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Funktionieren Applikationskarten auch bei der Getreidesaat?

Applikationskarten kommen bei der Maissaat mehr und mehr in Mode. Klappt das bei Getreide auch? Wir haben uns in der Praxis nach Erfahrungen und Schwierigkeiten umgehört.

Lesezeit: 11 Minuten

Eigentlich drillen wir schon lange standortspezifisch – von Hand mit der ±-Schaltung unserer Sämaschine. Nachteil ist, dass das den Fahrer zusätzlich belastet und nachlassende Konzentration zu schlechteren Ergebnissen führt. Das passiert uns mit Applikationskarten nicht mehr“, sagt Michael Meier, der den landwirtschaftlichen Betrieb auf Schloss Lütetsburg in Ostfriesland leitet.

„Auf unserem Standort hier an der Küste wechselt der Boden häufig, bis hin zu extremem Ton, auf dem sich nur schwer ein optimales Saatbett herstellen lässt.“ Weil die Feldaufgänge an diesen Stellen deutlich schlechter sind und auch Schnecken zum Problem werden können, ist es sinnvoll, die Saatmenge zu erhöhen. Bereits seit 2011 setzt der Betrieb dabei auf Applikationskarten.

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Bei Karsten Twietmeyer von der Erzeugergemeinschaft Wichmannsdorf in der Uckermark sind die Vorzeichen genau anders: Hier fehlt der Regen: „Wenn wir unsere Flächen mit einer fixen Saatgutmenge drillen, bekommen die schlechten Stellen viel mehr Körner, als sie Wasser liefern können. Was bringen mir 450 ährentragende Halme, wenn die Ähren verkümmern“ Also muss an diesen Stellen die Aussaatmenge runter.

Unter dem Strich geht es darum, auf den guten Stellen das Potenzial der Pflanzen voll auszunutzen und auf den schlechten Stellen die Konkurrenz innerhalb der Kultur gering zu halten.

Trend beim Mais

Beim Mais ist die Aussaat nach Applikationskarte in Mode gekommen. Die Sache ist dort relativ einfach. Auf Basis von Satellitenbildern aus den letzten drei bis fünf Jahren erstellen Dienstleister Ertragspotenzialkarten. Danach lässt sich der Schlag am PC in verschiedene Ertragsklassen unterteilen. Durch die hinterlegten Sorteneigenschaften des Maises schlägt das Programm die Saatstärke für die einzelnen Teilbereiche vor. Die Daten lassen sich auf das Isobusterminal der Drille bzw. des Traktors übertragen. Per GPS-Antenne und elektrischem Antrieb legt die Drille dann automatisch die passende Körnerzahl ab. Die Isobus-Funktion dahinter heißt „Variable Rate“ und die Systeme sind in letzter Zeit deutlich komfortabler geworden.

Doch bei der Getreideaussaat hat sich die variable Saatmenge bisher kaum durchgesetzt. Dabei reicht neben der GPS-Ausstattung theoretisch ein elektrischer Dosierantrieb der Sämaschine aus, um die Aussaatmenge entsprechend zu variieren. Immer mehr Drillmaschinen, auch die in der mechanischen 3 m-Klasse, haben einen elektrischen Antrieb, zumindest optional.

Doch Michael Meier berichtet, dass der Einstieg in der Praxis dann doch nicht so einfach war. Eine praktikable Lösung fand er erst mit den Spezialisten von Müller-Elektronik, unabhängig vom Hersteller der Drillmaschine. Bei großen Schlägen mit stark wechselnden Böden ist die Datenmenge teils so groß, dass ältere Standard-Isobusterminals von Drillen an ihre Grenzen kommen. Bei der aktuellen Drille ist deshalb ein Müller-Comfort Terminal dem Drillenrechner über eine sogenannte ASD-Verbindung vorgeschaltet. Wie ein Fahrer gibt dieser die Information „mehr“ oder „weniger“ an die Sämaschinenelektronik weiter. Neuere Isobus-Terminals sind in der Lage, Karten eigenständig zu verwerten.

