieren verschiedene Algorithmen intelligente menschliche Fähigkeiten zum Erkennen von Bildinhalten und Sprache.


Zusammenhänge in riesigen Datenmengen (Big Data) sind erst durch den Einsatz von KI-Algorithmen greifbar. Mit dem Ziel Erträge zu steigern, die Tierhaltung zu verbessern und Erntemaschinen zu optimieren, werden derzeit für den Agrarsektor neue KI-Anwendungen entwickelt. Bilderkennung und Big Data stehen dabei im Mittelpunkt.


Für die exakte Auswertung von Bildern kommen als Algorithmen künstliche neuronale Netze (KNN) zum Einsatz. Anhand von Tausenden oder Millionen von Aufnahmen werden diese darauf getrimmt, bestimmte Bildinhalte zu erkennen. Erst danach lassen sie sich für Analysen verwenden.


Formal bestehen diese Netze aus einer Eingabe- und einer Ausgabeschicht sowie einer Anzahl dazwischenliegender Schichten. Mathematische Schwellenwertfunktionen repräsentieren die künstlichen Neuronen in den Lagen. Sie erhalten Eingangswerte von Neuronen der vorgelagerten Schicht und erregen Neuronen der nachfolgenden. Während des Lernvorgangs werden spezifische Verbindungen zwischen den beteiligten Neuronen unterschiedlich gewichtet.


Damit es Schweinen gut geht


Gesichtserkennung bei Menschen mittels der KNN ist bereits etabliert. Aber was bringt die Weiterentwicklung dieser Technik zum Erkennen der Gesichter von Schweinen in größeren Ställen? „Das hat den Vorteil, dass die Tiere für die Identifizierung nicht mehr getaggt werden müssen, und das würde ihnen eine stress- und schmerzbehaftete Behandlung ersparen“, sagt Dr. Emma Baxter. Auch technische Probleme beim Auslesen der elektronischen Ohrmarken wären damit passé. Baxter ist leitende Wissenschaftlerin der Animal and Veterinary Sciences Research Group in Edinburgh für Verhalten und Wohlbefinden von Tieren.


Dr. Melvyn Smith, Direktor des Centre for Machine Vision im Bristol Robotics Laboratory der University of the West of England und seine Mitarbeiter haben das Projekt zur Erkennung von Schweinegesichtern bereits erfolgreich abgeschlossen. „Da uns von den Tieren nur eine begrenzte Zahl von Gesichtsaufnahmen für das Training eines Algorithmus zur Verfügung stand, verwendeten wir die Methode des Transferlernens“, sagt Smith.


Hierzu modifizierten die Forscher ein bereits auf menschliche Gesichter trainiertes KNN. Bei diesem entfernten sie die letzten Neuronenschichten und programmierten diese neu zur Erkennung von Schweinegesichtern. Das neue Konstrukt erkennt diese nun mit einer Genauigkeit von ungefähr 96 Prozent. Wohlgemerkt unter Stall- und nicht unter Laborbedingungen. Hohe Fluktuation innerhalb der Tierpopulation erscheint ebenso wenig problematisch zu sein wie die robuste Installation der kostengünstigen Videotechnik.


Baxter und Smith wollen nun herausfinden, ob sich per Gesichtserkennung eine Aussage zum Wohlbefinden der Tiere treffen lässt. „Forschungen zu Gesichtsausdrücken sind erst am Anfang, aber wir wissen von Studien, dass Tiere einen bestimmten Ausdruck haben, wenn sie Schmerz empfinden“, erläutert Baxter.


Ein System, das frühzeitig auf kranke Tiere hinweist, damit diese medizinisch behandelt werden können, bietet eine attraktive Perspektive. Denn die Bestände wachsen und es wird immer schwieriger, qualifizierte Fachkräfte zu finden. Baxter hofft, dass KI hilft, den Gesundheitsstatus zu verbessern und die Landwirte bei der Einzeltier-Behandlung unterstützt.


Mögliche Akzeptanzprobleme seitens der Schweinehalter sieht Baxter nicht: „Die Landwirte sind innovativer Technik gegenüber meist aufgeschlossen.“ Allerdings, so schränkt sie ein, hätten die Praktiker nur dann Vertrauen in technische Neuerungen, wenn diese entsprechend erprobt sind.


