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Dauerwald gibt es nicht ohne Pflege

Wir haben Förster Hans von der Goltz, den Bundesvorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft (ANW), gefragt, wie man künftige Wälder widerstandsfähiger macht.

Lesezeit: 7 Minuten

Wie groß ist die Fläche der Waldschäden in Deutschland und wie viel davon ist bereits wieder aufgeforstet?

Hans von der Goltz: Grob geschätzt gehen wir von einer Schadfläche von über 550.000 ha aus. Davon sind ­vermutlich 25 % wieder aufgeforstet. Dazu kommen die Flächen, die ­zunächst der natürlichen Sukzession überlassen werden. Wie groß dieser Anteil ist, lässt sich kaum abschätzen.

Viel mehr wäre gar nicht möglich – es mangelt den Betrieben an Pflanzern, Pflanzen und natürlich auch an ­finanziellen Möglichkeiten. Ein nicht zu unterschätzender Anteil der Waldbesitzer hat auch nach den vielen ­Schadenereignissen resigniert.

Wie sieht eine „ideale Aufforstung“ aus Sicht der ANW aus?

v. d. Goltz: Unser Konzept setzt auf die strukturelle Vielfalt. Es hat drei ­wesentliche Elemente: gruppenweise unterschiedliche Baumarten, also Laub- und Nadelbäume in einem ­Bestand. Das zweite Element ist die unterschiedliche Lichtbedürftigkeit der einzelnen Baumarten und damit das unterschiedliche Wuchsverhalten. So ergibt sich später die vertikale ­Struktur. Die dritte Säule reserviert 20 bis 40 % der Fläche für eine gruppenweise Sukzession insbesondere dort, wo keine Verjüngung der Hauptbaumarten vorhanden ist. Hier wachsen dann zunächst Eberesche oder Birke. Später lassen sich hier dann Schattbaumarten wie Weißtanne, Rotbuche oder auch Eibe unter deren schützendem Schirm einbringen.

In der Praxis ist die Umsetzung des Konzepts anspruchsvoll. Beispielsweise müssen die Pflanzkolonnen beim ­gruppenweisen Pflanzen angeleitet werden – die sind es aber gewohnt, schlagkräftig in langen Reihen zu pflanzen. In der Praxis müssen die Försterinnen und Förster genau markieren, was wo gepflanzt werden soll.

Was braucht es, damit die Ideen der ANW in der Praxis umgesetzt werden?

v. d. Goltz: Wir brauchen dringend ­einen Paradigmenwechsel! 50 Jahre haben wir die einzelnen Waldfunktionen isoliert betrachtet und die Maßnahmen jeweils darauf optimiert.

Bei der Ertragsfunktion standen homogene Sortimente im Vordergrund. Diese Bestände lassen sich sehr wirtschaftlich mit dem Harvester ernten. Klar, die homogenen Sortimente der klassischen Forstwirtschaft sind auf den ersten Blick einträglicher – bei unserem Konzept fallen bei der Durchforstung schon mal zehn Sortimente an. Doch die letzten Jahre haben gezeigt, dass das Waldverlustrisiko in homogenen Beständen sehr viel höher und damit unwirtschaftlicher ist.

Jetzt müssen wir die Stabilität des Waldes mehr in den Fokus nehmen. Denn nur ein stabiler Wald stellt die von ihm erwarteten Funktionen auch nachhaltig bereit. Wir erreichen das durch eine Heterogenisierung. Je „unordentlicher“, desto stabiler ist der Wald. Aber über Jahrzehnte gelernte Dinge in ein aktives Gestalten von „Unordnung“ zu ändern, ist anspruchsvoll. Es ist in der aktuellen Diskussion wichtig zu verstehen, dass strukturelle Vielfalt im Dauerwald nur durch Bewirtschaftung entsteht und nicht durch Stilllegung. Wenn die Bestände unbeschadet aus dem Äser des Wildes herausgewachsen sind, beginnt der Kampf der Baumarten ums Licht. Ohne Pflege setzen sich allerdings nur jetzt die stärksten Arten durch und verdrängen die anderen. Die Baumartenmischung als wichtigster Baustein für Resilienz ginge dann wieder verloren.

In einem geschichteten Dauerwald herrscht Windruhe. Im Vergleich zu anderen Beständen ist die Temperatur um bis zu 9 °C niedriger, die Luftfeuchte drei- bis viermal höher. Ein homogener Wald mit 20 m-Rückegassenabstand wird viel intensiver durchlüftet. Der Wind entzieht ihm insbesondere in den häufiger werdenden Trockenperioden viel dringend ­benötigte Feuchtigkeit.

Welche Maßnahmen in der Praxis ­sehen Sie eher kritisch und warum?

v. d. Goltz: Viele forstliche Maßnahmen führen zu einer Homogenisierung des Waldes, wie z. B. die Auswahl ­einer bestimmten Anzahl von Z-Bäumen/ha. Das in ein strukturförderndes Auszeichnen von Bäumen zu ändern ist nicht ganz einfach.

Das flächige Befahren und Mulchen der Flächen sehen wir auch sehr kritisch. Das sieht zwar erst schön „sauber“ aus. Aber die Nachteile durch die Bodenverdichtung sind kaum zu reparieren. Letztlich vernichten wir unsere Produktionsgrundlage. Die so vorbereiteten Böden erwärmen sich teils extrem. Dazu kommt die hohe Verdunstung. In den letzten Jahren sind die Kulturen hier förmlich verbrannt.