Die Bearbeitung der Karten findet der Betriebsleiter dagegen nicht allzu aufwendig: In der Schlagkartei wurden die Karten mithilfe einer Bodenkarte erstellt. Zur besseren Orientierung kann ein Luftbild (Bing, ähnlich wie Google Earth) über das Kartenraster gelegt werden. Die so erstellten „Grundkarten“ werden dann Jahr für Jahr den aktuellen Gegebenheiten und Erfahrungswerten angepasst. Das ist oft mit ein paar Klicks getan. Der Datentransfer zum Schlepper läuft dann per Stick im Iso-XML-Format.

Obwohl es durch die Maisaussaat mittlerweile einen Entwicklungsschub gegeben hat, beim Getreide bleiben die Praktiker deutlich zurückhaltender.

Dr. Carsten Struve beschäftigt sich bei John Deere intensiv mit der Technik. Beim Mais liegen für ihn die Vorteile klar auf der Hand: Die Vegetationszeit ist deutlich kürzer als beim Wintergetreide. Mais bestockt sich nicht, und die Einzelkornsaat ist Standard und Mais wächst häufig auf gut mit Nährstoffen versorgten Böden.

Beim Getreide ist es nicht mit der geregelten Saat getan: Je nach Sorte, Saatzeitpunkt, Witterung, Winterwetter und vor allem auch Wasserversorgung entwickelt sich der Bestand komplett unterschiedlich. Diese Vielzahl der Einflussfaktoren macht die Sache aus ackerbaulicher Sicht deutlich schwieriger als beim Mais: „Wenn ich einen dünnen Bestand möchte, z.B. auf Sandlinsen die austrocknen, dann muss ich auch die Bestockung bremsen und die Düngung anpassen – und dann kommt es doch anders…“

Die Vielzahl der Einflüsse über die Kulturdauer machen die agronomische Entscheidung schwer: Ich kenne die Stelle – aber soll ich hier jetzt mehr oder weniger säen? Wie wird sich der Bestand weiterentwickeln? Und: Wenn ich das System auf die Spitze treibe, ausreize, was passiert mit meinem dünnen Bestand, wenn es doch mal wieder einen strengen Winter gibt?

Welche Daten als Grundlage?

Der Grundstein für einen möglichen Erfolg, auch bei der Getreideaussaat, ist die richtige Datengrundlage für die Applikationskarte. Der derzeit einfachste Einstieg sind Satellitenbilder, sie geben Auskunft über die Heterogenität. Wenn schon hier deutlich wird, dass die Unterschiede auf der Fläche nur gering sind, dann lohnt sich der Aufwand für die Variable Rate nicht – da waren sich alle unsere Ansprechpartner einig.

Zeigen die Bilder Unterschiede, müssen diese richtig interpretiert werden. Denn sie geben nur indirekte Hinweise auf den Boden vor Ort.

Wie groß der aktuelle Einfluss ist, fasst Karsten Twietmeyer, der sich einige Jahre beruflich mit Applikationskarten beschäftigt hat, so zusammen: „Normalerweise regnet es bei uns 600 mm pro Jahr. 2017 hatten wir 800, in den Jahren darauf nur 500.“ Wichtig ist deshalb: Wie lange „schauen“ die Bilder zurück und welche Witterung herrschte in diesen Jahren?

Vielleicht war die Fläche in den letzten Jahren auch geteilt und mit unterschiedlichen Sorten oder sogar verschiedenen Früchten bestellt? Karsten Twietmeyer ist davon überzeugt, dass aktuell die Karten in der Praxis oft noch nicht richtig ausgewertet oder gar falsch interpretiert werden.

Für Michael Meier ist deshalb eine Bodenkarte die wichtigste Voraussetzung für die Applikationskarte bei der Aussaat. Er hat durch einen Dienstleister die Böden auf den kompletten Betrieb auf Basis der Reichsbodenschätzung und Analysen vor Ort kartieren lassen. Das war eine recht teure Maßnahme, wie er zugibt. Deshalb nutzt er die Informationen so intensiv wie möglich.