Aufschlussreiche Spektren


Auch Pflanzenkrankheiten lassen sich mittels KI diagnostizieren. Dazu verwendet die Firma Gamaya aus Morges in der französischen Schweiz die Spektren der von Pflanzen reflektierten Wellenlängen als Datenmaterial. Aufgenommen werden diese Signaturen mittels einer Hyperspektralkamera an einer Drohne.


Die Kamera verfügt über 40 Eingangskanäle im Wellenlängenbereich von 450 bis 900 Nanometer. Damit erzeugte Aufnahmen stellen den Stoffwechselzustand von Pflanzen dar und können somit auf ernährungsbedingte Unterschiede oder frühe Symptome von biotischem oder abiotischem Stress hinweisen. Lange bevor das menschliche Auge diese wahrnimmt. Allerdings lässt sich das Verfahren bisher nur für wenige Kulturpflanzen anwenden. Denn: „Unsere Methode setzt die detaillierte agrarwissenschaftliche Analyse und die technische Anpassung für jede Pflanzenart voraus“, erläutert Dr. Yosef Akhtman, CEO von Gamaya.


Als Ergebnisse erarbeitet die KI von Gamaya Karten von Pflanzenbeständen. Die Karten weisen Areale aus, die gedüngt, bewässert oder mit Pflanzenschutzmitteln behandelt werden sollten. „Zurzeit funktioniert unser System als Entscheidungshilfe. Für die absehbare Zukunft können wir uns aber vorstellen, dass es vollautomatisch die optimale Entscheidung trifft und entsprechende Prozesse auf einer Farm steuert“, sagt Akhtman. Das Training dieser KI ist hier ebenfalls sehr aufwendig und kann mehrere Vegetationsperioden dauern.


Bei Zuckerrohr lassen sich derzeit das Anwuchsverhalten sowie Störungen im Wachstum der Pflanzen detektieren. Beim Tabak ist die Bestimmung des Blütezeitpunkts und des Reifegrads der Pflanzen möglich. Infektionen mit dem Tabakmosaikvirus lassen sich aktuell mit einer Genauigkeit von 80 Prozent bestimmen; der Nachweis von Nematoden in Sojabohnen wird gerade entwickelt. Gegenwärtig konzentriert sich Gamaya mit dem Einsatz ihrer Technik noch auf Lateinamerika und Osteuropa.


Was den Landbau betrifft, sieht Dr. Wilhelm Uffelmann wegen der großen Ackerflächen zunächst in Ostdeutschland, Osteuropa und Nordamerika das Haupteinsatzgebiet für KI, da sich hier die größten Einspareffekte realisieren lassen. „Aber auch in Westdeutschland sehen wir einen Strukturwandel hin zu größeren Betrieben.“ Uffelmann ist ein Partner von Roland Berger im Kompetenzcenter Konsumgüter & Handel im Münchner Büro der Unternehmensberatung und leitet die Abteilung Agribusiness Practice. Durch KI lässt sich seiner Ansicht unter anderem der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln aber auch die Logistik deutlich optimieren.


im Big Data-Dschungel


Während ein Mähdrescher über ein Weizenfeld fährt, liefern seine Sensoren pausenlos technische Informationen. Aber wie kann man aus diesem Big Data-Strom zeitnah Informationen herausfiltern? Wie findet man Anomalien in den Betriebszuständen oder Hinweise darauf, ob Bauteile demnächst gewartet oder ersetzt werden müssen? ▶


„Die mathematische Modellierung der Erntemaschine ist bei dieser Größenordnung von Parametern sehr schwierig“, sagt Dr. Ansgar Bernardi vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz DFKI. Eine lernende KI-Lösung, die Anomalien – also Hinweise auf Störungen – in der Datenverteilung erkennt, erarbeiteten Wissenschaftler im Verbundprojekt AGATA. Dabei geht es um die Analyse großer Datenmengen in Verarbeitungsprozessen. Hier arbeitete das DFKI unter anderem mit dem Landmaschinenkonzern Claas und der Bayer Technology Services zusammen. Außerdem förderte das Bundesministerium für Forschung und Entwicklung (BMBF) das Projekt.