Auch eine zu intensive Kulturpflege bringt meines Erachtens vor allem Nachteile. Die Rehe freuen sich über freigemähte Reihen – sie müssen nur von Pflanze zu Pflanze gehen.

Wie lassen sich die Kräfte der Natur am besten bei der Wiederaufforstung nutzen?

v. d. Goltz: Auf den Schadflächen gibt es reichlich Licht und wenn dann genug Wasser vorhanden ist, will die Natur hier etwas wachsen lassen: Himbeere, Ginster, Eberesche usw. siedeln sich an. Sie helfen durch ihren Schatten, die Bodentemperatur zu senken. Es bringt Vorteile, diese Sukzession mit ertragsrelevanten Maßnahmen zu kombinieren, das senkt den Stress für die folgenden Baumarten. Es geht also darum, die Kräfte der Natur geschickt in die Bewirtschaftung einzubinden.

Nur um ein paar Beispiele zu nennen: Himbeere kann als Schutz vor Wildverbiss weiterwachsen, die Brombeere muss man im Auge behalten. Unter dem Ginster wachsen, geschützt vorm Wild, Schattbaumarten wie Tanne oder Buche. Wenn man den Ginster nicht zurückschneidet, stirbt er nach einigen Jahren von alleine ab.

Die Eberesche ist ein segensreicher Sonnen- und Verdunstungsschutz für die unter ihr wachsenden Bäume.

Welchen Baumarten stellen Sie derzeit eine gute Prognose aus?

v. d. Goltz: Diese Frage ist kaum zu beantworten – keiner weiß genau, wohin die Reise beim Klima geht. Für uns bleibt die Naturverjüngung die erste Wahl. Mittlerweile wissen wir, dass sich ein Teil der naturverjüngten Bäume genetisch viel besser an die ­geänderten Bedingungen einstellt als erwartet. Es besteht also die berechtigte Hoffnung, dass die natürlich verjüngte nächste Waldgeneration besser mit dem Klimawandel fertig wird als ihre Eltern. Es ist dann unsere Aufgabe, die frohwüchsigen Individuen, die aus den anderen herausstechen, vor Verbiss zu schützen.

Pflanzungen bringen eine viel geringere genetische Varianz auf die Fläche als die Naturverjüngung. Hier halten wir es für sinnvoll, fallweise auf ­heimische Arten mit Herkünften aus Regionen zu setzen, wo die Bäume schon länger Trockenheit und hohen Temperaturen ausgesetzt waren.

Erst im dritten Schritt kann man fremdländische Arten einbringen. Wir raten dazu, einen Anteil von 20 % nicht zu überschreiten und die Bäume immer gruppenweise zu pflanzen. Sollten sie später ausfallen, schließt der umgebene Wald die Lücke.

Es besteht immer die Gefahr, dass diese Bäume erst Jahrzehnte später ausfallen – auch wenn die Prognose zunächst sehr günstig war. Ein gutes Beispiel ist für mich die Douglasie. Sie galt als sehr unempfindlich. Heute machen ihr Borkenkäfer und verschiedene Pilzarten richtig Probleme. Ich bleibe dabei: Die Monokultur birgt stets ein sehr hohes Risiko auszustellen, auszufallen, so wie zurzeit die Fichten oder auch die Buchen. Daher empfehle ich stets eine Mischung standortgerechter Baumarten.

Bestände, die noch nicht flächig ­betroffen sind: Welche Maßnahmen sollten die Waldbesitzer hier ergreifen, um ihren Forst widerstandsfähiger zu machen?

v. d. Goltz: In älteren Beständen sollten die Waldbesitzer jeden erkennbaren Mischbaum „pampern“, das heißt, sie sollten jeden versuchen zu retten. Dann muss eventuell auch mal eine gute Buche weichen, um eine unterlegene Eiche zu erhalten. Die Durchforstung sollte weiterhin darauf ausgelegt sein, die Durchmesserspreitzung im Bestand zu erhalten oder zu erhöhen. Im Dauerwald entnimmt man einzelne dicke Bäume und fördert hierdurch gezielt die dünnen.

Eine besondere Rolle kommt dem Wild zu. Wie beurteilen Sie das Thema?

v. d. Goltz: Ohne angepasste Wildbestände wird es keinen Mischwald geben.

Die Wildbestände sind mit Abstand das wichtigste Thema bei der Walderneuerung. Wir müssen vor allem das Rehwild viel stärker bejagen. Durch ihre selektive Äsung konzentrieren sie sich vor allem auf die Mischbaumarten, sie sind ständig auf der Suche nach seltenen Leckerbissen. Untersuchungen haben gezeigt, dass bis zu 2/3 der Mischbaumarten verbissen werden und ausfallen.

Die lokalen Rehwildbestände sind oft viel höher, als die örtlichen Jäger und Förster glauben. Was man sieht, ist nur ein Bruchteil der Population. Das haben wissenschaftliche Auswertungen per Drohne und Wärmebildkamera gezeigt. Ein weiterer Beleg sind die stark gestiegenen Wildunfälle. Innerhalb von nur fünf Jahren ist die Schadensumme der Sachversicherer hier von 0,5 auf 0,75 Mrd. € gestiegen.

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