Das Raster für die Bodenprobenahme richtet sich jetzt nach der Bodenart auf dem Schlag. Für jede Bodenart wird eine Mischprobe von 20 Einstichen gezogen. Diese Daten verwendet der Betrieb in Zukunft dann für die variable Ausbringung von Grunddünger. Außerdem sollen durch festgelegte Befahrungslinien für die Probenahme die genau gleichen Stellen bei der nächsten Beprobung wieder angefahren werden. So kann der Betriebsleiter Entwicklungen besser interpretieren.

Jana Mesecke ist die Leiterin der Flächenbetreuung bei der rund 3000 ha umfassenden Agrargenossenschaft Uckermark agrar eG in Göritz. Der Betrieb liegt im hügeligen Endmoränengebiet, hat sehr stark wechselnde Böden und beschäftigt sich bereits seit 2014 mit der Getreidesaat per Applikationskarte. Erst in diesem Jahr ist die standortspezifische Maisaussaat dazugekommen.

Grundlage sind auch hier detaillierte Bodenkarten, die ein Dienstleister erstellt hat. Alle Flächen wurden mit dem Leitfähigkeitsmessgerät EM38 beprobt und die Ergebnisse mit den Reliefkarten gewichtet – also auch die Hangneigung berücksichtigt. Zusätzlich hat Jana Mesecke die Daten mit den Ertragskarten der Mähdrescher abgeglichen.

Über das Programm 365farmnet nutzt sie mittlerweile zudem aktuelle Biomassekarten, um die Einteilung sicherer zu machen – aber in Maßen: Verwendet man zu viele unterschiedliche Datenquellen, verwischt mitunter das Bild, findet die Agraringenieurin. Sie ist davon überzeugt, dass die Karten gepflegt werden müssen, sie seien eigentlich nie „fertig“. Jana Mesecke ist deshalb oft direkt auf den Flächen unterwegs und trägt vor Ort per Tablet Besonderheiten ein. Wichtig ist ihr dabei: Das Ganze muss trotzdem möglichst einfach und praxisgerecht laufen.

Mittlerweile setzt die Genossenschaft die Karten für viele Arbeiten ein. Anfang war die Drillsaat. Nach Erfahrungen von Jana Mesecke kann die Saatmenge auf einer Fläche um bis zu 50% variieren – je nach Feld. Das zahlt sich aus: Sie hat über die Jahre beobachtet, dass sich die Bestände homogener entwickeln und gleichmäßiger abreifen.

Der Betrieb steuert die Grund- und sogar die N-Düngung über die Karten –bei der Stickstoffdüngung per Biomassekarte aber erst ab der zweiten Gabe. Zusätzlich überprüft Jana Mesecke vorher die Daten mit einem Hand-N-Tester.

Fast genauso geht auch Michael Meier vor. Er sieht in dieser Technik eine gute Möglichkeit, die Nährstoffe noch gezielter auszubringen: „Wegen der Düngeverordnung wird es immer wichtiger für uns, die wenigen zur Verfügung stehenden Nährstoffe so effizient wie möglich zu nutzen.“

Mehr und mehr Anwendungen

Der Betrieb, in dem Jana Mesecke tätig ist, baut die standortspezifischen Anwendungen Schritt für Schritt aus. Die Maschinen werden nicht extra dafür ausgetauscht, das wäre nicht wirtschaftlich. Doch bei Neukauf achtet die Genossenschaft darauf, dass die Funktionen für standortspezifische Maßnahmen an Bord und kompatibel sind. So soll im nächsten Frühjahr mit der neuen Feldspritze die variable Ausbringung von Wachstumsreglern getestet werden.

Dr. Carsten Struve kann sich noch anderen Anwendungen auf Basis von Karten vorstellen. Zum Beispiel bei der Bodenbearbeitung zur Stroheinmischung: „Man könnte z.B. die Bearbeitungstiefe beim Grubbern variieren, wenn in einem Bereich des Schlages 6 t gedroschen wurden und an derer Stelle 10 t.“ Dadurch lassen sich Diesel und Zeit sparen, findet er.