Für Claas, aber auch die Landwirte sowie die Fahrer der Mähdrescher wird diese Entwicklung von besonderem Interesse sein. Denn es hat sich herausgestellt, dass bei gleichen Maschinen, die parallel auf großen Schlägen arbeiten, Leistungsunterschiede von bis zu 50% auftreten können – und das bei vergleichbaren Erntebedingungen. Erkennt aber ein Algorithmus zeitnah technische Anomalien im Mähdrescher, könnte ein erfahrener Experte bei Claas den Fahrer dann zukünftig über ein telemetrisches Assistenzsystem unterstützen.


Für sinnvolle Hinweise auf technische Anomalien durch Datenauswertung muss auch das Umfeld der Erntemaschine berücksichtigt werden. So führt zum Beispiel Lagergetreide zu einer Leistungsminderung. Eine Kombination der Anomalieerkennung mit moderner Bildanalyse kann solche Situationen erklären und unsinnige Alarme vermeiden. Die Bilder liefert eine auf dem Mähdrescher installierte Kamera.


„Wenn Claas die gesamte Ernteflotte optimieren will, müssen bei einer großen Anzahl von Mähdreschern alle Prozesse auf Anomalien untersucht werden“, sagt Ansgar Bernardi. Dann gilt es, aus dem anfallenden riesigen Datenberg die relevanten Messwerte für die Maschinenverbesserung zu identifizieren.


KI kann sehr praktisch sein


Beim Melkroboter hat DeLaval die Entwicklung vom automatisierten Prozess hin zur Datenerfassung und Verarbeitung mittels eines lernenden Algorithmus bereits umgesetzt. „Neben Zeitpunkt, Dauer und Vollständigkeit des Melkvorganges erfasst die Anlage diverse Parameter zur Tiergesundheit“, sagt Dr. Sina Stein, Market Solution Manager - Farm Management Support, bei DeLaval. Die Bestimmung von Progesteron zeigt das Stadium des Fruchtbarkeitszyklus an. Liegen Parameter außerhalb der Referenzbereiche, gibt die Software automatisiert standardisierte Arbeitsanweisungen aus, in die auch das Expertenwissen von Landwirten, Futtermittelberatern und Tierärzten einfließen. Für Flurbereinigungen hat der Mathematik-Professor und Lehrstuhlinhaber Dr. Peter Gritzmann an der Technischen Universität München in Garching zusammen mit Kollegen vor einigen Jahren gar eine preisgekrönte, eigene mathematische Theorie entwickelt. „In der Praxis wird die darauf basierende Software angewendet, um aus den vielen Möglichkeiten der Neuordnung von Flurgrundstücken, Wegenetzen und ökologisch wichtigen Flächen optimale Lösungen zu entwickeln“, sagt Gritzmann. In die Berechnung kann der Mensch jederzeit eingreifen, um Präferenzen zu berücksichtigen und Konflikte zu vermeiden. Der Algorithmus berechnet danach erneut eine optimale Gesamtlösung.


Natürlich ergeben sich auch in der Landwirtschaft im Zusammenhang mit der KI wichtige Fragen, die intensiv diskutiert werden müssen: Wie sicher sind die Daten? Wem gehören diese überhaupt? Und wie wirkt sich die KI auf die künftige Beschäftigungsstruktur aus? „Durch KI und Automation lässt sich der Mangel an Arbeitskräften bekämpfen, was von Vorteil ist“, sagt Dr. Wilfried Aulbur, Senior Partner, Chicago Office, Nordamerika bei Roland Berger. Denn viele Erntehelfer, zum Beispiel aus Osteuropa, finden aufgrund der guten Wirtschaftslage in ihrem Heimatland dort eine Arbeit und fehlen daher in Westeuropa.


Dr. Nicola Gindele vom Institut für Landwirtschaftliche Betriebslehre, Fachgebiet Agrarinformatik und Unternehmensführung der Universität Hohenheim sagt: „Ich gehe davon aus, dass sich die künstliche Intelligenz mit ihrem Potenzial zur Datenverarbeitung, kombiniert mit dem vorhandenen Erfahrungswissen des Landwirts, positiv auf das Finden von Entscheidungen auswirkt.“ Doch die Entwicklung steht erst am Anfang. Um den Nutzen der KI besser bewerten zu können, sei aber noch intensive Forschung notwendig.


Dr. Klaus Wagner


guido.hoenere@topagrar.com

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