Durch die Variable Rate lässt sich der Sicherheitszuschlag bei der Saat auf inhomogenen Flächen senken. Doch über die reine Einsparung von Saatgut allein rechnet sich der Aufwand meistens nicht. Das könnte sich etwas ändern, wenn künftig mehr Hybridsorten zum Einsatz kommen, denn diese können teils deutlich dünner gesät werden. Trotzdem sind die Saatgutkosten bis zu doppelt so hoch wie bei den Liniensorten. Zum Beispiel in Weizen 180 €/ha anstatt 70 bis 80 €/ha für herkömmliche Sorten. Es ist also wichtig, genau auf den Punkt zu säen.

Die Saatzuchtunternehmen arbeiten daran, die Sorteneigenschaften ähnlich wie beim Mais für Applikationskarten aufzubereiten. Dr. Katharina Heidrich von Syngenta Seeds koordiniert dazu Feldversuche. Das Unternehmen hat im zweiten Jahr Versuchsflächen mit standortspezifischer Aussaat angelegt. Basis sind Ertragspotenzialkarten aus zehnjährigen Satellitendaten von FarmFacts.

Die Versuchsanlage berücksichtigt verschiedene Sorten, Saatstärken und Saatzeitpunkte. Eine Rolle spielt auch, ob es sich bei der Sorte um Bestandesdichtetypen oder Einzelährentypen handelt – also in wieweit sich der Bestand im Laufe der Vegetationsperiode bestockt. Ziel ist letztlich ein Algorithmus, der die Sorteneigenschaften berücksichtigt und beim Erstellen von Applikationskarten dem Landwirt automatisch die passenden Saatstärken für die unterschiedlichen Schlagbereiche vorschlägt.

„Die Karten sollen sich dann auch für die weiteren Maßnahmen, v.a. bei der Gabe von Wachstumsreglern nutzen lassen“, sagt Dr. Katharina Heidrich. Für die Züchter ist der gezielte Einsatz von Hybridsaatgut sehr wichtig.

Paul Steinberg ist Produktmanager bei Saaten-Union und beschäftigt sich ebenfalls mit dem Thema. Auch er hat die Erfahrung gemacht, dass die standortspezifische Getreidesaat bisher kaum verbreitet ist, sich die Lage bei vermehrtem Einsatz von Hybridsorten aber ändern könnte. Über die gesamte Fläche gesehen, ist das Einsparpotenzial vielleicht gering, doch die Hybridsorten könnten ihre Vorteile besser ausspielen, wenn sie auf jedem Boden in jeweils optimaler Bestandsdichte wachsen.

Überschaubare Kosten

Alle Ansprechpartner waren sich weitgehend einig: Eine komplette Neuinvestition in den Maschinenpark, nur um Getreide standortspezifisch zu säen, ist nicht sinnvoll. „Doch je mehr sich Applikationskarten bei der Düngung, bei Wachstumsreglern und beim Mais durchsetzen, desto kürzer ist dann noch der Schritt zur gezielten Getreideaussaat“, hat Paul Steinberg festgestellt.

Der Aufpreis für den elektrischen Antrieb einer (mechanischen) Drillmaschine liegt meist zwischen 1.500 und 3.000 €. Der erste Vorteil nach dem Kauf ist das einfachere Abdrehen, was direkt für mehr Genauigkeit sorgt – in der Saison und von Fläche zu Fläche.

Diese Technik, die pneumatische Sämaschinen oft serienmäßig haben, ist die Grundvoraussetzung für die Applikationskarten. Besitzt der Traktor ohnehin ein Guidance-System, ist der nächste Schritt nicht mehr so groß.

Wenn ein Betrieb wechselnde Böden hat und deshalb generell mit einem Sicherheitszuschlag drillt, könnte er die kritischen Stellen auf einer digitalen Bodenkarte markieren und dann nur dort „dicker“ säen. Das geht z.B. auch per Handy oder Tablet auf der Fläche, wenn man sich Markierungen setzt und diese später verbindet. Diese sehr einfache Applikationskarte kann man über Jahre nutzen.

„Wenn ein 250 ha-Betrieb so 10% Saatgut spart, bringt das bei 80 €/ha Saatgutkosten schon mal bis zu 2.000 € pro Jahr“, sagt Dr. Carsten Struve. So erreicht man schon einen großen Effekt mit relativ wenig Aufwand. An die Feinheiten der agronomischen Zusammenhänge kann sich der Betrieb dann in Ruhe wagen.

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